Schlagwort-Archive: Ferien

Woche 4

Osterferien. Zwei Tage habe ich mir freigenommen. Manches funktioniert (Die Känguru-Chroniken als Heimkinonachmittag anschauen); manches funktioniert nicht so gut (meine Idee, mit dem Elfjährigen und dem Fünfzehnjährigen mal wieder Linoldrucke zu machen. Das gehört in den Winter und es gehören Freunde dazu eingeladen…) Mir tut die Struktur gut, die meine Homeofficearbeit mir gibt, stelle ich nach den zwei freien Tagen fest; der Arbeitsbeginn ungefähr halb neun, das Teammeeting am späten Vormittag, meine Nachmittagsrunde im Wald nach dem Feierabend.

Dem Elfjährigen und dem Fünfzehnjährigen tut die Ferienwoche bei ihrem Vater gut, vermute ich; weil dort das Familienleben mit Baby und Großpatchwork ungefähr genauso chaotisch abläuft wie sonst, während bei mir fast alles, was uns gemeinsam froh macht und womit wir unter normalen Umständen unsere Ferien hätten verbringen können – Ausflüge, Schwimmbadbesuche, Freunde und Familie, die uns besuchen oder die wir besuchen – gerade entfällt. Für den Elfjährigen gibt es inzwischen Online-Kinderschachturniere, das ist ein Lichtblick. Um den Fünfzehnjährigen mache ich mir noch immer Sorgen; anscheinend hat das selbständige Arbeiten für die Schule dann doch nicht so gut geklappt, vermutlich ist nach den Ferien das eine oder andere nachzuarbeiten. Wie ich ihn noch zwei oder drei oder fünf Wochen zu Hause bei Laune und zum Arbeiten für die Schule anhalten soll, weiß ich nicht.

Die vorösterlichen freien Tage ohne die Kinder verbringe ich in gemütlichem Tempo. Die Steuererklärung wird fertig, die Hausarbeit verringert sich auf einen angenehmen Ein-Personen-Level, ich spanne den großen gelben Sonnenschirm auf dem Balkon auf und setze mich mit einem Buch darunter. Die Karfreitags-Waldrunde gehe ich schon am späten Vormittag, gemeinsam mit der anderen Mitmutter. Obwohl wir so früh losgegangen sind, sind schon so viele Menschen unterwegs, dass wir ständig ausweichen müssen. Überall im Unterholz haben Kinder Hütten aus abgestorbenen Ästen gebaut. Vielleicht wird es eine ganze Generation geben, die in diesem Frühjahr den Wald lieben lernt? Für mich verbindet sich der Geruch verwesenden Bärlauchs Tag um Tag mehr mit der dumpfen Sorge um die nächsten Wochen und Monate. Wann werden wir wieder angstfrei und ohne Mindestabstand mit anderen Menschen zusammen sein können? Reisen, Konzerte besuchen, Essen gehen, Urlaub machen?

Am Abend bin ich gedrückter Stimmung. Es tut gut, dass die große Schwester anruft. Auch ihr macht es Sorge, dass wir nicht wissen, wie es mit den Einschränkungen weitergehen wird. Aber irgendwann lachen wir wieder und erzählen uns auch die guten Dinge: von den Wildbienen, die im Bienenhotel auf dem Balkon der großen Schwester leben und den ganzen Tag dort herumsummen; vom Online-Bauchtanzkurs, für den ich in dieser Woche eine interessante Probestunde mitgemacht habe.

Ja, es geht uns weiterhin gut.

halbundhalb

Dieses Jahr fahren wir erst im Herbst richtig in den Urlaub. Deshalb habe ich im Sommer zwei Wochen lang halbe Tage freigenommen während der Zeit, in der der Vierzehnjährige und der Zehnjährige bei mir sind. Diese beiden Wochen liegen nun hinter uns… und das Experiment ist gelungen.

