Im Handumdrehen sind wieder fast zwei Wochen verstrichen. Mein scheußliches Voltarensalben-Unverträglichkeitsexzem am Knöchel ist beinahe verheilt, und ich kann endlich die schicke Aktiv-Bandage tragen, die ich dann doch irgendwann in einem Sanitätshaus erstehen konnte.
Am Morgen ist alles prima; am sommerlich warmen Nachmittag, wenn die S-Bahn voller unmutiger Feierabendberliner ist, ist mein Fuß auf einmal zwei Nummern zu groß für die sportlich-blaue Knöchelstütze; sie drückt vorn und hinten, deshalb bleibe ich unglücklich auf meinem schwer erkämpften Platz sitzen, als sich ein Mann mit freiem Oberkörper neben mir niederlässt; ich würde ihn seeeehr gern mit Blicken anziehen – oder aus der S-Bahn werfen zum Aussteigen bewegen – weil ich bittedanke selbst entscheiden möchte, wer halbnackt und verschwitzt neben mir sitzen darf.
Unter solchen Umständen ist das Nachhausekommen besonders schön. Ich ziehe die fußgerechten Wanderschuhe aus, die Socken und die nicht mehr ganz taufrische Bandage; dann stelle ich vorsichtig die Paprikapflanze auf den Balkon, die mir noch gefehlt hat, und die Walderdbeere, das Wandelröschen und die Studentenblume, die ich aus Versehen im Oh-lauter-wunderschöne-Pflanzen-Glücksrausch auch noch gekauft habe. Hach, wie schön!
Als alle Neuankömmlinge ein Plätzchen mit ausreichend Erde gefunden und Wasser bekommen haben, sitze ich mit einem Buch auf der Balkonbank und blinzele in die Sonne, die zwischen dem Schornstein des Nachbarhauses und dem Stamm der grünbeschleierten Birke ein paar letzte Strahlen in den Hinterhof schickt. Im rechten Nachbarhof schwatzen zwei Mütter am Sandkastenrand, während ihre Kinder auf dem Rasen Fange spielen; im linken Nachbarhof isst eine Familie zu Abend; oben im Baum wippt die Taube auf einem Ast und lässt es darauf ankommen, von der brütenden Rabenmutter erspät und verjagt zu werden. Gegenüber auf dem Flachdach, wo die Sonne noch richtig hinscheint, laufen ein paar Männer mit hippylike buschigen Haaren und buschigen Bärten hin und her, Becher und Handys in den Händen – unser Kiez verjüngt sich, denke ich, sowas gab es hier noch nie – und schaue ihnen interessiert beim Sonnenuntergangfotografieren zu.
Später, drinnen, ist es ein bisschen einsam. Auf meinem Laptop liegen die Präsentationen, die der Dreizehnjährige zu den Schulvorträgen gemacht hat, die er gestern und heute halten musste und die ich mir in den letzen Tagen immer wieder geduldig angehört habe; im Zimmer des Neunjährigen guckt mich der Kuschelhase traurig an, auf dem Boden liegt der Schlafanzug und aufgeschlagen im Bett das Michel-Buch von Astrid Lindgren, aus dem wir vorgelesen haben; in der Küche erinnert mich das Ligretto-Spiel daran, dass der liebste Freund, der Dreizehnjährige und ich gestern um diese Zeit kartenspielend am Tisch saßen.
Jetzt sind alle fort, und ich habe keine Lust, irgendetwas von all dem anzufangen, was ich machen wollte, wenn ich allein bin.
Es ist okay, sage ich mir, erschöpft zu sein und garnichts zu wollen.
Und vielleicht, tröste ich mich, gibt es nachher ein paar Sterne.
(Meine neue App kennt sie alle – auch den „kleinen Hund“, der abends über meinem Balkon wacht, und den „großen Löwen“, den wir über dem Waldhäuschen, zwischen den hohen Bergen, strahlen sahen – zwei Sternbilder, die ich noch nie gesehen hatte, und die zu meinen großen Frühlingsfreuden gehören…)
Wie schön alles. Auch der verschwitzte eklige Mann. Es sollte ein bekleidungs- und-gut-riech- Gebot ab öffentlichen Stellen und Nachbarsgärten geben😉 . Schönen Abend! Kat.
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Ja, ich stimme für dieses Gebot, sofort! Liebe Grüße aus dem öffentlichen Verkehr in Berlin 🙂
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