Auf dem Eis

Die erste Prominente, deren Namen ich kannte, war wahrscheinlich Katharina Witt, ein Mädchen damals, das wunderbar auf dem Eis tanzte. Ich erinnere mich, ich muss noch im Vorschulalter gewesen sein: meine Mutter, die mitten am Vormittag (Wo gibt’s denn sowas? Bei uns war Fernsehen ansonsten streng auf Sonntagnachmittag und Sandmännchen beschränkt – ) eine Olympiaübertragung einschaltet. Eiskunstlauf! Von da an schaute ich Eiskunstlaufmeisterschaften an, wann immer ich konnte, sah atemlos den großartigen Sprüngen der Eistänzerinnen in ihren glitzernden Kleidern zu. Meine erste Vorstellung von der Begrenztheit des Lebens bekam ich, als mir klar wurde, dass ich so wie die Witt nie würde Schlittschuhlaufen können.

Ich lernte es überhaupt erst sehr viel später, auf den Berliner Eisbahnen, mit dem Vater meiner Kinder, lief zaghafte Runden, zu vorsichtig, um viel zu stürzen – ich wusste schon, dass ich nicht fliegen kann.

In diesem Winter kommen mir die Eisbahnen nach langer Zeit wieder in den Sinn. Mit den beiden Paten des Neunjährigen und meinen Kindern drängen wir uns im Neuköllner Eisstadion an die Theke, an der die Schlittschuhe verliehen werden. Ich verteile meine ganzen Vorräte an dicken Socken und stopfe die Füße des Fünfjährigen in die klitzekleinen Schlittschuhe. Für ihn ist es eine Premiere, für den Neunjährigen der zweite Versuch, der war im letzten Jahr schon mal auf dem Eis unterwegs, in Thüringen, wo sie für motorisch unsichere Kinder wir ihn Pinguine hatten, schwere Figuren auf Gleitflächen und mit Griffen, Rollatoren fürs Eis. Die Bahn hier ist noch nicht auf diesem neuesten Stand der Technik, wozu auch, alle außer meinen Kindern können schon fahren, Kleinkinder, die elegante Kurven um uns herumfahren, größere, die sich lachend übers Eis jagen und gegenseitig zu beeindrucken versuchen, Erwachsene, die uns Anfängern geschickt und milde lächelnd ausweichen.

Da laufen wir, langsam, ganz nah am Rand, der Fünfjährige hängt schwer an meinen beiden Händen, die Mütze rutscht ihm über die Augen, schnell an die Bande, bevor meine Arme zu lahm werden, um ihn festzuhalten. Dann eine Runde mit dem Neunjährigen. Wie erklärt man nur, was man beim Eislaufen tun muss? Vorbeugen, den Po wie eine Ente hinten rausstrecken, weise ich ihn an, damit ihm die Füße nicht mehr gar zu oft nach vorn davonfahren. Und dann muss man die Kufen irgendwie seitlich verkeilen, so dass man sich abstoßen kann. Oder lieber erstmal üben, im Stehen ein Bein vom Eis zu heben? Mir fehlt hier eindeutig die pädagogische Qualifikation. Ich überlasse meine Kinder meinen geduldigen Freunden und fahre selber ein bisschen. Elegantes Anhalten müsste ich vielleicht mal lernen, ich lasse mich lachend gegen die Bande prallen.

Nebendran, auf der anderen Eisfläche, gibt es viel zu sehen. Erst trainieren ein paar Eishockeyspieler in ihren von Schulterschützern riesig aufgeblähten Trikots. Später ist die Bahn voller kleiner Mädchen in Glitzerleggins oder hautfarbigen Strumpfhosen und rosa Beinwärmern, die kleine Hüpfer üben oder – schon ganz gekonnt – um sich selbst herumwirbeln. Im Schutznetz an der Seite der Bahn hängen paarweise bunte Kufenschoner, solche, wie die Paare in Sotschi sie auch anziehen, wenn sie glücklich oder enttäuscht von der Fläche kommen und wir ihnen vom Sessel aus gebannt zuschauen, der Neunjährige gespannt auf die Punktzahl wartet, der Fünfjährige uns nochmal über die Nationalität des Läufer aufklärt – „Chinesen! Aus Spanien!“ – und ich mir die Gesichter anschaue, traurig oder strahlend, je nachdem, was ein Paar erwartet und erhofft hat und was ihnen gelungen ist – oder nicht.

Eiskunstlauf bringt mich immer noch ins Träumen, ein kleines bisschen.

Über der Neuköllner Bahn dämmert es. Aus den Lautsprechern scheppert die Musikauswahl eines anscheinend betrunkenen DJs, schmalzige Liebesschlager und Bum-Bum-Rhythmen im Wechsel. Wenn man die Kurve in der Nähe der anderen Eisfläche fährt, mischen sich auch noch die Tanzklänge der Eiskunstlaufmädchen dazu. Das Abendlicht ist wunderschön, die Luft ist mild. Als wir von der Bahn müssen, kommen die Eisautos – was für eine Attraktion für meine Kinder! Wir rätseln ein bisschen, wie das wohl geht – werden die losen Eisstückchen aufgesaugt? Wird eine Art Schnee auf die Bahn geschüttet und festgewalzt? – und einer der Eisbahnangestellten erklärt uns, wie es wirklich funktioniert, dass die oberste, zerfahrene Eisschicht abgehobelt und dann neues Wasser draufgesprüht wird. Jetzt sehen wir die vielen kleinen Wasserstrahlen auch, und die breite glänzende Spur, die das Auto hinterlässt.

Nach den viel zu engen Schlittschuhen fühlen die Lederstiefel sich weich und leicht an. Herrlich. Trotzdem möchte ich nochmal – am liebsten noch viele Male, am liebsten schon morgen – herkommen, bevor die Saison endet. Unbedingt.

2 Gedanken zu „Auf dem Eis

  1. frausiebensachen

    ja, eislaufen ist so schön!
    wir waren auch erst zweimal diesen winter, wettertechnisch bedingt. ich mag nicht in der halle laufen, es muß schon draussen auf der freiluftbahn sein.
    ach, und wie du dieses leichte gefühl hinterher an den füßen beschreibst…genauso! fast wie schweben in watte *lach*
    wünsch dir noch viele schöne eislaufmomente!

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