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Im April werde ich…

Ach, das habe ich wieder erst bei der Krähenmutter gesehen (eigentlich stammt die Idee von Frische Brise) – aber ich mag gerne noch mitmachen:

…die Besuchsfreundin besuchen – in ihrer neue Wohnung
…selbst Besuch von der ganz großen Schwester bekommen (seit gestern!) – und vielleicht auch von der großen Schwester
…zwei ganze halbe Tage Urlaub haben
…ein spannendes Buch über Lernstrategien für ADHS-Kinder auslesen und dies und das ausprobieren
…den Zwölfjährigen mit Karten für ein Konzert überraschen, so richtig am Abend und für Große
…rekordverdächtig wenige Ostereier auspusten, färben, bemalen, aufhängen und essen
…mit meinen Söhnen Geburtstagsgeschenke für ihren Vater besorgen
…mit der Mitmutter und unseren Kindern schwimmen gehen, wenn wir alle hübsch gesund bleiben (das war ein Weihnachtsgeschenk an sie, aber manche Dinge brauchen Zeit)
…vielleicht ein Geburtstagsgeschenk einlösen, das ich im letzten Sommer bekommen habe (denn manche Dinge brauchen sehr viel Zeit).
…vielleicht in einen Escape-Room eingeladen werden
…vielleicht mit der leidigen Steuererklärung anfangen
…jeden Morgen auf den Balkon hüpfen und mich daran freuen, wie es dort keimt und wächst und blüht
…jeden Abend die Wetterapp aufrufen, damit ich vor eventuellen Nachtfrösten alles ins Warme holen kann, was ich viiiiiel zu früh rausgepflanzt habe
…in den Kinderzimmern Bilderrahmen mit unseren neuen Linoldrucken aufhängen
…die Korken in den Kleiderschränken mit frischem Mottenschutzöl tränken
…Hornveilchen in die Pflanzschalen für den Friedhof setzen

Ostern

Zwischen dem Ende des Magen-Fieber-Husten-Infektes, den der Elfjährige von seiner Patenreise nach Prag mitgebracht hat, und dem Ausbruch desselben Infektes bei seinem kleinen Bruder ist gerade genug Zeit, um dem liebsten Freund beim Hängen seiner Ausstellung zu helfen und um am Ostersonntag im Stadtteilpark mit der Patentante des Elfjährigen Ostereier zu verstecken. Und zu suchen.

Bei uns läuft das immer ganz demokratisch ab: Nacheinander darf jeder von uns ungefähr ein Viertel der Schokoeier und Schokohäschen und (meine Lieblingssorte!) Blätterkrokanteier verstecken, die ich in meinem großen Beutel habe.

Als erstes ist der Elfjährige dran, der Siebenjährige und die Patentante des Elfjährigen und ich warten gespannt auf dem Hauptweg, auf dem grimmig blickende Einzelmänner in windschnittiger Sportkleidung auf Rennrädern und Familien auf Picknickfahrt rechts und links an uns vorbeisausen und -radeln und Hundebesitzer Mühe haben, ihre überwiegend nicht angeleinten Lieblinge voneinander zu trennen.

Aufgeregt winkt der Elfjährige uns zu sich, und wir fangen an, zwischen altem Laub vom Vorjahr, in Mauerritzen, zwischen Baumwurzeln und inmitten von Frühblühern und immergrünen Bodendeckern nach den süßen Schätzen zu suchen. Leider ist das Gebiet, in dem der Elfjährige versteckt hat, ziemlich groß – irgendwie kommt mir das, was wir finden, weniger vor als das, was ich ihm vorhin zum Verstecken gegeben habe.

Dann ist die Patentante des Elfjährigen an der Reihe. In ihrem Versteck-Gebiet gibt es eine Menge zu entdecken: bunte Flaschendeckel, ein alter, rostiger Fahrradgepäckträger, Raketenspitzen vom letzten Silverster und jede Menge Schneckenhäuser, so schön rund, dass wir sie immer wieder für Ostereier halten. Auch hier ist es schwierig, alles wiederzufinden – bei den kleinen Schokohasen ist es nicht so schlimm, wenn wir die Population im Park ein bisschen erhöhen; es ist nicht die ganz leckere Sorte Schokolade. Aber Blätterkrokant, sagt die Patentante des Elfjährigen, überlebt in freier Wildbahn nicht so gut. Und ich stimme ihr traurig zu.

