Ein paar Momente noch

Gegen Ende unserer drei Kurwochen nochmal intensive Tage. Wolken und Sturm: Der Wind heult in den Tauen, von denen die Masten der Segelbote im Hafen gehalten werden. Die Fischer, die im Windschatten der Imbissbude ihren Kaffee trinken, freuen sich am Anblick einer Frau, die neben der Hafenmole nackt ins Wasser watet. Riesige Möwen lassen sich geschickt vom Wind tragen, unsere Drachen gewinnen nur kurz an Höhe und stürzen im Sturm immer wieder ab. Dann wieder strahlende Tage, Sonne und Wind im perfekten Verhältnis, tiefblaues Wasser und weicher Sand. Nahezu karibische Gefühle kommen auf – auch wenn die Bäume hinter den Dünen Kiefern und die leuchtenden Blumen, die die Strandzugänge säumen, Wegwarten sind. Abends vergleichen die Mütter im Speisesaal ihre rotgebrannten Schultern.

Jedenfalls die Mütter, die noch miteinander reden. Allmählich treten die Eigenheiten der Frauen und Kinder stärker hervor, unsere Ecken und Kanten. Grüppchen haben sich gebildet. Am Rauchertisch draußen wird besprochen und ausgewertet. Mutter A lässt ihre Kinder vor dem Speisesaal toben, ist aber überzeugt, dass die Kinder von Mutter B angefangen haben. Mutter B sieht das genau umgekehrt. Mutter C ist beleidigt, weil die Kaffeemaschine den Geist aufgibt, als sie sich ihren Frühstückskaffee holen will; Mutter D wurde beobachtet, wie sie ihrem Sohn einen Klaps auf die Finger gab. Kind E grüßt nicht höflich, Kind F – das ist mein Achtjähriger – schlägt zwar niemandem einen Zahn aus, dafür aber einem anderen Kind, das sich unserer Uno-Runde anschließen will, die Tür vor der Nase zu. Die ersten Frauen fangen an, sich nach Hause zu sehnen, fort von den nervenden Mitmüttern, hin zu ihren nicht mitgereisten Kindern, zu ihren Ehemännern.

Männer, ach ja! Bei gelegentlichen Spaziergängen durch den Ort sehen wir Paare – und schauen diese Existenzform nach beinahe drei Wochen Kur für einen kleinen Moment genauso irritiert an, wie wir allein mit unseren Kindern herumziehenden Kurfrauen von ihnen betrachtet werden. Nach der Alleinerziehendengesprächsrunde ist mein Blick auf die glücklichen Familien anders. Wird der Mann, der vor dem Eiscafé seinen Kindern beim Toben zusieht, eines Tages eine andere Frau kennenlernen? Wird der goldblondierten Mutter neben ihm spätestens dann endgültig das Herz brechen, wenn er den gemeinsamen Sohn zum ersten Mal mit in einen Urlaub mit der neuen Frau nimmt? Wird der Vater, der sein Baby im Sand routiniert aus dem Tragetuch hebt, vom zweiten Kind so überfordert sein, dass er die Familie verlässt und wenige Jahre später nur noch gelegentlich Freitagabends halbherzig am Telefon anbietet, dass die Kinder ja heute mal bei ihm übernachten könnten?

Wir überlassen die Familien ihrem Urlaubsglück, solange es anhält; wir gehen weiter. Ich habe abzuarbeiten, was ich meinen Kindern leichtherzig versprochen habe, als noch viel Zeit vor uns lag. Nochmal auf dem Abenteuerspielplatz toben. Beim Quarkladen schlemmen. Ein Fahrrad für den Vierjährigen ausleihen, mit dem Achtjährigen einmal allein schwimmen gehen.

Als die Kinder endlich schlafen, sind meine Wünsche an der Reihe. Nochmal in die Sauna, ein paar Runden in der Schwimmhalle drehen, das Licht ist schon abgeschaltet, vor den Panoramafenstern schiebt der Wind die Wolken zusammen, bis sie den halben Mond durchscheinen lassen. Noch nicht überlegen, wo ich das Klebeband für die Kisten hingelegt habe, die per Post nach Hause geschickt werden. Noch ganz hier sein, ein paar Momente noch.

4 Gedanken zu „Ein paar Momente noch

  1. Susanne Haun

    Ich wünsche dir eine gute Heimfahrt, Greta.
    Ja, so ist es wenn viele Individuen aufeinander treffen. Aber schön, dass wir alle verschieden sind. Ich erinnere mich noch gut an meinen Mutter-Kind Urlaub in Kühlungsborn.
    Gerade am Freitag habe ich mich mit einer der damaligen Mütter getroffen.
    Ich freue mich auf unsere Verabredung und wünsche dir bis dahin eine schöne Zeit
    Susanne

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    1. Greta Autor

      Liebe Susanne, danke für den schönen Tag! Ja, die Kur wird auch bei mir eine sehr schöne – und hoffentlich langanhaltende – Erinnerung bleiben… Auf bald! Greta

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    1. Greta Autor

      Ja, das braucht Zeit. Äußerlich bin ich direkt von der See wieder in den Alltag gepurzelt. Die Seele ist noch auf dem Heimweg. Liebe Grüße! Greta

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