Auf dem Weimarer Balkon spielt Sturmtief Eugen mit dem bunten Windrad. Drunter ducken sich erschrocken die Stiefmütterchen. Ich habe mich an die Küche gewöhnt – sogar ans Benutzen der Spülmaschine, obwohl ich noch nicht entschieden habe, ob die Arbeitsersparnis echt ist oder nur gefühlt – und ans quietschende Gästebett und an eine Stunde Mittagsschlaf (das war am leichtesten). Morgens weckt mich eine Amsel. Der Tagesrhythmus hier, bei meinem Vater, spielt sich ein.
Habe meinen Vater dieses Mal nicht zur Kirche begleitet, weil es beim letzten Mal Männergesang ohne Masken gab. Dieses Mal spielten ein paar Bläster – Trompete, Posaune -, berichtete mein Vater hinterher; also sehr gut, dass ich stattdessen spazieren – und zwecks Erwerb eines halben Brotes in der Brotmanufaktur – war. Schön wäre das, irgendwann bei Musik und Gesang nicht mehr an Aerosole und Infektionsgefahr zu denken.
Am Montag besuchen wir meine alte Deutsch- und Geschichtslehrerin, die mein Vater vom Sehen kennt, weil sie die gleiche Kirche besucht wie er. Wunderbare Frau, es gibt Kaffee und Kuchen, ja, sie ist vollständig geimpft, also setze ich meine Maske ab und genieße es, wie sie Geschichten aus ihrem Leben erzählt, so amüsant, dass ich gleich wieder weiß, warum sie die beste Lehrerin meiner Abiturzeit war.
Hinterher dann trotzdem erleichtert, als mein Vater heil die Wendeltreppe im Haus heruntergekommen war und ich den Rollater und ihn unbeschadet die Steintreppen vor der Haustür herunterbugsiert hatte. Alte Weimarer Bausubstanz – schon oft habe ich mir vorgestellt, wie schön es wäre, in so einem verwinkelten vermutlich-Goethezeit-Haus zu leben -, nur barrierefrei ist es nicht gerade. Auch über die Komplikationen, die sogar manche abgesenkte Bürgersteige beim Fahren mit einem Rollator verursachen, lerne ich viel. Warum werden Bürgersteige nicht so angelegt, dass auch Menschen mit Rollatoren sicher die Straße überqueren können, kann man da nicht mal Empfehlungen von denjenigen sammeln, die tagtäglich mit derartigen städtebaulichen Patzern kämpfen müssen? Das kann doch so schwer nicht sein?
Abends im Fernsehen der Klassenkamerad, an den sich die Lehrerin (Kunststück, wenn er jeden Abend Nachrichten spricht) noch erinnern konnte. An mich nicht. Da geht sie also hin, die Vorstellung, irgendwas besonderes gewesen zu sein. Das Gefühl, gern nochmal an die Abiturzeit anknüpfen zu wollen; der Wunsch, nochmal ein, zwei, drei Lebensentscheidungen anders zu treffen, hält bis zum Schlafengehen an. Er stellt sich in Weimar gerne ein, so ist das halt.
Ansonsten kaufe ich ein, mache Essen, koche Götterspeise und Pudding, denn mein Vater isst gern Süßes, hole die Zeitung und trage den Mül weg, backe Himbeerkuchen und bereite Gulasch vor, schreibe für meinen Vater einen Brief auf englisch ans vietnamesische Patenkind auf der alten (Nachwende-Neunziger?) elektrischen Schreibmaschine, die faucht und blinkt und nicht erlaubt, Sätze zu verschieben oder nochmal Zeichen einzufügen. Abends sehen wir fern.
Auch so geht Urlaub.