Nein, erholt habe ich mich nicht. Glaube ich. Höchstens marginal. Aber es hat gut geklappt, dass die meine Söhne vormittags allein waren und dies und das im Haushalt erledigt haben. Und was haben wir nicht alles gemacht! Einen Draisinenausflug mit dem liebsten Freund. Viermal Lieblingsschwimmbad. Dreimal an der einen und zweimal an der anderen Tischtennisplatte gespielt, dabei dem Sohn der anderen Mitmutter das Tischtennisspielen vermutlich dauerhaft verleidet, obwohl ich versucht habe, ihm immer mal einen Punkt zu schenken. Ein Augenarzttermin. Einmal Public Viewing und einmal Kino für den Vierzehnjährigen. Etliche feinste Frauen-Fußballspiele vom Sofa aus gesehen – und heftig über die Bezeichnung Frauen-Weltmeisterschaft geschimpft. Wer ist denn auf diese bescheuerte Idee gekommen, es ging doch um Fußball und nicht darum, wer Weltmeister im Frausein wird? Außerdem Sauerkirschen vom Baum gerettet und zweimal Schneewittchenkuchen gebacken. Einen unspektakulären krummen Geburtstag tiefenentspannt gefeiert. Zweimal Besuch gehabt. Freunde im Schwimmbad und auf dem Fußballplatz getroffen. Monopoly, Mah-Jong und Skat gespielt. Abends manchmal vorgelesen. Abends manchmal übriggebliebene Kartoffeln oder Schokoladenkuchen gegessen und kein Abendbrot gemacht. Mittags Wunschessen gekocht. Ziemlich viel Eis spendiert. Neue Sportsachen für die Schule gekauft und nebenher auch das meiste sonstige Schulmaterial besorgt und vorbereitet. Insgesamt etwa 30 Stunden gearbeitet. Über ein Stellenangebot in der Nachbarabteilung in meiner Firma gegrübelt, mit dem potentiellen Chef gesprochen und dann unter Schlaf- und Ess-Störungen gegen eine Bewerbung entschieden (vermutlich richtig). Am Ende große Ikea-Taschen mit allem vollgepackt, was der Vierzehnjährige und der Zehnjährige im Urlaub mit ihrem Vater brauchen werden – und für fast drei Wochen Abschied genommen.

Jetzt liegt die große Freiheit vor mir, naja, die kleine vielleicht, bei näherer Betrachtung. Arbeiten, ohne jemandem versprochen zu haben, wann ich zu Hause sein werde. Einen Nachmittag im Café mit der Patentante des Vierzehnjährigen verbringen, die ich ewig nicht mehr in Ruhe gesprochen habe. Katzensitting bei der anderen Mitmutter. Der Hausverwaltung auf die Füße treten, die veranlassen muss, dass der Heizkörper im Badezimmer ausgetauscht wird. Mich noch weiter um das Röntgen des Problemzahns drücken. Ein Termin bei der weltbesten Osteopathin, einer beim Anwalt und ein Experiment in systemischer Familienarbeit (letzteres beides im Zusammenhang mit dem Patchwork-Familiennachwuchs und den Umzugsplänen auf Seiten des Vaters meiner Kinder – ersteres zum Glück zu meinem reinen Privatvergnügen). Eine große Geburtstagsparty bei der ehemaligen Nachbarin. Ein halber Regalmeter Bücher, die ich unverhofft geschenkt bekommen habe. Und vielleicht anderthalb Tage am Meer.

Holz sägen, Wasser holen, Ofen anheizen

Aus der Zeit zu fallen, das geht ganz leicht.

Ich packe alte Sachen in die Koffer, ich kaufe eine Fahrkarte. Wir brechen auf, sobald die Ferien anfangen, reisen zur ganz großen Schwester nach Thüringen. Der ganz große Schwager spielt Simultanschach mit dem Zehnjährigen und dem Vierzehnjährigen, dann betteln beide um ein paar Loriot-Episoden von den wohlbekannten DVDs. Am nächsten Morgen packen wir das Auto randvoll und fahren über die sieben Berge, ins Funkloch (jedenfalls mein Berliner Netz gibt es hier nur auf den höchsten Gipfeln), ins Häuschen im Thüringer Schiefergebirge, in dem schon der ganz große Schwager in seiner Kindheit Urlaub gemacht hat.

Das Häuschen wird aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Türen und Fenster werden aufgestoßen, der Ofen mit großen Holzscheiten beheizt, bis die Temperatur im Wohnzimmer von drei auf 25 Grad gestiegen ist; klamm-kalte Federbetten werden aus Kisten gezogen. Der ganz große Schwager geht mit dem Zehnjährigen zur Quelle und schließt den Wasserschlauch an, der bis zur großen Kiefer vor dem Häuschen führt und dort in einem Wasserhahn endet. Sobald das Wasser fließt, setzt die ganz große Schwester Kartoffeln auf und kocht Tee. Und schon sind wir angekommen. Anderswo könnten wir viel Geld für so einen Urlaub bezahlen, digital detox und zurück-zur-Natur sind hier inklusive, die Wanderwege beginnen vor dem Haus, der Frühstückstisch und die Kochplatten haben Panoramablick auf die Berge, Bach und Baumwipfel rauschen und nachts ist es still bis auf das gelegentliche Seufzen eines Vogels.

