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WmdedgT – 5.3.2023

Heute bin ich wieder beim Tagebuchbloggen dabei – Frau Brüllen fragt wie an jedem Monatsfünften, was wir eigentlich den ganzen Tag so machen. Hier gibt es alle Beiträge.

Mein Sonntag beginnt früh, ich wache um sechs auf und versuche garnicht erst, wieder einzuschlafen, denn um halb sieben muss ich aufstehen, das Frühstück soll um sieben fertig sein, der Vierzehnjährige muss zum Schach und die ganz große Schwester, die ein paar Tage bei uns verbracht hat, zum Zug.

Also lese ich ein paar Blogbeiträge, stehe um halb sieben auf, schalte die Heizung ein, wecke den Vierzehnjährigen und packe in der Küche Sonntagsbrötchen aus der Dose aufs Blech, die mögen meine Kinder Sonntags immernoch am liebsten. Es gibt außerdem Frühstückseier und Obst und Marmelade und Quark und Käse und Tee und für mich Kaffee, Sonntagsfrühstück halt. Um sieben setzen wir uns zu dritt an den Tisch, der Achtzehnjährige schläft noch. Nach dem Frühstück krame ich ein bisschen in der Wohnung herum, gehe ins Bad, als das gerade mal frei ist, ziehe mich an. Um acht geht der Vierzehnjährige aus dem Haus und ich setze mich mit der ganz großen Schwester noch für ein paar Minuten an den Tisch. Sie beginnt ein Sabbatical und wird pilgern gehen, hach! Allerdings ist pilgern im März in Deutschland auch etwas gewagt, Kälte und Regen sind vorhergesagt. Ich bringe die ganz große Schwester zum Zug und fahre dann mit der S-Bahn zurück nach Hause.

Der Vormittag ist dem Erledigen von allerhand Orga-Kram gewidmet. Die Krankenkasse will wissen, ob der Vierzehnjährige 2020 berechtigt war, bei mir familienversichert zu sein (Wieso ausgerechnet 2020? Wieso diese Anfrage gerade jetzt? Wieso nicht der Achtzehnjährige?) und für den Herbsturlaub im Waldhäuschen ist der Reisevertrag zu unterschreiben, wir werden mit Freunden reisen, das wird sicher sehr schön. Außerdem buche ich Fahrkarten für die Osterferien für mich und den Vierzehnjährigen und erinnere mich gerade noch rechtzeitig, dass er noch kostenlos im Fernverkehr mitfahren darf, ein Glück.

Gegen Mittag esse ich zwei vom Frühstück übriggebliebene Brötchen und lege mich dann hin, Sonntagssiesta. Schlafe tief und fest. Um 14 Uhr bin ich mit dem Vater meiner Kinder zum Termineabsprechen per Telefon verabredet, ich bin rechtzeitig wieder wach, um mir vorher einen Kaffee zu kochen, ein paar Neuerwerbungen aus dem Secondhandladen zu bügen und mir aufzuschreiben, was beim Telefontermin zu besprechen ist. Das Telefonat klappt auch ganz gut. Gegen drei gehe ich mit dem Achtzehnjährigen eine Runde in den Wald, hinterher holen wir Umzugskartons aus dem Keller, denn er wird im April das Wechselmodell beenden und für die nächste Zeit ganz bei mir einziehen. Im Wald haben wir schon darüber gesprochen, wie wir verschiedenes regeln wollen, Haushalt, Mithelfen, Verantwortung. Es wird eine große Umstellung für uns beide. Um vier – das hat sich bei der Telefonabsprache ergeben – steht der Vater meiner Kinder vor der Tür, um die Sachen des Vierzehnjährigen für die nächsten Tage abzuholen und die leeren Umzugskartons mitzunehmen.

Ich esse noch ein Brötchen – und eine Schale Rotkohl-Löwenzahn-Rohkost – und spiele mit meinen Kindern eine kleine Runde Cabo. Dann fange ich – gemütlich auf dem Sofa lümmelnd – den heutigen Blogbeitrag an. Der Achtzehnjährige kocht – es gibt Spinatlasagne – und ich telefoniere in aller Ruhe mit dem Hannoverliebsten und mit der großen Schwester. Dann Abendessen, an mir bleibt der große Abwasch hängen. Ich schaue noch etwas fern mit dem Vierzehnjährigen und gehe in aller Ruhe ins Bad.

Der Rest des Abends wird… unspektakulär. Und nicht lang.

Februarende, beinahe schon

Wieder ist hier fast ein ganzer Monat nachzutragen. Der Februar ist vorbeigerauscht, schneller als der Januar, mit Festivitäten geprenkelt: Dem Geburtstag des – jetzt – Achtzehnjährigen; dem Besuch und im Besuchszeitraum noch angefeierten Geburtstag der ganz großen Schwester; den zwei Bowling-Parties des – jetzt – Vierzehnjährigen, einmal mit Schulkameraden, einmal mit Freunden aus der Grundschulzeit und aus dem Schachverein; und mit dem Geburtstag des Hannoverliebsten, an dem ich zwar noch nicht reisen konnte, den wir aber an einem langen Wochenende mit anderthalb Überstundentagen nachfeierten.

Mein Lebengefühl ist ein bisschen eingetrübt in diesem Februar. Im Januar hatte ich mich um mehr Bewegung bemüht und war fast täglich eine größere Runde gelaufen – wunderbar für die Stimmung, auch das allgemeine Gefühl von körperlicher Fitness durchaus besser – dann fing die Ferse an wehzutun, das steigerte sich über zwei Wochen so weit, dass ich jeden nicht notwendigen Weg einsparte und jeden verfügbaren Aufzug benutzte. Fühlte mich verraten von meinem Körper. Inzwischen bessert sich der Fuß wieder, ich lerne, dass Dehnungübungen der Plantarfaszie guttun, ich habe Fersensporneinlagen aus dem Internet und bekomme noch richtige, für mich angefertigte; ich gebe vermutlich demnächt viel Geld für die „gute“ Stoßwellentherapie aus, die nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird. Ich möchte dringend wieder schmerzfrei laufen, zudem sind Wanderurlaube geplant, jawoll.

Im Zimmer des Vierzehnjährigen steht nun – wir bleiben beim Thema Fitness – seit zwei Wochen oder so ein Hometrainer, das war sowieso geplant, obwohl mir der Gedanke ein bisschen unangenehm ist, jetzt eine hometrainerbesitzende Person zu sein. Aber dem Vierzehnjährigen tut Bewegung not und mir auch, und ein Sportverein ist neben Schach, Konfi-Stunde und Schulanforderungen bzw. neben Erwerbsarbeit, Fernbeziehung, Haushalt und Chorsingen schlicht nicht machbar, da muss man realistisch sein und gute Ratschläge gelassen abperlen lassen. Es ist schon erprobt: Der Vierzehnjährige kann sein Handy aufs Display der „Ente“ (wie wir unser Stubenrad getauft haben) stellen und sich beim Strampeln mit Videos unterhalten; das Laptop mit einer Serie-zum-Abschalten für mich kann gut auf einem Stuhl davor stehen; und mit Musik macht sich das Radeln auch gut. 20 Minuten, 5 Meilen, das geht im Alltag fast jeden Tag.

