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Draußen und drinnen

Draußen bei meiner Morgenrunde sehe ich den Fuchs am Papierkorb schnüffeln und den Reiher in der Morgensonne stehen. Die Gänsefamilien schwimmen auf dem Kanal, den Küken wachsen schon Federn auf den Flügeloberseiten und am Bürzel. Am Abend weiden sie am Ufer Gras und kommen dicht an den Elfjährigen und mich heran. Wir stehen ganz still. Ein Mann aus der Nachbarschaft erzählt vom Biber, der abends vorbeischwimmt; und davon, wie er Fuchsfähe und Krähen füttert. Derweil guckt eine Maus aus einem der vielen Löcher an der Uferbefestigung und huscht dann wieder in die Tiefe. Auf dem Rückweg wohnt ein Eichhörnchen an der Strecke; und der Baum mit dem Starenloch zwitschert noch immer laut; die Alten fliegen fleißig mit Futter heran. Auf meinem Balkon baden die Spatzen in der Bienentränke und hinterlassen… Hinterlassenschaften. Schwebfliegen stehen zwischen den Blättern der wilden Malve, die Schwertlilie blüht, mit den Blüten der Katzenminze ist eine Biene beschäftigt.

Drinnen wächst dem Fünfzehnjährigen die Schularbeit über den Kopf. Die letzte Motivation geht flöten, als Lehrer plötzlich Aufgaben stellen, die auf anderen Aufgaben aufbauen, die der Fünfzehnjährige garnicht bekommen hat. Jeden Morgen Mails sichten, Teams durchsuchen (auch die ausgeblendeten), Aufgaben aus dem einen Präsenztag im Kopf behalten, Liste schreiben. Lange und kurze Abgabefristen, Präsentationen, Ausarbeitungen, Vokabeln, Gruppenarbeit, die nicht funktioniert.
Streit. Rauschender Abgang des Fünfzehnjährigen zu seinem Vater, bei dem zwar wegen des Babies keine besondere Ruhe herrscht, der aber weniger streng kontrolliert, ob die Schulaufgaben erledigt werden.
Der Elfjährige hat es besser im Griff, wir stellen fest, dass wir keinen schwarzen Filzstift haben und dass Edding sich für das Filterexperiment zu den Bestandteilen schwarzer Filzstiftfarbe nicht eignet. Zwei Fineliner finden sich dann doch noch und liefern wunderschöne Farbverläufe. In der Anton-App darf zur Belohnung gespielt werden, warum auch nicht, das motiviert.

Meine Kopfschmerzen gehen auch mit Tabletten kaum noch weg, die Konzentration auf meine eigene Arbeit ist futsch, Fehler passieren. Der Klassenlehrer des Fünfzehnjährigen kann auch noch nicht sagen, was für Schulunterricht es nach den Sommerferien geben wird. Und wie viel. Beide Kinder zusammen haben bis zu den Sommerferien in sechs Wochen noch fünf (FÜNF!!!! in fünfeinhalb Wochen!!! BEIDE Kinder zusammen!!!) Präsenztage, die sich nicht überlappen. In den Zeitungen ist von „Schulöffnungen in Deutschland“ die Rede und die Elterngeld-Sonderregelungen laufen aus, sagt das Radio. Nicht, dass ich welches kriegen würde, ich darf ja Homeoffice. Zur Not auch für immer. Lachen oder Weinen, je nach Tagesform. Irgendwann gebe ich auf und lasse mich krankschreiben, das wird wahrscheinlicher, je länger dieser Zustand andauert.

Draußen auf der Ausfallstraße rauscht der Verkehr fast schon wieder so laut wie vor der Coronakrise.

Bäume

Ich liebe Bäume.

Ich schaue im Winter gerne in kahle Zweige, und noch viel lieber jetzt, wenn das Muster, dass sie vor dem Himmel bilden, durch das Wachstum der Knospen plötzlich lebendig wird und sich von Tag zu Tag verändert. 

