Draußensehnsucht, herbstliche

Eine etwas weniger anstrengende Woche, dann ein ganz schönes Wochenende gehabt – nicht verreist, keine Pläne, dem Montagmorgengefühl nach auch ein wenig erholt.

Einige Wünsche erfüllt:
Draußen gewesen – am Samstag mit dem Fahrrad bis zum Friedhof, dort in den Blumenschalen kleine Heide-Pflanzen und Silberblatt zu den noch ansehnlichen Sommerblumen gepflanzt. Am Sonntag eine Runde an der Spree spazieren gegangen, später noch eine kleinere mit dem Dreizehnjährigen.
Am Sonntag eine Siesta gehalten.
Wenigstens ein halbes Stündchen mit der anderen Mitmutter zusammengesessen, bei warmem Tee und Rhabarberlikör.

Ich mag es, mich nachts wieder unter zwei Decken zu kuscheln, die Balkontür weit offen, kühle Luft und Regengeräusche ganz nah.

Am Montagmorgen als erstes den Terminkonflikt der Woche (Zahnarztvorsorge vs. seit Juni ausstehender wichtiger Arbeitstermin) zu Lasten des Zahnarztes aufgelöst; der Zahnarzttermin teilt sich nun mit einem Orthopädentermin einen Nachmittag im Oktober. Um meine Erwerbsarbeit an dem Tag zu schaffen, wird dann vermutlich der Orthopädentermin weichen müssen. Die Kaskade aus weiterverschobenen Arztterminen könnte sich weit in den Herbst hinziehen.

Nach der Arbeit im Sanitätshaus ein Rezept für eine Hallux-Schiene eingelöst. Etwas deprimierend der Warteraum, überall Plasikgliedmaßen mit Bandagen, Orthesen und Schienen. Zu Hause wächst das Stäpelchen mit Schachteln, die Produkte aus diesem Fachgeschäft enthalten, das ist kein schönes Gefühl.

Die deutsche Bahn nimmt für eine Fahrt nach Hannover mit Bahncard 50 inzwischen an beliebten Tagen (am Freitag vor dem langen Wochenende Anfang Oktober – und zwar schon am Freitagmorgen um sieben Uhr!) so viel, wie die Fahrt zu Beginn meiner Beziehung zum Hannoverliebsten mit Bahncard 25 gekostet hat. Die Fernbeziehung wird zum finanziellen Luxus. Noch ist nicht entschieden, wer von uns an diesem Wochenende fahren wird. Aber raus möchte ich, raus ins Weite. Der Hannoverliebste hat ein Hotel in Mecklenburg-Vorpommern entdeckt, zu dem man zwar nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt, aber über sehr nette Radwege. Auch der zweite Tag ließe sich entlang von Seen und durch Brandenburger Wälder angenehm verradeln. Alternativ lockt von Hannover aus die Lüneburger Heide.

Jetzt Wäsche, Kuchen backen, telefonieren. Die Frau meines Vaters ist am Auge operiert worden, wohl alles sehr gut verlaufen. Weniger schön der erste Aufenthalt meines Vaters in Kurzzeitpflege, das Zimmer klein, das Essen recht ärmlich. Am Wochenende werden wir ihn abholen.
Später lese ich dem Dreizehnjährigen vor – er hat seine Freude an den Wächterromanen von Terry Pratchett entdeckt. Wie wunderbar, wenn ein Kind einen Sinn für Humor entwickelt, der dem eigenen ähnelt. Großes gemeinsames Vergnügen.

September

Zwei Wochen weiter in Richtung Herbst. Wenn ich um sechs Uhr aufstehe, ist es schon wieder noch fast dunkel, das ist traurig.
Hüfte und Bein und Fuß haben sich beruhigt, sobald ich die Bandage und sämtlichen Sport einschließlich aller Rückenübungen weggelassen hatte. Moderates Radfahren und Spazierengehen mit dem Hannoverliebsten tat gut.