Ich weiß nicht, ob meine Söhne auch etwas erzählen werden, wenn andere aus der Klasse von ihren  Mallorca/Teneriffa/Malediven-Ferienerlebnissen berichten. Was wir hier tun, taugt so garnicht zum Angeben. Aber sie sind hier glücklich, das sehe ich. Der ganz große Schwager holt Beil und Bügelsäge aus dem Schuppen und der Zehnjährige sägt mit ihm Holz, dicke Stämme, die anschließend gespalten und sorgfältig an der Hauswand gestapelt werden. Der Vierzehnjährige reinigt mit Feuereifer die Dachrinnen und fegt Moos vom Schuppendach. Wir sitzen morgens am warmen Ofen und mittags draußen in der Sonne, laufen bergauf und bergab und überreden den Wirt im Nachbardorf, uns Eisbecher zu machen, obwohl Mittwoch ist und sein Gasthaus eigentlich nur von Donnerstag bis Sonntag geöffnet hat. Wir lesen „Herr der Diebe“ von Cornelia Funke vor; manchmal höre ich nur mit einem Viertel Ohr zu, während ich mich in Margaret Atwoods Essays vertiefe. Abends spielen wir gemeinsam – „Stadt, Land, Fluss“ ist in diesem Urlaub der Renner bei den Kindern und wir erfinden Berufe und Tiere, bis wir vor Lachen über den „Tuffsteinbrecher“ und den „Nadelpanda“ fast unter den Tisch fallen – und der Vierzehnjährige erwischt immer die meisten Stücke von der Schokolade, die nebenbei auf den Tisch gestellt wird.

Ja, das ist idyllisch. Und anachronistisch. Früher war das hier mal eine beliebte Urlaubsgegend, als die Welt noch klein war und streng bewachte Grenzen hatte. Jetzt sind die Scheiben vom Jugendhotel eingeschlagen und die meisten Gasthäuser dauerhaft geschlossen. Und der Regen fehlt den Wäldern so sehr, dass ich eine ganze Regenwetterwoche dankbar in Kauf nehmen würde, damit die Kiefern und Tannen rundherum nicht an einem weiteren Dürresommer sterben. Aber da wir es nicht ändern können, genießen wir Sonne und Stille. Und die Seele – von allen Sorgen und Entscheidungen frei, die über die Frage hinausgehen, ob der Ofen nochmal angeheizt werden muss und welches Kind an der Reihe ist, beim Abwasch zu helfen – entknittert sich, verliert ein paar Winterfalten.

Am Ostersamstag brechen wir wieder auf.  Das Häuschen wird gründlich geputzt, ein Korb Holz vor den Ofen gestellt für die nächsten Besucher, das Wasser abgedreht, die Fensterläden geschlossen, die Türen verriegelt. Zurück fahren wir über die sieben Berge. In der Wohnung der ganz großen Schwester beeilen wir uns, nacheinander unter die Dusche zu springen und Kleidung anzuziehen, die nicht nach Holzrauch und Häuschenmüffel riecht. Nochmal Loriot (Kraweel, Kraweel…) und dann am nächsten Morgen eine große Suche nach Schokoladeneiern im Hof, bevor wir uns wieder in den Zug Richtung Berlin setzen.

Die Umstellung zurück in den Alltag, zurück zum Alleinsein (meine Söhne verschwinden gleich zu ihrem Vater, sie haben keine Lust, sich mir noch zum Kofferauspacken anstellen zu lassen) wird hart.

Denn zuhause sind wir ja nicht nur in unseren eigenen vier Wänden, sondern immer auch beim Zusammensein mit den Menschen, die wir lieben.

Vor Ostern

Karfreitag, Nachmittag. Ich tränke einen Waschlappen in einem ordentlichen Schluck Schwedenkräuterlösung und wickle ihn auf meinem Fuß fest, der – wie im letzten Sommer ohne Sturz, Schlag, Umknicken, Danebentreten oder sonstige Vorwarnung – seit einigen Tagen wieder wehtut. Sechs Wochen hat das im letzten Sommer gedauert, und ich wäre auch jetzt schleunigst zur Orthopädin gegangen, hätte sie nicht Urlaub gehabt.

Die Kühle am Fuß ist wunderbar; die Wohnung ist sonnendurchflutet, still und einigermaßen ordentlich – ich schaue mich zufrieden um.

