Diese wunderschönen Herbstwochenenden! Beim Monatsranking kommen September und Oktober bei mir ganz vorne. Dann Juli und August. April, Mai und Juni. Dezember. November. März. Ganz abgeschlagen Januar und Februar. Meine Kinder haben das ganz anders, – aber das alles sowieso nur am Rande. Jedenfalls hatte ich noch nie das Bedürfnis, im September oder Oktober irgendwohinzufliegen, wenn hier alles nur so leuchtet.
Schlechte Überleitung: Mein Fuß leuchtet nicht so sehr, er tut sich mit Beschwerden hervor, mal hier, mal da, mal dick, mal empfindlich, mal die Zehen, mal das Gelenk. Der Arzt immerhin nimmts jetzt ernster, ein MRT steht im Kalender. Das Tape, das Achillissehne, Gelenk und Fußoberseite stützt, ist dieses Mal schwarz, blau war eigentlich schöner, aber das macht nichts. Ein paar Kilometer mäßiges Spazierengehen hat der Arzt erlaubt bzw. sogar empfohlen, also sage ich die Wanderverabredung mit der Landfreundin-und-Mutter-des-Patenmädchens nicht ab, sondern wir treffen uns auf dem kleinen Wanderparkplatz; sie mit einem tiefgefrorenen Kühlakku für meinen Fuß als Highlight fürs Picknick; ich mit meinen Nordic-Walking-Stöcken.
Wir wandern los; Pilzsucher mit großen Körben und gelben Leuchtwesten ziehen an uns vorbei, aber ich bin langsam heute. Wir suchen ja auch gar keine Pilze, versichern wir uns gegenseitig; wie jeder weiß, ist das der Satz, den man sagen muss, um am Wegesrand große Mengen Pilze einfach so zu entdecken. Es funktioniert auch dieses Mal, Rotfüßchen und Maronen finden wir, ein paar Hallimasch; die Landfreundin schneidet zwei sehr große Pilze mit knallrotem Stiel und knallroten Lamellen ab, von denen ich die Finger gelassen hätte; dafür nehme ich ein paar Schirmpilze mit, die nicht ganz die Größe echter Parasole haben; und dann springt mir doch ein sehr dicker und schon etwas in die Jahre gekommener Steinpilz in die Hand. Fantastisch! Vor lauter Hantieren mit Sammeleimerchen, Beutel und Messer habe ich einen meiner Walkingstöcke zusammengeklappt und weggepackt. Eine freie Hand mehr, so nützlich. Ein paar Meter weiter stehen Maronen im Moos, die müssen auch noch mit. Dann die Schrecksekunde: mein anderer Wanderstock ist weg – der, den ich nicht weggepackt hatte!
So schön das ist, dass Pilze mich meine Fußbeschwerden vergessen lassen – so unschön ist es, dass ich den Stock gleich mit vergessen habe. Wir laufen also zurück, ein ganzes Stück, wir waren doch nur an zwei Stellen mal vom Weg weg, und an der einen hatte ich Stöcke noch, beide, ganz sicher. Aber der Walkingstock ist weg, liegt nirgendwo am Wegesrand. Betrübt gehen wir zur Picknickstelle weiter.
Diese Picknickstelle hat Tradition – wie die ganze Wanderung. Mit ganz verschiedenen Leuten bin ich hier schon gelaufen, habe mit den Kindern allererste Wandererfahrungen gemacht, mit einem lieben Menschen einen Regen ausgesessen, eine ganze Geburtstagsrunde ist mir hier entlang gefolgt, ein Kind im Bach komplett nass geworden; ich habe an diesem Weg indische Scheinerdbeeren gegessen, bevor mir gedämmert hat, dass es sich nicht um echte Walderdbeeren handelt – und der eine oder andere Pilz hat mich von hier auch schon nach Hause begleitet. Die Picknickstelle jedenfalls befindet sich auf einer kahlen Schneise, unter der vermutlich eine Erdgastrasse verläuft, vielleicht zu Tesla nach Grünheide, vielleicht auch nicht, vielleicht fließt da auch gar kein Gas mehr durch, wer weiß. Die Schneise jedenfalls gibt es schon immer.
Wir rasten, wir essen, ich kühle meinen Fuß, ich liege in der Sonne, wir reden. Wie schön das ist: Zeit mit einer Freundin, die ich wirklich selten sehe. Anknüpfen, austauschen, sich gegenseitig ein wenig auf den Stand bringen, was unsere Leben angeht, Arbeit, Kinder, Männer, Seelen. Wir werden uns auch zukünftig nicht oft sehen, aber wie gut ist das, sich ab und zu so wiederzufinden!
Während die Landfreundin noch ein paar Maronen mitgehen lässt, habe ich schnell im Internet ein neues Paar Walkingstöcke bestellt – vielleicht mit dem Hintergedanken, dass sich der flüchtige Stock leichter wiederfinden lassen wird, wenn schon Ersatz in Aussicht ist. Weil auch mein Fuß nach diesem ersten Drittel der Wanderung lieber zurück möchte als weiterzugehen, drehen wir eine kleine Waldrunde über einige maronenreiche Schneisen und kommen dann auf den Weg zurück, an dem irgendwo mein Stock liegen muss. Schwarz und silber, der muss doch zu sehen sein! Aber nichts, nirgendwo. Ich gebe auf. Und wie in einer richtig guten Geschichte kommt nur eine oder zwei Minuten später ein Radfahrer des Weges und fragt mich, ob ich zu meinem Walking-Stock noch einen zweiten gehabt hätte, der läge „da hinten“. Ich mache große bittende Augen, so gut das geht, zeige auf meinen lahmen Fuß und bringe den Radler doch tatsächlich dazu, die 500 oder 800 Meter nochmal zurückzufahren und meinen Stock zu holen. Anscheinend hatte ich ihn genau da liegenlassen, wo mir aufging, dass ich ihn verloren hatte. Und wo wir sehr genau gesucht hatten. Nun ja.
Am Ende sitzen die Landfreundin und ich noch einige Zeit zusammen, erst auf dem Parkplatz, dann auf dem Bahnsteig, und reden. Die Landfreundin will noch Geocachen. Ich fahre im Abendlicht Richtung Stadt. Die Mitreisenden führen pilzgefüllte Körbchen und Beutel mit sich und konsultieren Bestimmungsapps. Ich schreibe die Mitmutter an, ob sie zum Pilzessen kommen will, ich habe mich – immerhin – beim Sammeln auf eine zwei-Personen-Menge beschränkt, das war nicht leicht. Zu Hause gönne ich mir einen besonderen Luxus: ein heißes Bad – als Bestechung für meine Beine und Füße, damit sie vielleicht vergessen, mir die Wanderung übelzunehmen. Und zum Zeckenabspülen.
Und ich storniere – ganz schnell – die unterwegs bestellten Wanderstöcke.
Gute Besserung. Und es klingt nach einem wunderbaren Herbstwochenende
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Eine Heldinnenreise geradezu, die ich herzlich schmunzelnd und mitfühlend mit dem Fuß gelesen habe.
Danke fürs Erzählen.
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