Einige Schuljahresanfangsevents liegen inzwischen hinter uns, die Klassenfahrt des Dreizehnjährigen (aber noch nicht der von dort mitgebrachte Husten), drei Tage Weiterbildung per Zoom von neun bis fast 18 Uhr für mich, ein Chorwochenende – denn der Siebzehnjährige und ich singen jetzt in einem Chor, und das ist schön. Trotz Corona-Risiko, werde mich vorsichtshalber noch einmal impfen lassen, demnächst. Und obwohl ich die Zeit dafür jede Woche neu gegen ein immer wieder anderes Das-passt-heute-aber-garnicht verteidigen muss.
Die nachzureichenden Steuerunterlagen sind nachgereicht und ein großer Stapel Kopien ist zum Anwalt gewandert; Auskunftspflichten im Zusammenhang mit dem Unterhaltsrecht, sehr unschön. Der neue Ausweis kam an – noch vor dem Ablauf der Gültigkeit des alten; sogar der umgetauschte Führerschein kann abgeholt werden.

Zeit für Wintervorbereitungen: Lange, warme Unterwäsche fürs unbeheizte Homeoffice ist im Schrank gebunkert. Ein großer und erstaunlich schwerer Haufen Fleece liegt im Wohnzimmer herum und soll zu zwei Vorhängen verarbeitet werden: um die kalte Luft im Treppenhaus zu halten der eine, als bedarfsweiser Ersatz für eine Küchentür, die wir nicht haben und bisher auch nie brauchten, der andere.

Auf dem Chorwochenende im ländlichen Freizeitheim große Sehnsucht nach dem herbstlichen Brandenburg bekommen; rote und blaue Beeren an zwei ineinander verwachsenen Sträuchern bewundert, Falläpfel aufgelesen, die ersten einheimischen Nashi-Birnen von einem Tisch am Hoftor gekauft, den süß-sauer eingelegten Kürbis aber stehenlassen. Auf den blanken See geschaut, die kühle, frische Luft genossen, jeden Atemzug.
Die Hobbies und Freizeitaktivitäten der Jungs haben leider fast alle Wochenenden in September und Oktober belegt, es wird kaum Zeit für die Wanderungen und Radtouren bleiben, die mein Kopf wie von selbst vor sich hinplant.

Kaum Nachrichtenkonsum.

Gesellschaften, lese ich, sind veränderungsträge; auch angesichts drohender Katastrophen, die durch eine Verhaltensänderung vielleicht, vielleicht noch abwendbar gewesen wären.

Auch ich möchte an meiner kleinen Normalität festhalten.
Was auch sonst tun?

spätsommeratempause

Der Hochsommer ist vorbei, die Nächte kühlen wieder ab. Gut tut das.

Noch immer etwas beeinträchtigt an Fuß, Hüfte und dann auch noch Hand – alles rechts, das ist die Spielbein-Seite, sagt die ganz große Schwester, aber ist sie das auch bei Linkshänderinnen wie mir? Und überhaupt, was bedeutet es, wenn die Spielbeinseite aussteigt oder die Standbeinseite? Beides nichts anderes, als dass man mehr Urlaub hätte haben sollen, glaube ich – habe ich mich durch die ersten Schulwochen gemüht.

Viel, alles: Bei der Erwerbsarbeit stehe ich unter Druck, die Schulen schicken Elternabendtermine, Arzttermine müssen organisiert werden, die Hobbies der Kinder starten wieder, ich beginne, zusammen mit dem Siebzehnjährigen in den Kirchenchor der Nachbargemeinde zu gehen, und vor mir liegt noch dazu das, was von der mal geplanten Urlaubswoche mit dem Hannoverliebsten noch übrig ist, nachdem sie zur Hälfte einer verschobenen Weiterbildung zum Opfer gefallen ist. Und alles verursacht mit allem jede Menge Terminkonflikte: das Schachturnier mit der Konfirmandenradtour, der Konfirmandensamstag mit dem Kinderchorauftritt, der Elternabend mit dem Kirchenchor, der andere Elternabend mit der Reise nach Hannover, der wichtige Arbeitstermin mit der einzigen Gelegenheit, meine schmerzende Hand dem Orthopäden vorzuführen, die geplanten Tage in Hannover mit der Abfahrt des Dreizehnjährigen zur Klassenfahrt, das Chorwochenende (wieso muss es ausgerechnet zum Schuljahresbeginn stattfinden?) mit der Rückkehr des Dreizehnjährigen von der Klassenfahrt.

