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Vorfrühlingsgefühle

Der Vorfrühling kommt zögernd nach Berlin. Wir frieren am Morgen auf dem Weg zur Schule, aber hellblaue Krokusse leuchten auf den Rabatten. Mit dem liebsten Freund laufe ich am Wasser entlang und freue mich sogar am giftgrünen Bärlauch, dieser elenden Nasenplage – so gierig bin ich nach Grün, weil der Winter lang und düster war.

Im Zimmer des Achtjährigen entsteht auf einer Rigipsplatte – zwischen Fensterbrett und Stuhllehne – wieder ein Anzuchtgarten mit vielen Töpfchen. Fünf Sonnenblumen keimen schon, drei Tomatenpflänzchen, Sonnenhut und Majoran. Wenn ich morgens ein paar Minuten Zeit habe, sitze ich daneben im Sessel und schreibe in mein Morgenseitenbuch.

Die Tage sind vollgestopft, das ist ja nichts Neues. Zum Chirurgen mit dem Zwölfjährigen und zum Elternabend des Achtjährigen geht es; dann wieder mit dem Großen zur Probestunde in der Musikschule („Wir freuen uns“, schreibt mir die Musikschulverwaltung hinterher, „Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihre Sie/ Tochter / Sohn ab 1.05.2017 im Fach Schlagzeug fortführen / aufnehmen können“ – eine neue Ära beginnt da vielleicht, den Schlagzeuglehrer haben wir schon kennengelernt, er unterrichtet auch besser, als die Verwaltung schreibt) und zur Hortkostenstelle, mit der Unklarheiten bezüglich der Hortkosten geklärt werden müssen, die durch konsequentes Aneinander-vorbei-Kommunizieren von Schule und Amt nun schon ein halbes Jahr lang immer unklarer werden.

Wenn abends die Kinder im Bett sind, lege ich mir Kleidung für den nächsten Arbeitstag im Büro zurecht und gehe auch schlafen; ich bin müde und spüre nichts davon, dass ich – weil meine Kinder ja nun schon größer sind – wieder mehr Freiräume habe; oder vielleicht sind die Freiräume ja auch da, und nur die Kraft ist es nicht. Der Zwölfjährige verschiebt seinen Wechseltag zwischen seinem Papa und mir von Dienstag auf Mittwoch und verbringt nun jeweils zwei Tage ohne seinen Bruder bei jedem Elternteil. Leicht wären die Nachmittag mit ihm allein mit Arbeit für die Schule zu füllen, immer ist da viel zu tun und er ist langsam – aber ich verstehe inzwischen, dass wir – er auf seine Weise und ich auf meine – schon unter viel zu viel Druck stehen und versuche, uns beiden Freiräume zu schaffen, in denen wir durchatmen können.

Am Wochenende fährt der liebste Freund mit uns nach Leipzig in den Zoo, und der Achtjährige ist hingerissen, als sein Lieblingstierpfleger aus der Fernseh-Doku plötzlich vor ihm steht und er ihm ganz aus der Nähe beim Füttern der Löwen, Erdmännchen und Hyänen zusehen kann. Die Seelöwen aalen sich im Wasser wie ein besonders anschauliches Beispiel dafür, was es bedeutet, „ganz in seinem Element“ zu sein; und als die Durchsage kommt, dass alle Besucher nun allmählich zum Ausgang gehen sollen, haben wir die Totenkopfäffchen noch garnicht gesehen und den Kraken, die Husarenaffen und die weißen Wölfe –
Wir fahren im Abendlicht zurück nach Berlin.

Auch morgens ist es jetzt wieder hell, wenn mein Wecker klingelt und ich in die Küche gehe und die Radionachrichten höre, die fast jeden Morgen verstörend und beängstigend sind und Vesperdosen für meine Kinder vorbereite, die. würde man sie alle, seit Beginn der Kita-Zeit bis heute, übereinanderstapeln – so etwas rechnen wir dann am Frühstückstisch aus – inzwischen einen ungefähr 130 Meter hohen Turm bilden würden.

Wir gehen los – Richtung Schule, am Krokusfeld in der Rabatte vorbei; und manchmal gehen meine Söhne inzwischen ohne mich, mit einem Taschengeldeuro in der Hand und rechtzeitig für einen Abstecher in den Laden, der die Päkchen mit den Sammelkarten führt. Ich setze mich in die S-Bahn und schlage ein Buch auf. Kosmologie und Quantenmechanik faszinieren mich gerade (ein Paralelluniversum populärwissenschaftlicher Bücher tut sich vor mir auf -) und es macht nichts, dass ich beim Lesen nicht viel verstehe, denn zum Staunen reicht es.
Und wenn ich aufschaue, ist der Himmel vor dem S-Bahn-Fenster frühlingshell.

Hyldeblomst

Der Elfjährige kommt von seinem Vater zu mir und bringt einen Beutel mit schon etwas matten Hollunderblüten mit. Sirup, so hat ihm eine Frau auf dem Berliner Umsonst-Trödel-Markt erzählt, könne er daraus machen.
Du brauchst ein Rezept, sage ich, und denke laut: ob die Blüten noch gehen, wenn sie schon zwei Tage im Kühlschrank lagen? – Dann nicht, sagt mein leicht zu entmutigender Sohn.
Aber dann schaltet er doch den Rechner ein, und mit ein bisschen Hilfe findet er ein prima einfaches Rezept, bei dem man nur wenige Blüten braucht und die erst mal nur in Wasser ziehen lässt und alle anderen Zutaten morgen noch kaufen kann.
Und falls sie ihr Aroma schon verloren haben… Wir gehen einfach noch mal in den kleinen Park gleich um die Ecke. Und oh Wunder! Alles voller Hollunderbüsche.
Am Ende haben wir zwei Töpfe mit in Wasser eingelegten Dolden, süßer Duft zieht durch die Wohnung. Zum Abendbrot gibts den letzten Sirup aus dem Dänemark-Urlaub letzten Sommer. Bald haben wir selbstgemachten. Ich bin davon mindestens so begeistert wie mein Sohn.