Den Krimi, den der liebste Freund mir für den Osterurlaub ausgeliehen hat, habe ich heute schon mal ausgelesen (der liebste Freund könnte mich eigentlich gut genug kennen, um sicherheitshalber zwei Bücher mitzubringen). Auf dem Wohnzimmertisch türmen sich robuste, äußerst warme Kleidungsstücke, Osterkörbchen für die Verwandtschaft, die Asthmabettwäsche des Neunjährigen, eine große Medikamententasche zum Thema „Erkältungskrankheiten“, eine große Verbandszeugtasche zum Thema „Zecken-Splitter-Stürze“, eine kleine Kosmetiktasche mit nicht viel mehr als unseren Zahnbürsten und viele Bücher („Winter im Mumintal“, „Die rote Zora“, „Die 13 ½ Leben des Käpten Blaubär“, „Der Gott der kleinen Dinge“, „Über die Tugenden“, „C’est vraiment facile“, „Grammatik kurz und bündig – Französisch“), die noch auf ein tragbares Gewicht aussortiert werden müssen. Unter dem Tisch warten Gummistiefel, Schuhe für sehr tiefe und für nicht ganz so tiefe Temperaturen und der beinahe unverwüstliche Ball aus Dänemark. Unschwer zu erkennen: wir haben als Osterurlaub einen Aufenthalt in einer schlecht heizbaren Waldhütte geplant; etwas unbedacht ist diese Idee entstanden, an einem warmen Sommerabend wahrscheinlich.
Mit Spielen, Lebensmitteln und Bettwäsche versorgt uns die ganz große Schwester, also stehen nur zwei Koffer mit hungrig aufgeklappten Deckeln bereit.

Auf dem erfreulich leeren Schreibtisch liegt ein Zettel mit dem Vermerk, den Dauerauftrag an den Vermieter unbedingt sofort nach unserer Rückkehr zu ändern; eine (ein klein wenig) rebellische Teilzustimmung zur Mieterhöhung ist abgeschickt, ich möchte nun nicht um einen einzigen Cent in Zahlungsrückstand geraten. Der Mieterbund24, der im Internet eine Online-Antwort auf eine Mietfrage für nur 25 Euro anbietet – eine prima Alternative zu einer Mitgliedschaft im Mieterverein, wenn man tatsächlich nur eine einzige Frage hat – konnte mir leider nicht helfen und erstattet mir die Vorauszahlung zurück. Viel Aufwand und wenig davon gehabt.

Einige Fenster sind geputzt, auch das stark eingestaubte Gewürzregal in der Küche, das muss als Frühjahrsputz reichen. Auf dem Balkon habe ich heute Mittag, als es warm und sonnig war, vieleviele Kilo Erde bewegt – aus Töpfen, Kübeln und Kisten in große IKEA-Tüten geleert, mit dem guten Wurmhumus der Firma „Superwurm“ (das Paket kommt jedes Jahr bei einem anderen Nachbarn an, damit jeder mal über mich den Kopf schütteln kann) vermischt und wieder in die Töpfe, Kisten und Kübel gefüllt. Auch zwei Schalen für den Friedhof habe ich bepflanzt; im Auto auf dem Weg dorthin starte ich dann eine Charme-Offensive, damit der Vater meiner Kinder während unserer Abwesenheit nächste Woche die Tomatenpflänzchen bei sich aufnimmt und gießt, die ich noch nicht dem rauen Berliner Spätwinter Vorfrühling Wetter aussetzen möchte. Alles andere, was ich am hellen Fenster vorgezogen habe – Sonnenblumen, Dill, Basilikum, Petersilie, Sonnenhut – muss draußen klarkommen.

Am Samstagmorgen dann – endlich – werden meine Söhne nach einer langen, langen Ferienwoche mit ihrem Vater wieder bei mir eintrudeln. Wir werden Ostersträuße schmücken, Ostereier kochen und färben; am Abend werde ich durch die Wohnung schleichen und Dutzende kleine Schokoladeneier verstecken, die dann am Sonntagmorgen gesucht werden dürfen, bevor wir zur Kirche gehen (und dort auf keinen Fall die Unterschrift auf der Gottesdienstkarte vergessen dürfen, die der Dreizehnjährige als Voraussetzung für seine Konfirmation zu füllen hat).

Der Berliner Schienenersatzverkehr macht die Reise zum Bahnhof zu einem langwierigen Abenteuer, aber auch das werden wir bestehen; wir werden am Ostersonntag in einen Zug steigen und verschwinden bis auf Weiteres im Dickicht eines mitteldeutschen Waldes.