Die Birken mag ich gerne, deren unordentlich hängende Zweige von Weitem (aber nicht aus der Nähe) aussehen, als ob sie einen Friseurbesuch nötig hätten. Den Ahorn im Hinterhof mag ich, der mit seinen zum Himmel in schönster Rundung abschließenden jungen Zweigen aussieht, als hätte er seinen Haarschnitt schon bekommen. 

Ich bewundere die Linden, die ich als Nicht-Autobesitzerin rund ums Jahr von ganzem Herzen schön finden kann. Sie haben wahrscheinlich das eine oder andere Seminar gemeinsam mit den klugen Kreuzsspinnen besucht; sie sind Meisterinnen feinster, auf Linden-Art ein klein wenig gebogener Ästchen und Verzweigungen, mit denen sie sich wie mit einem zweiten Wurzelwerk im Himmel verankern.

Ähnlich intensiv verzweigen sich die Platanen, nur ein wenig kräftiger und knorriger, müssen sie doch das Gewicht ihrer Früchte, der Vorbilder der gemeinen Weihnachtsbaumkugel, sicher tragen können.

An den alten, lebenserfahrenen Kastanien freue ich mich, die ihre Zweige, schwer von aufbrechenden Knospen, achtlos, aber dennoch elegant durcheinanderhängen lassen, so dass sie ein wunderschönes Wirrwarrmuster bilden. 

Nicht weit weg stehen die jungen Pappelsprösslinge, die schon große, längliche Knospen haben, aber garnicht daran denken, sich mit kleinen Ästchen aufzuhalten. Sie recken ihre Triebe zum Himmel und träumen davon, eines Tages wie eine hohe Kerzenflamme aufzuragen oder wie riesige Pinsel, mit denen man den Himmel an grauen Tagen blau anmalen könnte. 

Der Urzeitkollege Gingko hat es auch nicht so mit kleinen Zweiglein – der Evolution war diese Idee vielleicht noch garnicht gekommen, als er zum ersten Mal seine zwei-in-einem-Blätter austrieb. Umsomehr konzentriert er sich auf seine Knospen und auf jedes einzelne Blatt darin, weil er hofft, nochmal jemanden zu einem Gedicht zu inspirieren - 

Entlang der S-Bahn-Strecke, die ich fahre, gibt es Bäume mit dekorativ gekrümmten Ästen (Robinien, vielleicht?), ein ganzes Ensemble von ihnen steht am am Rand des Tempelhofer Feldes, in wortloser Absprache die kleineren anmutig um den größten versammelt.

Aber heute sind mir die kleinen Bäume am allerliebsten, die an der zu S-Bahn parallelen Straße stehen und manchmal rosa blühen und deren Namen ich noch nicht mal kenne. Die Ästchen an ihren langen Zweigen geben ein so harmonisches Bild ab, dass ich mich frage, ob schon jemals ein staunender Mathematiker versucht hat, ihr Geheimnis zu ergründen, ob es z.B. mit Fibonaccis Zahlenfolge zusammenhängen könnte – die mich fasziniert, seit ich gelernt habe, dass sich aus ihr der „goldene Winkel“ ergibt, in dem manche Pflanzen ihre Blätter um ihren Stängel herum versetzen, weil die Blätter sich dann gegenseitig das Licht nicht wegnehmen. Aber das ist eine andere Geschichte, keine über Bäume, sondern eine, in der Kiefernzapfen, Ananas und Kakteen vorkommen.

Und am Abend, als ich mit vollgepackten Einkaufsbeuteln zurück nach Hause gehe, freue ich mich über die Trauerweiden am Kanal, die ihren grünen Feenschleier angelegt, und über die wilden Pflaumenbäume, die sich mit weißem Blütenbadeschaum eingeseift haben.

Ich liebe Bäume.

(Warum heiratest du sie dann nicht?, würde der Achtjährige dazu sagen, der nicht müde wird, diesen seinen allerliebsten Achtjährigenwitz anzubringen, sobald irgendjemand sagt, dass er irgendetwas liebt, so dass man – des Achtjährigenwitzes nun doch etwas überdrüssig – nur noch augenrollend antworten kann, dass die Ringe schon bestellt seien. Aber auch das ist eine andere Geschichte.)