Schnell, viel zu schnell, sitzen morgens wieder das große ich-will-nicht-mehr und das große ich-kann-nicht-mehr an meiner Bettkante; nehmen mich in den Schwitzkasten, ziehen mir ein schwarzes Tuch über den Kopf, das noch dazu innen mit der aktuellen To-Do-Liste bedruckt ist.
Nicht vorher, nicht während der Reise und noch nicht mal am ersten Abend, an dem ich von Hannover aus online an der letzten Elternversammlung für den Siebzehnjährigen mit der Kommunikation sämtlicher Termine für sein Abiturjahr teilnehme, gelingt es mir, das Gefühl von Düsternis und von ich-sollte-zu-Hause-sein-und-mich-um-alles-kümmern abzuschütteln, erst irgendwann am nächsten Tag.

Dann sehe ich es wieder, wie schön der frühe Herbst ist. Die Sterne leuchten über dem Balkon des Hannoverliebsten, eintausendfünfhundert Jahre altes Licht vom Stern Deneb im Sternbild Schwan, 36 Jahre altes Licht vom Arktur im Sternbild des Rinderhirten, drei Lichterketten mit neugeborenem Licht vom Nachbarbalkon. Nur der Stern über der Kirche, der Weihnachtsstern, der durch die ganze Corona-Pandemie hindurch als Hoffnungszeichen geleuchtet hat, ist abgeschaltet worden, als bräuchten wir kein Hoffnungszeichen mehr.

Noch können wir das Fenster sperrangelweit offenstehen lassen, die ganze Nacht.
Noch können wir draußen sitzen am Abend, viel zu viele Tapas bestellen; Rotwein, der das Leben weicher und schöner aussehen lässt; starken, süßen café solo.
Noch können wir planen, auf ein paar Bahnen ins Schwimmbad zu gehen, mit dem Rad in den Hinüberschen Garten zu fahren, am Maschsee aufs Wasser zu schauen.
Noch können wir einen Tisch fürs Sonntagsfrühstück reservieren, draußen.

Die Sommerspeicher auffüllen mit all dem Noch-können-wir.
Mit Wärme und Licht.

Himmel und Meer und zurück

Schon wieder eine Woche aus dem Urlaub zurück, schön war der.

Nicht die beste Idee, an einem Sonntag mit der Regionalbahn von Berlin nach Rostock zu fahren, aber da saßen wir dann eben und es half nix, irgendwie kamen wir an. Auf der Fähre, oben auf dem Sonnendeck, fingen ein paar Leute an, zu trommeln. Immer mehr kamen hinzu, immer größere Trommeln wurden herbeigetragen, eine dänische Gruppe wars wohl, Karibikstimmung kam auf. So fing der Urlaub an.

Das Ferienhaus in allem schön, außer dass die Besitzer einen Anbau vor die zwei Kinderschlafzimmer und die Toilette gesetzt hatten, alle drei Zimmer waren nur noch in den Anbau zu belüften, den die Besitzer sich weigerten, aufzuschließen, damit man den Anbau wiederum hätte nach außen belüften können. Mit Beschwerden darüber hatten die ganz große Schwester und ihr Mann die erste Urlaubswoche ohne uns verbracht, ohne viel Erfolg. Die Kinder nahmen es gelassen, irgendwie gings.

Hinterm Haus der Garten, fast immer konnten wir draußen essen, Mittags auf der Liege im Schatten der Bambushecke schlafen, über dem Garten ein Amselklangteppich, eine Familie wohl mit frisch flügge gewordenen Jungvögeln. Nachts in der Hecke die Mönchsgrasmücke, laut schwatzend. Über der vorderen Terasse der Sternenhimmel, komplett mit Milchstraße und allem.

Das Meer nur drei, vier Minuten entfernt, jeden Morgen lohnte es sich, nicht im Bett geblieben, sondern losgegangen zu sein, im Bademantel zum Strand, und zu schwimmen. Ins Grau oder Blau oder Silber zu schwimmen, anfangs bei 14 Grad, später in wärmerem Wasser. Der weite, große Himmel über dem Meer. Rätselhafte Enten, schwarz-weiß, die ich nicht bestimmen konnte, Eiderenten vielleicht. Kormorane. Möwen. Schwalben über dem Meer auf der Jagd nach Insekten.

