Am Strand

Am Strand von Warnemünde gibt es auch an den ganz heißen Tagen noch verriegelte Strandkörbe. Etliche sogar. Ziemlich viele! Trotzdem zucken die Verleiher in den kleinen Häuschen mit den Schultern: nöö, frei ist nix. Nur ganz rechts beim Leuchtturm, wo es am teuersten ist. Direkt vor mir in der Schlange eine Frau, die den Schlüssel für ihren heutigen Strandkorb in der dritten Reihe abgibt und einen Korb in der ersten Reihe gleich für morgen bezahlt – dessen Schlüssel sie gleich mitnimmt, obwohl wir darin noch gut hätten vier Stunden lang unsere Badesachen unterbringen und Schattenpausen hätten machen können, bis zum Abend. Nix zu machen, die Körbe vorne am Meer sind schon alle weg, als ich endlich dran bin.

Aber irgendwo finden wir dann doch immer noch ein Strandkörbchen, wenn wir am späten Nachmittag ans Meer kommen – jeden Tag woanders.

Einmal direkt unter dem Lebensretterhäuschen, von dem herab der Lebensretter von Dienst mit dem Fünfjährigen schäkert. Eine ganze Zeit lang strecken sich beide gegenseitig immer abwechselnd die Zunge raus.

Einmal rechts vorne, wo seltsamerweise alle Leute tätowiert sind. „Schnuppi“ steht auf der Wade der Frau, die vor uns ins Meer geht. Und „Live your dreams“ auf dem Rücken der Frau, an deren Handtuch vorbei wir wieder herauskommen. Ein dicker glatzköpfiger Mann hat einen dicken glatzköpfigen Wikinger auf den Rücken tätowiert. Und so ziemlich allen anderen quellen Rosen, Totenköpfe und sonstige Schnörkel den Rücken oder die Arme herab oder ranken an ihren Beinen hoch.

Einmal müssen wir in die sechste Reihe, fast ganz nach hinten, dahin, wo ältere Paare Stunde um Stunde friedlich in ihren Körben liegen. Alle der Sonne zugewandt. Heißt, dass sie uns alle beim Umziehen beobachten können, weil wir unseren Korb als erstes mit viel Hauruck umdrehen, damit wir Schatten haben. Dann kommen wir vom Baden wieder. Die ersten Senioren drehen ihren Korb aus der Sonne (und von uns weg), als der Fünfjährige und der Neunjährige Fußball spielen. („Neuer zu Götze! Götze! Jetzt Özil! Khedira! Khedira zu Messi! Robben schießt!!! Neuer hält!!!!) Die nächsten brechen plötzlich auf, als meine ganz große Schwester der großen Patennichte das Sonnenbaden reglementiert. („Du warst jetzt aber schon fünf Minuten in der Sonne!“ „Ja, aber das war mein Rücken. Jetzt noch fünf Minuten für den Bauch!“ – „Jetzt reichts aber, du ziehst jetzt sofort eine Bluse an, die Sonne ist gefährlich!“ „Mama! Nein! Ich will jetzt Ballspielen und ich ziehe keine Bluse an!“) Und den restlichen fällt ein, dass sie jetzt dringend schon mal zum Abendessen gehen wollen, als die große Patennichte und die Jungs Ballspielen und laut mitzählen, wie oft sie ihn hin- und herwerfen können, ohne dass er runterfällt. („Vierundsechzig – fünfundsechzig – sechsundsechzig – Neeeeeeeeiiiin!!!!!“)

Aber überall, jeden Tag, gibt es den Schneewittcheneffekt. Schon mal mit einer Sechzehnjährigen am Strand gewesen? Die Jungs im Alter der großen Patennichte gucken die große Patennichte an (wenn sie nicht gerade von dem Bier in ihrer einen Hand zu dem Smartfon in ihrer anderen Hand schauen). Die Männer in meinem Alter gucken die große Patennichte an (wenn sie nicht gerade ihren greinenden Nachwuchs oder außer Kontrolle geratene Wurfstrandmuscheln bändigen). Die Männer im Alter meiner ganz großen Schwester gucken – na? – die große Patennichte an. Wenn sie nicht gerade ihren kompetenten Ehefrauen mit den praktischen Kurzhaarschnitten den Rücken eincremen. Und manchmal sogar dann.

Nur der nette Strandkorbverleiher lächelt mich an und lobt mich, wie sportlich ich aussah, als wir da eben alle Frisbee gespielt haben. Er weiß, was er tut: Immerhin bin ich diejenige, die das Portemonnaie aus der Tasche zieht und den Strandkorb bezahlt. Und morgen wiederkommen soll – denn die Körbe sind hier immernoch am teuersten.

5 Gedanken zu „Am Strand

  1. rocknroulette

    ich überlege gerade, ob es neben FKK auch einen GKT und einen TKT für Ganz- und Teilkörpertätowierte geben sollte… auf norderney am wochenende fiel mir nur auf, wie normal die körpertinte in berlin ist – und wie eher selten anderswo. ich kam mir vor wie der sprichwörtliche bunte hund, nur in schwarz-weiß.

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    1. Greta Autor

      Ah, dann waren die bunten Tintenmenschen also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Berliner… Ich schaue ja total gerne Menschen an und natürlich auch, was sie so auf ihrer Haut stehen haben. – Schön, durch Deinen Kommentar auf Deinen Blog aufmerksam geworden zu sein! Finde den spannend und freu mich aufs Stöbern.

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      1. rocknroulette

        willkommen und ich würde mich freuen, dich oft hier zu sehen!
        ich bin auch immer sehr neugierig und würde immer am liebsten fragen: und was bedeutet das für dich? wann hast du das machen lassen? woran soll es dich erinnern?

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