Waldhäuschennotizen

15.10. Wir kommen im Waldhäuschen an und alles ist vertraut. Die Töpfe in der Küche, das Sofa im Wohnzimmer, die Betten der Kinder, das Geräusch des Tischtennisballs auf der Platte im Spielhaus, der Porreesalat beim Abendessen im Speisesaal, das Maulen der Jungs beim Waldspaziergang. Ich mag das Maulen nicht und das Vertraute gern. 

Was für ein Urlaub wird das werden? Wir haben schon Ideen: Der Dauerregenurlaub, der Urlaub der griechischen Heldensagen, die wir vorlesen, der Urlaub ohne Pilze – erst zu trocken, jetzt zu kalt -, der Urlaub mit den fruchtlosen vorpubertären Diskussionen, der Sockenstrick-Urlaub. 

Und ein kleines Glas Preiselbeerkompott steht trotz aller Wald-Murrerei schon im Kühlschrank. Hmmm!

Ich packe meinen Koffer…

Die Kinder sind „durch“. Ständiges Gezoff, egal, ob die Nägel geschnitten oder die Hausaufgaben gemacht werden sollen; ob es ums Duschen oder um die Schlafenszeit geht. Morgens kriege ich sie kaum wach und schmiere ihnen mitleidig Honigbrote und Wurstbrote, damit sie was essen, bevor wir raus in den Nieselregen gehen.

Zum Glück fällt wenigstens die Englisch-Klassenarbeit des Zehnjährigen aus, deshalb kann er, statt zu lernen, mit seinem Papa Wintersachen kaufen gehen. Wäre ich mal lieber selber gegangen, denke ich hinterher, als der Zehnjährige stolz mit Handschuhen von einem für die üblen Zustände bei seinen Zulieferern verschriehenen Bekleidungs-Discounter und mit vollsynthetischen (aber seiner Meinung nach total schicken!) Winterschuhen ankommt, die wahrscheinlich weder wärmen noch luftdurchlässig sind. Aber zum Zurückbringen haben wir vor dem Urlaub keine Zeit mehr.

Im Büro herrscht Hektik. Planungszeit. Die Anspannung kriecht mir in die Kieferngelenke, meine alte Schwachstelle, die ich (das ist ein gutes Zeichen, eigentlich) schon fast vergessen hatte. Zwischendurch telefoniere ich privat herum: arrangiere den Keyboard-Unterricht für den Sechsjährigen und ein Leih-Instrument; schubse die Hausverwaltung, die endlich jemanden beauftragen muss, der die Heizung in meiner Wohnung wieder in Ordnung bringt; bestelle den Rufbus, mit dem wir am Samstag in Brandenburg vielleicht trotz Schienenersatzverkehr zu unserem Waldhäuschen kommen.

In meinem Wohnzimmer quellen dicke Pullover, lange Unterhosen und warme Socken aus den noch nicht ganz fertiggepackten Koffern. Lesestoff und Bastelkram nehmen den Platz ein, der eigentlich für die Zutaten für sechs Mittagessen vorgesehen war. Mit müssen die trotzdem – auf reichlich frische Pilze und Beeren können wir uns in diesem Jahr ja nicht verlassen. Irgendwohin muss auch noch das Spielzeug, vor allem die gerade total angesagten sonderbaren Kreisel, die die Jungs aus allerlei Metall- und Plastikteilen zusammenschrauben und dann gegeneinander „kämpfen“ lassen.

Obwohl der Sechsjährige einen Flunsch zieht, weil wir vielleicht nicht gar so viel in den Wald gehen können wie in den letzen Jahren, obwohl ich nicht weiß, ob der Zehnjährige sich langweilen und alles ganz uncool finden wird – andere Kinder aus seiner Klasse fahren nach Teneriffa, Amerika oder Hamburg – freue ich mich, dass wir nochmal, zum vierten Mal inzwischen, dahin zurückkehren, wo wir ein kleines Stückchen Urlaubsheimat gefunden haben.