Ausgiebige Frühstücke. Gemütliche Abendessen mit dem dänische Käse, von dem man mit dem dänischen Käsedrahtschneider die Scheiben abschneidet, mit Curryhering, die Traditionsessen sind das. Abends große Spielerunden. Heilsame Lieder gesungen mit der ganz großen Schwester, ein paar zu viele Diskussionen über Einkäufe geführt, nun ja. Nach ein paar Tagen waren wir eingespielt als Großfamilie. Nach einer Woche kamen die große Schwester und ihr Mann an und bezogen ein Haus im Nachbarort. Ein wenig gemeinsame Zeit auch mit ihr.

Spaziergänge auf dem Deich, im Ferienhausgebiet, zu den kleinen Gartentrödelmärkten, zu den Brombeerhecken, an denen die ersten Beeren reif wurden.

Genau so möchte ich meinen Urlaub verbringen.

Auf der Rückreise erwischten wir auch nur eine Regionalbahn, aber eine zusätzlich eingesetzte wegen des 9-Euro-Tickets. Leerer und entspannter als auf der Hinfahrt.

Meine Kinder in Berlin noch eine ganze Woche bei mir, das war ein Glücksfall. Obwohl ich arbeiten musste, machten wir aus jedem Tag noch etwas schönes, fuhren ins Lieblingsschwimmbad, holten Brötchen zum Frühstück, spielten einen Abend lang, guckten Olsenbanden-Filme. Nebenher halfen die Jungs mir im Haushalt, brachten ihre Schulsachen in Ordnung, erledigte der Dreizehnjährige seine Mathe-Förderaufgaben und putzte der Siebzehnjährige wirklich und wahrhaftig sein Zimmer.

Ein kleines Minus nur mein Rücken, Schmerzen schon im Urlaub, jetzt wieder. Neues Vokabular: „Ischialgie“, lerne ich, und „Iliosakralgelenk“. Die üblichen Verdächtigen im Internet-Videosport sind sich einig, welche Übungen helfen könnten, also fange ich ergeben an, das „Halbe Happy Baby“ zu machen und meine Beine zu verdrehen und zu verknoten, um eventuell verspannte Muskeln zu dehnen. Schmerztabletten muss ich auch nehmen, vielleicht wird es ja wieder, bevor ich eine Odysee-zu-Ärzten anfangen muss.

Nebenher erledigt in dieser Woche: Neuen Ausweis beantragt, Umtausch des Führerscheins beantragt, Karteikartenabschrift für den Umtausch des Führerscheins beantragt. Augenarzttermin für den Siebzehnjährigen ergattert, Wartelistenplatz bei einem neuen ADHS-Arzt ergattert, weil der alte in Ruhestand geht, ohne Nachfolger. Banktermin ausgemacht, weil dem Dreizehnjährigen ein Geldschein verloren gegangen ist und er für sein Taschengeld nun auch ein Konto mit Karte haben möchte. Banktermin verschoben, als der Vater des Dreizehnjährigen sich dann mal äußerte, wann ihm lieber wäre. Mit den Kindern die Wechselmodalitäten der nächsten zwei Wochen besprochen. Dem Vater der Kinder hinterhergewhatsappt, wann es ihm mal passen würde, die Termine für September zu besprechen. Dem Vater der Kinder wegen der Kosten für die Klassenfahrt des Dreizehnjährigen hinterhergemailt. Gewaschen. Geputzt.

Jetzt löst sich unser schönes Feriengemeinschaftsleben auf. Der Siebzehnjährige fährt als Teamer zu einer Kinder- und Jugendfahrt; der Dreizahnjährige verbringt eine Woche bei seinem Vater; mein Koffer steht bereit und der Hannoverliebste freut sich, dass ich endlich mal wieder zu ihm komme.

Ferien sind schön.
Noch eine Woche bis zum vollen Alltag.

