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Fernsehfilme gucken

Eine Freundin und ich sitzen auf dem Balkon und stellen fest, dass wir uns beide manchmal über Fernsehfilme ärgern. Diese Filme, die ungefähr in der Mitte zwischen Psychothriller und Rosamunde Pilcher der Wirklichkeit gerade so nahe sind, dass man sie für Geschichten aus dem echten Leben halten könnte, wenn nicht…

Och, sagt meine Freundin, in Fernsehfilmen haben die Leute immer richtig viel Geld. Und wohnen in so richtig schönen Häusern. Jaaaa, nicke ich zustimmend, und dann haben die immer noch ein Häuschen am See!

Sehnsüchtiges Schweigen.

Und wenn eine Frau in einem Fernsehfilm ein Kind gekriegt hat, dann stolziert sie zwei Stunden später mit forschen Schritten über die Wochenstation – als käme sie gerade aus dem Urlaub! Und – ich habe Kontakte in Fachkreisen, ich weiß Bescheid – die notfallmedizinische Behandlung wird immer ganz falsch dargestellt!

Entrüstetes Schweigen.

Und wenn eine Frau alleine ist, sagt meine Freundin – oder alleinerziehend, werfe ich ein – dann lernt sie immer in den ersten zehn Minuten mindestens zwei tolle Männer kennen und die wollen auch beide was von ihr. Und sie muss nur noch rausfinden, welcher der Schurke und welcher die große Liebe ist. Und im Film ist das auch nie beides derselbe!

Und die sind immer alle so schick angezogen und geschminkt und müssen dafür nicht stundenlang ins Bad!

Unglückliches Schweigen.

Und dann wird am Ende immer alles gut. Dann treffen sie sich im Haus am See – die alt gewordene Mutter, die immer ein Drachen war, und die alleinerziehende Mutter mit dem Schulfreund, der nicht-der-Schurke-sondern-die-große-Liebe ist, und die leichtsinnige junge Frau, die ständig ihr Baby vernachlässigt und ihre solide kinderlose Schwester mit der eigenen Firma, die auch so gerne ein Kind hätte und der geläuterte Ehemann, der seine Affäre beendet hat und der echte und der falsche Vater von dem vertauschten Baby und die altkluge Pubertierende, die das Gespräch erst mal in Gang provozieren muss… und dann reden sie alle über alles und dann wird alles gut.

Nachdenkliches Schweigen.

Wir seufzen in unsere Gläser. Wenn das hier ein Fernsehfilm wäre, wäre da irgendwas feineres drin als Wasser. Und wir würden nicht in Schlabberklamotten auf dem Balkon sitzen, sondern schick aufgebrezelt auf einer Restaurantterrasse mit einem attraktiven jungen Kellner.

Jaja, wie mein Chef gelegentlich sagt: das Leben ist eben kein Ponyhof, sage ich. Das ist auch ok, meint meine Freundin. Wer will schon täglich Mist schaufeln?

Aber so ein bisschen wie im Film könnte es ab und zu schon sein.

Philosophisches Schweigen.

…dann mal weg

Das Gepäck ist verschickt, der Wasserhahn ist repariert, die letzten Tage im Büro sind überstanden. Das Sommerwetter ist auch vorbei, die Leute an der Haltestelle vom Schienenersatzverkehr drängen sich im Dauerregen unter ihren Schirmen zusammen, über ihren Köpfen sieht man ein Stück von einem Werbeplakat. „Nur noch zwei Monate!“ steht da.

Wir sind dann mal weg.

Für die Reise will ich mir noch eine Zeitschrift kaufen; ich kann ja nicht ausschließen, dass die Kinder sich auch mal zehn Minuten alleine beschäftigen. – Aber welche? Nicht zum ersten Mal frage ich mich, warum die Berliner Kioske seit einiger Zeit mit Zeitschriften vollgestopft sind, die alle Land-Irgendwas heißen. Die anderen müssen sich mit neuen urbanen Trends von der ländlichen Idylle absetzen:  „Nackt tanzen“ titelt die eine und behauptet, dass entsprechende Parties „immer selbstverständlicher“ werden. (Soso.) Eine andere will der Welt erklären, warum Frauen fremdgehen müssen. Und unvermeidlich werden wir – mal wieder – darüber aufgeklärt, dass man sich für ein erfülltes Leben (Incl. Fremdgehen? Und nackt tanzen? Und mit den neuen Rezepten aus der Landküche?) entscheiden kann.