Dann darf ich verstecken, das mache ich am liebsten auf Griff- oder Augenhöhe in den Büschen, wo erstmal niemand suchen wird; zwei junge Mädchen, die auf einer Bank sitzen, gucken mir kichernd zu. Der Siebenjährige hat dann auch wieder seinen ganz eigenen Stil, er vergräbt etliche Schokoeier in den Maulwurfshügeln entlang des Abhanges, der bei Schnee immer unsere Rodelpiste ist. Eins der Eier kullert beim Finden direkt in ein dem Maulwurf nachbarschaftliches Mauseloch.

Wir gehen mit unseren gesammelten Schätzen den Abhang wieder hoch – neben uns liegt die glatte Erdbahn, auf der im Winter die Schlitten rasen – und dann liegt die Idee so greifbar in der Luft, dass keiner von uns wiederstehen kann. Jeder greift sich ein kleines Schokoladen-Ei in einer andern leuchtenden Farbe (bei uns darf nicht mit Essen gespirlt werden, aber… diese hier waren ja sowieso schon in der Erde) und wir spielen ein paar vergnügliche Runden Schokoladeneierumdiewetteweitkullern. Die beste Technik hat der Elfjährige, das ist eindeutig. Aber froh sind wir alle, weil wir zum ersten Mal ohne Schals und Mützen in der lauen Luft unterwegs sind, weil die Kinder den Hang rauf und runter flitzen und knappe Abstände ausmessen und Sieger ausrufen und die Eier wieder einsammeln, weil wir abwechselnd „noch eine Runde“ und „Revanche!“ und „du hast gemogelt, das war geworfen“ rufen – weil das einer der Momente ist, in denen alles stimmt.

Zeit

Eine der ganz großen Illusionen, die ich mir immer wieder mache, ist die Vorstellung, dass wir an einem bestimmten Punkt in der Zukunft – nächste Woche, am Samstag, in den Osterferien – gaaaanz, ganz viel Zeit haben werden.

Dann fangen die Ferien an, und es stellt sich heraus, dass ein halber Teilzeitarbeitstag auch im Homeoffice immernoch mindestens drei Stunden dauert und meistens länger; dass gekocht und abgewaschen und eingekauft werden muss und der Müll schon wieder überquillt und am Ende keine Kraft mehr fürs Schwimmbad übrig ist und keine Zeit für den Zoo und nur gerade noch genug für eine Runde Kartenspielen vor dem Schlafengehen.

Auf den 422 Fotos, die darauf warten, in unsere Fotoalben eingeklebt zu werden, sieht das so anders aus. Wanderungen und Ausflüge, ein Picknick im Park, eine Reise zur Besuchsfreundin, Basteleien, die die Kinder stolz in die Kamera zeigen. Hatte ich vor ein, zwei Jahren noch so viel mehr Unternehmungslust? Oder steckt in meinem Kopf ein Schalter, den ich irgendwann umgelegt habe; der meine Zeitwahrnehmung verändert hat, so dass ich gewohnheitsmäßig immer schon Tage und Wochen im voraus verplane, doppelt am liebsten, so dass ich mich immer gehetzt fühle?

Die ganz große Schwester hatte vor, uns am Karfreitag zu besuchen, muss aber ganz kurzfristig arbeitsbedingt absagen. Plötzlich liegen anderthalb Tage vor uns, die wir anders gestalten müssen, als ich es mir vorgestellt habe – und da versuche ich ganz bewusst, den Schalter im Kopf zu finden und zurückzuschalten.