Tagebuchbloggen im Mai

WMDEDGT – Frau Brüllen sammelt wie an jedem 5. eines Monats Beiträge zu der Frage „Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“ – Hier ist meiner.

5.45 Aus Gewohnheit – gestern hat um diese Zeit ja der Wecker geklingelt – werde ich wach, bedrückt von ein paar ungeklärten Fragen rund um meine Arbeit, Konflikten mit Kollegen, Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber Aufgaben, die zu erfüllen meine Kapazität derzeit einfach nicht zulässt. Menno, heute ist Feiertag, ich will keine Arbeitssorgen…

7.30 Diesmal wecken mich meine Kinder, das ist besser. Obwohl… sie streiten sich, ordentlich laut. Der Elfjährige knallt seine Zimmertür zu, der Siebenjährige kommt zu mir ins Bett und kuschelt sich unter die Decke. Nach ein paar Minuten kommt der Elfjährige dazu und lehnt zwei eiskalte Füße an meine Waden. Der Siebenjährige in der Mitte zwischen uns zappelt und lacht: Hilfe, ich stecke in der Müllpresse!

8.00 Wir stehen auf, ich teile eine Runde Heftpflaster aus. Der Elfjährige hat seit gestern abend ein schwer entzündetes Nagelbett am Daumen und kriegt vorher noch ein Fingerbad in gelber Desinfektionslösung; der Siebenjährige hat so ein Ding am Finger, das mich unangenehm an seine Dellwarzen vom vorletzten Jahr erinnert und deshalb dringend abgedeckt werden muss, damit sich da nix ausbreitet.

8.15 Müslifrühstück. Lecker! Hinterher verschwinden die Jungs zu einer Partie Schach und ich im Bad; und dann krame ich „nach Art eines freien Vormittags“ einfach so herum. Wäsche abnehmen. Steuererklärung und Belege endlich eintüten. Mülltüten an der Wohnungstür zusammentragen. Geschirr wegräumen. Waschbecken im Bad putzen. Blumengießwasser auf den Balkon tragen.

9.30 Ich rufe bei meiner neuen Mitmutterbeinaheschonfreundin an und wir verabreden uns auf dem Obenkran-Untenkran-Spielplatz. Der Elfjährige setzt den Siebenjährigen matt und die beiden ziehen sich an. Der Elfjährige bringt den Müll weg und pumpt im Keller den kleinen Fußball auf; der Siebenjährige trägt ehrfürchtig (ich habe ihm erklärt, dass der Umschlag viel Geld wert ist) die Steuererklärung bis zum Briefkasten; ich habe den Beutel mit der Tomatenpflanze, die ich der Mitmutter mitbringen will und den Rucksack mit der Erdbeer-Rhabarber-Grütze fürs Mittagessen.

10.15 Der Elfjährige schlägt mich vernichtend beim Tischtennis. Dann spielt er zehn Runden gegen die Mitmutter, die ein besserer Gegner für ihn ist. Ich liege derweil in der Nestchenschaukel und lasse mich von der Tochter der Mitmutter und dem Siebenjährigen anschaukeln. Dann liegen wir alle drei auf dem Rücken im Nestchen und gucken in den blauen Himmel hoch. Das fühlt sich nach Urlaub an! Wir zeigen der Tochter der Mitmutter wie man kickert. Dann gehen wir zur Mitmutter nach Hause und essen Nudeln und trinken Kaffee.

16.30 Wieder zu Hause. Wir sind erschöpft. Der Elfjährige kriegt ein neues Daumenbad und dann neue Salbe und ein neues Pflaster. Sieht nicht gut aus, dieser Finger. Ich rufe in der Chirurgiepraxis an, die hat aber keinen Anrufbeantworter, ich kriege also nicht raus, ob da morgen Brückentag ist. Ich rufe in der Kinderrettungsstelle an und frage, ob wir morgen früh vorbeikommen dürfen, wenn die Chirurgiepraxis Brückentag hat. Wir dürfen. Ich rufe die Besuchsfreundin an und verschiebe unseren Besuch bei ihr von Freitag auf Samstag, weil ich nicht weiß, wie lange wir beim Arzt brauchen werden, so ohne Termin. Dann lege ich mich auf mein Bett und lese ein paar Blogbeiträge. Der Siebenjährige kuschelt sich neben mich. Du weißt, dass Du heute noch Keyboard üben musst, oder?, frage ich ihn. Ja klar Mama, sagt mein Sohn, schließt die Augen und schläft ein.

18.00 Der Elfjährige hat sein Zimmer aufgeräumt. Weil der Siebenjährige schläft, gab es keine Ablenkung; und er hat sich ohne mein Zutun oder Schimpfen immer wieder selbst daran erinnert, dass er aufräumen sollte – das ist für ihn eine ziemliche Leistung – und hat es in seinem eigenen Tempo geschafft, das ganze Zimmer in Ordnung zu bringen. Super! Ich gieße die Balkonpflanzen und die Blumen in der Wohnung, krame noch ein bisschen herum und mache Abendessen.