Auf die Stimmung drückt auch, dass die Chefin sich zum Ende Februar verabschiedet und die Arbeitsabteilung, in der bin, erst einmal führerlos durch die nächsten Monate schaukeln wird. Wenn sie jetzt ein schlingerndes Boot bei hohem Wellengang vor Augen haben, in dem ein halbes Dutzend Leute unkoordiniert in verschiedene Richtungen zu paddeln (oder ein Nickerchen zu machen) versucht: ja genau, so fühlt es sich an.

Außerdem habe ich die Kälte satt. Und Covid geht ja auch wieder so richtig rum; fast alle Lehrer des Achtzehnjährigen haben sich auf einem kleinen Superspreader-Auflug infiziert, Unterricht fällt aus, kurz vor dem Abitur; vielleicht muss sogar die mit großer Freude erwartet Aufführung des Theaterkurses ausfallen, das wäre so schade.

Und seit einem Jahr Krieg in der Ukraine, auch das.

Was schön war: Bowlen macht ja schon Freude. Ein weiterer Saunabesuch. Die Mutter der Patentochter hat einen Job in Berlin angenommen und fährt jetzt auf ihrem Arbeitsweg regelmäßig in meiner Nähe vorbei, praktischerweise gibt es genau dort ungefähr eine Million interessante Restaurants. Es sind Treffen zum After-Work-Schlemmen in Planung.

Was besonder schön war: Zwei lange Wochenenden mit dem Hannoverliebsten, unsere Bemühungen, über unsere Verschiedenheit im Gespräch zu bleiben. Es fühlt sich gut an, uns gegenseitig Raum zu geben und trotzdem zusammen und füreinander da zu sein. Es fühlt sich gut an, mich unterstützt zu fühlen; ich kann damit garnicht so leicht umgehen, weil das Gefühl so tief sitzt, immer alles alleine schaffen zu müssen.

Was noch schön war: an einem einzigen trüben Samstagvormittag spontan eine Fahrradtour für den Hannoverliebsten und mich zu planen, langes Wochenende, vier Übernachtungen, Brandenburger Highlights, die ich schon kenne, und solche, die ich immer schon mal kennenlernen wollte. Das wird sehr gut.

Und wieder Januar

Ende Januar. Habe mich schon fast daran gewöhnt, „2023“ zu schreiben. Der Januar ist immer einer der längsten Monate; dieser war auch recht ereignisreich.

Der Jahreswechsel ruhig, nur der Hannoverliebste bei uns zu Gast, die Zeit am Silvesterabend vertreibt uns eine wilde Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Partie vertrieben, alle kämpfen leidenschaftlich, ich gewinne.
Ein paar Tage ohne Kinder – ich muss zwar schon arbeiten, finde aber eine Freundin, die Zeit für einen Besuch in der großen Saunalandschaft hat, die ich pandemiebedingt besonders mag, weil man so viel draußen sein kann. Wir genießen den Abend sehr.
Am nächsten Wochenende hole ich einen Besuch in Thüringen nach: bei der großen Schwester, bei meinem Vater, auf dem kleinen Dorffriedhof, auf dem die Gräber meiner Großmutter und meiner Mutter jetzt bald eingeebnet werden, bei meinem Onkel.

Dann wieder Erwerbsarbeit – intensiv, wie immer im Januar. Ausreichend Überstunden für zwei lange Wochenenden sammeln sich an.
Der Hannoverliebste zu Besuch, er kauft ein und kocht, wir machen zusammen lange Spaziergänge, um die Schreibtischarbeit auszugleichen, und schauen hinterher auf unsere Schrittzähler. Wir lösen Kinogutscheine ein, die ich 2015 geschenkt bekommen habe, und schauen uns „Was man von hier aus sehen kann“ an; für den Hannoverliebsten, der das Buch nicht kennt, funktioniert der Film nicht so gut, ich bin auch etwas enttäuscht, obwohl der Film so liebevolle Bilder findet, illustriert er mehr seine Vorlage, als selbst zum Kunstwerk zu werden.

Mehr Arbeit, teils im Büro, teils zu Hause. Wenn ich ins Büro fahre, steige ich morgens eine S-Bahn-Station früher aus und laufe ein Stück, an der Baustelle entlang, wo immer schon eine junge Frau in einem Container an einem Schreibtisch sitzt und ganz bestimmt das Bauprojekt kooridinert; an den kleinen Reihenhäuschen mit Gärten entlang, in denen man bestimmt glücklich ist, bis zum Bürogebäude, wo ich den Pförtner begrüße und – gute Vorsätze und alles – noch drei Stockwerke Treppen laufe.
An den Homeofficetagen gehe ich manchmal morgens eine Runde in den dämmergrauen Wald, in dem tatsächlisch schon die ersten Vögel ihre Stimmen ausprobieren.

Der Geburtstag des Dreizehnjährigen läutet die Festsaison ein, ich backe bis zur Erschöpfung Lieblingskuchen, am Geburtstag selbst kommt der Vater des jetzt Vierzehnjährigen mit seinem Kleinkind zum Kaffeetrinken und Abendessen, wir lesen aus dem „Unnützen Wissen für Teenager“ vor und ich lerne, dass meine Kinder beide der Generation Z angehören (Gefühl des Kontrollverlustes über die Zukunft, politisches Engagement, weil die Politik die Interessen dieser Generation ignoriert, gute Chancen am Arbeitsmarkt wegen Fachkräftemangel), das Kleinkind aber der neuen Generation Alpha.

Jetzt wieder Wochenende. Frühe Aufstehen, denn der Vierzehnjährige fährt zu einem Schachturnier. Großputz, Planen für den Geburtstag des Siebzehnjährigen. Der sitzt am Laptop und bastelt an seiner Bewerbung für ein fsj. Draußen ein konsequentes Januargrau, aber das macht nichts, das wird ja besser. Im Kleinen wenigstens ist manches ok; ist einiges so, wie es sein soll.


Jahresende

Dieser Dezember bekommt ein schlechtes Rating, halbe Punktzahl, höchstens. Das schöne Adventswochenende – mit Weihnachtsmarkt und langer Samstagschorprobe – war ja auch schon im November.