Ich lasse das Mittagsgeschirr auf dem Tisch stehen und verlocke meine Söhne dazu, Inliner und Rollschuhe vorzukramen und raus in die Sonne zu gehen. Ich ignoriere das Chaos aus Knieschützern, Fahrradhelmen, Schals und Jacken, das hinterher im Flur herrscht, und gehe auf den Wunsch des Siebenjährigen ein, jetzt noch unbedingt seine Lieblingsplätzchen zu backen. Ich lasse den Elfjährigen eine Osterkerze gestalten, weil er das gern machen mag, und kriege es hin, daraus kein Pflichtprogramm für uns alle zu machen.
Am nächsten Tag gelingt es mir, rechtzeitig – und noch ziemlich freundlich – zu sagen, dass ich erschöpft bin und mal eine halbe Stunde allein sein möchte. Und hinterher habe ich wieder genug Elan, um eine Sellerieknolle, einen verbogenen Löffel, Schaschlikstäbe, ein wenig Bienenwachs, ein Teelicht, Stecknadeln und die ausgepusteten Eier hervorzusuchen und den Jungs die alte Batik-Technik zu zeigen, die ich von meiner großen Schwester gelernt habe; und ich schimpfe gar nicht so sehr über die auf dem Küchentisch verkleckerten Ostereierfarben und lasse am Abend einfach alles auf dem Tisch stehen und denke auch noch nicht über den nächsten Tag nach, sondern gehe Schreiben – und das fühlt sich gut an.

Es wird bei uns unordentlicher als sonst sein an diesem Ostern; vielleicht gibt es kein festliches Essen und wir sitzen nicht zu jeder Mahlzeit gemeinsam am Tisch; dass ein Teller mit Broten irgendwo steht, reicht vielleicht aus, wenn wir dafür noch etwas Schönes zu Ende machen können.
Meine innere Anspannung hatte sich tief, tief eingegraben. Ich bin froh, dass es mir gelingt, sie wenigstens ein bisschen abzuschütteln und das Gefühl für „hierundjetzt“ wiederzufinden; bin froh über die freien Tage mit meinen Kindern.

Bald werden Erwerbsarbeit und Schule uns wieder ihren Takt vorgeben, und dann werde ich ans nächste Wochenende denken oder an die nächsten Ferien und mir einbilden, dass wir dann Zeit haben werden, unendlich viel Zeit, für den Zoo und das Schwimmbad, den Kletterpark und die Wanderung und diese und jene Freunde und alles, was wir uns schon sooo lange wünschen; und werde wunderschöne, viel zu große Pläne schmieden und mich immer wieder daran erinnern müssen, das Planen auch mal sein zu lassen und stattdessen tief, tief zu atmen –  weil wir dann… wirklich Zeit haben.

Chocolate overkill

Weil wir uns in Thüringen bei verschiedenen Leuten eingeladen haben, müssen Mitbringsel her. Zu Ostern natürlich Osterkörbchen mit Schokoladenosterhasen und anderen süßen Sachen.

Ich reise also nach Thüringen, im Gepäck ein Körbchen für meine Eltern und eins für meine ganz große Schwester, bei der der Neunjährige die zweite Ferienwoche verbringen wird, und eins für die Mama einer Freundin, deren Pferd wir besuchen wollen (aber keins fürs Pferd) und eins für unsere Freunde in Kölleda. Außerdem eins für den Neunjährigen und zwei Tütchen mit kleinen Eierchen, die sich für Kinder so schön überall verstecken lassen. Ich reise mit gutem Gewissen, ich habe an alle gedacht. Und ich habe nur Süßigkeiten in die Körbchen gepackt, die ich entweder selber gern essen würde oder die die anderen mögen oder von denen die anderen irgendwann mal behauptet haben, dass sie sie gern mögen.

Wir machen unsere Besuche, die Osterkörbchen verschwinden eins nach dem anderen aus meinem Gepäck.

Und dann fahre ich zurück. Beladen mit einem Osterkörbchen von meinen Eltern für den Neunjährigen und einem für den Fünfjährigen, mit einem Osterkörbchen von meinen Eltern für mich, einem von meiner Schwester für mich, einem von meiner Schwester für den Fünfjährigen… So viel Liebe! So viel Schokolade!

Der Neunjährige hat gleich nach dem Osterfrühstück knallhart die Süßigkeiten aussortiert, die er nicht mag. Das will ich morgen für deine ganz große Schwester und ihre Tochter verstecken, hat er begeistert gesagt. Ich habe abwesend genickt, ich war mit den Gedanken nicht bei der Sache, ich habe überlegt, wo ich die Schokoladentafel loswerde, die, die ich nicht mag und von der ich bestimmt nie im Leben behauptet habe, dass ich sie mögen würde und die ich trotzdem immer wieder mit Liebe und besten Absichten geschenkt bekomme. Einfach im Zug liegenlassen?

