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Rezeptkategorie: Kühle Mischungen

Ausgangsbasis für unser heutiges Rezept ist eine einfache Januarwoche (ca. 700-900gr).

Braten sie drei nicht verschiebbare Abgabetermine im Büro mit einer Nierenentzündung und einer Packung Antibiotika scharf an; lassen Sie fünf Tagesportionen Büroarbeit auf kleiner Flamme auf die Hälfte einkochen, fügen Sie dem Konzentrat drei halbe Tage Bettruhe hinzu und rühren Sie alles zusammen unter Ihre Januarwoche.

Schlagen Sie einen 8. Kindergeburtstag zusammen mit zwei Backmischungen für Brownies und 30 Eierlikör-Becherküchlein schaumig und heben Sie die Masse vorsichtig unter den Wochenteig. Lassen Sie unter ständigem Rühren 8 Esslöffel Organisationskram für die Kinderparty am Wochenende hineinfließen.

Als knackige Einlage fügen Sie einen kleinen Streik der Schul-Erzieherinnen, eine Zeugnisausgabe mit Schulschluss um 11.10 sowie einen erkältungskranken Elfjährigen und einen allerallerletzen Tag der offenen Tür an einem allerallerletzen Gymnasium hinzu – in nicht mundgerechten Stücken.

Geben Sie nun so viel Hilfe von der ganz großen Schwester (die – wie gut! – gerade zu Gast ist) in die Mischung, bis alles zusammen genießbar wird, und würzen Sie mit reichlich Erleichterung und Dankbarkeit.

Kühlen Sie die Wochensuppe auf ungefähr Null Grad, richten Sie sie auf Tellern an und garnieren Sie großzügig mit hustenden, fiebrig dreinblickenden Klassenkameraden und Wartezeiten an der S-Bahn wegen Notarzt- und Polizeieinsätzen.

Guten Appetit!

Dazu passt ein süßer Nachtisch, den Sie ganz einfach aus folgenden Zutaten mischen können: Ein Geburtstagsständchen um 5.30 im Bad; ein fröhliches Geburtstagsfrühstück mit Kerzen und lauter Dingen, die der jetzt Achtjährige gerne isst; freudiges Staunen beim Geschenke-Auspacken; ein lustiges Geburtstagsspiel mit Eletro-Kakerlake; 650 neue Lego-Kleinst-Teilchen; eine dunkelrote Rose; eine trotz Grippewelle wirklich freundliche Sprechstundenhilfe; ein paar faule Sofaabende mit der ganz großen Schwester; etwas Kaffee-Likör und reichlich Knusperkeks-Schokolade.

Auf gepacktem Koffer

Die Woche ist – wie die meisten kinderlosen grad – arbeitsam.
Im Büro wird es immer sehr schnell fünf, länger mag ich nicht mit Teilzeitgehalt, das muss Ausnahme bleiben. Die Telefonkonferenzendichte steigt weiter, die Bürokollegin, mit der ich inzwischen so gerne zusammensitze, ist krank; wenn sie wiederkommt, muss sie umziehen, das ist schade. Ihre Lebendigkeit wird mir fehlen, wenn da gegenüber demnächst ein schweigsamer Mann sitzt, mit dem über Kindererzieung, Liebesdinge, Gottunddiewelt und den täglichen Alltagsfrust nicht gut reden ist.

Nach der Arbeit muss dies und das besorgt werden; Kleidung für den Elfjährigen und ein Geschenk, dass er seinem Vater zu seinem Geburtstag geben kann; auch ein Geschenk für einen Kindergeburtstag (einen IKEA-Gutschein wünscht der Knabe sich, nun gut, also passendes blaues Papier her und ein gelbes Bändchen, und ein kleines Spiel, damit es nicht zu schnöde wird). Das Chaos der letzten Kinderwoche muss beseitigt, die nächste schon mal bedacht werden; wenigstens den Wocheneneinkauf will ich schon machen, das erste von vielen Frühlings-Reisewochenenden steht vor der Tür.

Bei alledem habe ich ein großes Bedürfnis nach Stille. Mache die Bürotür zu und sperre das Gelächter nebenan aus; wende in der S-Bahn den Kopf ab und starre aus dem Fenster, die Leute riechen diese Woche alle so schlecht, nach Schweiß und Bier, Knoblauch und Verdauung, und sie sind viel zu laut. Es ist schön, abends endlich an meiner S-Bahn-Station auszusteigen. Hier ist es viel stiller. Ein Auto entfernt sich, die S-Bahn fährt ab. Schritte auf dem Bürgersteig, jemand hustet aus einem geöffneten Fenster, ein Vogel singt.

Weil der liebste Freund mit erzählt hat, dass die Erde ins Trudeln gerät, wenn die Polkappen abschmelzen, träume ich in der Nacht von einem starken Erdbeben, das mich in einem Urlaub – Jugendherberge mit DDR-Einrichtung – überfällt. Der ganze Berg steht hinterher schief, zu steil, um noch hinaufzusteigen. Ich räume brav den umherliegenden Müll weg und wache erst dann auf.

Und am Wochenende fahren wir ans Meer, der liebste Freund und ich.
Da war ich noch nie im Frühling.
Da waren wir noch nie gemeinsam.

Ich melde mich von meinem Freitag-Nachmittags-Call ab, stecke die dicken Wintersachen ein und den Badeanzug und ein Buch und Schokolade, bitte die Erde, noch nicht an diesem Wochenende ins Trudeln zu kommen, gebe dem Elfjährigen Order, die frisch pikierten Tomatenpflänzchen zu gießen, bade ausgiebig, fülle den Kühlschrank mit Vorräten und kaufe eine Fahrkarte für die Verbindung mit – ach – gefühlten dreizehn Umstiegen. Bis ans Meer.