Ab dem 2. Advent immer irgendwer krank, vor allem der Dreizehnjährige lange, und selbst hatte ich mich Mitte Dezember gerade so halb berappelt, dass ich versuchsweise die vorletzte Probe vor dem Chorkonzert mitsingen konnte, nur um dann so was wie einen Rückfall zu bekommen, jedenfalls wieder Husten und keine vernünftige Atmung fürs Singen. Sehr schade.

Erwerbsarbeit bis zum 23. Dezember, leider auch keine ganz ruhige Vorweihnachtswoche mit entspanntem Vorbereiten fürs neue Jahr, sondern Stresstermine nach Feierabend mit Kolleginnen im Amerika, die sich über irgendwelche amerikanischen Verträge genau so die Haare rauften wie ich und auch nicht verstanden, was eigentlich gemeint war.

Zum Ferienbeginn vor Weihnachten schien mir die Vorbereitung fürs Fest kaum zu bewältigen, aber ich hatte eine gute Idee – ich klebte ein ganzes Tablett mit kleinen Aufgabenzettelelchen voll, das funktionierte, ich hatte viel Hilfe beim Vorbereiten. Heiligabend zu dritt können wir ja ganz gut, die Jungs wünschen es sich auch so – Sternspiel mit Geschenkeauspacken und Was-machst-du-wenn-Spiel und die traditionellen Familienköstlichkeiten zum Abendessen. Am Heiligmorgen den Baum schmücken, nachmittags den Traditionsspaziergang, bei dem wir einer am äußersten Ende des Kiezes wohnenden Freundin einen Weihnachtsgruß an den Gartenzaun hängen. Endlich wieder Kirche in echt, live – bei weitem nicht mehr so voll wie vor der Pandemie, die Leute haben andere Traditionen entwickelt, manche Leute jedenfalls.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag wechselten die Jungs zu ihrem Vater, das ist immer der für mich traurigste und schwerste Wechsel im ganzen Jahr. Hatte mir deshalb dieses Jahr ausgedacht, dass ich die Jungs hinbringen würde, hatte mich beim Vater der Kinder zum gemeinsamen Mittagessen eingeladen, ein Spiel hatten wir auch im Gepäck – das hat funktioniert und war schön. Abends dann die andere Mitmutter bei mir zu Besuch.

Denke darüber nach, wie es wäre, wenn in unserer Familie irgendwer ein Haus hätte, groß genug, um zahlreiche Gäste für ein paar Tage zu beherrbergen. Würden wir dann Weihnachten in größerer Runde feiern, nicht in kleinen, übers Land verteilten Kernfamilien? Der Immobilienbesitz als Motor des Familienzusammenhaltes? Vielleicht habe ich aber auch nur zu viele kitschige Weihnachtsfilme angesehen.

2022 war weltpolitisch schlimm, privat irgendwie ok-ish – vermissen werde ich das Jahr nicht. Am glücklichsten – sagt die App, in der ich Stimmungen und sonstiges protokolliere, um den Ursachen meiner Kopfschmerzen auf die Spur zu kommen – war ich im Frühjahr beim Wandern in der Rhön, mit der ganz großen Schwester und dem Siebzehnjährigen. Am unglücklichsten vielleicht, als ich der Chorleiterin das Mitsingen beim Weihnachstkonzert absagen musste (andere Leute kriegen ihre Erkältungen doch auch in den Griff, sagt missbilligend die innere Stimme, die sowieso meint, das ich alles falsch mache). Immerhin habe ich angefangen, im Chor zu singen. Immerhin habe ich einige Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erwerbsarbeit gemeistert; immerhin meine ich, mit einigen Gefühlen besser klarzukommen als früher. Ich habe eine Friseuse gefunden, die dünne Haar gut schneiden kann (Hah!!!) und habe versucht, Kontakt zu Freundinnen zu halten, auch wenn es mich frustriert, dass dieser Kontakt in einigen Fällen gefühlt nur noch von mir ausgeht, vielleicht auch weil ich so wenig Zeit habe und wenig coole und spannende Dinge erlebe und in die Freundschaft einbringen kann. Ich wäre gerne manchmal mehr alleine und manchmal weniger alleine gewesen, das ist kein Widerspruch; und: ich war in Paris, mit den Kindern, mit dem Hannoverliebsten. Eine meiner Bandscheiben ist kaputtgegangen. Ich habe einen schicken Schreibtisch erworben, an dem ich im Stehen arbeiten kann, und viele schwarze Kleidungsstücke, weil das die Farbe ist, in der der Kirchenchor auftritt.

2023 wird der Dreizehnjährige konfirmiert werden und der Siebzehnjährige Abitur machen. Es wird also aufregend, ich möchte meine Kinder feiern und dem Siebzehnjährigen den Rücken stärken auf seinem Weg ins Erwachsenenleben. Weiter keine besonderen Pläne. Außer Rückengymnastik.

Ihnen, Euch allen, die hier lesen, wünsche ich ein gutes Neues Jahr 2023. Frieden in der Welt; unliebsame, aber wichtige Entscheidungen in der Klimapolitik; weniger Polemik und Hass; mehr Verständnis und Mut. So ungefähr. Alles Gute!

WmdedgT – 5.12.2022

Wie an jedem 5. eines Monats ist heute (…war gestern) Tagebuchblogtag – ich reihe mich mal wieder ein, alle Beiträge sammelt wie immer Frau Brüllen.

Heute ist (gestern war…) großer Ärzte-Tag bei uns, dafür habe ich Urlaub (zum Glück!), und alles ist genau durchgeplant. Zuerst muss der Siebzehnjährige für zwei Unterrichtsstunden in die Schule, das bedeutet der Wecker steht auf sieben Uhr, aber ich habe nicht gut geschlafen und stehe eine Dreiviertelstunde früher auf. Zeit für Morgengymnastik, ich klopfe mir innerlich auf die Schulter, ich müsste das ja eigentlich jeden Tag machen.

Um sieben steht das Frühstück für uns alle auf dem Tisch und ich wecke den Siebzehnjährigen. Der Dreizehnjährige wollte um halb acht geweckt werden, er muss nicht zur Schule wegen krank, und mir fällt gerade noch rechtzeitig vor acht ein, dass ich ihn noch entschuldigen muss.

Zwanzig vor neun gehe ich mit dem Dreizehnjährigen zu Arztbesuch 1, denn die Schule möchte eine ärztliche Bescheinigung ab Fehltag 3 und dies ist Fehltag 4. Und ich möchte wissen, ob die Lunge meines schrecklich hustenden Kindes ok ist. Eigentlich haben wir einen Termin um 11.30 und der Vater des Dreizehnjährigen hätte mit ihm zum Arzt gehen sollen, der hat aber inzwischen auch hohes Fieber. Die Arzthelferin ist sehr nett, wir kommen schnell dran und sind um halb 10 wieder zu Hause. Das Kind sinkt erschöpft aufs Sofa, ich trinke meinen Kaffee zu Ende.