Von den Stimmungen des Meeres

Silberspiegelglatt mit Schaukelwellen (die dich später in den Schlaf wiegen, wenn du jetzt lang genug schwimmst)

Gänsehautnervös, tief himmelblau

Übellaunig (schwappt dir ins Gesicht)

Unruhig

Wellig, grau und voll Gemüsesuppentang

Mit großen, rauschend brechenden Hüpfewellen (bleibt da, wo ihr stehen könnt!)

Sommerbloggen – naja: so ähnlich.

Der richtige Elan zum regelmäßigen Sommerbloggen stellt sich nicht ein, es sieht auch nicht schön aus, wenn alle Beiträge gleich heißen. Trotzdem schreiben, erzählen.

Die hohe Zeit des Jahres, lichte Tage, lange, helle Abende. Zwei Sommerwochen verbringen meine Kinder bei ihrem Vater, das war ihm sehr wichtig, als wir geplant haben, wegen Wegfahren und so; deshalb konnte ich nicht drei Wochen mit den Kindern Urlaub machen, was ich so gerne wollte. Jetzt sind sie nicht mal weggefahren, vielleicht doch noch drei Tage nächste Woche, aber der Vater meiner Kinder ist krank, es ist fraglich. Meine eigenen Wünsche für nichts einem Kompromiss geopfert.

Ich versuche, alles in diese zwei Wochen zu packen, was irgendwie hineinpasst: Die überfällige Kelleraktion, bei der eine kleine Mottenpopulation ausgerottet werden muss; die überfällige Pflanzaktion auf dem Friedhof.
Das Ausmisten und Entsorgen diverser Dinge. Das Inordnungbringen von Kleinigkeiten, die nie dringend genug sind, wenn der normale Alltag stattfindet.
Verabredungen fallen mir zu, die Studienfreundin, die Schweizer Freundin von ganz ganz früher; die Nachbarin, mit der ich gern einmal im Jahr zum See schwimmen fahre. Eine Geburtstagsfeier.
Schwimmen, überhaupt, auch alleine. Den Hausundhofstrand habe ich am kühlen Sonntag ganz für mich, oder fast: eine Mandarinente mit vier Küken kommt ans Ufer, und die Küken laufen über meine Decke, kann man sich das vorstellen?
Sogar bis zum Lieblingssee am Ende der Welt schaffe ich es, das ist schön.

Nicht zu vergessen die Erwerbsarbeit, anstrengende Tage, der Urlaub – in einer Woche, endlich, endlich! – muss vor-, muss beinahe herausgearbeitet werden; hinterher ist gleich zwei Wochen lang ein Kollege zu vertreten. Bedrückend der Gedanke, mich vielleicht doch noch irgendwo mit Corona anzustecken, nicht reisen zu können. Bedrückend die Nachrichtenlage, ich schleppe eine elektrische Kochplatte nach Hause, man weiß ja nie, wir haben hier nur Gas. Bedrückende Post in Behördendingen, der Anwalt muss her, macht aber auch erstmal Urlaub, die Last muss also mit in den Koffer. Bedrückend das Alleinsein, zwischendurch.

Abends mit dem Hannoverliebsten telefonieren, den Supermond aufgehen sehen. Keine Antworten haben, viel Unsicherheit voraus.
Wunderbare späte Geburtstagsgeschenke, die Wunschbohrmaschine, vielversprechende Bücher, Kartoffelschälgabeln, damit die Jungs sich nicht mehr herausreden können, wenn es Pellkartoffeln mit Quark gibt, das beste Freitagabendessen.

Morgens mit Müsli und Kaffee auf den Balkon gehen, die Blüten der blauen Winden sehen, wenn sie noch frisch und neu sind. Wie sehr ich das genieße, im hohen, hellen Sommer.

WmdedgT – Juli 2022, Sommerblog-Edition

Es ist Sommer, es ist der 5. Juli, Frau Brüllen lädt uns mitten in ihren Urlaubsvorbereitungen zum Tagebuchbloggen ein. Alle Beiträge zum heutigen Tag finden sich hier.

