Liegt es daran, dass ich wegen dem Wechselmodell nicht so richtig an das Leben mit den Kindern gewöhnt bin? Oder ist es bei uns so besonders anstrengend? Jedenfalls schaffen es oft schon wenige ziemlich „normale“ Tage Familienleben, mich total zu erschöpfen.
Zum Beispiel zwei Tage wie diese – in die ich eigentlich nach den Ferien und einer Woche ohne die Kinder ziemlich ausgeruht gestartet bin:
Montagmorgen, der Neunjährige geht rechtzeitig los, um zur ersten Stunde pünktlich zu sein, extrafrüh, weil Montagmorgen Sport auf dem Plan steht. Mit dem Fünfjährigen muss ich zum Blutabnehmen zum Kinderarzt. Was als kleiner Labortermin vor der Arbeit gedacht war, wächst sich – denn wir haben einen sehr gründlichen Kinderarzt – zu einer längeren Geschichte aus. Mit Wiegen und Messen (immerhin war mein Sohn drei Monate lang nicht in der Praxis und KÖNNTE theoretisch in diesen drei Monaten schwerer Unterernährung ausgesetzt gewesen sein), einer Abfrage sämtlicher jemals bei Kindern beobachteter Verhaltensauffälligkeiten (immerhin hatte mein Sohn vor einiger Zeit zwei Wochen lang Bauchschmerzen, und das KÖNNTE ja psychisch gewesen sein), einem beinahe-EKG, gegen das ich mich zur Wehr setze, weil heute EINFACH NUR NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN GETESTET WERDEN SOLLEN – Jetzt werden Sie doch nicht gleich so aggressiv!, sagt die Sprechstundenschwester vorwurfsvoll, muss aber zugeben, dass ein EKG wirklich nicht vorgesehen war und sie es einfach reflexartig machen wollte – und einem Rundum-Blutbild (Wie, Sie haben keine familiäre Vorbelastung mit Diabetes? Das – und alles mögliche andere – wird trotzdem mitgetestet. Einfach, weil mein Sohn einmal da ist.). Als wir rauskommen, guckem mich alle, die inzwischen das Wartezimmer füllen, ganz komisch an. War ich wirklich SOOO laut?
Wir kommen eine Minute nach Neun in die Kita, das ist garnicht so schlecht. Draußen hängt ein Zettel, der vor einem besonders heftigen Magen-Darm-Infekt und Kopfläusen in der Gruppe meines Sohnen warnt. Den montags mitzubringenden frischen Schlafanzug haben wir mal wieder vergessen. Halb so schlimm.
Ich hetze zur Arbeit, eine Stunde zu spät. Es ist Planungssaison, das bedeutet: Viiiiiiiel zu tun. Sechs Stunden später stehe ich mit zittrigen Knien wieder auf und flitze zur Bahn zurück. Schnell noch Brot einkaufen, dann zur Kita. Auf dem Zettel an der Tür stehen jetzt zusätzlich Scharlach und Hand-Fuß-Mund. Wegen Hand-Fuß-Mund ist sämtliches Spielzeug aus dem Gruppenraum verbannt worden – so lange, bis zwei Wochen lang kein neuer Fall aufgetreten sein wird. Kuscheltiere dürfen auch nicht mehr mitgebracht werden. Mache mir (ganz unnötig, betont die Erzieherin, alles frisch bezogen) Sorgen, weil ausgerechnet mein Sohn seinen Mittagsschlaf auf der Matte hält, die tagsüber als Kuschelsofa für alle Kinder im Raum liegt. Werden sie uns in der Kinderarztpraxis noch behandeln, nachdem ich heute morgen so laut geworden bin? Schnell an was anderes denken. Schnell nach Hause.
Im Ranzen des Neunjährigen finden sich bei genauem Nachsehen ca. fünf zu unterschreibende Tests und Arbeiten, ca. sieben einzuheftende Arbeitsblätter und allerlei Hausaufgaben. Gefühlte 15 Din A4-Seiten Elternbriefe und Fördervereins-Infos aus Kita und Schule lege ich mir zum Lesen bereit. Irgendwas wichtiges steht meistens doch drin – versteckt zwischen all den Informationen, die ich eigentlich nicht brauche.
An diesem Abend habe ich noch Kraft zum Vorlesen. Und sogar dazu, mit dem hustenden Fünfjährigen (Den Kindern gehts gut, prima gesund, hatte ihr Vater mir bei der Übergabe zu erklären versucht, bevor ihn ein Hustenanfall des Fünfjährigen und das laute Schnauben des Neunjährigen ins Taschentuch unterbrachen – ) zu inhalieren. Hinterher merke ich, dass mein Hals zu kratzen anfängt. Schnell abwaschen. Sachen für Dienstag rauslegen. Zwei Rechnungen bezahlen. Mails beantworten. Schlafen.