Engel

Manchmal ist eine Entscheidung so schwierig, dass sich in meinem Kopf alles verknäult. Da wird die Mutter-Kind-Kur genehmigt, anstandslos, große Freude – bloß in den Ferien dürfen wir nicht fahren, sondern erst hinterher, weil andere Mütter schneller waren als ich und schon alle, alle Kurplätze im Juli belegt haben, was ein mehrfaches Problem ist, weil ich dann in den Ferien keinen Urlaub sparen kann, weil die sechseinhalb Wochen ja trotzdem gefüllt werden müssen und die Hortverträge zu Ende Juli auslaufen und der Hort im August Urlaub macht und die Notbetreuung für die Kinder immer so schrecklich ist und der Vater der Kinder gerade wieder eine Stelle in Aussicht hat und dann keinen Urlaub bekommt, so dass die Kinder sowieso ganz viel in den Hort müssen, und außerdem bekomme ich einen neuen Chef, der vielleicht unangenehm berührt die Augenbrauen hochzieht, wenn ich im August zwei Wochen Urlaub mache und dann im September drei Wochen zur Kur gehe und außerdem verpasst der Elfjährige dann so viel Schule, wo es doch gerade um eines der entscheidenden Zeugnisse für den Übergang auf eine weiterführende Schule geht und dann kommt er wieder und alles stürzt in doppeltem Tempo auf uns ein und außerdem werden wir doch am Ende der Ferien so erholt sein wie sonst nie, weil wir ja gerade Sommerferien gehabt haben werden, müssen wir denn ausgerechnet dann zur Kur fahren?

Aber es wäre unser Lieblingskurort vom letzten Mal. Und es wäre so schön und warum sollen die Kinder nicht mal zehn Wochen Ferien haben, dann wären wir mal richtig gut erholt …

Und dann schreibt die Klassenlehrerin des Elfjährigen, die ich panisch um einen Termin gebeten habe, weil ich wissen will, ob wir in den Ferien schon die wichtigsten Themen gesagt bekommen können, die in der 6. Klasse in den Kernfächern in den ersten Wochen bearbeitet werden –

Dann schreibt sie mir einfach: „Ich freue mich für Sie und den Elfjährigen und sehe nur Positives darin“.

Und dann sieht alles plötzlich wieder einfacher aus.


 

Nachtrag: Jedenfalls bis die Dame beim Kurplätzezuordnungsservice mir erklärt, dass der Kurdurchgang, den sie mir immerhin am Vortag selber angeboten hat, erst nach Ablauf meiner Kurzusage beginnt und die Krankenkasse erst gefragt werden muss und vielleicht nein sagt und wir dann eine Alternative schon im Frühjahr finden müssen (oh nein… das passt da so schlecht… – Weitere Gedankenknoten ad libitum et cetera).

Vereinbarkeit

Juristin fragt uns Mütter nach unseren Erfahrungen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Von ihrer Frage und den dazu auf ihrer Seite veröffentlichten Texten habe auch ich mich anregen lassen.

Als Wechselmodellmama habe ich mit der Vereinbarkeit von Familienleben und Erwerbsarbeit weniger Probleme als eine Mutter, die mit ihren Kindern immer zusammenlebt – das ist mir sehr bewusst.
Dass meine zwei Söhne hälftig bei mir und hälftig bei ihrem Vater leben, ist nicht meine Idealvorstellung von Familie und bleibt emotional schwierig für alle. Trotzdem kommt das Wechselmodell zumindeste einer fairen Aufgabenteilung zwischen beiden Eltern relativ nahe (wie schwer dies innerhalb von Beziehungen zu leben ist, ist sehr bewegend hier beschrieben) und die kinderfreien Tage – zur Zeit jede zweite Woche von Dienstagmorgen bis Montagmorgen – ermöglichen mir vieles: Überstunden. Mehr Überstunden. Den liegengebliebenen Haushalt nachzuarbeiten. Arzttermine mit nur einem Kind. Teilnahme an Elternabenden ohne Betreuungsproblem. Freundschaften, die nicht im Kiez und/oder ohne Kinder stattfinden. Die Beziehung zum liebsten Freund, die wir im Wesentlichen als Anti-Alltag leben. Alleinzeit, die ich als introvertierter Mensch brauche. Diesen Blog zu schreiben. Und – wenn Kraft über ist – Dinge zu unternehmen, die ich anregend finde: Ausstellungen gucken, Slams hören, Kinobesuche…
Immer wieder einmal muss ich es mir bewusstmachen, dass mein Gefühl von „Alles kommt zu kurz“ auch ein Stück weit der Tatsache geschuldet ist, dass ich versuche, nicht nur mein Leben als „getrennt Erziehende“ mit zwei Kindern und meine Erwerbsarbeit zu vereinbaren, sondern zusätzlich auch noch den Anspruch habe, zwischendurch ein weiteres Leben zu führen, in dem ich am liebsten genau so viel unternehmen würde wie meine kinderlosen Freunde. Ja, dabei stoße ich an die Grenzen meiner Kraft.

Meine Kinder besuchen eine Ganztagsschule mit Anwesenheitspflicht von 8 bis 16 Uhr; meine vertragliche Arbeitszeit ist darauf exakt abgestimmt: Anderthalb Stunden Weg – sechs Stunden Arbeit – eine halbe Stunde Pause. Dazwischenkommen sollte in meinen Wochen mit Kindern also besser nichts, und die S- Bahn darf bitte auch nicht ausfallen. Es entstehen immer wieder „Unterstunden“ – zum Glück kann ich die ausgleichen, wenn die Kinder nicht bei mir sind.
Meine Arbeitsbedingungen als Angestellte eines großen Unternehmens tragen viel dazu bei, dass ich das mit Beruf und Kindern hinbekomme: Ich konnte nach den Geburten meiner Kinder relativ unkompliziert meinen Vertrag zunächst auf 20 Wochenstunden zurückfahren und später ebenso unkompliziert wieder auf 25 und dann 30 Stunden erhöhen. Ich kann mit dem Teilzeitgehalt auskommen. Ich habe die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, wenn meine Kinder krank sind oder die Schule aus dem einen oder anderen Grund Schließtage hat. Auch einen Teil der vielen Ferienwochen überbrücke ich inzwischen (und frage mich immer wieder, wir ich das bloß hinbekommen habe, als die Kinder dafür noch zu klein waren) mit halben Urlaubstagen, an denen ich von zu Hause aus drei Stunden arbeite und dann noch Zeit für Unternehmungen mit den Kindern habe. Das sind Bedingungen, für die ich dankbar bin – und bereit, gelegentlich Abend- oder Wochenendarbeit zu leisten, auch wenn ich die als extrem kräftezehrend empfinde. Ein Nachteil meiner derzeitigen Arbeit mit ihrer schönen Flexibilität ist allerdings, dass mein Unternehmen Teilzeitmüttern kaum Qualifikations- und Entwicklungsmöglichkeiten anbietet. Gerne und jederzeit, sagt der Vorgesetzte… wenn ich deutlich mehr Zeit in meinen Beruf, in Dienstreisen, Überstunden und regelmäßige Wochenendverfügbarkeit zu investieren bereit wäre.