Bei uns ging der Tag gegen halb sieben los, ich wache gerade einigermaßen zuverlässig vor meinem Wecker auf, das ist schön. Kurzer Blick auf den Balkon, es hat abgekühlt über Nacht, die Wetterapp weiß, dass es auch nur angenehme 25 Grad werden, heute. Kurz ins Bad, dann mache ich Frühstück, heute Toast und Toasties statt Müsli wie meistens, denn das Lieblingsmüsli ist aus. Nach ein paar Minuten steht der Siebzehnjährige auf, der muss das Toasten übernehmen und ich gehe nochmal ausführlicher ins Bad.

Um sieben wecke ich den Dreizehnjährigen, wir frühstücken. Abräumen muss der Siebzehnjährige, der geht als letzer aus dem Haus; ich breche gegen halb acht mit dem Dreizehnjährigen auf. Er biegt zur S-Bahn ab, ich zur Wohnung der anderen Mitmutter, die Urlaub hat. Ich betreue Kater und Blumen. Lüften also, Futter vorbereiten, alte Näpfe säubern, Medikamente zugeben (der Kater ist ein älterer Herr und inzwischen etwas knochig und schwerhörig, aber er kennt mich und hat nichts dagegen, von mir versorgt zu werden). Dann Trinknapf, Katzenklos, Balkonblumen. Dann muss ich los, S-Bahn, Büro, heute ist Pflichtpräsenztag. Dementsprechend ist es voll, viele Leute, langnichtmehrgesehene, kurznichtmehrgesehene; mit der Chefin können Fragen direkt beim gemeinsamen Blick auf den Bildschirm besprochen werden, das ist gut. Teammeeting auch, gemeinsames Mittagessen, noch ein offenes Thema abgeschlossen, ein guter Tag. Mit der S-Bahn zurück, dabei tief in mein neues Buch abgetaucht, „Miroloi“ von Karen Köhler.

Zu Hause langweilen sich schon die Kinder bzw. spielen auf ihren Endgeräten. Ich locke sie mit Kuchen und Melone an den Küchentisch und wir besprechen die nächsten Tage, wer geht wann zum Vater, kriegen wir ein gemeinsames Ende-des-Schuljahres-Essen hin, so Fragen. Während ich auf den Rückruf des Vaters meiner Kinder warte, der mit seinem kranken Kleinkind beschäftigt ist, gehe ich die aktuellen privaten Mails durch, bezahle zwei Rechnungen, storniere eine Ferienunterkunft, antworte der Onlinesport-Leiterin, die statt Live-Kursen in ihrem Urlaub Videos anbieten will, was ich gerne annehme. Dann Absprachen über die nächsten Tage und das Ferieneinläuteessen, ich reserviere einen Tisch. Was mich zu Hause noch erwartete: eine große Pappkiste mit einem Blumenstrauß drin, hach! Verspätete Geburtstagsblumen, aber weder von einem offiziellen noch von einem heimlichen Verehrer, sondern von der Chefin. Schön sind sie trotzdem und einen Papphocker haben wir jetzt noch dazu, so groß war die Zustellverpackung.

Weil wir alle Zeit haben und schon ein bisschen in Ferienstimmung sind, spielen wir ein paar Runden Cabo, bevor der Siebzehnjährige auf dem Balkon die Blumen gießt, der Dreizehnjährige den Abwasch erledigt und ich mich um Abendessen, Nachschub fürs Lieblingsmüsli und Wäsche kümmere. Wir essen – Brot und Reste von gekochten Möhren und Tiramisu, was der Kühlschrank so hergibt – und dann gehe ich wieder los und versorge das Katzentier der anderen Mitmutter.

Hinterher gibt es die letzte Folge der aktuellen „WaPo Berlin“-Staffel mit dem Dreizehnjährigen, bei der wurde sogar im Berliner Ufo gedreht, das ist spannend, eigentlich sogar spannender als die Handlung. Dann hole ich mir den Laptop zum Bloggen aufs Sofa, schaue mit dem Dreizehnjährigen nach, was der Wickelfisch ist, über den Frau Brüllen schreibt, der Siebzehnjährige kommt von einer Schulveranstaltung nach Hause und sagt kurz Hallo, bevor er in seine Höhle abtaucht, und dann schreibe ich hier. Der Hannoverliebste ruft an, wir reden kurz, ich sage erst ihm und dann dem Dreizehnjährigen gute Nacht.