Kurz nach zehn kommt der Siebzehnjährige zurück, er hat heute nur zwei Unterrichtsstunden, deshalb ist – Arztbesuch 2 – sein erster Termin beim neuen adhs-Arzt heute, und das ist wichtig. Halb 11 gehen wir los. 40 Minuten Weg, auch hier wenig Wartezeit, sehr nette Ärztin, alles gut. Gegen zwei wieder zu Hause, bzw. noch schnell in den Laden, um zwei Weihnachtsgeschenke zu kaufen, dann zu Hause Brote als Mittagessen für uns drei und eine kurze Mittagspause.

Dann hänge ich Wäsche auf, wasche ab, bereite das Backen der letzten Plätzchen vor, bringe Müll weg und gehe wieder los, Arzttermin 3, 3. Vitamin-B-Spritze. 30 Minuten Weg, die Praxis wird nicht mehr von meiner früheren Gyn betrieben, bei der das immer sehr glatt lief, sondern von einem Nachfolge-Team – leider muss ich so lange warten, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, die Spritzenkur abzubrechen. Aber ach: keine Vertretung im Büro, Virenzeit, Weihnachten… da half das schon immer ganz gut.
Hinterher ganz schnell noch zwei Schokoladennikoläuse aus der Drogerie mitnehmen und wieder nach Hause; der Siebzehnjährige hat noch kein Abendessen gemacht, weil das Fußballspiel in die Verlängerung ging, aber in der Pause zwischen Verlängerung und Elfmeterschießen setzt er immerhin Kartoffeln auf. Der Dreizehnjährige hilft mir beim Vorbereiten der Nusshäufchen und drückt einen Nusskern in jedes Teigbällchen.
Wir essen Kartoffeln mit Quark, Zeit, etwas anderes zu kochen, gab es nur am Wochenende, und bis zum nächsten Wochenende sehe ich da auch nicht viel kreatives kommen. Die Plätzchen backen nebenbei, dann noch Küche Aufräumen und Abwasch. Ein paar Minuten Fernsehen mit dem Dreizehnjährigen, dann muss er (maulend) vom Sofa ins Bett umziehen. Auch ich lege mich hin, telefoniere noch kurz mit dem Hannoverliebsten, lese ein paar Seiten. Meine Bronchien fangen an, wie ein Ameisenhaufen zu kribbeln – das ist dann wohl der Virus, der in unserer Familie umgeht. Mal wieder gerade so lange durchgehalten, wie absolut notwendig war. Ich mache mir einen heißen Sesamölwickel, was überhaupt die beste Hausmedizin ist, wenn man wegen Husten am Abend schlecht einschlafen kann.

Fortsetzung dann unter „Was hustest Du eigentlich den ganzen Tag“. Oder so.

November

Der November war ein kurzer Monat, schneller vorbei, als gedacht – vielleicht, weil ich ihn mochte. Vier Wochen nicht geschrieben, so voll war die Zeit, außer einen Entwurf, in dem die chinesische Ernährungslehre, die Wochenphasentheorie von Fred Vargas und das Enneagramm vorkamen und der dann doch nicht veröffentlichungsreif wurde. Jetzt kurz rekapitulieren, was im November los war:

Teil der Welle (1)

Angefangen haben wir den Monat in Paris, hach! – mit dem kranken Hannoverliebsten, der mich dann doch angesteckt hatte. Kaum hatten wir also die lange Rückreise überstanden, begann ich mich schlecht zu fühlen und lag mehr oder weniger flach.
Mit Fieber, aber ohne Krankschreibung, Vertretung bei der Erwerbsarbeit habe ich ja nicht, also für Homeoffice mit Ruhepausen entschieden. Der Dreizehnjährige sowieso bei seinem Vater, der Siebzehnjährige – meistens dezent im Hintergrund mit elektronischem Endgerät – übernahm das Einkaufen. Vermutlich sollte es mir zu denken geben, dass ich diese acht bis zehn Krankheitstage im Nachhinein als extrem erholsam empfunden habe.

Herbst wird zu Winter

Hier kommt auch schon die chinesische Ernährungslehre ins Spiel, ich lese ja immer viel, wenn ich krank bin. Abegesehen von den fünf Elementen und dem Kochen im Kreis (Ernährungstheorien und überhaupt so Theorien von den Dingen und der Welt finde ich auf eine ähnliche Weise spannend wie Bücher, die in einer Fantasy-Welt spielen: Es macht Spaß, sich mit diesen Welten vertraut zu machen, und ohne dass ich sie für wahr halte, vertraue ich darauf, dass sie mir etwas über die wirkliche Welt beibringen können) fand ich interessant, dass diese Lehre die Jahreszeiten folgendermaßen einteilt: Frühling, Sommer, Herbst und Winter dauern jeweils 72 Tage, und sie beginnen immer genau 36 Tage vor unserem offiziellen Jahreszeitenbeginn und enden 36 Tage danach. Weil das aber keine lückenlose Abfolge ergibt, gibt es Zwischenzeiten, Zeiten des Übergangs.
Genau in der Übergangszeit zwischen Herbst und Winter war ich also krank und wurde wieder gesund, und beim Gesundwerden hatte ich ein ganzes Wochenende völlig alleine mit mir Zeit, die ich diversen Übergangstätigkeiten zwischen Herbst und Winter widmen konnte: Den Balkon winterfest und das Grab auf dem Friedhof mit Zweigen und Gesteck schön machen; die Wohnung aufräumen, liegengebliebene Dinge beenden, alte Grünpflanzen entsorgen, die Küche umdekorieren – mir für den Winter einen Wohlfühlraum schaffen.
Weil es mir irgendwann wieder ziemlich gut ging, endete es damit, dass ich die Entscheidung traf, keine Jutetaschen mit Lebensmittelvorräten mehr in der Wohnung herumstehen haben zu wollen (was sich in der Pandemie irgendwie so ergeben hatte und dann so geblieben war), also schaffte ich ein kleines Vorratsregal an und stattete es mit Lack, Beinen, einer Tür und Vorratskisten aus. Sehr hübsch.
Wobei der Baumarkt meines Vertrauens nicht besonders viel Vertrauen verdient, denn das unaufgebaute Regal wurde in Form eines kleinen säuberlichen Bretterstapels in einer so großen Kiste geliefert, dass ich vor dem Auspacken sicher war, ein aufgebautes Regal in der Riesenkiste zu finden. Ausgefüllt war die aber ganz überwiegend mit einer langen Füllpapierschlange, eigentlich war es ein Füllpapierdrachen oder gar zwei, das muss ja heutzutage nicht mehr sein. Außerdem wusste die Baumarkthotline nicht, dass die Tür zum Regal inklusive Scharnieren verkauft und geliefert werden würde, sondern redete mir ein, ich müsse mir selbst Scharniere zur Tür auswählen und kaufen. Wenn den Mitarbeitern keine ordentlichen Informationen über die Produkte zur Verfügung gestellt werden, braucht man eigentlich auch keine Produkthotline.

