Bäume

Ich liebe Bäume.

Ich schaue im Winter gerne in kahle Zweige, und noch viel lieber jetzt, wenn das Muster, dass sie vor dem Himmel bilden, durch das Wachstum der Knospen plötzlich lebendig wird und sich von Tag zu Tag verändert. 

Die Birken mag ich gerne, deren unordentlich hängende Zweige von Weitem (aber nicht aus der Nähe) aussehen, als ob sie einen Friseurbesuch nötig hätten. Den Ahorn im Hinterhof mag ich, der mit seinen zum Himmel in schönster Rundung abschließenden jungen Zweigen aussieht, als hätte er seinen Haarschnitt schon bekommen. 

Ich bewundere die Linden, die ich als Nicht-Autobesitzerin rund ums Jahr von ganzem Herzen schön finden kann. Sie haben wahrscheinlich das eine oder andere Seminar gemeinsam mit den klugen Kreuzsspinnen besucht; sie sind Meisterinnen feinster, auf Linden-Art ein klein wenig gebogener Ästchen und Verzweigungen, mit denen sie sich wie mit einem zweiten Wurzelwerk im Himmel verankern.

Ähnlich intensiv verzweigen sich die Platanen, nur ein wenig kräftiger und knorriger, müssen sie doch das Gewicht ihrer Früchte, der Vorbilder der gemeinen Weihnachtsbaumkugel, sicher tragen können.

An den alten, lebenserfahrenen Kastanien freue ich mich, die ihre Zweige, schwer von aufbrechenden Knospen, achtlos, aber dennoch elegant durcheinanderhängen lassen, so dass sie ein wunderschönes Wirrwarrmuster bilden. 

Nicht weit weg stehen die jungen Pappelsprösslinge, die schon große, längliche Knospen haben, aber garnicht daran denken, sich mit kleinen Ästchen aufzuhalten. Sie recken ihre Triebe zum Himmel und träumen davon, eines Tages wie eine hohe Kerzenflamme aufzuragen oder wie riesige Pinsel, mit denen man den Himmel an grauen Tagen blau anmalen könnte. 

Der Urzeitkollege Gingko hat es auch nicht so mit kleinen Zweiglein – der Evolution war diese Idee vielleicht noch garnicht gekommen, als er zum ersten Mal seine zwei-in-einem-Blätter austrieb. Umsomehr konzentriert er sich auf seine Knospen und auf jedes einzelne Blatt darin, weil er hofft, nochmal jemanden zu einem Gedicht zu inspirieren - 

Entlang der S-Bahn-Strecke, die ich fahre, gibt es Bäume mit dekorativ gekrümmten Ästen (Robinien, vielleicht?), ein ganzes Ensemble von ihnen steht am am Rand des Tempelhofer Feldes, in wortloser Absprache die kleineren anmutig um den größten versammelt.

Aber heute sind mir die kleinen Bäume am allerliebsten, die an der zu S-Bahn parallelen Straße stehen und manchmal rosa blühen und deren Namen ich noch nicht mal kenne. Die Ästchen an ihren langen Zweigen geben ein so harmonisches Bild ab, dass ich mich frage, ob schon jemals ein staunender Mathematiker versucht hat, ihr Geheimnis zu ergründen, ob es z.B. mit Fibonaccis Zahlenfolge zusammenhängen könnte – die mich fasziniert, seit ich gelernt habe, dass sich aus ihr der „goldene Winkel“ ergibt, in dem manche Pflanzen ihre Blätter um ihren Stängel herum versetzen, weil die Blätter sich dann gegenseitig das Licht nicht wegnehmen. Aber das ist eine andere Geschichte, keine über Bäume, sondern eine, in der Kiefernzapfen, Ananas und Kakteen vorkommen.

Und am Abend, als ich mit vollgepackten Einkaufsbeuteln zurück nach Hause gehe, freue ich mich über die Trauerweiden am Kanal, die ihren grünen Feenschleier angelegt, und über die wilden Pflaumenbäume, die sich mit weißem Blütenbadeschaum eingeseift haben.

Ich liebe Bäume.

(Warum heiratest du sie dann nicht?, würde der Achtjährige dazu sagen, der nicht müde wird, diesen seinen allerliebsten Achtjährigenwitz anzubringen, sobald irgendjemand sagt, dass er irgendetwas liebt, so dass man – des Achtjährigenwitzes nun doch etwas überdrüssig – nur noch augenrollend antworten kann, dass die Ringe schon bestellt seien. Aber auch das ist eine andere Geschichte.)

7 Gedanken zu „Bäume

  1. dietauschlade

    Wunderbare und so treffende Baumbeschreibungen (und auch mich hat der goldene Winkel sehr fasziniert – da haben wir wohl die gleiche Ausstellung besucht…).

    Herzliche Grüße vom anderen Ende der Stadt!

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    1. Greta Autor

      Danke! Eine Ausstellung? Gibt es die noch zu sehen? Hier in Berlin? Ich habe davon bei Scarlett Thomas gelesen, in ihrem Roman „PopCo“, im Internet weitergelesen und hege seitdem den Plan, den nächsten Kiefernzapfen, der mir über den Weg läuft, genauer zu untersuchen… Ein lieber Gruß zurück an Dein Ende der Stadt!

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      Antwort
      1. Greta Autor

        Danke Miriam! Ach schade, die Ausstellung hätte ich gerne gesehen, aber nichts davon mitbekommen. Auch Dir noch einen schönen Abend! Liebe Grüße Greta

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      1. tikerscherk

        Mein Lieblingsbaum ist eine halbtote knorrige Zwergrobinie in der Waldemarstraße in Kreuzberg. Ihr Partnerbaum wurde letztes Jahr gefällt. Jetzt muss ich mich um sie kümmern…

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