18.30 Ich wecke den Siebenjährigen zum Essen, aber mein kleiner Sohn hängt wie ein Schluck Wasser am Tisch und darf sich deshalb wieder hinlegen. Der Elfjährige hat auch keinen Hunger, gut, dass ich nix gekocht, sondern nur Brote hingestellt habe.

19.00 Ich setze mich zum schläfrigen Siebenjährigen aufs Sofa, der Elfjährige ist am Tisch beschäftigt. Seit wir in „Geolino“ einen Artikel über Shakespeare gelesen haben, habe ich vor, den Kindern den Mittsommernachtstraum in der alten Nacherzählung für Kinder von Franz Fühmann vorzulesen. Heute mache ich das endlich, auch wenn der Elfjährige erstmal die Augen rollt, weil er lieber Fernsehen würde. Es dauert nicht lange, bis er laut über das Durcheinander lacht, das Puck mit dem Blümchen Liebnurmich anrichtet.

20.15 Ich lasse die Kinder noch ein bisschen spielen und telefoniere kurz mit dem liebsten Freund.

21.00 Zähneputzen; Singen und Beten beim Siebenjährigen; Singen und Beten beim Elfjährigen. Ich dusche und nehme mein Laptop zum Bloggen mit ins Bett. Stimmung wieder bedrückt. Das mit dem Arbeitssorgen geht nicht weg. Und auf den Arztbesuchstag morgen habe ich auch keine Lust.

 

 

Urlaub, doppelt konzentriert

Für das Ostseewochenende mit dem liebsten Freund schleiche ich mich am Freitagnachmittag zwei Stunden früher aus dem Büro weg. Dort türmen sich Mehrarbeit, Chaos und Überforderung zu Druck und Überstunden auf, das lässt garnicht mehr nach.

Im Zug bin ich mit dem Kopf noch in Berlin, obwohl draußen schon Felder mit Milchkaffeekühen vorbeiziehen; die Häkelwolle verheddert sich, rechts und links nur Regen.
An der See kann ich den Alltag hinter mir lassen.
Unsere Ferienwohnung erweist sich als Glücksgriff – und am Samstagmorgen ist der Himmel ganz blau. Als der Rezeptionist des großen Hotels, das als einziges schon Strandkörbe draußen hat, uns wegschickt, weil die für die Hotelgäste reserviert sind, lässt eine übermütige kleine Glückssträne uns unter den Hotelstrandkörben einen entdecken, bei dem ein freundlicher Rebell die drei Schrauben gelöst hat, mit denen der Blechstreifen befestigt war, an dem das Schloss hängt, mit dem das Holzgitter vor dem Strandkorb fixiert wird. Werden sollte.

Es macht doppelt Freude, in diesem Strandkorb zu sitzen, den Wind im Rücken, die Sonne im Gesicht, der Tauchglocke zuzusehen, die in mediativer Langsamkeit neben der Seebrücke unter- und wieder auftaucht. Die interessantesten Stellen aus Yuval Hararis „Kurze Geschichte der Menschheit“ lese ich dem liebsten Freund vor, der mich tröstet und Gegenargumente weiß, als Harari konstatiert, dass nach der Steinzeit eigentlich alles nur schlechter geworden ist.

Für die Therme ist das Wetter viel zu schön. Aber es wird zu unserem Ritual, an der großen Glasfront der Schwimmhalle entlangzulaufen, wann immer wir auf dem Weg zur Ferienwohnung oder zum Strand sind, den Schwimmern einen Moment zuzuschauen und uns über das sprachlich großartig danebengegangene „All inclusive ligth plus“ Angebot des Hotels zu freuen, das auf einem großen Plakat an dem Zaun angepriesen wird, der das Außenbecken ein wenig – aber nicht ganz – vor neugierigen Blicken schützt.

Beim Fischbrötchenessen sitzen wir in der Sonne. Beim Spazierengehen ziehe ich die Schuhe aus, als ob Sommer wäre; am Abend gibt es Mondschein am Strand und den großen Wagen mitten am Sternenhimmel und am Sonntagmorgen Brötchen aus der Bäckerei, in der die Einheimischen anstehen.

Ein ganzer Urlaub in zwei Tagen.

Auf gepacktem Koffer

Die Woche ist – wie die meisten kinderlosen grad – arbeitsam.
Im Büro wird es immer sehr schnell fünf, länger mag ich nicht mit Teilzeitgehalt, das muss Ausnahme bleiben. Die Telefonkonferenzendichte steigt weiter, die Bürokollegin, mit der ich inzwischen so gerne zusammensitze, ist krank; wenn sie wiederkommt, muss sie umziehen, das ist schade. Ihre Lebendigkeit wird mir fehlen, wenn da gegenüber demnächst ein schweigsamer Mann sitzt, mit dem über Kindererzieung, Liebesdinge, Gottunddiewelt und den täglichen Alltagsfrust nicht gut reden ist.

Nach der Arbeit muss dies und das besorgt werden; Kleidung für den Elfjährigen und ein Geschenk, dass er seinem Vater zu seinem Geburtstag geben kann; auch ein Geschenk für einen Kindergeburtstag (einen IKEA-Gutschein wünscht der Knabe sich, nun gut, also passendes blaues Papier her und ein gelbes Bändchen, und ein kleines Spiel, damit es nicht zu schnöde wird). Das Chaos der letzten Kinderwoche muss beseitigt, die nächste schon mal bedacht werden; wenigstens den Wocheneneinkauf will ich schon machen, das erste von vielen Frühlings-Reisewochenenden steht vor der Tür.