Singsang

Nach dem Gesundwerden stellte ich fest, dass schon beinahe Totensonntag und beinahe Advent war und dass wir alle – die Jungs und ich – bis Weihnachten fast ausschließlich übervolle Tage und Wochenenden vor uns haben würden. Das Motto für die Zeit bis Weihnachten konnte also nur „Ein Tag nach dem anderen“ sein, und im November bewährte sich das sehr gut und fühlte sich nicht stressig an.
Geradezu herzerwärmend war, im Totensonntagsgottesdienst erstmals öffentlich mit dem Chor zu singen, in dem der Siebzehnjährige und ich seit dem Sommer mitwirken. Einfache Choralsätze, einfach schön.
Die größere Herausforderung wird das Weihnachtskonzert, Benjamin Britten, Camille Saint-Saëns; es sind viel zu wenige Proben, die Harmonien sind gewöhnungsbedürftig, und dann kommt ja noch eine Harfe dazu und bringt alle durcheinander, dabei trifft der Alt ja sowieso noch nicht alle Töne sicher. Also doch wieder ein bisschen Stress, Stimmproben, üben zu Hause, eine lange Wochenendprobe, wegen der ich nicht nach Hannover fahren konnte, sondern der Hannoverliebste nach Berlin kam.

Drei Tage Advent

Und dieses Wochenende war dann wirklich schön und ersetzt – falls es nicht zu weiteren adventlichen Tätigkeiten kommt, was, siehe unten, durchaus eine Möglichkeit ist – eine ganze vierwöchige Adventszeit. Mit dem Hannoverliebsten habe ich nämlich: Gänsekeulen zubereitet und gegessen, die Wohnung adventlich geschmückt, Backzutaten eingekauft, Früchtebrote gebacken (eins davon für die Kaffeepause der vierstündigen Chor-Extraprobe), mehrere kitschige vorweihnachtsliche Filme gesehen, mehrere Mahlzeiten bei brennender Kerze-am-Adventskranz eingenommen, vorwinterliche Spaziergänge gemacht UND den allerliebsten Weihnachtsmarkt besucht und dort sogar das eine oder andere Weihnachtsgeschenk gekauft (und mir kaufen lassen).

Teil der Welle (2)

Noch froher als sowieso schon bin ich über dieses erste Adventswochenende mit dem Hannoverliebsten, seit der Dreizehnjährige gestern wieder von seinem Vater zu mir gewechselt ist. Er ist nämlich krank und hat garantiert einen dieser Infekte, die gerade die Kinderarztpraxen und Krankenhäuser zum Überlaufen bringen und sogar in den Radionachrichten vorkommen, so mit 39 Fieber schon früh um acht und wirklich übelklingendem Husten. Nein, es steigert nicht unbedingt das Lebensgefühl, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst; nicht, wenn es sich um eine Krankheitswelle handelt.
Wir sagen also ab: der Schule, die Wochenend-Schachturnierrunde, der Freundin, die mit uns auf den Lieblingsweihnachtsmarkt kommen wollte (den besuche ich sehr gerne auch zweimal), das Konfirmanden-Gemeindepraktikum auf dem Kirchgemeindeweihnachtsmarkt.
Wenn mir langweilig werden sollte, also, falls ich lange genug selber gesund bleibe, damit mir langweilig werden kann, backe ich Lieblingsplätzchen. Das ist auch schön. Nächste Woche ist dann wieder genau die Woche im Monat, in der ich mich nur würde krankschreiben lassen können, wenn wirklich garnichts mehr geht.

Abwarten also. Ein Tag nach dem anderen.



Wald und Stadt

Ade, Herbstferien!

Jetzt liegt sie hinter uns, die Atempause vor dem Winter.
Vor uns der nächste Abschnitte: sieben Wochen bis Weihnachten. Zunehmende Anspannung auf Arbeit wird das bedeuten, Stress mit Klassenarbeiten und Klausuren für die Kinder, ratloses bis panisches Weihnachtsgeschenkebesorgen, die übliche oder sogar etwas mehr als die übliche Streuung vermischter Arzttermine, der letzte Weiterbildungstag und vielleicht eine Klausur, um einen hübschen Zettel für etwaige zukünftige Bewerbungen zu bekommen.

Die Herbstferien waren abwechslungs- und ereignisreich. Ich hatte fast die ganze Zeit Urlaub, und zuerst standen drei Tage Waldhäuschen an, die der Dreizehnjährige so sehr gewollt hatte, dass ich sie dann doch noch irgendwie in den eigentlich schon verplanten Ferien untergebracht habe. Waldhäuschen nur zu zweit, das war neu. Schön war es trotzdem, mit den vertrauten Waldwegen, der gerade richtigen Menge an Pilzen und an täglichen Schritten (der Fuß wurde von Tag zu Tag besser, juhuu!), Zeit zum Vorlesen und Lesen und Tischtennisspielen, und mit dem Eichhörnchen im Baum vor dem Haus, das die Nüsse aus Weimar, die ich noch in der Jackentasche hatte und ihm hinstreute, einfach nicht wollte.

Dann Rückreise, ein Tag zum Wäschewaschen – und dann brachen wir nach Paris auf, zu viert, mit beiden Jungs und dem Hannoverliebsten. Das war der eigentliche Herbstferienplan, den Kindern diese Stadt zu zeigen, weil sie ja nun Französisch lernen bzw. gelernt haben. Wir hatten Tickets für den Eiffelturm, den Louvre und die Sainte Chapelle in der Tasche; machten eine Fahrt auf der Seine in der Saharaluftwärme – also mit kurzen Ärmeln! -, spazierten auf dem Montmartre herum, tranken sehr, sehr teuren Cappuccino bzw. sehr, sehr teure heiße Schokolade, aßen vorzügliche (sehr, sehr teure) Crepes, standen trotz unserer vorgebuchten Zeitfenstertickets ziemlich viel in diversen Faltschlangen (erklärt der Begriff sich von selbst?) an, absolvierten etliche Sicherheitsschleusen – ab dem 2. Mal auch ohne Taschenmesser im Rucksack und nur noch mit Plastikflaschen -, bestaunten die Fotoausstellung zum Wiederaufbau von Notre Dame und fuhren insgesamt etwa 12 Stunden Metro, weil wir ja leider in Aubervilliers, etwas außerhalb, wohnten. Dort gab es einen Bäcker (mit den allerallerbesten Croissants der Welt!) und einen Supermarkt um die Ecke, das war ganz wunderbar; außerdem einen riesigen Markt mit Obst und Gemüse, Dingen des täglichen Bedarfs und eindrucksvollen Fisch- und Fleischständen, die ich mit Faszination und leichtem Grauen betrachtet habe. Wussten Sie, dass man Karden essen kann? Anscheinend werden sie in Couscous und Tajine-Gerichten verarbeitet.
Nachts in diesem Viertel spazierenzugehen wäre mir allerdings nicht lieb gewesen; es war irgendwo zwischen „arg arm und heruntergekommen“ und „kurz vor Beginn der Gentrifizierung“, und schon bei einem Spaziergang am Tag hatten wir ein ziemliches Angsterlebnis, als in einer ganz einsamen Gasse hinter uns zwei Männer eine heftige Schlägerei anfingen.
Ja, ein Stadturlaub ist kein Erholungsurlaub. Schön war es trotzdem, froh bin ich, dass alles geklappt hat und wir heil hin (mit einem TGV, der optisch unerwarteterweise ein wenig an eine Brandenburger Regionalbahn erinnerte, aber anders als Brandenburger Regionalbahnen schneller als 300km/h fährt) und heil wieder zurück gekommen sind. Nicht ganz heil war der Hannoverliebste, den in Paris eine heftige Erkältung erwischte – mich dann erst in der Nacht nach der Rückfahrt, zum Glück.