Was die Vereinbarkeit für mich erschwert, ist jede Art von Störung: Eigene Krankheiten oder Krankheiten der Kinder, dringende Abgabetermine im Job, Arzttermine, Orgakram, Schul- und Vereinsveranstaltungen, ein geklautes Fahrrad oder andere „Alltagskatastrophen“, die das übliche Maß überschreiten. Ich empfinde das Grundschulater meiner Kinder in dieser Hinsicht als extrem anstrengend und herausfordernd – meistens kommen in den Wochen, in denen ich mit dem Siebenjährigne und dem Elfjährigen allein bin, so viele „Extras“ zusammen, dass ich nicht weiß, wie ich die ganz normalen Anforderungen des Alltags bewältigen würde, wenn ich nicht vieles in die Wochen verschieben könnte, in denen die Kinder nicht bei mir sind.

Ein weiterer Minuspunkt für mich ist mein eher dünnes „Unterstützungsnetz“ hier vor Ort. Weder der Vater meiner Kinder noch ich haben Familie in Berlin, so dass wir beide füreinander das wichtigste Backup bei der Betreuung der Kinder geblieben sind. Die Freundschaften, die wir in der Babyzeit unserer Söhne hier im Umfeld geschlossen haben, sind ausgedünnt, seit viele Familien aus dem Umfeld von Kita und Schule ins Berliner Umland verzogen sind. Für die, die geblieben sind, fürs Knüpfen neuer Kontakte und dafür, befreundeten Müttern selber mehr Unterstützung anbieten zu können, hätte ich gerne häufiger Zeit. Das Wechselmodell ist dafür keine besonders günstige Lebensform: Ich empfinde die Zeit mit meinen Kindern als so knapp, dass ich gerne viel davon auch wirklich mit den beiden verbringen möchte und wir erst dann Lust auf Verabredungen haben, wenn wir Zeit miteinander hatten – oft genug ist die gemeinsame Woche dann auch schon wieder vorbei. Und ich bin nur in jeder zweiten Woche in der Schule präsent – beim Austausch der Erstklässlereltern über dies und das, beim Kontakteknüpfen und Verabreden vor der Klassenraumtür um dreiviertel Vier.

Wenn mir also irgendwann der Vereinbarkeits-Wunschfee über den Weg läuft, werde ich mir folgendes erbitten: einen arbeitsfreien „Haushaltstag“ jeden Monat; eine oder zwei gut befreundete Familien und ein paar Verwandte direkt in unserer Straße oder gar im Haus – und von meinem Arbeitgeber Entwicklungsmöglichkeiten, für die ich meine Vertragsarbeitszeit so beibehalten kann, wie sie jetzt ist – wenigstens noch ein paar Jahre lang.

5. Februar

Was machst Du eigentlich den ganzen Tag? – das fragt Frau Brüllen auch an diesem 5. Februar. Nicht gerade irgendetwas spektakuläres, muss ich erwidern, füge aber zu meiner Verteidigung hinzu, dass die Woche mit einem 11. und einem 50. Geburtstag, einer Erhöhung des Krankenstandes in meiner vierköpfigen Abteilung von 25% auf 75% und nicht ganz ohne Zusammenhang dazu einsetzenden Magenkrämpen meinerseits keine wirklich entspannte war.

6.30. Mein Wecker klingelt. Mein Magen tut weh, das macht er schon seit drei Tagen; mein Kopf tut auch weh, das ist neu. Beim Aufstehen ist mir schwindelig, drei Tage Zwieback und Tee, das war reichlich nährstoffarm. Ich schlappe ins Bad.

6.45 Der Siebenjährige kommt aus seinem Zimmer und umarmt mich innig. Ich schleppe ihn zu meinem Bett und wir kuscheln noch fünf Minuten.
6.50 Der Elfjährige wird wach, kommt aus seinem Zimmer, legt kurz seine knochigen Arme um mich. Dann verschwinden meine Söhne in sein Zimmer und spielen mit dem Geburtstagslego.

7.15 Wir sitzen in der Küche und frühstücken. Hinter meinem Rücken schwanken die Stapel schmutzigen Geschirrs, die noch vom Geburtstag des Elfjährigen herumstehen. Auf meinem Brettchen liegt Zwieback. Ich streiche über meinen schmerzenden Bauch. Wir gucken die prächtig blühende Amaryllis auf dem Fensterbrett an und spekulieren, ob man von den Blüten Samen bekommen und daraus neue Amaryllisse züchten kann. Und wie macht man das eigentlich bei Hyazinthen? Und Tulpen?

8.00 Meine Söhne machen sich auf den Weg zu ihrem Vater. Ich lege mich noch zehn Minuten hin und gehe dann zur S-Bahn.

8.45 Arztpraxis. Lasse mir die letzte Vitamin-B-Spritze der dieswinterlichen Kur geben. Schwatze noch einen Moment mit der Sprechstundenhilfe, wir kennen uns inzwischen ganz gut.

9.05 Komme im Büro an. Keine Wunderheilungen, der Krankenstand liegt auch heute bei drei von vier Teammitgliedern. Nummer vier bin ich, es wäre einfach unoriginell, jetzt auch krank zu werden. Und immerhin kann ich ja sitzen. Meine Büronachbarin spendiert mir Fenchelteebeutel.

12.50 Kurze Mittagspause. Lasse mir im Betriebsrestaurant Kartoffeln und Möhren geben. Nicht so lecker.

14.00 Immernoch Kopfschmerzen. Immernoch Magenschmerzen. Gebe auf. Schreibe dem Chef dass ich heimfahre und meinen Magen auskuriere. Fahre nach Hause und falle ins Bett.