Am Abend komme ich in Berlin an, auch der Vater meiner Kinder kommt mit dem Fünfjährigen von den anderen Großeltern zurück und bringt ihn bei mir vorbei. Im Zimmer des Fünfjährigen, unter dem Osterstrauß, stellen wir das Körbchen auf, das er von meinen Eltern bekommen hat und das von meiner ganz großen Schwester und das von mir – und als wir am Dienstag nach Ostern wieder zur Kita gehen, steht da tatsächlich noch eins für ihn in seinem Garderobenfach. Oh, hier war der Osterhase auch, sage ich bedrückt…

Und wer soll das jetzt alles aufessen?

Mitte der Woche kommt uns eins meiner kleinen Patenmädchen besuchen. Ich weiß was, schlage ich dem Fünfjährigen vor, wir können meinem kleinen Patenmädchen doch ein schönes Osterkörbchen schenken! Der Fünfjährige sucht großzügig alle Osternaschereien zusammen, die er nicht so gern mag und dazu ein paar, die er gern mag. Und sogar den kleinsten seiner vier Schokoladenhasen gibt er ab.

Na bitte. Schon ein bisschen überschaubarer.

Bloß schade, dass wir mit den Weihnachtssüßigkeiten noch garnicht fertig waren.

Osterspazierfahrt

Die Ostertage verbringe ich mit dem Neunjährigen in Thüringen bei meinen Eltern.

Wir besuchen das Pferd von Freunden, das wegen dem Osterfeuer in Sichtweite des Stalls ganz außer sich ist; wir gehen ins Schwimmbad, wo ich alte Schulfreunde wiedertreffe und der Neunjährige ganz nebenbei seine Seepferdchenprüfung ablegt; wir fahren mit meinem Vater raus aufs Dorf, dahin, wo ich aufgewachsen bin, und klettern in der Kirche auf wackeligen Stiegen hoch bis zu den Glocken, bis dahin, wo man die Turmfalkenküken piepsen hört. Ach, ist das schön hier. Wie das wohl wäre, hier zu leben? –

Und wir wollen eine Freundin besuchen, die wir im letzten Sommer auf der Kur kennengelernt haben. In Kölleda.

Vorausschauend habe ich mir am Weimarer Bahnhof alle in Frage kommenden Verbindungen ausdrucken lassen. Mitleidig hat die Schalterfrau mich angesehen, als sie mir die Ausdrucke – mit einem matten: viel Glück! – in die Hand drückte. Wieso nur?

Vom Eise befreit sind Fluß und Bäche, trotzdem ist es schneidend kalt, als wir uns frohgemut auf den Weg zum Stadtbus machen, der zum Überlandbus-Busbahnhof fährt. Ich beglückwünsche mich dazu, dass ich den Ostersamstagsvormittag damit verbracht habe, schon eimal zum Busbahnhof zu fahren und herauszufinden, ob der Bus von Weimar nach Kölleda tatsächlich fährt. Deshalb weiß ich jetzt schon, dass er mitnichten zusammen mit den anderen Bussen an der Anzeigetafel angeschrieben stehen wird – oh nein, er wird ja nicht von der Weimarer, sondern von der Sömmerdaer Busfirma betrieben. Außerdem weiß ich schon, wo der Bus abfahren wird und dass er wegen der Vollsperrung der Straße nach Kölleda Verspätung haben wird.

Als der kleine Bus endlich kommt – ein besseres Ruftaxi mit 17 Sitzen – haben mein Sohn und ich ihn ganz für uns allein. Niemand außer uns wird Zeuge, wie der Fahrer auf schmalen, gerade achsenbreit betonierten Wirtschaftswegen die Vollsperrung umgeht. Niemand außer uns genießt den Blick auf Thüringens grüne Hügel – obwohl mein Sohn den auch nicht so recht genießt, dem ist schlecht. Ich falte schnell das unsäglich hässliche Malheft aus dem ICE zu einer Brechtüte zusammen, zum Glück brauchen wir sie nicht.