Gerne hätte ich jetzt nochmal eine Pariswoche, genau jetzt, meinetwegen in der gleichen Ferienwohnung mit dem wunderschönen Morgenblick über die Dächer und der nachts schrecklich quietschenden Tür zur Toilette – ich wüsste genau, was wir jetzt als nächstes machen würden, die kleinen Dinge nämlich: Den Friedhof Montmartre besuchen. Das Picasso-Museum, das Orangeriemuseum. Am Kanal Sankt Martin langspazieren. Zu einem Flohmarkt fahren. Gerne würde ich weiter in der fremden Sprache baden, Werbeplakate, Schilder, Überschriften lesen – und überhaupt: ich bin mächtig stolz auf mich, dass ich mich mit meinem rudimentären Französisch an Metroschaltern und Marktständen, in Bäckereien und Restaurants, an Sicherheitsschleusen und im Gespräch mit dem Vermieter der Wohnung einigermaßen durchschlagen konnte.

Aber diese zweite Pariswoche gibt es leider nicht. Stattdessen: Aufraffen nach drei Tagen Erkältungsauszeit. Den müden Kopf wieder anstrengen. Irgendwas Schönes aus den dunklen Nachmittagen und Abenden machen.

Lost and Found

Diese wunderschönen Herbstwochenenden! Beim Monatsranking kommen September und Oktober bei mir ganz vorne. Dann Juli und August. April, Mai und Juni. Dezember. November. März. Ganz abgeschlagen Januar und Februar. Meine Kinder haben das ganz anders, – aber das alles sowieso nur am Rande. Jedenfalls hatte ich noch nie das Bedürfnis, im September oder Oktober irgendwohinzufliegen, wenn hier alles nur so leuchtet.

Schlechte Überleitung: Mein Fuß leuchtet nicht so sehr, er tut sich mit Beschwerden hervor, mal hier, mal da, mal dick, mal empfindlich, mal die Zehen, mal das Gelenk. Der Arzt immerhin nimmts jetzt ernster, ein MRT steht im Kalender. Das Tape, das Achillissehne, Gelenk und Fußoberseite stützt, ist dieses Mal schwarz, blau war eigentlich schöner, aber das macht nichts. Ein paar Kilometer mäßiges Spazierengehen hat der Arzt erlaubt bzw. sogar empfohlen, also sage ich die Wanderverabredung mit der Landfreundin-und-Mutter-des-Patenmädchens nicht ab, sondern wir treffen uns auf dem kleinen Wanderparkplatz; sie mit einem tiefgefrorenen Kühlakku für meinen Fuß als Highlight fürs Picknick; ich mit meinen Nordic-Walking-Stöcken.

Wir wandern los; Pilzsucher mit großen Körben und gelben Leuchtwesten ziehen an uns vorbei, aber ich bin langsam heute. Wir suchen ja auch gar keine Pilze, versichern wir uns gegenseitig; wie jeder weiß, ist das der Satz, den man sagen muss, um am Wegesrand große Mengen Pilze einfach so zu entdecken. Es funktioniert auch dieses Mal, Rotfüßchen und Maronen finden wir, ein paar Hallimasch; die Landfreundin schneidet zwei sehr große Pilze mit knallrotem Stiel und knallroten Lamellen ab, von denen ich die Finger gelassen hätte; dafür nehme ich ein paar Schirmpilze mit, die nicht ganz die Größe echter Parasole haben; und dann springt mir doch ein sehr dicker und schon etwas in die Jahre gekommener Steinpilz in die Hand. Fantastisch! Vor lauter Hantieren mit Sammeleimerchen, Beutel und Messer habe ich einen meiner Walkingstöcke zusammengeklappt und weggepackt. Eine freie Hand mehr, so nützlich. Ein paar Meter weiter stehen Maronen im Moos, die müssen auch noch mit. Dann die Schrecksekunde: mein anderer Wanderstock ist weg – der, den ich nicht weggepackt hatte!
So schön das ist, dass Pilze mich meine Fußbeschwerden vergessen lassen – so unschön ist es, dass ich den Stock gleich mit vergessen habe. Wir laufen also zurück, ein ganzes Stück, wir waren doch nur an zwei Stellen mal vom Weg weg, und an der einen hatte ich Stöcke noch, beide, ganz sicher. Aber der Walkingstock ist weg, liegt nirgendwo am Wegesrand. Betrübt gehen wir zur Picknickstelle weiter.

Diese Picknickstelle hat Tradition – wie die ganze Wanderung. Mit ganz verschiedenen Leuten bin ich hier schon gelaufen, habe mit den Kindern allererste Wandererfahrungen gemacht, mit einem lieben Menschen einen Regen ausgesessen, eine ganze Geburtstagsrunde ist mir hier entlang gefolgt, ein Kind im Bach komplett nass geworden; ich habe an diesem Weg indische Scheinerdbeeren gegessen, bevor mir gedämmert hat, dass es sich nicht um echte Walderdbeeren handelt – und der eine oder andere Pilz hat mich von hier auch schon nach Hause begleitet. Die Picknickstelle jedenfalls befindet sich auf einer kahlen Schneise, unter der vermutlich eine Erdgastrasse verläuft, vielleicht zu Tesla nach Grünheide, vielleicht auch nicht, vielleicht fließt da auch gar kein Gas mehr durch, wer weiß. Die Schneise jedenfalls gibt es schon immer.