Bei alledem habe ich ein großes Bedürfnis nach Stille. Mache die Bürotür zu und sperre das Gelächter nebenan aus; wende in der S-Bahn den Kopf ab und starre aus dem Fenster, die Leute riechen diese Woche alle so schlecht, nach Schweiß und Bier, Knoblauch und Verdauung, und sie sind viel zu laut. Es ist schön, abends endlich an meiner S-Bahn-Station auszusteigen. Hier ist es viel stiller. Ein Auto entfernt sich, die S-Bahn fährt ab. Schritte auf dem Bürgersteig, jemand hustet aus einem geöffneten Fenster, ein Vogel singt.

Weil der liebste Freund mit erzählt hat, dass die Erde ins Trudeln gerät, wenn die Polkappen abschmelzen, träume ich in der Nacht von einem starken Erdbeben, das mich in einem Urlaub – Jugendherberge mit DDR-Einrichtung – überfällt. Der ganze Berg steht hinterher schief, zu steil, um noch hinaufzusteigen. Ich räume brav den umherliegenden Müll weg und wache erst dann auf.

Und am Wochenende fahren wir ans Meer, der liebste Freund und ich.
Da war ich noch nie im Frühling.
Da waren wir noch nie gemeinsam.

Ich melde mich von meinem Freitag-Nachmittags-Call ab, stecke die dicken Wintersachen ein und den Badeanzug und ein Buch und Schokolade, bitte die Erde, noch nicht an diesem Wochenende ins Trudeln zu kommen, gebe dem Elfjährigen Order, die frisch pikierten Tomatenpflänzchen zu gießen, bade ausgiebig, fülle den Kühlschrank mit Vorräten und kaufe eine Fahrkarte für die Verbindung mit – ach – gefühlten dreizehn Umstiegen. Bis ans Meer.

Tagebuchbloggen Anfang April

Was machst Du eigentlich den ganzen Tag? – So fragt Frau Brüllen heute wieder. Nachdem diese schöne Aktion im März auf ein Wochenende fiel, ist nun wieder ein ganz normaler Ferien-zu-Ende-Dienstag dran. Und der war so:

5.30 Die Amsel weckt mich – das mag ich. Weil der Siebenjährige mich überredet hat, ihn mir mir zusammen auf der großen Matratze im Zimmer des Elfjährigen schlafen zu lassen, liegt er jetzt neben mir, deshalb klingelt mein Wecker ein paar Minuten später nur ganz leise, irgendwo unter der Decke in der Nähe meiner Knie. Ich schäle mich aus meinem Deckenberg, klettere über den Siebenjährigen und stehe auf.

6.30 Im Bad gewesen, angezogen, Brotdosen für die Schule geschmiert, Frühstück gemacht, Kaffee gekocht. Der Elfjährige ist heute morgen noch bei seinem Papa, dafür ist die Besuchsfreundin da, die gestern einen Arzttermin in Berlin hatte und heute ein großes Secondhand-Kaufhaus unsicher machen möchte.

6.35 Ich kuschele mich zum Siebenjähigen und mache ihn vorsichtig wach. Um ihn zum  Aufstehen zu motivieren, habe ich ein verlockendes Angebot: Wollen wir mal gucken, ob unsere Tomaten über Nacht gewachsen sind? – Sind sie, drei Pflänzchen jetzt schon mit stolzen sieben Millimetern Höhe. Der Majojan keimt auch und der Basilikum und die Sonnenblumen – das macht mich ganz hibbelig vor Freude. Der Siebenjährige betropft die Tomatentöpfchen liebevoll mit der Sprühflasche, damit die Erde den Tag über nicht austrocknet. Die Besuchsfreundin steht auf.

6.45 Frühstück, gemeinsam mit der Besuchsfreundin, das ist schön –

7.30 Der Siebenjährige ist angezogen und hat sein Kortisonmedikament inhaliert, wir haben unsere Zähne geputzt – Aufbruch zur Schule. Die Besuchsfreundin räumt die Küche auf und hat dann noch etwas Zeit, sie weiß, wohin der Besucherschlüssel getan werden muss.

7.45 Schule. Vor der Klassenzimmertür treffe ich diese nette Mutter, mit der ich mich so gerne anfreunden würde, wir schlendern gemeinsam zur Kaufhalle und tauschen Ferienerlebnisse aus – ich warte mit ihr, bis die Kaufhalle um acht Uhr aufmacht und gehe dann zur S-Bahn weiter.

8.10 Steige in die S-Bahn. Lese ein paar Absätze in einem Aufsatz von Martha Nussbaum, steige um, schreibe in der Wartezeit zwei oder drei sms.

8.30 Eine Kollegin verrät mir, dass die Chefs heute in Meetings sitzen – also fängt der Tag erst einmal entspannt an. Wir schwatzen ein bisschen, es herrscht allgemein Einigkeit darüber, dass der Montagabend herrlich warm war. Jeder hat draußen gesessen oder draußen gegessen oder ist irgendeiner anderen Freiluftaktivität nachgegangen.

8.45 bis 15.00 Uhr Büroarbeit. Eine Kollegin lädt zu einem Stück Geburtstagskuchen; ein paar bevorstehende Büro-Umzüge werden organisiert, Mails sind zu beantworten, eine Telefonkonferenz findet statt, in der Kantine werden Geschichten aus der Nachmittagsexistenz der Büromütter ausgetauscht. Nach dem Mittagsessen nimmt der Druck zu, alles mögliche muss fertiggemacht, verschickt, beantwortet werden.