Wir verbringen einen herrlichen Nachmittag mit unseren Freunden.

Und dann müssen wir wieder zurück. Der Bus fährt nur zweimal am Tag – morgens und mittags. Aber es gibt ja auch Züge! Und sogar einen Bahnhof! Ach ja, ruft meine Kurfreundin, stimmt ja, den hatte ich ganz vergessen, ich bin hier noch nie Zug gefahren. Zum Glück weiß sie, wo der Bahnhof ist, und fährt uns hin. Dochdoch, sagt sie, als wir vor dem verfallenen Bahnhofsgebäude stehen, durch dessen kaputte Fenster Taubenschwärme ein- und ausfliegen. Das ist er wirklich! Wir müssen eine leicht schaurige Unterführung nehmen, die uns unter einem aus dem Wiesen- ins Waldstadium übergehende Brachgelände hindurch zu einem Gleis inmitten der Wildnis führt. Vom Bahnsteigdach stehen nur noch die rostigen Träger. Ein kleiner, gelber Abfahrtsplan ist das einzige Zeichen dafür, dass hier – zwischen halbwüchsigen Birken und hohem Gras – Züge verkehren.

In der Pfefferminzbahn – so nennt sich der kleine Triebwagen stolz, der ganz planmäßig angezockelt kommt – sind wir nicht ganz allein. Ein mürrischer Fahrgastzahlenerhebungsangestellter sitzt da und füllt ganz große Tabellen mit ganz kleinen Zahlen aus. Weil der Automat meinen Geldschein nicht schluckt, spreche ich ihn an. Na, da haben Sie sich Ostergeld verdient, sagt er, hier ist keiner, der ihnen einen Fahrschein verkaufen könnte.

Mit der Pfefferminzbahn kommen wir bis nach Großheringen, das zwar nicht zwischen Weimar und Kölleda liegt, aber eine Umsteigemöglichkeit in die Regionalbahn bietet. Wir nutzen die Dreiviertelstunde Aufenthalt an diesem Knotenpunkt, um den Bahnhof zu verlassen und ein paar Schritte in den Ort zu gehen. An der Straße ein Brunnen, der den Zusammenfluß von Saale und Ilm symbolisiert, mit Figuren spielender Kinder und mit Figuren von Fröschen, die sich heftig ihren Frühlingsgefühlen hingeben. Daneben eine Halle, in der ein paar Tische und Stühle Wartesaalatmosphäre verbreiten. Leider abgeschlossen. Große Schautafeln hinter den Glaswänden. Zwei zeigen Fotos von der großen Flut 2013. Die anderen beiden sind „Großheringen – 20 Jahre Wende“ und „Junges Wohnen in Großheringen“ übertitelt. Auf den Fotos – schief und verblichen – sind Häuser vor und nach ihrer Sanierung – oder ihrem Abriss – zu sehen. Ein Schild in der Ecke: „Dieses Projekt wird von der EU ko-finanziert.“

Nein, entscheiden wir, das kann hier nicht Großheringen sein. Bestenfalls Kleinheringen. Dass die Einwohner Freude daran haben, während unserer Wartezeit auf drei verschiedenen, sehr schicken Quads mehrfach die Hauptstraße auf- und abzubrausen, macht den Eindruck nur unwesentlich besser.

Der Fahrgastzahlenerhebungsangestellte sitzt friedlich in der Abendsonne am Brunnen und löffelt einen Joghurt. Wir imbissbudenverwöhnten Berliner kriegen auch Hunger. Zum Glück steckt tief unten in meinem Rucksack ein Tütchen Schokoeier, die wir eigentlich bei unseren Freunden verstecken wollten. Wie gut, dass wir das vergessen haben.

Auch hier kein Fahrkartenautomat oder gar -schalter. Stattdessen auf der Tür unserer Regionalbahn großgedruckt das Verbot, ohne gültigen Fahrausweis einzusteigen. Drin haben die Halenser Fußballfans gewütet, es riecht nach Bier, die Scheibe der Zwischentür lehnt traurig im Gang. Bis Weimar zeigt sich weder Schaffner noch Schaffnerin. Mein Sohn hält die Hand aus dem Fenster in den abendlichen Fahrtwind. Und ich freue mich auf Berlin.