Wir rasten, wir essen, ich kühle meinen Fuß, ich liege in der Sonne, wir reden. Wie schön das ist: Zeit mit einer Freundin, die ich wirklich selten sehe. Anknüpfen, austauschen, sich gegenseitig ein wenig auf den Stand bringen, was unsere Leben angeht, Arbeit, Kinder, Männer, Seelen. Wir werden uns auch zukünftig nicht oft sehen, aber wie gut ist das, sich ab und zu so wiederzufinden!

Während die Landfreundin noch ein paar Maronen mitgehen lässt, habe ich schnell im Internet ein neues Paar Walkingstöcke bestellt – vielleicht mit dem Hintergedanken, dass sich der flüchtige Stock leichter wiederfinden lassen wird, wenn schon Ersatz in Aussicht ist. Weil auch mein Fuß nach diesem ersten Drittel der Wanderung lieber zurück möchte als weiterzugehen, drehen wir eine kleine Waldrunde über einige maronenreiche Schneisen und kommen dann auf den Weg zurück, an dem irgendwo mein Stock liegen muss. Schwarz und silber, der muss doch zu sehen sein! Aber nichts, nirgendwo. Ich gebe auf. Und wie in einer richtig guten Geschichte kommt nur eine oder zwei Minuten später ein Radfahrer des Weges und fragt mich, ob ich zu meinem Walking-Stock noch einen zweiten gehabt hätte, der läge „da hinten“. Ich mache große bittende Augen, so gut das geht, zeige auf meinen lahmen Fuß und bringe den Radler doch tatsächlich dazu, die 500 oder 800 Meter nochmal zurückzufahren und meinen Stock zu holen. Anscheinend hatte ich ihn genau da liegenlassen, wo mir aufging, dass ich ihn verloren hatte. Und wo wir sehr genau gesucht hatten. Nun ja.

Am Ende sitzen die Landfreundin und ich noch einige Zeit zusammen, erst auf dem Parkplatz, dann auf dem Bahnsteig, und reden. Die Landfreundin will noch Geocachen. Ich fahre im Abendlicht Richtung Stadt. Die Mitreisenden führen pilzgefüllte Körbchen und Beutel mit sich und konsultieren Bestimmungsapps. Ich schreibe die Mitmutter an, ob sie zum Pilzessen kommen will, ich habe mich – immerhin – beim Sammeln auf eine zwei-Personen-Menge beschränkt, das war nicht leicht. Zu Hause gönne ich mir einen besonderen Luxus: ein heißes Bad – als Bestechung für meine Beine und Füße, damit sie vielleicht vergessen, mir die Wanderung übelzunehmen. Und zum Zeckenabspülen.

Und ich storniere – ganz schnell – die unterwegs bestellten Wanderstöcke.

Himmel, Muskeln, Früchte

Am langen Oktoberanfangswochenende Besuch vom Hannoverliebsten gehabt. Netterweise konnten wir beide am Freitag schon Urlaub nehmen und den Tag mit dem eindeutig schönsten Wetter für eine Radtour nutzen, 50km von Seddin nach Zossen. Malerische Dörfer, Seeufer und Wald; blauer Himmel und Sonne; Kürbisse hätte man kaufen können, Marmeladen, Birnen. Kleine Kirchen besichtigen, den Schlosspark von Blankensee. Auf dem Steg am See hielten wir Picknick, während auf dem See Scharen von Gänsen Absprachen für den Flug nach Süden trafen. Später Friedensstadt, das Wohnprojekt der Johannischen Kirche, das nach einigen Wirren der Geschichte des 20. Jahrhunderts jetzt wieder genau das ist, ein Ort, an dem Menschen wohnen und leben. Noch später unangenehme Strecken an Landstraßen, am Ende entlang des Nottekanals nach Zossen. Großes Missgeschick: die unterwegs gefundenen Parasolpilze, die ich sorgsam im Stoffbeutel an die Fahrradtasche geknotet hatte, schafften es nicht bis nach Hause. Der Stoffbeutel wanderte tückisch um die Fahrradtasche herum, geriet in die Speichen des Hinterrads, verwickelte sich dort mehrfach, Ergebnis Pilzbrei. Sehr, sehr schade.

Samstag besuchten wir gemeinsam ein Kaufhaus, warme Büropullover fehlten mir, der Hannoverliebste erwarb eine Hose. Wegen einer Demonstration fuhr leider die Buslinie 100 nicht, das war auch schade, wir hätten den Regentag gern zum Sightseeing per Bus genutzt. Am Sonntag zeigte ich dem Hannoverliebsten ein paar Ecken von Kreuzberg, das war schön. Tapfer saßen und aßen wir gegen Abend draußen, marokkanisch, Tajine mit Lamm, Aprikosen und Pflaumen, das liebe ich sehr. Den Tag der Deutschen Einheit konnten wir nicht wirklich feiern, morgens erhielt der Hannoverliebste die Nachrricht, dass unsere Ferienwohnung in Paris vom Anbieter storniert worden sei – es dauerte den halben Tag, bis wir eine deutlich teurere und etwas ungünstiger gelegene Ersatzwohnung gebucht hatten, nun ja.

Bahnpech: Auf dem Weg zu mir war der Zug des Hannoverliebsten wegen irgendetwas am vorausfahrenden Zug verspätet; auf dem Rückweg am 3. Oktober geriet der Hannoverliebste an einen Zug mit Türstörung; heute in den großen Bahnausfall in Norddeutschland. Wir haben in den letzten Monaten selten reibungslos reisen können.

Die Woche bescherte mir mal wieder rätselhafte Schmerzen in Bein und Fuß – und Äpfel und Quitten in größeren Mengen. Es passte gut, dass ich einen Konzertbesuch und eine Wanderung schon abgesagt hatte, weil die Jungs gerade viel Lernzeit für Klassenarbeiten und Klausuren brauchen. Obst kleinschnibbeln kann man ja gut im Sitzen auf dem Balkon. Inzwischen ist mein ganzer großer Vorrat an leeren Schraubgläsern mit Apfel-Quitten-Mus, Quittenmarmelade und Quitten in Ingwer-Earl-Grey-Sirup (Rezept bei der Kaltmamsell) gefüllt, außerdem sind diverse Gläser Likör angesetzt. Am Anfang der Woche muss dann ein Fußspezialist gefunden werden, der herausfinden und mir erklären kann, warum da immer wieder etwas wehtut – der Kiezorthopäde hilft zwar akut mit Kinesiotapes, hat aber für Kassenpatienten nur eine Aufmerksamkeitsspanne von anderthalb Sätzen, so dass die Diagnose jeweils davon abhängt, welche schmerzende Stelle man als erstes erwähnt.