15.45 Wache auf. Etwas besser. Fange an, in der Küche Müll einzusammeln.

16.00 Die Patchworkmama, die mal neben mir gewohnt hat und inzwischen in der Kölner Gegend weiterpatchworkt, ruft mich an. Sie ist auf Berlinbesuch, und eigentlich sollte sie den Siebenjährigen, der ihr Patenkind ist, bei seinem Papa treffen, aber der geht nicht an sein Telefon. Also kommen sie zu mir – die Patchworkmama mit dem neuesten Patchworkbaby im Bauch, der Patchworkmann und mein Patenmädchen. Ich setze Kaffee für die Gäste auf. Zum Glück gibt es noch einen Rest Schokoladenkuchen vom Geburtstag des Elfjährigen.

16.15 Der Vater meiner Kinder ruft an und ist sauer, weil die Patchworkmama jetzt zu mir gekommen ist und nicht zu ihm. Ich muss ein bisschen diskutieren, bis der Siebenjährige rüberkommen darf.

16.20 Wir sitzen zusammen, trinken Kaffee/Kamillentee/Wasser, die Großen schwatzen, die Kinder machen Bilder mit den Pustestiften.

17.30 Der Vater meiner Kinder ruft an und fragt, wann der Siebenjährige endlich zurückkommt. Ich scheuche mein armes Kind auf – hinterher denke ich, dass fünf Minuten mehr ja wohl auch kein Problem gewesen wären. Mein Sohn lässt sein angefangenes Geburtstagsspiel stehen und verabschiedet sich.

17.35 Mein Patenmädchen möchte noch ein Brot essen, plötzlich stehen doch alle in meiner gruselig schmutzigen Küche zwischen den Geschirrbergen, die inzwischen auf sämtliche Flächen übergewachsen sind. Brot, Streichkäse und Gurke gibt es zum Glück noch, auch ein sauberes Brettchen. Dann verabschieden sich die Gäste.

17.45 Ich mache mich über Teil eins des Riesenabwaschs her. Im Radio läuft eine türkische Radiosendung, die ich nicht verstehe, das ist manchmal ganz entspannend.

18.45 Ich stelle eine Teetasse an mein Bett und lege mich hin. Krimi an, Kopf aus. Der tut leider immernoch so weh, dass ich später – wegen meinem Magen geht ja keine Tablette – eins der Schmerz- und Fieberzäpfchen der Kinder nehmen muss.

21.00 Licht aus. Ende der unrühmlichen Vorstellung.

 

 

 

Times of Trubel

Die Ereignisdichte erreicht auf einer Skala von Eins bis Zehn bedenkliche Achtkommasieben.

Beträchtliche Teile meiner Verwandschaft haben ihre 50. Geburtstage in die ersten beiden Monate diesen Jahres gelegt, so dass ich mit einem Bein eigentlich immer in einem Zug von oder nach Thüringen stecke. Zudem haben meine Eltern den Umzug in ihre neue, altersgerechte Wohnung auf Anfang März terminiert – und ich würde mich schämen, so garnicht zu helfen, weil doch aussortiert und verkleinert werden muss; weil doch die Kräfte meines Vaters und die Menge der in seinem Arbeitszimmer lagernden Bücher, Dokumente und, ähm, Dinge in einem schlechten Verhältnis zueinander stehen.

Hier in Berlin unterdessen werden meine Kinder beide ein Jahr älter, gefühlte Myriaden an Becherküchlein müssen gebacken, glasiert und verzehrt werden; Wunschfrühstücke sind auszurichten, Geschenke rechtzeitig aus abgelegenen Paketshops abzuholen, beim Hochseilgarten muss noch Essen bestellt und das Zeitbudget der Paten des Zehnjährigen mit unseren Feierplänen abgestimmt werden.

Im Büro werden wichtige Termine inzwischen regelmäßig in der Nacht vorher vorbereitet, eher kommen die großen Chefs nicht dazu, ihre Vorstellungen von dem, was überhaupt vorbereitet werden soll, weiterzugeben. In einer Telefonkonferenz am Freitagnachmittag müssen allerhand Kollegen von nah und fern einem Zeitplan zustimmen, der ab März gelten soll und – knapp zusammengefasst – für fast alle jeden Monat doppelt so viel Arbeit in halb so viel Zeit bedeuten wird. „Anyone who is uncomfortable with this should speak up now“, sagt der Organisator, aber offensichtlich sind wir hier bei „Des Kaisers neue Kleider,“ niemand möchte für faul und inkompetent gehalten werden. Der einzige, der aus seiner gesicherten Chefposition heraus einzuwenden wagt, dass der neue Zeitplan „challenging“ ist, wird auch sofort fernmündlich genasenstübert.
Dass in unserem vierköpfigen Team schon seit Jahresanfang eine Vollzeitkraft überarbeitungskrank ausfällt und vertreten werden muss, macht meine Schlaflosigkeit und meine Angst vor den nächsten Erwerbsarbeitsmonaten auch nicht gerade besser.

Umso verbissener verbringe ich selber jede freie Minute in Arztpraxen; lasse mir morgens auf dem Weg zur Arbeit meine allwinterliche Dosis an Vitamin B spritzen; strecke nachmittags meiner Hausärztin und diversen Kinderspezialisten flehend Mutterkindkur-Anträge entgegen, vielleicht argumentiert ja irgendwer so überzeugend, dass sie eine Ausnahme von dieser Vierjahresregel machen.

Ich könnte das brauchen.

 

 

All das geschieht

Genau an dem Tag, an dem die Attentate in Paris stattfinden, habe ich dem Vater meiner Kinder zögernd erlaubt, den Zehnjährigen zum ersten Mal nicht nur allein zu seiner Therapiestunde fahren, sondern auch allein zurückkommen lassen, durch diesen finsteren Herbstabend und mit Umsteigen an einem der ganz hektischen, meistens gedrängt vollen Bahnkreuze in Berlin.

Erschrecken, Trauer, hilfloser Zorn. Egoistische Ängste, um mich und meine Kinder: Wird Berlin von so etwas verschont bleiben? Oder müssen wir zukünftig unser Urvertrauen in diese herrliche Sicherheit aufgeben, mit der wir uns in unseren Städten bewegen? Plötzlich wird mir klar, wie kostbar das ist: einfach rausgehen können, überallhin in der Stadt, fast überall und fast jederzeit angstfrei; meinen Kindern einen zunehmend größeren Freiraum in Berlin lassen zu können.