Thüringen ist wunderbar. Freundliche Menschen in teils sehr hübschen Orten. Goethe, Schiller, Kultur, Ko-Finanzierung durch die EU, schnittige Quads und alles, was das Herz begehrt. Außer einem vernünftigen ÖPNV.

Vor Ostern

Vielleicht sollte ich nächstes Jahr die Fastenzeit doch irgendwie begehen. Was wären Dinge, auf die ich auch mal verzichten könnte, bei denen es schwer fällt und irgendwie sinnvoll wäre? Schokolade? Internet? Tierische Lebensmittel? Schlaf? Also: so viel Schlaf, wie es kosten würde, mich eine halbe Stunde still hinzusetzen und auf den Sinn des Lebens und den von Ostern zu besinnen?

Eigentlich kommt mir dieser Gedanke jedes Jahr. Aber jedes Jahr erst kurz vor Ostern, wenn das Fest näherrückt und ich plötzlich denke, dass ich mir die Osterfreude eigentlich durch ein bisschen Fasten verdient hätte haben müssten.

Ja, da steckt sie, irgendwo tief drin, die protestantische Erziehung. Als ich letztes Jahr meine Kinder nur bis zum Ostersamstagmorgen bei mir hatte, habe ich am Karfreitag mit ihnen Ostereier gefärbt und bemalt und Zweige aufgestellt. Für Ostern geschmückt am Karfreitag! In meiner Kindheit wäre das ein absolutes No-Go gewesen. Zum Glück gab es jemanden, der wusste – und mir glaubhaft versichern konnte – dass Gott die gemeinsame Ostervorbereitungsfreude von mir und meinen Kindern auch wichtiger fand.

Wegen irgendeiner Klausel aus dem Kleingedruckten unseres Wechselmodells sind die Kinder in diesem Jahr an Ostern wieder bei ihrem Vater, sogar mit ihm bei den Großeltern ganz-weit-weg. Dass sie mit den Großeltern schon Eier suchen werden, bevor ihr Vater sie ins Auto packt und auf der hoffentlich noch leeren Autobahn hoffentlich heil wieder nach Berlin bringt, heißt andererseits nicht, dass ich nichts vorbereiten müsste. Werden wir dieses Jahr eben am Ostermontag Eier färben und verstecken und suchen und essen.

Also kaufe ich ein bisschen ein. Schokoladenhasen und Schokoladeneier, die so aussehen, als ob sie mir schmecken würden (zu Hause stellt sich heraus, dass ich – die sich immer bei allen Verwandten beschwert, dass die Kinder viel zu viel Süßes geschenkt bekommen – so viel eingekauft habe, dass mir schon von dem Anblick der ganzen feinen Sachen die Hose zu eng wird). In meinem allerliebsten Thüringer Backbuch habe ich das Rezept für Rhabarberkuchen rausgesucht, aber als ich alle anderen Kuchenzutaten im Wagen habe, erfahre ich von der Verkäuferin, dass es Rhabarber erst ab Mitte nächster Woche gibt. Ganz schlechtes Timing. Was noch? Eierfarben. Ein Zehnerpack weiße Eier, die man bei uns im Kiez nur beim vietnamesischen Gemüsehändler bekommt, weil es in der Kaufhalle nur noch die braunen gibt, die auch dann öko aussehen, wenn sie aus Käfighaltung kommen. Dafür – das weiß ich, seit ich für die Kita mein Soll an Eiern ausgepustet habe und aus den übriggebliebenen Spiegeleier machen wollte – haben die weißen Eier vom Gemüsehändler zwei Dotter, jedes einzelne. (Ukrainische Eier! sagt der Inselmann fasziniert. Oder Japanische!) Und ich kaufe zwei Bündel Kirschzweige, genug, um daran auch dieses Jahr wieder all die gebastelten oder gekauften oder bemalten oder geschenkten Eier unterzubringen, die an Ostern einfach alle aufgehängt sein müssen.

Und sonst? Ansonsten werde ich viel, viel Ruhe haben. Vielleicht gibt es wieder eine Osterandacht um fünf Uhr morgens auf dem Friedhof. Vielleicht gehe ich sogar hin. Denn dort möchte ich an Ostern glauben.