Ich möchte unter meiner Lieblingsbirke sitzen, auch wenn ich dabei sieben Pullover und eine Regenjacke tragen muss. Ich möchte ein Pfännchen mit den letzten Marönchen braten; ich möchte jeden Morgen im großen, lauten Speisesaal ein Schokolade-Marmelade-Brötchen essen und mit meiner zweiten Tasse Kaffee sitzen bleiben, bis alle außer mir und der Besuchsfreundin gegangen sind und wir es ganz ruhig haben; ich möchte abends im Finsteren frierend vom Kickern zurückkommen und die Herbstkälte unter der Dusche im klitzekleinen Bad aus meinen Knochen spülen; ich möchte mit meiner neuen Sternenkarte spätabends auf der Wiese am See stehen und mit den Jungs nach Sternbildern suchen, die wir noch nicht kennen. Es ist schön, mit so viel Vorfreude an einen so vertrauten Ort zu reisen!

Und ich würde gerne eine ganze Woche nicht nörgeln, nicht meckern, nicht drängeln, nicht an meine Arbeit denken, kein Auto hören und keinen Handyempfang haben.
Zumindest das letzte hat in den letzten Jahren auch immer ganz gut geklappt.

Und nach unserem ersten Urlaub im Wald habe ich mit dem Bloggen angefangen. Das war – WordPress hat nicht vergessen, mir zu gratulieren – vor drei Jahren. Durchgehalten, juhu!

Atempause mit Pilze gucken

Den Stechlinsee habe ich immer für ziemlich unerreichbar mit öffentlichen Verkehrsmitteln gehalten. Bis eine Freundin, die es besser wusste, kurzerhand einen Rufbus bestellte, um mit mir um diesen See zu wandern.

Auf den Rufbus müssen wir in Fürstenberg warten – der kleine Ort, in den ich so gern ab und zu komme, um in dem schönen Seengebiet zu paddeln, ist nur etwa 80 Kilometer von Berlin entfernt. Nah genug, um den einen oder anderen Trend auch hier ankommen zu lassen: Draußen am Bahnhofsvorplatz hat ein Guerilla-Knitter (heißt das überhaupt so?) zwei Straßenschildern hübsche bunte Leibchen mit puscheligen Krausen um die Pfosten gestrickt. Beinahe pünklich biegt der Kleinstbus um die Ecke, der uns und zwei andere Wandersfrauen zum Stechlinsee bringen soll.

Der – einzige – Ort am Stechlinsee heißt Neuglobsow und ist mit großen Parkplätzen, einem beträchlichen Informationszentrum und hübschen Häuschen, in denen Ferienwohnungen zu vermieten sind, auf viele, viele Touristen eingestellt – deutlich mehr, als an einem Septembersonntag hier herumlaufen.

Die Hauptstraße führt direkt zum Wasser. Der schmale Rundwanderweg – durch die Ausläufer, die der See in verschiedene Richtungen streckt, 14 Kilometer lang – schlängelt sich durch den Wald ans Ufer. Zwischen den Bäumen öffnet sich immer wieder der Blick auf den weiten See und die gegenüberliegenden Wälder, in denen die Blätter gerade anfangen, sich zu verfärben. Alle paar Minuten verlocken uns Picknickbänke – unter denen dringend ein Orthopäde eine Runde machen und Einlagen gegen einseitige Beinverkürzungen verschreiben müsste – zum Rasten. In den Bäumen braust der Wind. Das Wasser schlägt dumpf gegen den unterspülten Rand des Sees, kleine Schaumkronen blitzen kurz auf.

Der Wald entlang des Weges ist großteils ein Totalreservat. Vermodernde Stämme schmiegen sich an den Abhang oder in kleine Senken, andere sind ins Wasser gestürzt, auf einem Stamm hat sich im See ein kleines Kräuterbeet angesiedelt. Manche sind ganz frisch gefallen und tragen noch grüne Blätter an den Zweigen.