 

Ansonsten: auf eine Woche ohne meine Kinder (in der ich arbeite; mich mit der feministischen Kritik am Konzept der Selbstfürsorge beschäftige, endlich mal wieder in die Sauna komme, dem Sechsjährigen einen Schrank mit Türen und viele, viele Deckelkisten für sein Spielzeug bestelle, zum Kurzfilmfestival „Interfilm“ gehe, endlich das hochkomplexe Lochstrickmuster bezwinge und darüber so stolz bin, als hätte ich den Stein von Rosette entziffert und in der ich einen ganzen herrlich erholsamen Sonntag lang einfach nur allein in der Wohnung herumbröddele) folgt eine Woche mit meinen Kindern, der Sechsjährige, erfahre ich am Montagmittag von seinem Vater, ist mit Angina krankgeschrieben – also eine Woche zu Hause.

Und das mit dem Zuhausebleiben-Müssen-Dürfen finde ich eigentlich richtig gut. Wann verbringe ich schon mal so viel Zeit mit einem meiner Kinder? Sobald es dem Sechsjährigen (dank Antibiotikum dauert das nicht lange) besser geht, verwandeln wir die Wohnung in eine chaotische Kreativwerkstatt, bemalen Geschenktütchen, falten Origamisterne (der Zehnjährige bringt sich die mehrdimensionalen einfach so nach Anleitung bei und danach mir), basteln endlich – ein jahrelang gehegter Plan – einen Einzelsocken-Adventskalender aus den schönsten Socken meiner umfangreichen Einzelsockensammlung und backen die ersten Plätzchen.

Aber das ist nur die eine Seite dieser Krankheitswoche.

Denn seit der Sechsjährige in der Lage ist, sich auch mal zwei Stunden am Stück selbst zu beschäftigen, ist das mit den Krankschreibungen im Kinderkrankenfall nicht mehr so einfach. Mein Chef findet es total ungünstig, dass ich mitten in dieser besonders arbeitsintensiven Zeit vier Tage lang zu Hause zu bleiben gedenke. Aber es gibt ja VPN… und so verbringe ich die Zeit damit, zwischen meinem Kind und unseren Kreativprojekten und meinem Rechner mit dem vollen Posteingang hin- und herzuspringen. Morgens zwei Stunden Arbeit oder ein bisschen mehr – dann eine Runde raus an die Luft. Einkaufen. Essen machen. Zwanzig Minuten schlafen, soviel Luxus muss sein. Kaffee kochen. Nochmal zwei Stunden arbeiten, bis der Zehnjährige nach Hause kommt. Auch abends gibt es dringende Arbeit, die überlasse ich größtenteils meiner Kollegin, dafür habe ich meinem Chef den Samstag versprochen. Weil das sonst schon wieder meine Kollegin – ja, die mit dem Baby – übernehmen würde. Weil das die Dinge sind, an die sich der Chef erinnert. Und weil ich im Alltag die Flexibilität gut brauchen kann, die mir die Wochenendarbeitstage geben: mal später zu kommen, mal früher zu gehen. Am Samstag gehen meine Kinder also außer der Reihe zu ihrem Vater, und ich habe den Rechner an und zu tun, wann immer eine Mail in den Posteingang ploppt; von zehn bis neunzehn Uhr, dann kommen die Kinder wieder, und dann nochmal von neun bis halb elf.

Seltsam, das. Durch die Arbeitswoche zu Hause gewöhne ich mich daran, zu allen möglichen Zeiten am Rechner zu sein, wann immer es eben gerade passt. Die räumliche Trennung von Arbeit und Privatleben fällt beim Homeoffice ja sowieso weg; eine zeitliche lässt sich auch kaum noch aufrechterhalten. Der lange Samstag ist zudem garnicht so schlimm, ich habe mir nichts sonst vorgenommen und komme zum Aufräumen und Wäschewaschen und Stricken, wenn grade nichts zu tun ist. Und ein gutes Gefühl macht das: Gebraucht zu werden. Ein Lob vom Chef einzuheimsen.

Es könnte ganz schnell gehen, glaube ich, diese ständige Verfügbarkeit kann man sich angewöhnen. Viele arbeiten doch so, bis spät am Abend, jeden Tag, im Urlaub, überall. Wenn ich die schicken Wohnblocks sehe, die in Berlin grade in jeder Baulücke hochgezogen werden, dann frage ich mich, ob das der Weg wäre, eine von denen zu kriegen, ganz alleine über die Jahre all die Euros dafür zu verdienen, 3.200 wollen sie pro Quadratmeter in meinem unszenigen Kiez, das weiß ich, weil ich in einem Anfall von Übermut in einen dieser Showrooms gegangen bin und gefragt habe, alle machen das schließlich grade mit dem Wohneigentum – und fassungslos kehrtgemacht habe.

Aber selbst wenn: So kann ich einfach nicht leben. Will ich nicht leben.

Meine Kinder kommen an meinem langen Arbeitssamstag total angespannt von ihrem Vater zurück. Der Tag fehlt unserer gemeinsamen Woche, ausgerechnet der, an dem keiner irgendwohin muss, an dem die Kinder machen können, worauf sie gerade Lust haben, an dem ich ein offenes Ohr habe, an dem Zeit für alles mögliche ist.

Und wann käme ich noch richtig „bei mir selbst“ an, wenn ich häufiger am Abend arbeiten würde, in den zwei Stunden, die mir gehören? An den zwei, drei Tagen in meiner Woche ohne Kinder, an denen ich mir etwas vornehmen kann? Bin ich einfach nur zu wenig „committed“, wie das im Jobsprech heißt, mit meinem Bedürfnis, Zeit für mich und die Kinder und all den Familienkram zu haben – oder war da was dran, Arbeit und Privatleben zu trennen, im Büro nicht an die Kinder denken zu müssen und zu Hause nicht an die unerledigten Aufgaben im Posteingang? Wenn ich Flexibilität einerseits praktisch finde und häufig genug brauche – wie viel bin ich dann andererseits bereit, dafür zu geben? Wenn die Chefs sich daran erinnern, dass ich schon dann und wann bereit war, außer der Reihe zu arbeiten – wie schnell werden sie es für selbstverständlich halten, wo werde ich die Grenze ziehen, was ist der richtige Kompromiss?