Bis bald – und frohe Ostertage Euch allen!

Stille Tage

Den ersten Weihnachtstag verbringe ich vorwiegend auf meinem Sofa. Die Kopfschmerzen verziehen sich, der Weihnachtsbaum duftet, ich habe einen Tee/Kaffee/Teller mit Plätzchen/Teller mit Broten neben mir stehen. Die überfälligen Karten und Briefe, aus denen nun statt Weihnachts- schon Jahresend-Grüße werden müssen, bleiben liegen, aber ich möchte – heute, einmal – kein schlechtes Gewissen deswegen haben. Die Besuchsfreundin ruft mich an, während zwei Gänsebeine im Ofen fertigbrutzeln und zwei Kartöffelchen im Topf garen. Meine ganz große Schwester meldet sich am Abend und hat Zeit zum Erzählen.

Kurz vor dem nächsten Mittag kommen meine Jungs vom Papa zurück. Endlich! Wir packen gemeinsam die Weihnachtspäckchen aus, die noch unter der Blautanne Josefine stehen, und entscheiden, dass die neuen Bumerang-Flieger von der großen Schwester gleich ausprobiert werden sollen. Allerdings peitschen uns Regen und Wind heftig um die Ohren, als wir den Berg im nahegelegenen Park besteigen, so dass wir aufgeben und stattdessen zur großen Videothek fahren, um ein paar Filme auszuleihen. Nachdem ich also die Details der neuen Feuerwehr-Wache bewundert, das neue Weihnachts-Spiel ausprobiert, Brote geschmiert und meinen Söhnen froh beim Reversi-Spielen zugesehen habe (froh jedenfalls in dem einen Moment, nachdem der erste Streit geschlichtet war und bevor das Brett im Zorn so sehr angeschubst wurde, dass nicht weitergespielt werden konnte), endet auch dieser Tag auf dem Sofa.

Am Dienstag müssen wir – wie alle Leute – einkaufen. Der Elfjährige nimmt mir den Weg in die eine Richtung ab, ich gehe in die andere. Später kommt der liebste Freund vorbei und baut mit den Jungs ein einfaches Murmelbahn-Modell aus der 600-Teile-Kiste, die er den beiden zu Weihnachten geschenkt hat. Für den großen Parcours mit Motor, Aufzug und langer Abfahrt bräuchten wir mehr Zeit, das kriegen wir heute nicht mehr hin. Abends gucken die Großen noch einen ganz schön schlechten Film.

Wer einkauft, muss auch kochen – Mittwoch ist Großkampfvormittag in der Küche, ein Hühnchen steckt im Kochtopf, Gouda schmilzt im Wasserbad und der Elfjährige koordiniert die Schnippel-Arbeiten des liebsten Freundes und des Siebenjährigen für die Cremefüllung der Käsepastete. Am Mittag ist die Hühnersuppe fertig, die Pastete gerollt und der Lieblings-Kräuterquark des Siebenjährigen angerührt. Ich falle für ein Stündchen ins Bett, bevor die Patchworkmama mit ihrem Mann, meinem Patenmädchen und dem kleinen Patchworkbaby vor der Tür steht. Wir haben uns seit mindestens einem Jahr – gefühlt ist es noch viel länger – nicht gesehen; meine Freundin und ich schwatzen also fröhlich, während die Kinder irgendwo in der Wohnung Verstecken spielen oder mit ihren neuen Walkie-Talkies von Zimmer zu Zimmer „Hallo?“ „Hallo!“ rufen. Das Baby hat es meinen Söhnen angetan; der Siebenjährige, der so gerne ein kleines Geschwisterchen hätte, strahlt den Sechs-Monats-Winzling immer wieder an und schwärmt hinterher von den kleinen, weichen Händchen. Der Elfjährige legt sich neugierig zum Patchworkbaby, als es im Hochbett des Siebenjährigen das bunte Mobile an der Decke bewundert; und blättert am Abend mit mir durch sein Baby-Fotoalbum um nachzuprüfen, ob es wirklich dieses Foto gibt, auf dem er im Schlaf die Hände wie ein Dirigent vor sich ausstreckt.

Abends lange aufbleiben – den schlafenden Siebenjährigen schleppe ich kurz vor zehn vom Kuschelsofa in sein Bett – und morgens lange ausschlafen. Filme gucken, wenn draußen eisiger Regen fällt; Freunde sehen, spielen und lesen (die Weihnachtsbücher des Elfjährigen haben nicht lange vorgehalten), nicht viel müssen und wenig wollen. Ich mag die stillen Tage zwischen den Jahren.