Dienstagmorgen. Heute können wir gemeinsam losgehen. Irgendwie bin ich schon nicht mehr so schnell wie am Montag, das Frühstücksgeschirr bleibt auf dem Tisch, und der Neunjährige muss doch schon vorflitzen, um pünktlich in der Schule zu sein. Aber ich komme pünktlich zur Arbeit. Heute nur 20 neue Mails. Sechs Stunden später mache ich mit zittrigen Händen den Rechner aus, eigentlich müsste ich noch, eigentlich hätte ich heute – geht aber nicht, es ist Martingstag, ich muss zum Laternenumzug. In der Kita ein gemütliches Lagerfeuer im Sandkasten, Schmalzstullen und Glühwein (schnell einen trinken, dann überstehe ich das hier auch) werden angeboten, die Kinder – gruselig geschminkt und mit Umhängen ausstaffiert – führen einen wilden Hexentanz auf, dessen Zusammenhang zum Martinstag mir ein bisschen unklar bleibt.
Der Neunjährige kommt dazu und hat wirklich daran gedacht, alles im Schließfach zu lassen, was er heute nicht zu Hause braucht. Ich hucke mir den ungewöhnlich leichten Ranzen auf, hänge unsere Fischlaternen an unsere funkelnagelneuen LED-Laternenstäbe (die gehen nie mehr kaputt, hat der Verkäufer mir versprochen), und gemeinsam mit einer Freundin und ihren beiden Jungs machen wir uns zur Martinsandacht in der Kirche auf, in der wie jedes Jahr ein paar engagierte Eltern zusammen mit dem Pfarrer die Geschichte vom geteilten Mantel nachspielen, während Dutzende ungeduldiger Kinder von Minute zu Minute lauter werden.
Dieses Mal sind so spät in der Kirche angekommen, dass wir keinen Sitzplatz mehr gefunden haben, was aber bedeutet, dass wir als erste aus der Kirche rauskommen und tatsächlich das Pferd sehen, das den Martinsumzug wie jedes Jahr anführt. Während der Laternenzug sich dreimal um den Block windet, gesellt sich eine dritte Mutter von zwei Jungs zu uns. (Warum wollen eigentlich nur Mütter von zwei Jungs mit anderen Müttern von zwei Jungs befreundet sein, frage ich mich, als Mädcheneltern mit strahlenden Töchtern und blinkenden rosa-Pferd-Laternen gemütlich an uns vorbeiziehen? – Aber ich kann darüber jetzt nicht nachdenken, es ist zu laut, die sechs Jungs versuchen, mit ihren Laternen die Laternen der anderen so anzustoßen, dass sie runterfallen, mindestens eine Laterne muss ständig aufgehoben, an den Leuchtstab gehängt, ausgebeult und wieder zum Leuchten gebracht werden, außerdem hat der Neunjährige angefangen, immer neue unanständig umgedichtete Versionen vom Laternenlied zu singen. Große Begeisterung bei den Kleineren.)
Als wir am Ziel ankommen, wird das Pferd schon wieder in seinen Transporter geladen. Wir Mütter schauen uns an und sind uns wortlos einig: den gemütlichen Ausklag des Martingsumzuges schenken wir uns. Ab nach Hause. Die erste biegt zu ihrem Auto ab, die zweite verabschieden wir an ihrer Haustür. Dann sind nur noch wir in der Dunkelheit unterwegs, wir und unsere beiden ziemlich verbeulten Fischlaternen.
Ach Mama, sagt der Neunjährige zu Hause ganz beiläufig, kannst du mir nachher was über die Zahl Pi ausdrucken? Ich muss im Mathe-Extrakurs morgen einen kleinen Vortrag dazu halten… Wie praktisch, dass das Frühstücksgeschirr noch auf dem Tisch steht. Da können wir ja gleich Abendbrot essen. Während ich den Fünfjährigen ins Bett bringe, merke ich, dass meine Halsschmerzen schlimmer werden. Der Neunjährige bringt seinen Ranzen in Ordnung – keine neuen Tests! keine neuen Elternbriefe! – und dann suchen wir am Rechner nach „Pi einfach erklärt“. Dass alle großen Flüsse dieser Erde eine tatsächliche Länge von ungefähr dem Pi-fachen der Luftlinie zwischen Quelle und Mündung haben, wusste ich auch noch nicht.
Das sind zwei absolut durchschnittliche Tage. Das alles bewegt sich im ganz normalen Rahmen des Lebens mit einem Schulkind, einem Kita-Kind und einem Beruf. Trotzdem bin ich völlig fertig. Durchhalten, rede ich mir gut zu, krankwerden geht jetzt einfach nicht, zu viel Arbeit auf Arbeit! Durchhalten, sage ich mir, und schleunigst bei der Ärztin nach meiner alljährlichen Vitamin-B-Stpritzenkur fragen, die mich im Herbst immer für drei Monate so schön fit macht.
Aber am liebsten möchte ich mir von dem Zeugs jetzt sofort eine Dauerinfusion legen lassen.