Gut, dass mein unzuverlässiges Smartfon mir die sms-Anfrage, die mein Chef am frühen Sonntagabend sendet, erst ein paar Stunden verspätet zustellt, als er schon aufgegeben und die Aufgabe – siehe da – selbst erledigt hat. Nein-Sagen ist nämlich ganz schön schwer.

So’n Tag eben

„Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“ – so fragt Frau Brüllen. Ja, was eigentlich?

Um 5.45 klingelt der Wecker. Ich schalte das Licht an und brauche ein paar Minuten, bis ich mich aufraffe und ins Bad gehe. Die Kinder schlafen noch, also habe ich Ruhe. Anziehen, Frühstücksdosen füllen, Frühstück machen. Meine Kinder haben sich beschwert, dass sie nie Süßigkeiten in ihren Brotdosen haben. Stimmt. Ich schnippele dafür leidenschaftlich Obst und Gemüse, weil ich finde, das trockene Stullen einfach nicht schmecken. Der Zehnjährige behauptet, dass er deswegen inzwischen in seiner Klasse den Spitznamen „Kaninchen“ trägt.

6.30 Uhr. Frühstück ist fast fertig, der Zehnjährige kommt aus seinem Zimmer geschlappt, umarmt mich kurz mit seinen langen, sperrigen Armen und schlappt wieder zurück, um sich zwischen seine Fußballkarten zu hocken und irgendein imaginäres Turnier auszutragen. Deutschlandfunk bringt die neuesten Nachrichten über die allgegenwärtige politische Ratlosigkeit angesichts der vielen, vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Ich gehe zum Hochbett des Sechsjährigen, schaue einen kurzen Glücksmoment lang mein schlafendes kleines großes Kind an – so friedlich, so wunderbar – und kuschele es wach.

7.05 Uhr. Wir stehen vom Frühstücksstisch auf, die Kinder ziehen sich an, putzen Zähne und packen ihre Brotdosen und Trinkflaschen ein, damit wir gemeinsam und rechtzeitig losgehen können. So jedenfalls der Plan. In Wirklichkeit läuft der Zehnjährige um 7.25 Uhr mit einem Küchenmesser in der Hand die Treppe runter, um das Eis von seinem Fahrradsattel zu kratzen, während der Sechsjährige noch nicht mal richtig angezogen ist.

7.35 Uhr. Heute nacht war gar kein Frost, wie dumm, gerade heute hat der Sechsjährige endlich daran gedacht, sich eine lange Unterhose anzuziehen. Ich stecke das unbenutzte Küchenmesser in meine Handtasche, damit der Zehnjährige in der Schule keine Probleme bekommt, verabschiede mein großes Kind und gehe mit dem Sechsjährigen zur Schule.

8.08 Uhr. Ich bin pünktlich am S-Bahnhof, um die durchgehende Bahn zu kriegen. Prima. Ich hole mein Buch aus der Tasche, Jojo Moyes „Ein ganz neues Leben“; ein Auge liest, das andere hält nach einem freiwerdenden Sitzplatz Ausschau. Nach drei Stationen gibt es einen. Wunderbar.

8.40 Uhr. Büro. Gefühlte 75% meiner jährlichen Arbeit fallen zwischen Oktober und April an, gefühlte 15%  ausgerechnet in dieser Woche. Ich gehe panisch die 30 neuen Mails durch, die meinen Posteingang fluten, nicke viel zu zerstreut zu dem, was meine Büro-Kollegin von ihrem neuen Freund erzählt, die andere Kollegin hat ein krankes Kind, aber zum Glück auch eine Nanny, die einspringen kann, so dass sie zu Hause am Rechner sitzt und im Laufe des Tages eine Milliarde Powerpoint-Seiten erstellt, während ich mir die Finger blutig excele.

13.00 Uhr. Mittagspause. Mir klappern die Zähne vor Anstrengung. Spreche mit der Kollegin mit dem kranken Kind ab, wer von uns beiden am kommenden Freitagabend, Samstag und Sonntag wann arbeitet.

15.07 Uhr. Stehe am S-Bahnhof und hole mein Buch aus der Tasche. Es passt genau für so eine Stresswoche, nicht anspruchsvoll, mit einer Protagonistin, der es richtig, richtig schlecht geht und einem Mann, von dem man ziemlich schnell ahnt, dass er derjenige sein wird, der beim Happyend ihre Hand hält. 20 Minuten Eskapismus in der S-Bahn.

15.40 Uhr. Schnell in den Supermarkt. Brot; Walnüsse, die haben die Kinder sich gewünscht; Lieblings-Schokokekse und Lieblings-Mini-Schokoriegel. Habe mit meinen Kindern vereinbart, dass sie einmal in der Woche auch was Süßes in ihren Dosen haben dürfen.

15.55 Uhr. Der Sechsjährige kommt aus dem Klassenzimmer und umarmt mich. Schnell geht das bei ihm auch nachmittags nicht mit dem Anziehen. Auf dem Schulhof gebe ich meinen Schlüsselbund dem Zehnjährigen, damit der mit dem Rad schon vorfahren kann; dann ziehe ich den erschöpften Sechsjährigen an meiner Hand hinter mir her nach Hause, ein paar Straßen weit plauschend neben einer Mit-Mama und die ganze Zeit unter diesem leuchtend blaugrauen Novemberhimmel, der so garnicht zu der müden herbstbraunen Stadt passt, sondern aus einer ganz anderen Welt ausgeschnitten und mit dieser hier zu einer Collage zusammengeklebt worden zu sein scheint.

16.40 Uhr. Ich fülle die Trinkflaschen neu, packe das Sportzeug ein, versuche Zahnarzttermine für uns alle zu vereinbaren, verabrede den Sechsjährigen für Freitagnachmittag mit dem Sohn der Freundin des Vaters meiner Kinder zum Spielen, verabrede mit dem Vater meiner Kinder, dass er am Samstagnachmittag die Kinder nimmt, damit ich arbeiten kann, trage den Plätzchenbacktermin mit unserer ehemaligen Nachbarin in den Kalender ein, bringe den Zehnjährigen dazu, seine Schularbeiten zu erledigen, wickle einen Strang Wolle zu einem Knäuel und trinke einen Kaffee.