Waldhäuschennotizen

15.10. Wir kommen im Waldhäuschen an und alles ist vertraut. Die Töpfe in der Küche, das Sofa im Wohnzimmer, die Betten der Kinder, das Geräusch des Tischtennisballs auf der Platte im Spielhaus, der Porreesalat beim Abendessen im Speisesaal, das Maulen der Jungs beim Waldspaziergang. Ich mag das Maulen nicht und das Vertraute gern. 

Was für ein Urlaub wird das werden? Wir haben schon Ideen: Der Dauerregenurlaub, der Urlaub der griechischen Heldensagen, die wir vorlesen, der Urlaub ohne Pilze – erst zu trocken, jetzt zu kalt -, der Urlaub mit den fruchtlosen vorpubertären Diskussionen, der Sockenstrick-Urlaub. 

Und ein kleines Glas Preiselbeerkompott steht trotz aller Wald-Murrerei schon im Kühlschrank. Hmmm!

Kistenpack-Blues

Die Ferien neigen sich dem Ende zu.

Wegen der Arbeit, die der Vaters meiner Kinder ganz plötzlich angenommen hat, musste umorganisiert werden; Urlaubstage – meine – wurden verschoben und gestückelt, um daraus Halbtags-Homeoffice-Tage mit Kinderbetreuung zu machen; Hortverträge wurden eiligst ausgefüllt, Unterlagen beigebracht und sogar die Freundin des Vaters meiner Kinder um Hilfe für einige Tage gebeten. Chaos.

Die mühsam organisierte Hortwoche verweigerte der Elfjährige dann – und ich habe ihn nicht gezwungen, zu den – ganz überwiegend – „Ersties“ und „Zweities“ in den Hort zu gehen. Eine ganze Woche lang war mein großer Sohn also – erstmals! – selbständig unterwegs, besuchte mich auf Arbeit zum gemeinsamen Mittagessen, verabredete sich mit einem Freund zum Tischtennisspielen und mit der Mitmutter und ihrer Tochter, beschäftigte sich mit seiner Briefmarkensammlung und vergaß regelmäßig, die ihm übertragenen Haushaltspflichten zu erledigen, bevor ich nach Hause kam. Mein großes Kind wird auf ganz neue Art „groß“ – ich staune noch immer, ich muss mich daran gewöhnen und mit-wachsen.

Meine kinderlose Ferienzeit „am Stück“ war am Ende ganze elf Tage lang. 24 Punkte standen auf der Wunsch-und-To-Do-Liste. Das konnte nicht funktionieren. Aber die Vertretung der Arbeitskollegin ist reibungslos gelaufen, die Schulsachen der Kinder sind vorbereitet, die Gardinen in meiner Wohnung sind – erstmals seit 2014 – wieder gewaschen, die Briefwahlunterlagen liegen zum Abschicken bereit, die Hausverwaltung hat nach gefühlten 14 Anrufen endlich versprochen, meine kaputte Knattertherme noch vor Beginn der Heizperiode auszutauschen. Und ich bin in einem See geschwommen. Und ich habe mit dem liebsten Freund einen Ausflug ins Kochhaus gemacht und mit ihm und der Sternenkarte in der ersten nächtlichen Herbstkühle auf dem Balkon gesessen: zwischen dem großen Baum im Hinterhof und der Kante des Balkons über uns die „nördliche Krone“, der „Rinderhirte“ (Vorher nie gehört, dass es so ein Sternbild gibt!) und der „Herkules“.

Und – die Kisten für unsere Mutter-Kind-Kur stehen beinahe fertig gepackt im Wohnzimmer; mit Sachen für den Sommer, der ja doch immer nochmal auf ein, zwei Tage zurückkommt, für den frühen Herbst und für die ersten kalten Seewinde. Sportkleidung und Bücher. Spiele und weiße Eddings (diese wunderschöne Sommeridee wollen wir nachmachen!). Bademäntel und Fahrradhelme und Tischtenniskellen.