15.07 S-Bahn. Erschöpft, angespannt.

16.05 Schule. Der Elfjährige schwingt sich auf sein Fahrrad, den Siebenjährigen habe ich an der Hand, unsere Jacken trage ich unter dem Arm, es ist schrecklich heiß, ich bin müde, mein veganer Schuh reibt und mein Bauch tut weh. Der Siebenjährige ist heute besonders langsam, während ich es eilig habe, damit der Elfjährige nicht so lange auf uns warten muss. Der Siebenjährige – gestern das fröhlichste Kind der Welt – wütet mich an, weil er irgendetwas nicht verstanden hat.

16.25 Wir machen auf dem Weg schnell noch einen Friseurtermin für den Elfjährigen aus, der eigentlich schon in der Papawoche dringend dran gewesen wäre. Ich überlege, mich über den Vater meiner Kinder zu ärgern, lasse es aber sein, weil der immerhin gestern neue Halbschuhe für den Elfjährigen besorgt hat, so dass ich das nicht heute machen muss.

16.40 Endlich zu Hause. Ich sinke auf einen Berg schmutziger Wäsche, der im Flur auf Heinzelmännchen wartet; der Elfjährige möchte unbedingt das schöne Wetter nutzen und noch etwas draußen unternehmen. Papas Freundin, erzählt er, kauft uns eine Tischtennisplatte für den Hinterhof! „Uns“, denke ich und fühle mich gekränkt von der Selbstverständlichkeit, mit der der Elfjährige dieses „Uns“ benutzt, das mich ausschließt; und „natürlich“, denke ich, „die muss auch nicht so viel arbeiten und hat immer viel Zeit und deshalb gut Tischtennisplattenkaufen“. Ich schlucke den Ärger herunter und schlage vor, dass der Elfjährige doch gerne das schöne Wetter nutzen und rausgehen und Blumen für sein Balkonkistenbeet kaufen könnte. Und eine Gurke fürs Abendbrot. Die Situation ist gerettet. Fünf Minuten später durchforstet der Elfjährige meine Blumensamenvorräte, und dann zeichnen meine Kinder – beide – auf Schmierblättern in Umrisse ihrer Balkonkisten optimistisch viele Blumen und Erbsenecken und Radieschenreihen ein. Ich teile an beide drei Euro Blumengeld aus. Plus Taschengeld.

17.10 In Sandalen und ohne Gepäck ist der Weg zum Blumenladen nur halb so weit, ohne drei Jacken unterm Arm ist es auch nur halb so heiß. Der Elfjährige ist allein unterwegs, ich gehe mit dem Siebenjährigen. Leider weiß der vietnamesische Blumenhändler, bei dem der Siebenjährige sich für ein ganz entzückendes Gewächs entscheidet, den Namen der Pflanze nicht. Der Elfjährige bringt einen Topf mit verschiedenfarbigen Hornveilchen nach Hause und außerdem auch so eine neumodische Blume, die ich nicht kenne.

17.50 Ich streiche Brote und schneide Gurke auf, der Elfjährige sitzt im Flur und heftet die Loseblätterausbeute des Schultages in seine Hefter ein, der Siebenjährige macht im Hintergrund Quatsch und lenkt seinen Bruder ab.

18.00 Wir sitzen auf dem Balkon in der Sonne und essen. Wir gucken zu Frau Krähe hoch, die in ihrem Nest zappelt und bewundern die keimenden Radieschen und Asia-Salate, die ich vor ein paar Tagen ausgesät habe – es grünt, es grünt tatsächlich in unseren Balkonkästen! Die Welt ist voller Wunder. Der Siebenjährige steckt den Sprühkopf der Sprühflasche in die Blumengießkanne und besprüht mit großem Vergnügen alle Balkontöpfe und Balkonkästen.

18.45 Ich mache den Abwasch, der Elfjährige sitzt im Flur und heftet mehr lose Blätter ein. Nebenbei erzählt er mir von diesem und jedem, was ihn ungefähr jede Minute davon ablenkt, was er da tun soll, nämlich fertigwerden. Wir geraten ein kleines bisschen aneinander, weil ich finde, dass mitten im Flur ein ziemlich blöder Platz ist, um ein Lerntagebuch zu schreiben, aber der Elfjährige bleibt dabei, dass er das nirgendwo anders zu machen gedenkt.

19.00 Der Siebenjährige ist bettfertig und muss noch seine zehn Pflichtminuten vorlesen. Eigentlich ist er zu müde.

19.15 Ich lese meinen Söhnen noch ein paar Kapital Wolkow vor – „Die sieben unterirdischen Könige“. Der Siebenjährige will gerne wieder mit mir auf der großen Matratze schlafen, der Elfjährige natürlich sofort auch. Also holen wir die Matratze des Siebenjährigen noch dazu (ist eh besser, weil die ja im Allergieschutzbezug steckt) und bauen uns ein ganz großes Nest. Ich kündige an, dass ich flüchten werde, wenn es links oder rechts neben mir Gezappel gibt.

19.45 Der Siebenjährige schläft ein, der Elfjährige macht sein Lerntagebuch fertig. Ich telefoniere kurz mit meinem Vater.