Och nö. Dann lese ich meinen Kindern im Zug doch lieber eine Geschichte vom Drachen Kokosnuss vor.

Und dann will ich am Meer entlanglaufen. Angezogen. Alleine.

Nichts denken und nichts planen.

Vielleicht blogge ich noch nicht mal… oder nur ganz wenig.

Aber ich komme ja wieder.

Die Wissenschaft hat festgestellt

Beim Radiohören am Morgen wurde ich neulich mal wieder mit den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft versorgt. Anscheinend wurde jetzt nachgewiesen, dass das Tragen von Rucksäcken zu Schuldgefühlen führt. Ehrlich wahr! Probanden, die während eines vorgeschobenen Experimentes einen fünf Kilo schweren Rucksack trugen, wählten aus mehreren angebotenen Belohnungen angeblich hinterher tendenziell das Obst, während andere, deren Rucksack nur ein Kilo schwer war, ohne Skrupel zu den Schokoriegeln griffen. Wenn man den Schluss akzeptiert, dass das Auswählen von Obst dem Kompensieren von Schuldgefühlen durch korrektes Verhalten diente, war die Studie wohl einigermaßen eindeutig.

Ich muss sofort an den schweren Ranzen meines Achtjährigen denken. Wenn er stattdessen einen dieser neumodischen Schulrollis hätte – würde er dann noch mehr Schokolade essen wollen? Oder vielleicht ein glücklicheres Kind werden? Müssten Schulranzen schleunigst verboten werden oder hätte Bioessen bei Kindern dann gar keine Chance mehr? Nein halt: Schulranzen lieber erst verbieten, wenn die psychischen Folgen des Schulrolliziehens gründlich erforscht sind. Am Ende fühlt man sich angebunden, wenn man ständig eine Last hinter sich herziehen muss? Entwickelt einen starken Freiheitsdrang und eine rebellische Tendenz zum Schulschwänzen?

Ich schiebe die Frage erstmal beiseite – die Kinder sind eh bei ihrem Papa – und betrachte kritisch die Sachen, die ich heute mit mir rumtragen werde. Ein Buch, ein Päckchen, das zur Post muss, eine Orange, diverse Unterlagen, eine Flasche homöopathische Tropfen. Wenn ich die Kinder am Nachmittag abholen muss, muss morgens schon das sperrige Buddelzeug mit. Und nachmittags kommen die Einkäufe dazu und die halbleergegessenen Vesperdosen und die Jacken, für die es am Nachmittag zu warm ist – für all das brauche ich auch einen Rucksack. Jetzt weiß ich endlich, warum ich mich als Mutter dann immer so unzureichend fühle.

Heute kann ich die Handtasche nehmen, zum Glück. Aber ich schalte das Radio lieber mal aus. Ob das Tragen von Lasten an einem Schulterriemen ins emotionale Ungleichgewicht führt oder zu einer einseitigen Weltsicht – das will ich jetzt gerade lieber nicht auch noch wissen.

Aber eins wird mir klar, als ich zur S-Bahn renne, während die schwere Tasche von meiner Schulter baumelt: Die spirituelle Läuterung auf langen Pilgerwegen… müsste dann ja wohl umso stärker ausfallen, je mehr Gepäck man mit sich rumträgt. Ob das schon mal einer untersucht hat?

Wissenschaft ist schon irgendwie lustig.

Radio bildet doch

Eigentlich habe ich es ja nicht so mit den Medien.

Mich haben schon Leute als sonderbar bezeichnet, weil ich so ganz ohne Spiegel Online und Facebook und sogar ohne Fernseher mein Dasein friste. Aber würde es meinen Tag schöner machen, wenn ich weiß, ob dieser oder jener B-Politiker sich für oder gegen sexuelle Belästigung ausspricht? Wenn ich alles über die neueste Reality-Show erfahre? (Im Dschungel? In der Arktis? Im Uranbergwerk? Oder wo schicken sie die Leute heute hin?)

