Up and away

Am Morgen ziehe ich nach einem Blick in die Wetterapp die lange Strumpfhose doch wieder aus und stecke sie noch schnell oben in die große Kraxe, bevor ich die aufhucke und die Tür hinter mir ins Schloss ziehe.

Mittags packe ich in einer Büroarbeitspause die dünne Windjacke aus und die mitteldicke Winterjacke ein.

Um halb vier gehe ich schwer bepackt, aber frohlockend an den Türen der Vollzeitkollegen vorbei zum Aufzug und hinaus in die Sonne.  Am Gesundbrunnenbahnhof steige ich in den Zug, in dem der liebste Freund sitzt und uns zwischen den Eberswalde-Pendlern Plätze freigehalten hat.

Voll ist der Zug am Donnerstagnachmittag! Und ich schaue so gern Menschen an. Gegenüber ein Student – vielleicht – der auf seinem Laptop etwas liest und sich gleichzeitig mit einem elektronischen Stift handschriftliche Notizen auf einem Tablet macht, dass er auf der Tastatur seines Laptops abgelegt hat. Die Dame neben ihm liest mit schreckverzerrtem Gesicht eine Ausgabe von pm mit dem Titel „Gefährliche Sonne“. Ein überforderter Vater im weißen Simpsons-T-Shirt macht abwechselnd Quatsch mit seinen Kindern – einem Mädchen im Kindergarten- und einem Jungen im Vorschulalter – und schreit sie zwischendurch, genervt von der Hitze und der Enge des Zuges, immer wieder böse an. Eine Dame in Marineblau runzelt missbilligend die Stirn und wechselt das Abteil, sobald mehr Plätze freiwerden.

Draußen stehen hellbraune Kühe auf Weiden und ein Auto mit offener Heckklappe auf einem Hügel neben einem hölzernen Picknicktisch. Ein wilder Landschaftsmaler hat unwirklich strahlendes Rapsgelb großflächig in die Felder gestrichen.

Das Anzeigesystem des Zuges ist davon ganz durcheinander und kündigt uns Kiesow, Greifswald Süd und Ferdinandshof an, obwohl wir uns doch Chorin, Angermünde und Prenzlau nähern. Live-Durchsageversuche des Zugpersonals gehen im wiederkehrenden Glockenton unter, der sie eigentlich ankündigen soll.

Weil es keinen Empfang gibt, male ich dem liebsten Freund eine gefühlte Karte unseres Reiseverlaufs in mein Notizheft. Als ich wieder aufblicke, hat eine junge Frau angefangen, nett mit den Kindern des überforderten Vaters zu schwatzen. Der hat plötzlich ein schwarzes Simpsons-T-Shirt an, straht die junge Frau an wie eine Heiligenerscheinung und ist von nun ganz entspannt. Der liebste Freund packt die Kaffeekanne, süße Teilchen, Käse, Wurst und Brötchen aus, und wir krümeln glücklich die Sitze voll, bis die Zugbegleiterin vorbeikommt und den Austausch unseres Zuges in Prenzlau ankündigt.

Zwei Stunden später sind wir angekommen und schließen unsere Ferienwohnung auf, die ein bisschen mehr „unsere“ und sofort ein wenig wie zu Hause ist, weil wir hier letztes Jahr schon gewohnt haben. Es gibt das rote Sofa noch und den Großelternsessel, die vielen Spiegel und die Glasteller und die seltsame Küchenlampe und wie letztes Jahr Erbsensuppe aus dem Schlauch und dann das Meer, das kalt ist und rauscht, und ein großzügiges Abendrot, das sich hell in den ruhigen Lachen am Strand spiegelt, die die Wellen nur manchmal erreichen. Und als wir das Abendrot beinahe erreicht haben und uns umdrehen, um zurückzulaufen, steht im Dunst hinter der Seebrücke der Vollmond, dick und orange.

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