„Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“ – so fragt Frau Brüllen. Ja, was eigentlich?
Um 5.45 klingelt der Wecker. Ich schalte das Licht an und brauche ein paar Minuten, bis ich mich aufraffe und ins Bad gehe. Die Kinder schlafen noch, also habe ich Ruhe. Anziehen, Frühstücksdosen füllen, Frühstück machen. Meine Kinder haben sich beschwert, dass sie nie Süßigkeiten in ihren Brotdosen haben. Stimmt. Ich schnippele dafür leidenschaftlich Obst und Gemüse, weil ich finde, das trockene Stullen einfach nicht schmecken. Der Zehnjährige behauptet, dass er deswegen inzwischen in seiner Klasse den Spitznamen „Kaninchen“ trägt.
6.30 Uhr. Frühstück ist fast fertig, der Zehnjährige kommt aus seinem Zimmer geschlappt, umarmt mich kurz mit seinen langen, sperrigen Armen und schlappt wieder zurück, um sich zwischen seine Fußballkarten zu hocken und irgendein imaginäres Turnier auszutragen. Deutschlandfunk bringt die neuesten Nachrichten über die allgegenwärtige politische Ratlosigkeit angesichts der vielen, vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Ich gehe zum Hochbett des Sechsjährigen, schaue einen kurzen Glücksmoment lang mein schlafendes kleines großes Kind an – so friedlich, so wunderbar – und kuschele es wach.
7.05 Uhr. Wir stehen vom Frühstücksstisch auf, die Kinder ziehen sich an, putzen Zähne und packen ihre Brotdosen und Trinkflaschen ein, damit wir gemeinsam und rechtzeitig losgehen können. So jedenfalls der Plan. In Wirklichkeit läuft der Zehnjährige um 7.25 Uhr mit einem Küchenmesser in der Hand die Treppe runter, um das Eis von seinem Fahrradsattel zu kratzen, während der Sechsjährige noch nicht mal richtig angezogen ist.
7.35 Uhr. Heute nacht war gar kein Frost, wie dumm, gerade heute hat der Sechsjährige endlich daran gedacht, sich eine lange Unterhose anzuziehen. Ich stecke das unbenutzte Küchenmesser in meine Handtasche, damit der Zehnjährige in der Schule keine Probleme bekommt, verabschiede mein großes Kind und gehe mit dem Sechsjährigen zur Schule.
8.08 Uhr. Ich bin pünktlich am S-Bahnhof, um die durchgehende Bahn zu kriegen. Prima. Ich hole mein Buch aus der Tasche, Jojo Moyes „Ein ganz neues Leben“; ein Auge liest, das andere hält nach einem freiwerdenden Sitzplatz Ausschau. Nach drei Stationen gibt es einen. Wunderbar.
8.40 Uhr. Büro. Gefühlte 75% meiner jährlichen Arbeit fallen zwischen Oktober und April an, gefühlte 15% ausgerechnet in dieser Woche. Ich gehe panisch die 30 neuen Mails durch, die meinen Posteingang fluten, nicke viel zu zerstreut zu dem, was meine Büro-Kollegin von ihrem neuen Freund erzählt, die andere Kollegin hat ein krankes Kind, aber zum Glück auch eine Nanny, die einspringen kann, so dass sie zu Hause am Rechner sitzt und im Laufe des Tages eine Milliarde Powerpoint-Seiten erstellt, während ich mir die Finger blutig excele.
13.00 Uhr. Mittagspause. Mir klappern die Zähne vor Anstrengung. Spreche mit der Kollegin mit dem kranken Kind ab, wer von uns beiden am kommenden Freitagabend, Samstag und Sonntag wann arbeitet.
15.07 Uhr. Stehe am S-Bahnhof und hole mein Buch aus der Tasche. Es passt genau für so eine Stresswoche, nicht anspruchsvoll, mit einer Protagonistin, der es richtig, richtig schlecht geht und einem Mann, von dem man ziemlich schnell ahnt, dass er derjenige sein wird, der beim Happyend ihre Hand hält. 20 Minuten Eskapismus in der S-Bahn.
15.40 Uhr. Schnell in den Supermarkt. Brot; Walnüsse, die haben die Kinder sich gewünscht; Lieblings-Schokokekse und Lieblings-Mini-Schokoriegel. Habe mit meinen Kindern vereinbart, dass sie einmal in der Woche auch was Süßes in ihren Dosen haben dürfen.
15.55 Uhr. Der Sechsjährige kommt aus dem Klassenzimmer und umarmt mich. Schnell geht das bei ihm auch nachmittags nicht mit dem Anziehen. Auf dem Schulhof gebe ich meinen Schlüsselbund dem Zehnjährigen, damit der mit dem Rad schon vorfahren kann; dann ziehe ich den erschöpften Sechsjährigen an meiner Hand hinter mir her nach Hause, ein paar Straßen weit plauschend neben einer Mit-Mama und die ganze Zeit unter diesem leuchtend blaugrauen Novemberhimmel, der so garnicht zu der müden herbstbraunen Stadt passt, sondern aus einer ganz anderen Welt ausgeschnitten und mit dieser hier zu einer Collage zusammengeklebt worden zu sein scheint.