Jetzt noch Frückstück für morgen vorbereiten, Kleidung rauslegen, Bad, Bett und Buch, in dieser Reihenfolge.

Sommerbloggen (5)

An der See abgereist bei 17, in Berlin angekommen bei 35 Grad, das ist nicht schön, aber der Dreizehnjährige hat es schlimmer, der hat Sportfest. Der Sponsorenlauf am Ende, für Schulprojekte, wird abgesagt, das ist schade, ich hatte dem Dreizehnjährigen fünf Euro für jede Runde als Sponsorin zugesagt.

Der Siebzehnjährige ist in London und schickt abends Fotos und kurze Bemerkungen. Mein Kind tut sich in Gruppen schwer, ich kann aus seinen knappen Botschaften nicht enträtseln, wie es ihm geht, mit den anderen, pausenlos.

Zwei Tage bin ich erstmal allein, arbeite im Büro, komme nach Hause, versuche, gegen die Leere anzuerledigen, was eben zu erledigen ist. Am Mittwoch Weiterbildung, da die Präsenzseminare abgesagt wurden, per Zoom aus dem Homeoffice, neun Stunden online am Bildschirm, das eine Ohr hört hin, was für die Praxis nutzen könnte; das andere Ohr hört hin, was für die Klausur im Herbst gelernt werden muss – beides ist nicht deckungsgleich, schade. Hinterher schließt fast ohne Pause der Online-Sportkurs an, danach ein Videotelefonat mit dem Hannoverliebsten. Dann fühle ich mich ein bisschen alleine und hätte gerne echte Gesellschaft. Aber als der Siebzehnjährige später vorschlägt, zu telefonieren, bin ich sehr, sehr glücklich und lasse mir live aus London berichten.

Heute dann wieder Büro, der angekündigte Regen hat sich auf ein paar Tropfen in der Nacht beschränkt, am Nachmittag ist die Luft heiß, feucht und drückend, da ist die S-Bahn-Fahrt gleich doppelt so unangenehm. Der Dreizehnjährige endlich wieder bei mir, aber bevor ich mit ihm Abendbrot essen kann, habe ich noch einen Termin bei der weltbesten Friseuse – endlich gefunden, gehe nie wieder woanders hin – die auch mit feinen Haaren so umgehen kann, dass man sie hinterher offen tragen kann.

Wir bündeln am Wochenende unser Corona-Risiko: 13 erkrankte Kinder in der Klasse des Dreizehnjährigen; viele internationale Schülergruppen im Londoner Hostel, in dem der Siebzehnjährige wohnt; der Hannoverliebste besucht Zeugnisausgabe und Abiball seines jüngeren Sohnes und kommt dann zu uns. Ich kann es auch nicht ändern. Bis in drei Wochen – dann Urlaub! – sind wir vielleicht alle wieder gesund. Falls wir krank werden.

Sommerbloggen (4)

Ein paar weitere Aspekte unserer Nordseetage:

Am Strand zu sein, hat mich traurig gemacht. Die Familien mit kleinen Kindern zu sehen. Die Kinder beim Planschen, beim Drachensteigenlassen, beim Pommesfordern, beim Buddeln. Die Mütter, die mit wärmeren Jacken zur Wasserlinie liefen, wo die Kinder Burgen schaufelten; die Proviantdosen und gekühlte Getränke hervorkramten. Die Väter beim Aufstellen von Strandmuscheln, beim Entwirren von Drachenschnüren.
Meine Kinder sind groß. Ich werde nie wieder mit meinen kleinen Kindern einen Strandurlaub machen; ihr ungetrübtes Glück beim Anblick des Meeres sehen, das stand mir plötzlich sehr deutlich vor Augen. Wie viel schmaler und kleiner das bloß eigene Glück der Erwachsenen am Meer ist!