20.05 Der Elfjährige kommt mit den Känguru-der-Mathematik-Aufgaben zu mir aufs Sofa. Der Wettbewerb war vor den Ferien, die Ergebnisse werden aber erst im Mai bekanntgegeben. Wir rechnen sicherheitshalber nochmal nach, gucken, ob wir auf dieselbe Lösung kommen. Ich bin ziemlich stolz auf meinen Sohn.

20.40 Mein großes Kind schläft jetzt auch. Koche mir einen Magentee. Lege Sachen für morgen raus. Die Känguru-Aufgaben, für die der Elfjährige eben zu müde war, muss ich mir doch noch mal schnell angucken. Ganz schön kniffelig! Wenn die Ecken A, B, C, D eines Quadrates rot, gelb oder blau angemalt werden sollen, so dass keine nebeneinanderliegenden Ecken die gleiche Farbe haben, wie viele Möglichkeiten gibt es dann? Solche Fragen lasse ich ungern unbeantwortet.

21.25 So. Jetzt Mails gucken – und dann bloggen. Wäsche, Steuererklärung, Geburtstagskarte für eine liebe Freundin in der Schweiz – das geht heute alles nicht mehr.
Bitte einmal Kraft nachfüllen…

Das Balkongartentagebuch: Hochglanzfotos, Schlesische Himbeeren und ein Brotdosengewächshaus

Die Balkongartensaison beginnt!
Schon kurz vorher bin ich Opfer jenes Buchmarktsegmentes geworden, das davon lebt, unsere Sehnsüchte anzusprechen. Ach, all diese Hochglanz-Gartenbücher, eins schöner als das andere, voller wundersamer Versprechen: Vertikal-Gärtnern leicht gemacht!, Guerilla-Stadtbegrünung mit Erfolg!, Balkon- und Terassengartenwundertricks für Menschen ohne grünen Daumen!, Größte Ernte auf kleinstem Raum! – bei letzterem wurde ich dann doch schwach und bestellte, obwohl ich eigentlich weiß, dass so ein Buch außer vielen hübschen Fotos nur etwa so viele nützliche Informationen enthält, wie auch auf ein Din-A4-Blatt gepasst hätten.

Ich nutze alle Nachmittage meiner nachösterlichen kinderlosen Woche, um auf meinem Balkon zu arbeiten. Nachdem ich im letzen Herbst an Frau Pingagas Pflanzen-Samen-Kreiselei teilgenommen habe, habe ich – neben meinen eigenen Must-Haves und Ideen und den enthusiastisch gekauften Dahlienknollen und Gladiolenzwiebeln – genug Samen, um locker auf insgesamt 30 Sorten Kräuter, Gemüse und Blumen zu kommen, die ich gern anbauen möchte.  Der Schwerpunkt soll – zumindest diese Idee verdanke ich meinem Hochglanzbuch – in diesem Jahr auf Salaten liegen, die im Sommer, wenn wir in den Urlaub reisen und zur Kur, schon abgegerntet sind. Und die Metallwand, die meinen Balkon begrenzt und die Sonne so sehr reflektiert, dass die daran rankenden Winden immer so schnell ihre Blätter verlieren, hänge ich zunächst mal mit Malerflies ab, bevor ich – vielleicht nächstes Jahr – dann ein großes Vertikal-Garten-Regal baue und davorstelle und das mit dem Selbstversorgerbalkon ausprobiere (oder so ähnlich. vielleicht.).

Nach diesen Überlegungen geht es los. Salate, Radieschen und Erbsen dürfen schon ausgesät werden; die abgehängte Wand sieht… naja… akzeptabel aus; und mit dem liebsten Freund genieße ich einen ersten Balkon-Frühabend, bei dem wir entdecken, dass Frau Krähe in der Linde im Nachbarhof schon auf ihrem Nest sitzt und dass ein Grüppchen Spatzen im Haus gegenüber ein Schlupf- und Brutloch in die Isolierverschalung des Hauses gepickt hat und dort fröhlich zankend ein- und ausfliegt.

Von einem Ausflug in den kleinen Heimwerkerladen in meinem Kiez bringe ich ein klitzekleines Gewächshaus mit; es hat ungefähr die Größe einer Brotdose und 12 klitzekleine Anzuchtnippchen, in die ich selbstgeernteten Petersiliensamen streue. Ich schleppe ein Stück Gipskartonwand ins Zimmer des Siebenjährigen – er ist ja nicht da und kann nicht protestieren – und lege es zwischen das Fensterbrett und eine Stuhllehne. So entsteht am hellsten Ort der Wohnung mein Vorzucht-Garten. Schnell gesellen sich Töpfchen mit Samen von Sonnenblumen, Majoran, Basilikum und  Zitronenmelisse hinzu. Und drei Töpfchen mit Tomaten – „Goldene Sonne“, „Schlesische Himbeere“ und „Gelbe Johannisbeere“ – die ich über Frau Pingaga von Helena bekommen habe, die winzigen Samen sorgfältig beschriftet auf Zellstroff, insgesamt sechs Sorten waren im Tütchen, ich gebe dem liebsten Freund also auch gleich davon mit und werde ganz hibbelig vor lauter Vorfreude auf unsere Ernte.

Jetzt führt mein erster Weg am Morgen zu den Salattöpfen auf dem Balkon und mein letzter am Abend zu den Anzuchttöpfchen im Gipskarton-Frühbeet im Zimmer des Siebenjährigen. Nach drei Tagen ist immernoch nichts gekeimt – nur ein versprengter Ahorn-Samen. Ohhhhhch. Ich bin sehr, sehr ungeduldig.