16.40 Uhr. Ich fülle die Trinkflaschen neu, packe das Sportzeug ein, versuche Zahnarzttermine für uns alle zu vereinbaren, verabrede den Sechsjährigen für Freitagnachmittag mit dem Sohn der Freundin des Vaters meiner Kinder zum Spielen, verabrede mit dem Vater meiner Kinder, dass er am Samstagnachmittag die Kinder nimmt, damit ich arbeiten kann, trage den Plätzchenbacktermin mit unserer ehemaligen Nachbarin in den Kalender ein, bringe den Zehnjährigen dazu, seine Schularbeiten zu erledigen, wickle einen Strang Wolle zu einem Knäuel und trinke einen Kaffee.
17.25 Uhr. Wir sitzen im Bus zum Sportverein. Sehnsüchtig gucke ich aus dem Busfenster zur Schwimmhalle. In die Sauna möchte ich mal wieder, oh, wär das schön. Gehe im Kopf die nächste Woche durch. Dienstag vielleicht?
18.00 Uhr. Die Jungs turnen. Ich setze mich ins „Casino“ der Turnhalle und hole mein Strickzeug raus.
18.25 Uhr. Ich scheitere komplett an der Strickschrift für ein Lochmuster. Allein die Frage, ob es von links oben nach rechts unten oder von rechts unten nach links oben zu stricken ist, eröffnet zu viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen. Um die wartenden Kinderturneltern herum wird der triste Turnhallenaufenthaltsraum für eine Hochzeit geschmückt, es ist ein komisches Gefühl, in anderer Leute Hochzeitsvorbereitungen zu geraten. Ich versende ein paar Hilfe-ich-bin-so-allein-sms; Antworten summen ins Handy. Der liebste Freund ist auf dem Weg zur Lesebühne; die Besuchsfreundin konnte heute ihr Haus nicht verlassen, weil jemand das Schloss so sehr kaputtgemacht hatte, dass es von innen nicht mehr zu öffnen war. Abenteuer überall.
19.30 Uhr. Meine Söhne ziehen sich um, wir gehen zum Bus. Auf der Heimfahrt gucken sie hinten aus dem Busfenster und addieren blitzschnell die Ziffern aller Autokennzeichen, die sie sehen. Der Sechsjährige kommt auf eine Zahl weit über Tausend, bevor wir zu Hause sind.
20.15 Uhr. Wir essen zu Abend. Der Zehnjährige und der Sechsjährige leeren die ganze Tüte Walnüsse und versuchen – inspiriert von der Sendung mit der Maus – Walnussöl aus den Stückchen zu pressen. Der Sechsjährige macht ein großes Gezeter, weil er beim Tischabräumen mit seinem Bruder den Brotteller der Tischhälfte findet, für die er zuständig ist. Brot wegzuräumen findet er einfach zu mühsam, wegen der Tüte. Ich wasche ab und hätte furchtbar gern ein zweites Paar Arme und Hände, um mir die Ohren zuzuhalten.
20.35 Uhr. Der Sechsjährige liegt im Bett, wir versöhnen uns. Ich war aber auch eine ganz schöne Nörgel- und Schimpfmama eben, sage ich, um mich zu entschuldigen; und ich, sagt der Sechsjährige, war ein ganz schönes Nörgel- und Schimpfkind. Wir sind halt verwandt, sage ich – und wir kichern und umarmen uns und vergessen den Streit.
20.55 Uhr. Der Zehnjährige liegt im Bett und wir reimen Unsinn, eine wilde Ballade mit Made, schade, Gnade, Marmelade – der Zehnjährige steuert noch Brigade und Barrikade bei, gerade fällt uns noch ein und, ach ja: malade. Endlich erzählt er ein bisschen von der Schule, also bleibe ich einen Moment bei ihm stehen, obwohl es so spät ist. Bleib hier, Mama, sagt mein großer Sohn, schlaf doch hier! – Morgen, nehmen wir uns ganz fest vor, legen wir die Matratze des Sechsjährigen mit dem Hausstaubmilbenbezug vor die große Kuschelmatratze im Zimmer des Zehnjährigen und schlafen alle drei nebeneinander, das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht. Na hoffentlich muss ich morgen abend nicht mehr zu lange arbeiten, denke ich… aber irgendwie wird das schon gehen.
21.15 Uhr. Schmutzige Wäsche, volle Mülleimer, ungeöffnete Post ignorieren. Schnell Haare waschen. Ins Bett kuscheln, Rechner an. Gebloggt habe ich auch schon viel zu lange nicht mehr.