Aber so ganz lässt sich dieser Luxus des Nichtwissens natürlich nicht durchhalten, schon allein wegen dem Wetterbericht schalte ich dann doch mal morgens das Radio ein, damit meine Kinder einigermaßen witterungsgerecht bekleidet sind und die Erzieherin in der Kita mich nicht so streng anguckt.

Und manchmal ist es dann direkt interessant, was das Radio einem an einem ganz normalen Dienstagmorgen zwischen sieben und acht so bietet. Radio Eins widmet gerade eine ganze Woche der Frauenquote. Und sie reichern das Thema mit allerlei Informationen an, die mir im Kopf hängenbleiben. Wie lange kramt eine Frau in ihrem Leben durchschnittlich in ihrer Handtasche? 76 Tage. Wie viel Zeit verbringt dieselbe durchschnittliche Frau in ihrem Leben in der Küche? 3,2 Jahre. Während ich noch nachrechne, ob das stimmen kann, fängt die Werbung an, und mir bleibt fast die Zahnbürste im Hals stecken. Mit unverhohlenem Enthusiasmus in der Stimme verkündet da einer: „Plötzlich geht doch beides! Fremdgehen und Treubleiben!“ Kann diese Werbung ernsthaft an Frauen gerichtet sein? Dann wohl doch eher nicht, es geht um Bier. Aber für Frauen haben sie auch einen Spot, gleich hinterher. Eine der Berliner Tageszeitungen versucht ihre weibliche Leserschaft mit einer Serie zur Fitness im Frühling zu vergrößern. Irgendwie weniger toll.

In den Nachrichten geht es darum, dass jeder EU-Bürger ein gesetzliches Recht auf ein Girokonto erhalten soll. Aber sie sagen nicht dazu, ob die Menschen ohne Girokonto hauptsächlich Frauen sind. Wahrscheinlich wurde das Gesetz sowieso von der Lobby der Internethändler eingebracht. Unser lieber Berliner Oberbürgermeister präsentiert sich als Retter der East-Side-Gallery, aber welcher aus Schilda zugezogene Bezirkspolitiker hat eigentlich die Abrissgenehmigung erteilt? Hallo?

Eigentlich bin ich schon fast aus der Tür, aber dann muss ich doch noch den einen Beitrag anhören, der tatsächlich inhaltlich zur Frauenquotenwoche gehört. Sie stellen diese 24-Stunden-Kita in Schwedt vor (die finanziert sich wahrscheinlich über bezahlte Interviewtermine), die gerne als Musterbeispiel für eine Infrastruktur genannt wird, die es Frauen ermöglichen soll, Beruf und Familie zu vereinbaren. Ich schalte das Radio aus und springe los, Richtung Büro. Mir macht dieser Kita-Beitrag Bauchschmerzen. Ich schüttele den Kopf, wenn ich von Kitas in den alten Bundesländern höre, aus denen die Kinder zum Mittagessen abgeholt werden müssen, wie soll das denn gehen? Aber ich möchte auch keine 24-Stunden-Kita für meine Kinder haben. Würde das den Druck nicht einfach nur verlagern – den Arbeitgebern jeden Anlass nehmen, sich Gedanken über familienfreundliche Bedingungen zu machen, den Frauen aber aufbürden, ihre Kinder zu jeder Tages- und Nachtzeit betreuen zu lassen, einfach weil die Möglichkeit besteht und die Präsentation (der Jahresabschluss, der Bericht, das Projekt, der Artikel, der Entwurf, das Irgendwas-ist-immer) deshalb unbedingt heute noch fertig werden muss?  

Wenn sie jemals Bier an Frauen verkaufen wollen, sollten sie es jedenfalls mal so versuchen: „Plötzlich geht doch beides! Als entspannte Mutter viel Zeit mit Ihren Kindern verbringen. Und erfolgreich in Ihrem Beruf sein.“ Ich nehme einen Kasten. Prost!