Ab heute sag ich Frühling

Heute hat es sich zum ersten Mal wie Frühling angefühlt. Mehr Sonne. Mehr Licht. Ein klein wenig Wärme.

An einem Tag, vollgepackt wie ein Rucksack:
Oben der Morgen mit dem liebsten Freund. Er kocht Kaffee, wärend ich schon mal meine Tasche packe; dann sitzen wir beide, Tassen in der Hand, auf dem Bett und ziehen die Decke über unsere Knie. So fange ich gern Tage an. Darunter ein Arzttermin, darunter die dickste Schicht: Erwerbsarbeit.
Darunter der Besuch bei der Patentante des Elfjährigen, wo ich 422 Fotos zum Ausdrucken auf eine Bestellseite hochlade. (Verflixt, die müssen dann auch alle in Alben einsortiert werden… ob ich das schaffe, noch einmal zweieinhalb Jahre Erinnerungen für die Kinder auf diese Weise festzuhalten?)
Darunter der Abend mit dem Siebenjährigen und dem Elfjährigen, die eigentlich Papawoche haben, heute aber bei mir schlafen – denn die Schule hat erbeten, dass sich die Eltern vorab das Starkmach-Theaterstück angucken, dass alle Schüler morgen sehen werden, damit die Kinder hinterher mit ihren Fragen nicht allein sind. Der Vater meiner Kinder geht hin, das finde ich gut; ich kuschele ein bisschen mit dem Siebenjährigen und gehe mit dem Elfjährigen ein paar Aufgaben vom letzten Känguru-Mathematikwettbewerb durch, der ist auch morgen.
Ganz unten noch die Besuchsfreundin am Telefon. Schreibzeit. Stille.

Wir alle brauchen ein bisschen „Wüste“, um zu uns zu kommen, heißt es in einem Artikel in der letzten Ausgabe von „Publik Forum“ – in der Ausgabe, in der auch steht, wie oft pro Tag Smartfonnutzer ihr Gerät durchschnittlich entsperren. Schrecklich oft, waren es 46 mal? 54 mal?
Wüste, Stille, Muße, Schweigen – um irgendwas mit dem ganzen Input zu machen, der auf uns einströmt, das leuchtet mir ein.

In meinem Kopf ist schon länger nicht mehr aufgeräumt worden. Der Stock, den mein Vater jetzt zum Laufen braucht, kullert darin herum (die alte Wohnung habe ich nach dem Umzug in die altersgerecht sanierte Genossenschaftswohnung am letzten Samstag zu malern geholfen); die Wahlergebnisse vom Sonntag – mitsamt meinen Versuchen, meinen Söhnen vor laufender Radioberichterstattung die verschiedenen Parteien zu erklären und wer mit wem nieundnimmer regieren wird und welche Parteien ich gut finde und warum. Anregungen aus dem Netz: Die mit dem Konzept der Care Revolution verbundene Kapitalismuskritik und der Verriss des „Mama-Styleguides“ – pfui, jetzt sollen uns über das Lebensgefühl „Mutter“ noch mehr Dinge angedreht werden, noch mehr stylische Klamotten, die irgendwer – vielleicht hatte die Frau ja auch Kinder? – unter menschenunwürdigen Bedingungen irgendwo genäht hat, 14 Stunden am Tag. Unsere Kurzusage, neun Wochen also keine Schule für meine Söhne im kommenden Sommer – und ein ganz großes Geschenk für mich.

Der Abendhimmel ist tiefblau und der Mond sauber halbiert. Ich möchte mich hinsetzen und ihn ansehen und lauschen, ob die Amsel noch singt (vorhin, beim Heimkommen, schluchzte sie im Baum) und warten. Warten, bis die Gedanken nicht mehr durcheinanderreden – und die verknitterten Gefühle sich ganz langsam auseinanderfalten.

Das Balkongartentagebuch: Krähenkind

Am Pfingstsamstagsnachmittag ist es in all den von unserem Häuserkarree eingeschlossenen Hinterhöfen, die ich von meinem Balkon aus einsehen kann, menschenleer.

Oben, in den Baumwipfeln der Linden und des Ahorns und des anderen Ahorns und der Birke, in der die Krähe gebrütet hat, spielt der Wind. Die Spatzen und Meisen schwatzen und schimpfen laut von Baum zu Baum und von Zweig zu Zweig miteinander. In der großen Gabelung des Ahornbaums gegenüber schreien zwei Krähen. Ich recke den Hals, bis ich sie sehen kann. Die eine – vielleicht die Krähenmutter aus der Birke? – füttert die andere, ein kaum flügges Küken, und fliegt dann über die Dächer davon – sicherlich, denke ich, um neue Nahrung herbeizuschaffen. Geduldig und still bleibt das Krähenkind in der Gabelung des dicken Stammes sitzen.

Unten im Gras marschiert das Starenpaar auf und ab, das in diesem Sommer den Kirschbaum gepachtet hat – sie (?) würdig in Schwarz und er (?) frohgepunktet. Ein paar Spatzen folgen den beiden neugierig über den Rasen unterm Wäscheplatz. Zwischen roten und grünen Leinen schimmert eine gelbe in der Sonne wie ein langes goldenes Haar.