Beim Absprechen, wer wann meinen Balkon gießen kann, stellt sich heraus, dass der Vater meiner Kinder mit seiner Freundin verreist, sobald ich mit den Jungs zur Kur fahre. Es sind nur insgesamt fünf Tage und davon nur drei Arbeitstage – und warum soll er nicht auch Urlaub haben? -, aber diese drei Arbeitstage sind genausoviel wie die drei Tage, die ich von meinem Urlaub – wegen seiner Appelle: Du hattest doch versprochen, dass du mich unterstützt, wenn ich Arbeit finde! Dass wir den Sommer dann anders organisieren!  – abgeschnitten, verschoben, halbiert und auf verschiedene Wochen verteilt habe, damit unsere Kinder auch in der Hortschließzeit betreut waren. Das verletzt mich. Wie kann der Vater meiner Kinder vehement auf seinen 50% Betreuungszeit bestehen, dann aber genauso selbstverständlich seine Arbeit und seinen Urlaub ohne Kinder an erste Stelle setzen?

Ich kann die Ratschläge schon hören, die ich jetzt bekommen werde, von wegen besser für mich selber sorgen und mich besser abgrenzen…
Aber das ist nicht so einfach: Denn wer kümmert sich um Schwimmkurse und Schulmaterial, neue größere Turnschuhe für den Siebenjährigen und eine weiterführende Schule für den Elfjährigen, wenn ich mit derselben Selbstverständlichkeit wie der Vater meiner Kinder die Zeit OHNE Kinder für mich selbst, meine Erholung und meine eigenen Projekte beanspruche?

Gerne hätte ich mehr Freiräume für mich in meiner mit meinen Kindern geteilten Zeit. Gerne hätte ich, dass der Vater meiner Kinder sich mehr im Mit-Denken und Mit-Sorgen übt. Gerne würde ich meiner Lebens- und Schreib- und Übermutfreude wieder mehr Raum und Zeit geben. Nur wie?

Ich stecke diese Fragen mit in meine Kurkisten. Am Ende sind sie so schwer, dass ich sie noch nicht mal alleine die Treppe runterkriege, geschweige denn zur Post. Aber hej, auch wenn er es nicht angeboten hat und auch nicht gerne tut, sich bitten lässt und ein wenig mauzt: der Vater meiner Kinder hat ein Auto da gleich nebenan stehen und zum Tragen auch genug Kraft.

Und in ein paar Tagen reisen wir den Kisten hinterher. Ich werde mich ans Meer setzen und drei Wochen lang nicht arbeiten und nicht einkaufen; nicht kochen und nicht putzen, nichts organisieren und nicht über den Tag hinaus planen.
Das wird nicht alle Fragen beantworten und auch nicht so viel verändern. Aber es ist absolut großartig, diese drei Wochen vor mir zu haben.

Ferienleben

Auch die zweite Sommerferienhälfte neigt sich ihrem Ende zu. Noch eine Woche für die großen Schüler, noch zwei für die „Ersties“, zu denen der Sechsjährige gehören wird. Ich habe meinen jährlichen Großauftritt im Schreibwarenladen, in diesem Jahr zum ersten Mal mit gleich zwei Materiallisten. Die Verkäuferin, die mich bedient, hat ihren ersten Arbeitstag und kennt ihr Sortiment schon viel besser, als ich nach einer Stunde den Laden verlasse, beladen mit Heften aller Lineaturen, Knete im Behälter, Zeichen- und Tonkartonblöcken, Pinseln und Schreiblernbleistiften, der Wunschfedertasche und 1001 anderen Dingen.

Einen ganzen Sonntagnachmittag verbringen wir damit, aus der riesigen Tüte voller Material die Schulsachen für die Kinder zusammenzustellen, mit Namen zu beschriften, die Hefte in Umschläge in der vorgeschriebenen Farbe zu stecken und die Hefter mit den vorgeschriebenen Sorten Papier zu befüllen.

Unter der Woche gehen meine Söhne tagsüber in den Hort und tauschen dort Fußball-, Drachen- oder Minions-Karten mit Freunden. Nachmittags fahren ihr Vater oder ich mit ihnen an den Badesee.

Wenn ich allein bin, sitze ich morgens mit meinem Kaffee auf dem Balkon. Der Hausmeister des Nachbarhofes guckt in den Mülltonnen nach Pfandflaschen und startet seinen Rasenmähtraktor. Eine frühe Biene kriecht tief in eine ganz frische Windenblüte und hat Mühe, sich rückwärts wieder hinauszuschieben. Ich sammle Samen von Ringelblumen und Tagetes ein; bringe welchen von wilden Malven von einem Spaziergang mit und hoffe, dass all die Blumen nächstes Jahr etwas werden.