17.25 Uhr. Wir sitzen im Bus zum Sportverein. Sehnsüchtig gucke ich aus dem Busfenster zur Schwimmhalle. In die Sauna möchte ich mal wieder, oh, wär das schön. Gehe im Kopf die nächste Woche durch. Dienstag vielleicht?

18.00 Uhr. Die Jungs turnen. Ich setze mich ins „Casino“ der Turnhalle und hole mein Strickzeug raus.

18.25 Uhr. Ich scheitere komplett an der Strickschrift für ein Lochmuster. Allein die Frage, ob es von links oben nach rechts unten oder von rechts unten nach links oben zu stricken ist, eröffnet zu viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen. Um die wartenden Kinderturneltern herum wird der triste Turnhallenaufenthaltsraum für eine Hochzeit geschmückt, es ist ein komisches Gefühl, in anderer Leute Hochzeitsvorbereitungen zu geraten. Ich versende ein paar Hilfe-ich-bin-so-allein-sms; Antworten summen ins Handy. Der liebste Freund ist auf dem Weg zur Lesebühne; die Besuchsfreundin konnte heute ihr Haus nicht verlassen, weil jemand das Schloss so sehr kaputtgemacht hatte, dass es von innen nicht mehr zu öffnen war. Abenteuer überall.

19.30 Uhr. Meine Söhne ziehen sich um, wir gehen zum Bus. Auf der Heimfahrt gucken sie hinten aus dem Busfenster und addieren blitzschnell die Ziffern aller Autokennzeichen, die sie sehen. Der Sechsjährige kommt auf eine Zahl weit über Tausend, bevor wir zu Hause sind.

20.15 Uhr. Wir essen zu Abend. Der Zehnjährige und der Sechsjährige leeren die ganze Tüte Walnüsse und versuchen – inspiriert von der Sendung mit der Maus – Walnussöl aus den Stückchen zu pressen. Der Sechsjährige macht ein großes Gezeter, weil er beim Tischabräumen mit seinem Bruder den Brotteller der Tischhälfte findet, für die er zuständig ist. Brot wegzuräumen findet er einfach zu mühsam, wegen der Tüte. Ich wasche ab und hätte furchtbar gern ein zweites Paar Arme und Hände, um mir die Ohren zuzuhalten.

20.35 Uhr. Der Sechsjährige liegt im Bett, wir versöhnen uns. Ich war aber auch eine ganz schöne Nörgel- und Schimpfmama eben, sage ich, um mich zu entschuldigen; und ich, sagt der Sechsjährige, war ein ganz schönes Nörgel- und Schimpfkind. Wir sind halt verwandt, sage ich – und wir kichern und umarmen uns und vergessen den Streit.

20.55 Uhr. Der Zehnjährige liegt im Bett und wir reimen Unsinn, eine wilde Ballade mit Made, schade, Gnade, Marmelade – der Zehnjährige steuert noch Brigade und Barrikade bei, gerade fällt uns noch ein und, ach ja: malade. Endlich erzählt er ein bisschen von der Schule, also bleibe ich einen Moment bei ihm stehen, obwohl es so spät ist. Bleib hier, Mama, sagt mein großer Sohn, schlaf doch hier! – Morgen, nehmen wir uns ganz fest vor, legen wir die Matratze des Sechsjährigen mit dem Hausstaubmilbenbezug vor die große Kuschelmatratze im Zimmer des Zehnjährigen und schlafen alle drei nebeneinander, das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht. Na hoffentlich muss ich morgen abend nicht mehr zu lange arbeiten, denke ich… aber irgendwie wird das schon gehen.

21.15 Uhr. Schmutzige Wäsche, volle Mülleimer, ungeöffnete Post ignorieren. Schnell Haare waschen. Ins Bett kuscheln, Rechner an. Gebloggt habe ich auch schon viel zu lange nicht mehr.

Aufgabenzettelchen

Dass mein Arbeitgeber mir ermöglicht, auch ab und zu von zu Hause zu arbeiten, ist ein glücklicher Umstand – und einer der Gründe, warum ich von Jobwechselgedanken immer wieder abkomme. Zwei der vielen langen Sommerferienwochen – eine im August und dann nochmal die erste Septemberwoche – verbringe ich also zu Hause und habe zusätzlich halbe Urlaubstage genommen, um Zeit für meine Kinder zu haben.

Diese Halbzeit-Ferienbetreuung probiere ich zum ersten Mal aus, und daraus wird eine ganz entspannte Woche nach unserem Urlaub am Meer. Ach, könnten wir doch immer so leben!
Ich spare die langen Fahrtwege.
Ich verpasse den Schienenersatzverkehr und die 30 Grad, die bei Sommertemperaturen im Büro unvermeidlich herrschen, weil niemand da ist, der nachts durchlüftet.
Ich gehe morgens mit den Kindern auf den Spielplatz und sitze mittags eine überschaubare Zahl an Stunden am Rechner, abends wird gespielt und vorgelesen.

Und ich habe eine Idee, die sich als genial heraustellt: Vor dem Frühstück überlege ich mir, was heute im Haushalt zu tun ist – und dann schreibe ich Aufgabenkärtchen für meine Kinder, jeden Tag sechs Stück.
Einmal Abwaschen. Einmal Abtrocknen. Einmal Einkaufen. Wäsche aufhängen. Tisch decken und abräumen. Nudeln kochen und Soße warmmachen. Glas zum Container bringen. Müll runterschaffen. Küche fegen und wischen. Eine halbe Stunde Hilfe beim Wäschelegen… Für jede erfüllte Aufgabe dürfen die beiden sich für den Abend ein kleines Spiel wünschen – oder auch mal entscheiden, welche Naschtüte aufgemacht werden soll.
Und das funktioniert so gut, dass ich am Ende der Woche ganz fassungslos vor Freude bin.