Die Logistik einer Insel. Spannend! Was da alles vor den Häusern lag und stand – Wasserkästen, mit leeren oder vollen Flaschen; Koffer und Taschen, Mülltüten, mit Laken bedeckte Dinge, Kühlcontainer. Scharen kleiner Elektroautos waren unterwegs, zum Hafen, zum Inselbahnhof; mit leeren oder gefüllten Anhängern, eine ausgefeilte Choreographie, die die Inselgäste mit allem versorgt, was sie wünschen – teure maritime Kleidung in den Läden, üppige Portionen in den Restaurants, duftende Wäsche im Hotel, frisches Obst und Gemüse im Supermarkt. In der kurzen Zeit immerhin herausbekommen, dass zusätzlich zur Personenfähre eine Lastenfähre verkehrt, auf der die Lieferungen für Läden, Geschäfte und Hotels entweder in eigenen Lastenanhängern oder gesammelt in Anhängern der Langeoog-Schiffahrt transportiert werden.

Mütter auf Reisen im deutschen ÖPNV. Die Fährgäste, zurück auf dem Festland, gehen von der Fähre entweder zu ihren Autos oder warten eine halbe Stunde lang auf den Bus, der zum Bahnhof fährt. Im Bushäuschen sitzt links eine ältere Dame; ein älterer Herr neben ihr; außen daneben eine coole junge Frau mit Surfbrett; auf der anderen Seite halb im und halb neben dem Bushäuschen der Hannoverliebste und ich; vor dem Bushäuschen ein mittelaltes Paar. Mitten im Bushäuschen eine Mutter mit zwei Jungs, vielleicht drei und vier Jahre alt, vielleicht ein bisschen jünger, mit kleinen Ziehkoffern, auf denen die Jungs auch sitzen können, auf denen sie auch sitzen, hin- und herfahren, sich streiten, quengeln, nach Bonbons fragen. Die Mutter saß schon auf der Insel eine Weile mit den Jungs im Wartebereich, die Jungs haben schon einen langen Morgen hinter sich, sie sind quirlig, sie sind lebendig, sie sind ungeduldig, alles zu erwarten, alles im Rahmen. Die Mutter vielleicht ein bisschen überfordert, aber freundlich bleibt sie, redet mit ihren Kindern, schlichtet Streit, verteilt Bonbons. Fast alle Umstehenden – nur die coole Sufbrettfrau interessiert sich nicht für Pädagogik – schauen ihr beim Erziehen zu, und ich schaue der Szene zu, die mich sehr wütend macht, Showerziehung in öffentlichen Verkehrsmitteln been there, done this, did not love it, jahrelang. Können die Leute die Mutter nicht anlächeln, ihr einen der Sitzplätze anbieten, etwas Nettes zu den Kindern sagen oder sich schlicht abwenden und um ihren eigenen Kram kümmern?
Plötzlich der ältere Herr: Sagen Sie mal, ist das bei Ihnen zu Hause immer so? Sie tun mir ja leid. Also bei mir hätte es so ein Verhalten von den Kindern nicht gegeben. Schon auf der Fähre haben sich alle über sie aufgeregt!
Während die Frau erst sprachlos ist, sich dann rechtfertigt – ja, sie habe es nicht leicht, alleinerziehend sei sie und berufstätig – mischt die ältere Dame sich ein, das sei sie alles auch gewesen, so ein Verhalten habe es trotzdem nicht gegeben in ihrer Familie, ganz offensichtlich hat sie auch eine klare Meinung dazu, was die Mutter im Bushäuschen gerade alles falsch macht.
Der Bus unterbricht die Szene. Beim Hin- und Her zwischen Gepäckanhänger und Buseinstiegt kann ich es nicht lassen, den älteren Herrn anzugehen, der sich noch immer aufregt: Können sie die Frau nicht einfach in Rufe lassen? – Habe ich Sie was gefragt, erwidert er, sichtlich nicht auf meine Meinung erpicht. Hat die Frau Sie eben irgendwas gefragt, kontere ich etwas schärfer, ausnahmsweise fällt die passende Antwort mir ein.
Dann sind alle mit Gepäckverstauen und Einsteigen beschäftigt. Als ich – stehend im Gang, der Bus ist voll – nach der Frau mit den beiden Kindern Ausschau halte, hat sie ihre Jungs über dem vorderen Radkasten in dem schmalen Zwischenraum zwischen zwei Sitzbänken untergebracht. Niemand hat ihr oder ihren Kindern einen Platz angeboten.