Der Schienenersatzverkehr auf meiner S-Bahn-Strecke beschert mit einen täglichen Morgenspaziergang – eine Station weit – auf dem mir Häuser und Gärten und Fenster und Blicke in Seitenstraßen von Tag zu Tag immer vertrauter werden. Ob die Frau, die gestern, in eine riesige Duschduftwolke gehüllt, in ihr Auto gestiegen ist, heute wieder zur gleichen Zeit losgeht? Ob auf der selbstgebauten Terrasse meines Lieblingshäuschens wieder das Pärchen frühstückt, urlaubsentspannt mit Zeitung und Kaffeekanne? Ob ich morgen reifen Samen an den rosa Winden finde, die in einem der Gärten so schön über den Zaun blühen?

Zu Hause in meiner Küche hat sich eine Bande Fruchtfliegen eingerichtet. Frech sitzen sie auf dem Rand der Tasse mit Essigwasser, die die Besuchsfreundin als Falle aufgestellt hat. Erst in einem von meinen Kindern verschmähten Glas Orangensaft ertrinken drei der kleinen Insekten, die übrigen sitzen auf dem Rand und halten eine Weiterbildung zum Thema Unfallvermeidung ab. Ich sammle jede Menge schlechtes Karma, als ich überraschend die Hände über das Glas lege und fast ein Dutzend hinterher hilflos im Saft zappelt.

Der Zehnjährige fährt zwei Tage lang mit seiner Patentante, einigen ihrer Freunde und einem kleinen Prinzesschen aufs Land; hinterher erzählt er begeistert vom Baden in drei Seen und vom Feuer, an dem Würstchen und Marshmallows gebraten wurden. Mit dem Sechsjährigen war ich in der Zwischenzeit beim Arzt; eine Stunde lang hat er immer wieder bronchienverengendes Mittel inhaliert und mit erst kräftigen, später schwächeren Atemzügen Luftballons auf einem Bildschirm platzen lassen. Plötzlich bin ich in ein „Disease Management Programme“ für Asthmakinder eingeschrieben und habe ein Rezept für Kortisoninhalationen in der Hand. Die abschließende Diagnostik der Feinstaubmilbenallergie steht noch aus, nein, sagt die Ärztin pessimistisch, zwei Allergiker-Matratzenüberzüge bezahlt ihnen die Krankenkasse nicht, denen ist ihr Wechselmodell doch egal.

Mit dem Inhalationsmittel im Gepäck fahren meine Kinder mit ihrem Vater für eine Woche in den Urlaub. Ich setze mich mit der Besuchsfreundin an den Tisch und fülle kleine Geschenkzuckertüten für den Zehnjährigen und für die Freunde des Sechsjährigen mit Aufklebern und Gummibärchen, Schokoladenbuchstaben und Überraschungseiern.

Am Nachmittag fahren wir in die Stadt, es ist einer dieser Tage, an denen alle Menschen schön aussehen: die jungen Mädchen in den bauchfreien Tops mit dem strahlenden Selbstbewusstsein, die noch nicht wissen, dass auch sie älter werden; die arabischen Familien mit den Kopftuchfrauen; die Mama, die über dem Buggy mit ihrem Baby auf dem S-Bahnsteig Seifenblasen aufsteigen lässt. Unser Ziel ist Moabit; wir trinken einen Kaffee in einem Halal-Burgerladen und gehen zu den Anonymen Zeichnern, einem Ausstellungsprojekt, dessen Konzept mich schon im letzten Jahr begeistert hat. Auch wenn schon einige der anfänglich 600 dicht an dicht und ohne Nennung des Künstlernamens aufgehängten Zeichnungen verkauft sind, ist die Ausstellung wunderschön; wir bewundern die Vielfalt und Kreativität der Zeichnungen, freuen uns am technischen Können der Künstler und den Assoziationen, die sich aus dem Nebeneinander der verschiedenen Bilder ergeben.

Noch eine letzte Ferienwoche ohne Kinder liegt vor mir. Von Weitem sah sie in meinem Kalender nach luxeriös viel freier Zeit aus; von Nahem ist sie kurz, ich habe doch eigentlich noch so viel vor, ich mag den Sommer in Berlin so gern. Aber der hat seinen Höhepunkt überschritten. Die Nächte werden wieder kühl, auf dem Badesee treiben die ersten Herbstblätter. Nicht mehr lang, dann wird das Wasser zu kalt sein zum Schwimmen; dann werden die S-Bahnen wieder fahren, die leeren Seiten in den Schulheften beschrieben, die Essigfliegen verschwinden… und die Kinder und ich wieder im Alltagstrott laufen.