In den Osterferien hüpfen wir aus unserem Alltag und landen – zusammen mit der ganz großen Schwester und ihrer schönen Tochter und dem Freund der schönen Tochter – in der kleinen Waldhütte, die ganz versteckt an einem Berghang im Thüringer Schiefergebirge liegt, kaum zu sehen hinter einer dichten Fichtenhecke, über die aber trotzdem von morgens bis zum frühen Nachmittag die Sonne blinzelt. Wir füttern den Holzofen mit dicken Scheiten, bis die vom Winter auf 2 Grad ausgekühlte Hütte mollig warm wird; wir liegen in dicken Jacken in den Liegestühlen; wir schleppen Wasser in großen Eimern in die kleine Küche und kochen es zum Trinken ab; wir frühstücken morgens gemütlich, gehen im Nachmittagssonnenschein spazieren; der Dreizehnjährige steigt in Gummistiefeln in den Bach, der durchs Tal murmelt, und baut Dämme aus Schieferbrocken – der Neunjährige gibt ihm vom Ufer aus Anweisungen – und abends spielen wir lange gemeinsam Karten am großen Tisch.
Als wir zurückkommen, riechen wir von Kopf bis Fuß nach Holzfeuer und Waldhütte; alle Kleidungsstücke türmen sich im Flur und wollen gewaschen werden, und weil ich einmal dabei bin, bekommt auch die Allergiebettwäsche des Neunjährigen aus dem heimischen Bett ihren jährlichen Waschgang, werden die Matratzen mit Neemöl besprüht; und weil ich einmal dabei bin, bekommt der Wollteppich im Zimmer des Dreizehnjährigen seine vorbeugende Mottenkur und werden die Korkstückchen in den Kleiderschränken mit Arven-Öl betupft; die Fliesen im Bad rufen: „putz uns, putz uns, wir sind ganz verschmiert und bespritzt“; vom Bücherregal segeln Staubflusen auf meinen Kopf – es ist, kurz gesagt, noch so viel Frühjahrsputz fällig, dass er meine ganze Urlaubskraft verschlingt und ich am Montagmorgen bei schönstem Sonnenschein ohne jede Motivation zur Bahn in Richtung Büro schlurfe und dabei vor mich hinmurmele, was für eine gute Sache doch der „Haushaltstag“ gewesen ist, den es in der DDR für Arbeitnehmerinnen gelegentlich gab.
Mein schmerzender Fuß hat kleine Waldspaziergänge, in guten festen Schuhen und auf weich federndem Boden, ohne größere Beschwerden mitgemacht; aber Frühjahrsputz und Großstadtpflaster behagen ihm nicht, jetzt muss also doch ein Arzt einen Blick darauf werfen. Ich bekomme eine Salbe aufgestrichen und einen unangenehm scheuernden Verband; Tabletten, die die Entzündung aus dem Gelenk ziehen sollen und die Anweisung, mir im Sanitätshaus eine über dem Verband zu tragende Bandage aushändigen zu lassen. Nicht weit vom Orthopäden entfernt gibt es ein entsprechendes Geschäft; aber streng weist die Sanitätshausfrau mir die Tür, man trüge Bandagen grundsätzlich nie über Verbänden und nein, ich dürfe den Verband jetzt auch nicht in ihrem sauberen Reformhaus entfernen oder gar um Wasser zum Abwaschen der Salbe bitten, wie unhygienisch, auf gar keinen Fall, da hilft kein Flehen (…aber ich komme nie wieder in diese Gegend, ich wohne hier doch garnicht!). Am nächsten Morgen gehe ich, ohne Verband und voller Hoffnung, zum Orthopädieschuhmacher in meinem Kiez, der allerhand Bandagen in seinem Fenster ausgestellt hat – die fragliche verschriebene aber frühestens in zwei Wochen geliefert bekommen wird, wenn er sie jetzt bestellt. Geknickt humpele ich nach Hause, schalte meinen Homeoffice-Rechner ein, mache mir einen Schwedenkräuterumschlag auf den Fuß. Ich telefoniere mit der Service-Hotline einer größeren Sanitätshauskette und lasse mir bestätigen, dass es die im Internet verzeichnete Filiale – nur eine S-Bahn-Station entfernt – noch gibt; leider geht dort niemand ans Telefon, wahrscheinlich sind die Mitarbeiter alle beschäftigt. Also humpele ich am Nachmittag zur Bahn, fahre hin – und finde an der Tür einen handgeschriebenen Zettel vor, der erklärt, dass man aus betrieblichen Gründen am 11. und 12. April geschlossen habe. Jetzt weiß ich auch nicht mehr weiter.
Aber die Sonne wärmt, auf dem Balkon keimen die ersten Bienenblumen und schütteln Treibhauskräuter sich in der ungewohnt frischen Luft; die Tomatenpflänzchen strecken sich und wollen des Nachts noch ins Warme; eine prächtige Petunie voller lilafarbener Blüten mit dekorativen weißen Rändern, die der Dreizehnjährige in sein Kastenbeet gepflanzt hat, lässt sich von allen Seiten bewundern, nur die Sonnenblumenpflänzchen stimmen nicht in den Chor ein, sondern sammeln Kräfte, um bis zum Himmel zu wachsen.
Allen traurigen Radionachrichten zum Trotz: es ist Frühling!