Eigentlich sind meine Söhne nämlich faul. An vereinbarte regelmäßige Pflichten muss ich ständig erinnern. Bitten um Hilfe werden schon mal mit einem coolen „Keine Lust“ kommentiert, was unweigerlich Streit nach sich zieht. Denn ich mag nicht mehr alle Hausarbeiten allein machen!

Aber als da letzte Woche die Aufgabenkärtchen lagen, was alles anders. Schon beim Frühstück nahm der Zehnjährige sich die Kärtchen vor und entschied mit seinem Bruder gemeinsam, wer welche Aufgabe erledigen würde und welche sie sich teilen wollten. Die meisten Arbeiten haben die beiden dann ganz oder fast ohne Hilfe, mit nur wenig Erinnern von meiner Seite und ohne Diskutieren und Streiten erledigt. Ich habe mich wirklich entlastet gefühlt – nicht zuletzt weil ich, statt mit hohem Energieverschleiß um die Erfüllung regelmäßiger Pflichten zu kämpfen, die an manchen Tagen garnicht notwendig gewesen wären, um Sachen bitten konnte, die ich gerade wichtig fand. Ich habe das, was für mich zu tun übrig blieb, sehr viel fröhlicher gemacht. Meine Söhne fanden es toll, dass ich mich bei ihnen bedankt und ihnen gesagt habe, dass das, was sie tun, eine echte Hilfe für mich ist. Und wenn mal ein Kärtchen für den nächsten Tag liegengeblieben ist, war das nicht so schlimm.

Außerdem gab es jede Menge Lerneffekte: Der Sechsjährige hat begriffen, wie man Socken zusammenlegt und festgestellt, dass er sehr, sehr gerne wischt. Ich weiß, dass ich ihm noch ein paarmal erklären muss, welche Mülltüte in welche Mülltonne kommt. Der Zehnjährige ist stolz, dass er ganz alleine ein Mittagessen auf den Tisch stellen kann – und ich habe gelernt, dass er mit Schmorgurken dann aber doch noch überfordert ist.

Und beide Kinder haben wohl ein bisschen besser verstanden, wie viel Arbeit ein Haushalt Tag für Tag macht. Am Ende der Woche platzte der Zehnjährige beim Abendessen jedenfalls ganz unvermittelt heraus: Mama, du machst so viel für uns! Danke!

Und das hat sich soooooo toll angefühlt.

Wertschätzung, dieser gute alte Zauber, der einfach immer wirkt.

Jetzt sind erst einmal Papawochen. Aber hinterher – wenn der Alltag wieder bei uns einzieht – möchte ich das mit den Aufgabenkärtchen weitermachen. Vielleicht müssen es dann „Wochenkärtchen“ werden, weil meine ganztagsbeschulten Kinder unter der Woche ja wenig unverplante, freie Zeit haben. Vielleicht erfordert es ein wenig Experimentieren, aber versuchen möchte ich es.
Denn dieses Wir-sind-eine-Familie-und-alle-helfen-mit-Gefühl möchte ich dann auch haben.

Rauch

Die S-Bahn streikt. Überfüllte U-Bahnen, die Leute tippen angestrengt in der Öffi-App auf ihren Smartphones herum, wer kein Smartphone in der Hand hat, glotzt seinem Nachbarn auf den Bildschirm.

Der „Helpling“, den ich mir bestellt habe, damit ich meine drei Krankschreibungstage tatsächlich zum Erholen nutze und nicht anfange, die verdreckte Wohnung zu putzen, storniert seinen Termin bei mir, ich sei nicht mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu erreichen.

Mein Chef am Telefon: So krank klingst Du garnicht! Kannst Du mal eben dies und das –

Abends beutelt mich der Husten dann wieder, die Ärztin hat Keuchhusten und Lungenentzündung und Allergie ausgeschlossen und mich dann mit einer Krankschreibung in der Hand aus dem Untersuchungszimmer geschoben. Schlafen Sie sich mal aus. Sowas kann ja auch von der Erschöpfung kommen.

Ja, ich bin erschöpft. Schrecke um fünf Uhr morgens mit Herzrasen hoch. Habe wenig Geduld mit den Kindern. Habe immer diese lange Liste im Kopf, dieses muss dringend und jenes müsste eigentlich auch. Das Runterkommen klappt nicht mehr, noch nicht mal die drei Tage zu Hause helfen. Sonst fange ich, sobald die Genesung von irgendwas einsetzt, sofort an, im Kopf Pläne zu schmieden und lange Listen mit Dingen zu schreiben, die ich unbedingt dringend sofort machen möchte – und die ich dann nie schaffe, höchstens halbherzig beginne. Aber immerhin.

Jetzt fühle ich mich, als ob ich sogar das Wünschen verlernt habe.

Er wäre da – irgendwo gleich hier, nur einen oder zwei Schritte entfernt, ich kann es spüren: der Raum, in dem ich irgendwas spannendes mit meinem Leben machen, in dem ich etwas gestalten könnte. Aber ich nutze ihn nicht, ich habe viel zu viel zu tun. Und wenn ich nichts zu tun habe, nehme ich mir schnell etwas vor, aus Angst vor der Leere.

Meine Kinder toben über den Nachbarhof und verschwinden mit ihrem Vater im Hinterhofeingang seiner Freundin. Glücklich sehen sie aus. Für die Tests üben, fehlende Schulmaterialien nachkaufen und den drohenden Kita-Streik mit meinen Arbeitszeiten zusammenbasteln – mein absehbares Programm mit den Kindern, sobald sie wieder zu mir kommen – ist so viel weniger schön.

Ich werde zu einer schrecklichen Gesprächspartnerin (und ihr Name war „maulende Myrte“…) für die Menschen, die mit mir reden.

Ich würde gerne fortgehen, irgendwo an einem Meer sitzen und in die Wellen starren und warten, bis ich mir nicht mehr wünsche, dass alles einfach aufhört. Aber das geht nicht, also muss ich wohl das Gegenteil tun, ankommen nämlich, hier, wo ich bin, und den Dingen ins Gesicht sehen. Meiner Einsamkeit. Meiner Traurigkeit. Meiner Erschöpfung.

Ein Frühlingsdurchhänger. Eigentlich kenne ich das schon. Und weiß, dass ich mich auch wieder besser fühlen werde. Vielleicht bald, vielleicht morgen. Bestimmt morgen schon.