Wenn ich nicht hinsehe, drehen die Bohnensprösslinge auf meinem Balkon ihre Spitzen ein wenig weiter. Immer gegen den Uhrzeigersinn – die im linken Topf haben das Spalier schon gefunden, die rechts tasten noch danach. Lila beginnt der verlauste Salbei zu blühen, rot die Verbene. Die Studentenblumen in den Beeten der Kinder sind prächtig, an der Tomatenpflanze des Zehnjährigen gibt es schon kleine grüne Früchte; die Erbsen des Sechsjährigen muss ich zum vierten Mal nachstecken, ich wühle in der Erde nach den früher dort eingebrachten Samen, finde aber nichts.

Allmählich wird das Krähenkind im Baum unruhig. Es streckt die noch ungelenken Flügel, hüpft auf der einen Seite seiner Gabelung ein wenig den Stamm hoch; stakst auf der andern Seite auf dem dort flacher wachsenden dicken Ast nach außen; fängt sich mit weit ausgebreiteten Flügeln, wenn es dabei abzurutschen droht. Keine Spur von seiner Mutter. Es beginnt kläglich nach ihr zu schreien, und sitzt dann wieder still, ein Bild der Verlassenheit.

Aus dem Ahorn, auf dem es sitzt, propellern immer wieder einzelne Samen nach unten wie irgendwelche Dinge in Computerspielen, die man in einem Korb auffangen oder vor denen man sich in Sicherheit bringen muss.

An meinem Balkon vorbei lässt der Wind behutsam einen einzelnen Pusteblumensamen aufsteigen.

Als eine Krähe durch den Hinterhof fliegt, reißt das Krähenkind im Baum seinen Schnabel so weit auf, dass ich – viele Meter entfernt – das Rote im Inneren seiner Kehle leuchten sehe. Aber die große Krähe fliegt vorbei. Inzwischen warte auch ich gespannt – und irgendwie entrüstet über ihr langes Ausbleiben – auf die Krähenmutter. Kann das wirklich so lange dauern, ein paar Würmer einzusammeln? Und warum ist das Kleine so allen, hat es keine Geschwister?

Irgendwann hat das Küken sich beruhigt, vielleicht ist es eingeschlafen. Es wird kühl, ich gehe nach drinnen. Als ich nach einer Weile aus dem Fenster schaue, ist die Gaben im Ahornstamm im frühen Abendlicht leer.

Rauch

Die S-Bahn streikt. Überfüllte U-Bahnen, die Leute tippen angestrengt in der Öffi-App auf ihren Smartphones herum, wer kein Smartphone in der Hand hat, glotzt seinem Nachbarn auf den Bildschirm.

Der „Helpling“, den ich mir bestellt habe, damit ich meine drei Krankschreibungstage tatsächlich zum Erholen nutze und nicht anfange, die verdreckte Wohnung zu putzen, storniert seinen Termin bei mir, ich sei nicht mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu erreichen.

Mein Chef am Telefon: So krank klingst Du garnicht! Kannst Du mal eben dies und das –

Abends beutelt mich der Husten dann wieder, die Ärztin hat Keuchhusten und Lungenentzündung und Allergie ausgeschlossen und mich dann mit einer Krankschreibung in der Hand aus dem Untersuchungszimmer geschoben. Schlafen Sie sich mal aus. Sowas kann ja auch von der Erschöpfung kommen.

Ja, ich bin erschöpft. Schrecke um fünf Uhr morgens mit Herzrasen hoch. Habe wenig Geduld mit den Kindern. Habe immer diese lange Liste im Kopf, dieses muss dringend und jenes müsste eigentlich auch. Das Runterkommen klappt nicht mehr, noch nicht mal die drei Tage zu Hause helfen. Sonst fange ich, sobald die Genesung von irgendwas einsetzt, sofort an, im Kopf Pläne zu schmieden und lange Listen mit Dingen zu schreiben, die ich unbedingt dringend sofort machen möchte – und die ich dann nie schaffe, höchstens halbherzig beginne. Aber immerhin.

Jetzt fühle ich mich, als ob ich sogar das Wünschen verlernt habe.

Er wäre da – irgendwo gleich hier, nur einen oder zwei Schritte entfernt, ich kann es spüren: der Raum, in dem ich irgendwas spannendes mit meinem Leben machen, in dem ich etwas gestalten könnte. Aber ich nutze ihn nicht, ich habe viel zu viel zu tun. Und wenn ich nichts zu tun habe, nehme ich mir schnell etwas vor, aus Angst vor der Leere.

Meine Kinder toben über den Nachbarhof und verschwinden mit ihrem Vater im Hinterhofeingang seiner Freundin. Glücklich sehen sie aus. Für die Tests üben, fehlende Schulmaterialien nachkaufen und den drohenden Kita-Streik mit meinen Arbeitszeiten zusammenbasteln – mein absehbares Programm mit den Kindern, sobald sie wieder zu mir kommen – ist so viel weniger schön.

Ich werde zu einer schrecklichen Gesprächspartnerin (und ihr Name war „maulende Myrte“…) für die Menschen, die mit mir reden.

Ich würde gerne fortgehen, irgendwo an einem Meer sitzen und in die Wellen starren und warten, bis ich mir nicht mehr wünsche, dass alles einfach aufhört. Aber das geht nicht, also muss ich wohl das Gegenteil tun, ankommen nämlich, hier, wo ich bin, und den Dingen ins Gesicht sehen. Meiner Einsamkeit. Meiner Traurigkeit. Meiner Erschöpfung.

Ein Frühlingsdurchhänger. Eigentlich kenne ich das schon. Und weiß, dass ich mich auch wieder besser fühlen werde. Vielleicht bald, vielleicht morgen. Bestimmt morgen schon.