Auf den umgestürzten Bäumen haben sich die schönsten Pilze angesiedelt: Baumpilze, die wie Klettergriffe aus abgstorbenen Stämmen ragen; wunderschöne Stöcke Schwefelköpfchen, die sich Mühe geben, als Stockschwämmchen durchzugehen. Krause Pilze, die wie Korallen aussehen; heitere leuchtendweiße mit glänzenden Köpfchen, die in lockeren Grüppchen ganze querliegende Stämme besiedelt haben. Ein Fotograf arrangiert seine Ausrüstung vor einem Stück Rinde mit kleinen Pilzchen auf langen, dünnen, roten Stielchen; der Akku meines Fotoapparates ist natürlich gerade alle. Also machen wir große Augen – und kommen kaum heraus aus unserem Ah und Oh. Aus dem Moos schieben sich kleine Täublinge in hübschen Rottönen. Dazwischen wunderbare weiße Knollenblätterpilze (die sehen aus wie weiße Schokolade, sinniert meine Freundin, und da weiß ich, dass wir jetzt ganz dringend Picknick machen müssen) und knuffige Fliegenpilze, deren Anblick schon ausreicht, um mich braune Maronenköpfchen unter jedem Buchenblatt halluzinieren zu lassen.

Aber essbare Pilze haben neben dem vielbegangenen Weg keine Chance. Der einzige, den wir finden, ist schon zur Hälfte einer riesigen, dicken, schwanzen Nacktschnecke zum Opfer gefallen. Viele von diesen Schnecken gibt es hier, größer und schwärzer, als ich sie jemals irgendwo gesehen habe. Das mag – wir albern ein bisschen herum, damit wir nicht wirklich anfangen, uns zu gruseln – an dem alten Kernkraftwerk liegen, dessen Gebäude und Schornstein hier versteckt im Wald stehen und seit der Wende rückgebaut werden. (Führungen mittwochs 13 Uhr in jeder geraden Kalenderwoche nach telefonischer Anmeldung, steht auf der Info-Tafel am Zaun).

Düster ist es in den Wäldern rund um den alten Meiler, der kleine Kanal, über den das Kühlwasser in den Stechlinsee geleitet wurde – oder vielleicht noch wird – schimmert blau-grünlich. Eine Weile geht der Weg am Zaun des Kraftwerkgeländes entlang, und wir versichern uns gegenseitig, dass die Rest-Radioaktivität bestimmt nicht weiter als bis zu diesem Zaun reicht.

Später schlängelt der Weg sich zurück an den See. Wir müssen Kilometer machen, wir haben auch für den Rückweg den Rufbus bestellt. Aber es muss genug Zeit sein, um unsere erschöpften Füße noch mal ins Wasser zu tauchen. Und für einen kurzen Blick auf die Schautafeln am limnologischen Institut, dessen Forschungen – seit der Inbetriebnahme des Kernkraftwerks 1969 – den Stechlinsee in der Fachliteratur bekanntgemacht haben. Ein nährstoffarmer Hartwassersee ist er, erfahren wir, dessen Wasser so klar ist, dass Licht bis in große Tiefen fallen und seltenen Organismen wie den Armleuchteralgen das Überleben ermöglichen kann. Eine eigene, ausschließlich hier vorkommende Fischart – die Maräne – gibt es auch; und wenn wir uns jetzt nicht wirklich beeilen müssten, würden wir gern in einem hiesigen Lokal eine kosten. Ob es sich um die Fische handelt, die wir im zartgrünen Wasser eines in den See einmündenden Kanals haben stehen sehen, kleine Fische in großer Zahl, nach der Strömung ausgerichtet wie die Teilchen in einem Magneten?

Fünf Minuten vor dem Rufbus sind wir zurück an der Haltestelle. Keine Zeit für die Ausstellung in der kleinen, stillen Kirche, keine Zeit, die Esel anzusehen, die wir schreien hören; schade. „Das geht schon seinen Gang“, sagt der Busfahrer beruhigend, der keine Fahrkarten mit sich führt und mir deshalb auch keine verkaufen kann; „steigen Sie mal ein.“

Mit müden Füßen sitzen wir in Fürstenberg auf dem Bahnhof und warten auf unseren Zug nach Berlin. Einen Schluck Wein vom Picknick haben wir noch. Hoch die Plastikbecher – auf einen schönen Tag.

