Ob ich das wirklich will? Ob ich das wirklich brauche? Zweifel plagen mich, als ich mich ein bisschen eher aus dem Büro schleiche, um zu einem dieser Riesenkaufmärkte zu fahren, deren unterirdische Etagen sich in bisher unerforschte Weiten erstrecken und in denen alles – einfach alles – angeboten wird und in denen die schiere Fülle an 30 Sorten Cheddar mir noch den letzten Appetit auf Käse verderben würde. Aber weil es hier alles gibt, gibt es hier auch das Smartphone, von dem eine Bekannte mir gesagt hat, dass es sich für meine Zwecke bestimmt gut eignen wird.
Und genau diesen Schubs habe ich gebraucht.
Unsicher frage ich an der Eingangstheke nach den Technik-Angeboten. Zum Glück gerate ich an eine Verkäuferin, die von genausoweit oben aus der Zeit gefallen zu sein scheint wie ich; vielleicht ist sie ein paar Jahre älter, ihre Jahre leuchten rot über dem traurigen Verkäuferinnenkittel, sie holt das Objekt meiner Kauflust aus der Vitrine und schaltet es mir sogar ein, obwohl das, wie sie sagt, „sonst nicht gemacht wird“. Ich darf mir also den leuchtenden kleinen Bildschirm angucken, so lange ich ja bloß nix mache, aber ich würde mich sowieso nicht trauen, auf dem kleinen Gerät herumzuwischen, das mich gleich darum bittet, doch diese oder jene Einstellung vorzunehmen.
Kurzentschlossen – und weil die Verkäuferin nicht versucht, mir unverständliche technische Features anzupreisen, sondern meine Sprache spricht und schlicht „das ist kein schlechtes Gerät“ sagt – kaufe ich mein allererstes Smartphone. Ich tue das für meine Kinder, rede ich mir ein, die sollen nicht als digitale Analphabeten ins Leben gehen.
Ihre Sim-Karte können sie oben im Elektronikmarkt ausstanzen lassen, verrät mir meine heutige Lieblingsverkäuferin noch. Ich habe noch ein paar Minuten Zeit, ich fahre gleich mal nach oben. Hinter einem kleinen Werbetisch steht ein Mann im Elektronikfachmarktpullover, der schnelles Internet verkaufen soll, aber nicht aussieht, als ob er damit viel zu tun hat, den spreche ich an. Hilfsbereit klappt er mein altes Handy auf und fischt die Sim-Karte heraus, ja, da lässt sich was machen. Sicherheitshalber setze ich mich auf einen Kaffee zum Italiener gegenüber und schreibe alle Telefonnummern aus dem Adressbuch meines alten Handys in meinen Papierkalender ab. Und dann gehe ich mit klopfendem Herzen zurück zu dem freundlichen schnelles-Internet-Verkäufer. Knack, da ist der kleine Chip aus meiner zehn Jahre alten Sim-Karte ausgestanzt. Ungeschickt rupfe ich das Kästchen mit meinem neuen Gerätchen auf, Sim-Karte und Akku werden eingesteckt, und nachdem ich mit zitternden Händen eine gefühlt unendliche Zahl an Fragen beantwortet und das Einrichten einer gefühlt unendlichen Zahl von Accounts und Konten abgelehnt habe, von denen mein oberschlaues neues Smartphone meint, dass ich sie von nun an dringend brauchen werde, finde ich endlich das Adressbuch – es ist heile geblieben. Ich atme auf.
An der Bushaltestelle versuche ich gleich mal, meine erste sms zu schreiben. Bei der zweiten kriege ich das mit den Buchstaben und Satzzeichen dann schon einigermaßen hin.
Meine Kinder sind hellauf begeistert. Mama hat ein Smartphone! Der Zehnjährige guckt mich mit neuer Hochachtung an. Der Sechsjährige erklärt mir, dass es eine Maus-App gibt, bei der man ganz besondere Spiele „mit Wischen“ spielen kann, das geht doch nur auf einem Smartphone, ich darf doch dann bestimmt mal spielen, ja Mamiiiie???
Erstmal ist daran nicht zu denken, erstmal muss ich selber mit dem Telefonchen klarkommen. Die Lernkurve ist steil. An diesem Abend vernachlässige ich meine Söhne, finde dafür aber heraus, wie ich zu einer Art Startseite komme, wie ich einen Anruf annehme und wie ich eine kleine Internet-Flatrate buche. Ich googele außerdem aus Versehen „Quinoa“, kaufe beinahe eine All-Inclusive-Flatrate für teures Geld, lade auf der Suche nach einer WordPress-App 1MB irgendwas aus dem Internet herunter, rufe ungewollt den Vater meiner Kinder an und beppe mir ohne Absicht das Browser-App-Logo gleich mehrfach auf einen meiner fünf Startmenübildschirme.
Ruhig, ruhig, rede mich mir bei jedem Missgeschick gut zu, das wird schon. Ich werde einfach eine Liste mit Fragen schreiben und jeden Tag eine davon beantworten. Das muss reichen.
Als ich versuche, in meinem alten Handy noch ein oder zwei unbeantwortete sms nachzulesen, fragt es mich vorwurfsvoll nach seiner Sim-Karte und ist nicht bereit, ohne sie auch nur noch ein Wort mit mir zu wechseln.
Jetzt habe ich nicht nur Herzklopfen, weil ich das Denken neu lernen muss – Denken in ganz neuen Wisch-Bahnen, die sich irgendwer ausgedacht hat, als er all diese unverständlichen Funktionen auf unverständliche Weise in dieses Gerät gepackt hat -, sondern ich habe außerdem noch ein schlechtes Gewissen meinem kleinen, treuen, unverwüstlichen alten Handy gegenüber. Traurig bette ich es aufs Regal.
Und dann schnappe ich mir mein Smartphone und finde raus, wie ich eine App runterlade.