Vorweihnachtliche Überstunden. Im Finsteren eile ich zur Kita. Ob der Fünfjährige das letzte Kind ist und die Erzieherin schon ungeduldig auf die Uhr schaut? Erst mal muss ich auf der Suche nach der Spätbetreuungsgruppe durchs dunkle, stille Haus irren. Ein halbes Dutzend Kinder ist noch da, ich atme auf.
Jetzt ist aber endlich Wochenende. Der Fünfjährige darf sich seine Schuhe und seine Jacke beinahe so langsam anziehen, wie er will. Und wir nehmen uns Zeit, auf dem Heimweg all die leuchtenden Weihnachtsdekorationen anzusehen. Die blauen Lichterketten da hingen auch letztes Jahr schon in der großen Konifere. Dort drüben das Haus hat Schwippbögen in allen Fenstern. Lila und rosa und türkisfarbige und blaue und rote und weiße und blinkende Lichterketten funkeln von den Balkons, und unser Kiezcafé da vorne hat einen Lichterbaum im Garten stehen, einen lebensgroßen künstlichen Baum voller winziger weißer Lämpchen in Blütenform. Der Fünfjährige und ich können uns kaum daran sattsehen. Der ist sogar schöner als unser Weihnachtsbaum, sagt mein Sohn. Nein, wir haben noch keinen Weihnachtsbaum, aber ich habe meinen Kindern jedes Jahr erzählt, dass unser Weihnachtsbaum der schönste von allen sei. Heute schaue ich in die strahlende Blütenwolke und bin widerlegt.
Bei den Nachbarn wartet ein Päckchen mit einem halben Adventskalender – für die zweite Hälfte der Adventszeit – auf mich, über das ich mich ganz närrisch freue, und im Briefkasten eine Postkarte aus Dresden vom Opa für die Kinder.
Der Vater meiner Kinder bringt den Neunjährigen von einem Termin zurück und berät mich netterweise im Umgang mit meiner Mieterhöhung. Siehe da, vielleicht komme ich ja mit der Hälfte davon –
Und dann muss ich ganz schnell noch einkaufen: das Brot ist endgültig alle, diese Woche hatte ich den Kopf so voll, dass die notwendigsten Dinge mir aus dem Kurzzeitgedächtnis gepurzelt sind. Also jetzt, schnell, gleich die Einkaufsliste fürs Wochenende mitnehmen… Der übermütige Wind – bei genau solchem Wetter wurde der Loop-Schal erfunden, ich bin sicher – schlenkert mir meinen Schal zurück nach vorne, egal, wie oft ich das Ende über meine Schulter zu werfen versuche.
Mama, fragt der Fünfjährige beim Abendessen, warum heißt die Kirche auf der Postkarte denn Frauenkirche? Gibt’s da auch eine Männerkirche in Dresden? Nee, sage ich, vielleicht war die Kirche ja mal katholisch und hieß „unserer lieben Frau“ oder so – damit ist Maria gemeint, die Mutter Gottes. Die ist wichtig für die Katholiken. Wie, sagt der Neunjährige, Maria war doch die Mutter von Jesus und Jesus war Gottes Sohn. War Maria dann nicht die Frau Gottes? Hmm, sage ich und versuche mich an einer kurzen Theorie der Dreieinigkeit. Vom heiligen Geist hat der Fünfjährige auch schon gehört. Der kam doch zu den Menschen runter, als Jesus ins All geflogen ist! Seit Theo Gerst dort war, kennt mein kleiner Sohn sich mit allem aus, was „da oben“ so los ist.
Und dann müssen wir noch schnell klären, wie viele Länder Europa eigentlich hat. 197! Das behauptet zumindest der Neunjährige, der in der Schule gerade heute einen Europa-Projekttag hatte. Wikipedia kennt nicht so viele, ich auch nicht. Und als ich endlich das unverschämte Plug-In aktualisiert habe, das ausgerechnet am Freitagabend nicht mehr zuverlässig sein soll, und wir die aktuelle Sendung mit der Maus nachgesehen haben, ist es neun.
Der Neunjährige ist enttäuscht: Was, keine Zeit mehr zum Kuscheln und Schwatzen? Ich hatte sooo wenig von dir in der ganzen Woche, Mama! Stimmt. Heute Termin mit Papa. Gestern Sportverein – und dann – tatatata: Premiere! – habe ich die Kinder zum allerersten Mal am Abend alleine gelassen, um auf der Firmenweihnachtsfeier wenigstens noch einen kleinen Cocktail zu trinken. Aber hatten wir vorher denn keine Zeit füreinander? Was war da bloß, Montag? Dienstag?
Wir können uns – nach einer anstrengenden, langen Woche – beide nicht so recht erinnern. Wir hatten viel zu wenig Zeit. Für alles. Das steht fest.
Ich bin sehr froh, zu dir gefunden zu haben und genieße deine Zeilen immer sehr. Auch wir wundern uns oft über die Zeit, wie schnell sie vergeht und wie wenig man voneinander hat oder sich füreinander nimmt. Das wird auch uns oft sehr deutlich gemacht – umso schöner, dass jetzt bald ein paar ruhige Tage kommen, wo es tatsächlich um nichts anderes geht als Zeit mit- und füreinander zu haben. Lieben Dank für deine Einblicke! Jela
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Liebe Jela – danke! Wünsche Euch sehr schöne, ruhige Tage, in denen Ihr die Zeit miteinander rundrum genießen könnt. Und wie sehr ich mich genau darauf freue… Viele Grüße! Greta
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Ah – also wenn das Kind 9 Jahre alt ist, kann man es abends mal versuchsweise alleine zu Hause lassen? Cool, nur noch 7 Jahre! Also vorausgesetzt, dasKind ist ganz vernünftig. Oder war ein Babysitter dabei?
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Nein, das war ohne Babysitter. (Eigentlich wollte ich sogar drüber bloggen – aber nicht geschafft…) Ich hatte mit den Nachbarn im Haus abgesprochen, dass der Neunjährige bei ihnen klingeln kann, wenn er mit irgendetwas nicht alleine klarkommt, und dann hat er sein Handy zum ersten Mal bekommen und wir hatten geübt, wie er mich anrufen kann (oder zur Not seinen Vater) – und dann ist der Neunjährige auch wirklich vernünftig und ich wusste, wenn ich sage, dass er halb neun das Licht ausmachen soll, dann macht er es nicht sehr viel später auch wirklich aus. Mein kleiner Sohn sollte eigentlich schon schlafen, war aber noch wach, als ich gegangen bin und hat ziemlich gejammert, weil er grade sehr klammerig ist. Da hab ich dem großen nochmal gesagt, dass es nicht seine Aufgabe ist, den kleinen den ganzen Abend zu trösten, dass er mich also anrufen soll, wenn der kleine nicht in einer Viertelstunde eingeschlafen ist. Und dann ging alles gut…
Also halte durch. Vielleicht ist Dein Kind ja sogar schon mit acht Jahren so weit! (und mit 12 kann man sie dann wieder nicht mehr alleine lassen, glaube ich, weil sie sonst die ganze Nacht durch Horrorfilme gucken…) Liebe Grüße!
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Klingt gut, eure Lösung. Das haben wir gerade tatsächlich schon so ähnlich: den Nachbarn über den Flur das Babyfon reinreichen. Geht natürlich erst, wenn das Kind schläft, aber immerhin ganz nett, wenn man abends noch auf ein Bier weg will. Wenn man es jeweils dem Kind-Alter anpasst, gibt es da offensichtlich so einige Möglichkeiten, aber eine gute Nachbarschaft scheint sehr zu helfen.
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