Gartenfreuden

Mit dem Vierjährigen und dem Achtjährigen habe ich zum Ferienende meinen Vater besucht. Der hat einen richtigen Garten! Wow. Meine Söhne durften in den Sträuchern nach Himbeeren und Johannisbeeren suchen. Reife Samen von einem ins Kraut geschossenen Rettich sammeln, die man vielleicht diesen Sommer noch auf unserem Balkon aussäen kann. Tomaten ernten. Stangenbohnen bewundern und am nächsten Tag essen. Die riesige Zucchinipflanze bestaunen. Schmetterlinge zählen. Und Kirschen pflücken, die mein Vater extra für die Kinder am Baum gelassen hatte. Unten. Aber natürlich war das Pflücken von der hohen Gartenleiter und von der kleinen kaputten Stehleiter aus viiiiiel spannender. Nach kürzester Zeit hatte das Erntefieber auch mich erwischt. Mussten wir eben Marmelade kochen, abends.

Pflanzen, pflücken, sammeln, ernten, einmachen… Das alles mag ich, und vielleicht ist das so, weil mit diesen Tätigkeiten so viele gute Erinnerungen an meine Kindheit verbunden sind: An die Begeisterung meines Vaters für die Blumen am Weg, die Pilze im Wald, die Pflanzen im Garten. An ein steiniges Ufer mit wilden Brombeeren, dass wir im Urlaub vom Ruderboot aus entdeckten und an dem wir so viele Beeren ernteten, dass wir aus den Glascontainern in der Umgebung unseres Ferienhäuschens Gläser zum Marmeladekochen heraussuchen mussten. Und an gemeinsame Stunden mit meiner Mutter, die eigentlich nie Zeit hatte, mit mir zu spielen – die mir aber beim Beerenpflücken Schillers Ballade vom Handschuh aufsagte oder mit mir beim Putzen einer riesigen Schüssel voller Bohnen Sprachspiele machte und der ich – eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit! – beim Abzählen von Lorbeerblättern und Wachholderbeeren und Senfkörnern für die süßsauren Gurken helfen durfte.

Woran werden meine Kinder sich einmal erinnern? An das Hochgefühl beim Angeln nach den Kirschen, während ich unten halb lachend, halb besorgt die Leiter festhalte – oder daran, dass ich sie am Abend mit Argusaugen nach Zecken absuche und trotz Protestgeschrei von Kopf bis Fuß abdusche? An den Moment, in dem wir die dicken Bienen beobachten, die einen kleinen Wald aus blühenden Malven umschwärmen – oder an den, in dem ich kreischend (wie nur eine Großstädterin kreischen kann) einen kleinen Käfer von meiner Schulter wische (gefühlt eine Kreuzung aus Kakerlake und Vogelspinne)?  

Und weitergedacht: Wie wird ihr Verhältnis zur Natur einmal aussehen, die sie im Alltag immer nur in der kümmerlichen Großstadtvariante umgibt? Auf die ich spätestens dann keine Lust mehr habe, wenn rund um Berlin Hubschrauber Pestizide gegen Eichenprozessionsspinner versprühen und vor Ambrosiavorkommen auf größeren Brachflächen gewarnt wird?

Der Vierjährige hat jedenfalls sehr pragmatische Ansichten. Als wir von unserer Reise zurück sind und auf unserem Balkon – wo wir pflanzen und ernten, ja, aber ohne jede Notwendigkeit, uns etwa von den Früchten unserer Arbeit ernähren zu müssen; aus purer Nostalgie, kleinteilig und kontrolliert – entdecken, dass ein Stamm grauer Läuse den Rucola besiedelt hat, meint er: Wir können doch Handwerker holen und die bauen dann eine Mauer da und eine da – er zeigt auf die beiden offenen Seiten des Balkons – und dann können sie die Mauer so dicht machen, dass die Läuse einfach nicht mehr durchkommen.