Außerdem:

Der Ahorn im Hinterhof trägt goldenes Laub.
Weil die große Straßenkreuzung in der Nähe meiner Wohnung gesperrt ist – irgendwelche Wasser- oder Abwasserrohre waren so marode, dass eine sofortige Reparatur notwendig wurde – quält sich der Verkehr durch die Nebenstraßen im Kiez, man kann sie zur Hauptverkehrszeit kaum überqueren.
Die toten Baumstämme im Stadtwald werden von Pilzen erobert. Ich reden meinem Fuß gut zu, ich muss unbedingt am nächsten Wochenende in die Pilze gehen.
Im Homeoffice so gefroren, dass ich zum ersten Mal die Heizung anstellen musste.
Packlisten schreiben, Reiseführer lesen: in zwei Wochen bin ich im Waldhäuschen, mit dem Dreizehnjährigen. In drei Wochen sind wir in Paris, hach.

Kofferpacken

Das Wochenende in Weimar verbracht. Mein Vater hat den Kurzzeitpflegeaufenthalt, seine Frau die Augen-OP gut überstanden. Im Herzen ist mein Vater immer noch Seelsorger, hat sich im Pflegeheim Liedblätter kopieren lassen und ein gemeinsames Singen mit den Dauerbewohnern angezettelt, hat sich von der kleinen vietnamesischen Praktikantin einen vietnamesischen Text vorlesen lassen „um mal zu hören wie das klingt“, und hat nach allen Richtungen so viel Interesse und Freundlichkeit verbreitet, dass sie auf ihn zurückgestrahlt hat. Die Pflegekräfte jedenfalls verabschieden ihn alle sehr, sehr freundlich.
Nur das eine Knie meines Vaters will nicht so, wie er will, es ist dick und schmerzt und das Bein ist garnicht belastbar. Abends macht er Arnikasalbe drauf, aber ich zweifle daran, dass das helfen wird. Es ist herzzerreißend, zu sehen, wie er sich beim Laufen quält. Wie er nie klagt, sich trotz seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung, trotz seiner Schmerzen, trotz allem für die Pflanzen am Weg, die Bekannten in der Gemeinde, die Hobbies meiner Kinder, politische Entwicklungen… für die Welt um sich herum interessiert, das bewundere ich immer mehr.
Ich versuche, mich im Haushalt nützlich zu machen; der Frau meines Vaters alles abzunehmen, wobei sie sich bücken müsste, denn das soll sie nicht, und überhaupt alles, von dem ich sehe, dass es getan werden muss. Am Ende ernte ich das Kompliment, ich sei eine gute Hausfrau, worauf ich ja nun garnicht aus war. Aber es ist ja lieb gemeint. Zwischendurch spielen wir Baptistenskat; ich fahre nochmal ins Pflegeheim, um einen Brief abzugeben, der nicht für meinen Vater bestimmt war, und um eine haushaltsfremde Medikamenten-Tagesschachtel „Sonntag“ gegen die haushaltseigene Medikamenten-Tagesschachtel „Freitag“ einzutauschen; außerdem mache ich am Sonntag einen langen Vormittagsspaziergang im Umland. Abends schauen wir alte Kinofilme, die ich im DVD-Stapel entdeckt habe, „Vaya Con Dios“ und „Pilgern auf Französisch“. Das ist schön. Überhaupt tun die Tage mir gut, der Kopf ist weit weg von der Arbeit und von den Berliner Alltagssorgen.

Beim Heimfahren könnte ich das ich-packe-meinen-Koffer-Spiel spielen, oder jedenfalls viele lustige Items beisteuern, denn ich fahre natürlich nicht mit leeren Händen ab, das geht nicht bei meinem Vater und seiner Frau. Ich packe meinen Koffer und nehme mit: einen halben Ring Thüringer Knackwurst, eine Zeitungsseite mit Kürbisrezepten, dreieinhalb übriggebliebene Eierkuchen, eine Mappe mit alten Kinderbildern und Zeugniskopien von mir, einige Fotos von der Balkontomatenpflanze meines Vaters, zwei Absenker von Grünpflanzen, drei leere Sauerkirschgläser (in denen ich Suppe mitgebracht hatte), Süßigkeiten für meine Kinder, einen sehr schlechten Krimi, der dringend ins Verschenkregal muss – und viel, viel bleischwere Traurigkeit, weil ich so selten bei meinem Vater und seiner Frau bin. Ein Wunder, dass ich den Koffer noch nach Hause bekomme. Es geht auch fast alles glatt, nur die Berliner S-Bahn fährt eine halbe Stunde lang nicht, weil jemand ärztlich versorgt werden muss. Da hilft nur Geduld, ich stelle mir jemanden vor, der so mühsam unterwegs ist wie mein Vater, ich stelle mir vor, dass mir ein Notfall passiert – jeder möchte gerne ärztlich versorgt werden, auch im ÖPNV zur Berufsverkehrszeit.

Also wieder Berlin.

Kurze Woche, drei Arbeitstage, dieses Mal sind das drei Bürotage. Der Siebzehnjährige kommt zu mir, und weil die Chorprobe am Abend ausfällt, haben wir Zeit für einen gemeinsamen Spaziergang, und ich lasse mich auf den Stand bringen, was Schule, Lehrer, anstehende Vorträge und Klausuren, Wochenendtermine und dergleichen angeht. Ich freue mich über die gemeinsame Dreiviertelstunde mit meinem Sohn, der Schrittzähler freut sich auch, und wir streiten uns erst am nächsten Tag wieder – nicht der Schrittzähler und ich, sondern der Siebzehnjährige und ich – als es um die Frage geht, ob man seinen Koffer für eine Wochenendreise ins kalte Ausland eher frühzeitig oder in den allerletzten 10 Minuten vor dem Abendtermin und dem Wechsel in den Papahaushalt packt. Der Siebzehnjährige packt also – in unglaublicher Windeseile und spätestmöglich – seinen Koffer und nimmt mit: Die Bahncard, weil ich sie ihm hinlege, den Ausweis, weil ich daran denke, hoffentlich etwas Wechselunterwäsche, halbfeuchte Socken vom Wäscheständer, die angeblich vorbildlich gefüllte Kosmetiktasche, ein Paar Wechselschuhe, weil Regen angesagt ist, hoffentlich so etwas wie einen Schlafanzug und hoffentlich genug warme Sachen. Die Süßigkeiten für einen netten gemeinsamen Abend mit der Patentante und den anderen Mitreisenden hätte er vergessen, aber ich lege sie noch dazu, das muss sein.

Der dritte Koffer aber steht beim Hannoverliebsten. Morgen, nach fast vier Wochen, sehen wir uns ohne Handybildschirm, wieder einmal. Die Bahn wird pünktlich sein, ganz bestimmt, rede ich dem Hannoverliebsten gut zu – und freue mich, dass dieses Mal nicht ich fahren muss.