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Immer wieder mittwochs

Mittwoch ist der feste Wechseltag – es gibt auch Wechsel am Samstag und am Montag, je nachdem, bei wem meine Kinder das Wochenende verbringen – in unserer Version vom Wechselmodell. Ich muss pünktlich von der Arbeit nach Hause, Überstunden sind nur montags und dienstags drin. Ein Bein ist noch im Büro, das andere schon halb in der Kita. Mein Kopf macht kurz Pause, der ist ganz weit weg in dem Buch, das ich gerade in der S-Bahn lese.  

Der Vierjährige kommt mir aus dem Kita-Sandkasten entgegen, als erstes führt er mir die rote Schippe vor, mit der er gerade gebuddelt hat. In der Garderobe muss ich sein neues Bilderbuch anschauen, das hat er von den vaterseitigen Großeltern bekommen. Der Achtjährige hat einen drei Tage alten blauen Fleck auf der Wange und eine Schramme am Arm. Wie ist das passiert? Wir haben uns seit Samstagmorgen nicht gesehen. Wir haben nachzuholen. Auf dem Weg nach Hause wollen beide Jungs gleichzeitig erzählen, sie müssen sich abwechseln, sonst gibt es sofort Streit und Geschrei: Bis zur nächsten Ecke darf der Achtjährige von den Toren beim Championsleague-Finale berichten. Dann ist der Vierjährige mit seinem Ärger darüber dran, dass er zur Kita laufen musste, ob wohl er lieber im Auto gefahren worden wäre. Dann darf der Große wieder reden. Der Kleine beginnt derweil zu jammern, dass seine Füße sooo wehtun. Irgendwann und irgendwie kommen wir trotzdem zu Hause an.

Über dem Balkon hängen dicke schwarze Regenwolken. Die Kinder staunen: Seit letzter Woche ist die Kartoffelpflanze wieder ein ganzes Stück gewachsen. Die erste Erdbeere hat eine rote Wange gekriegt. Wir ernten ein paar Radieschen, die mit ihren langen Wurzelschwänzen wie kleine Mäuse aussehen, und die ersten Blätter vom Rucola aus unserem Balkonbeet. Und Brunnenkresse, die eigentlich bloß Tupperdosenkresse ist und vielleicht deshalb ein bisschen muffig und ansonsten nach garnichts schmeckt. Aber daran haben wir uns inzwischen gewöhnt.

Als ich meine Kinder nach ihrem Wochenende frage, erzählen sie von Unternehmungen mit Papa und seiner Freundin. Was meinst du, fragt mich der Achtjährige, hat Papa xyz lieber oder dich? Als ich vorsichtig andeute, dass er wohl xyz lieber mag, nickt mein Sohn zufrieden. Ich verbiete mir selber die dumme Frage, ob der Achtjährige sie auch lieber mag als mich (sich das zu fragen, ist Unsinn, aber man hat eben auch eine Menge Unsinn im Kopf, das ist so) und lasse mir stattdessen seinen Kurzvortrag über Rennmäuse präsentieren.

Gute Nacht Papa – ähhh: Mama! sagt er später zu mir. Nach einer langen Wochenhälfte bei ihrem Vater reden meine Kinder mich oft erst mal eine Weile mit Papa an, beide, auch daran habe ich mich gewöhnt. Wir müssen uns alle umstellen. Jede Woche.

Wechselmodell halt.

Am Abend telefoniere ich noch kurz mit dem Vater meiner Jungs. Wann ist der Schulbuchbasar? Wer geht hin? Hat der Vierjährige noch eine Fleecejacke, die er auf der Kur anziehen kann? Wer geht zum Elternabend, wer schafft den Achtjährigen zeitgleich in den Sportverein und holt ihn wieder ab? Wer bastelt das Abschiedsgeschenk für die Lehrerin?

Alleine – so richtig rund um die Uhr alleinerziehend – würde ich das alles nicht hinkriegen.

Patchworkdiplomatie (Aufbaukurs)

Während das Wetter in Berlin zwischen leichtem Sprühregen und mittelnervigem Sprühregen und wirklich unangenehmem Regen wechselt; während die Fälle durchweichter Socken einen Rekordanstieg verzeichnen und das Tageslicht seit Tagen nicht mehr die Mindesthelligkeit erreicht, die für die Aufrechterhaltung aller seelischen Funktionen notwendig ist… (hatten wir jemals schon so einen ekligen Januar?) kommen wir hier wieder im Familienalltag an.

In der Weihnachtsferienwoche und in der ersten Januarwoche – ohne meine Kinder – habe ich mich so gut erholt, dass das garnicht so einfach ist. Montag flitze ich nach der Arbeit in die Kita, um den Dreijährigen abzuholen, obwohl ich eigentlich weiß, dass sein Papa mit ihm zur Vorsorgeuntersuchung gegangen ist. Bei der Physiotherapie werden wir gerüffelt, weil wir mit dem Siebenjährigen über Weihnachten nicht genug – na ja: eher keinen – Sport gemacht haben und seine Rückenmuskeln sich anscheinend bedenklich zurückgebildet haben. Und dass sein Sportverein auf dem Nachmittagsprogramm steht, verschwitze ich nur deshalb nicht, weil sein Vater mich anruft und fragt, ob ich den Siebenjährigen gleich zu ihm rüberschicke, damit sie losfahren können.

An die bevorstehende Geburtstagsparty für den Dreijährigen erinnert mich netterweise dieser Kinderbedarfs-Versandhändler (1000 Dinge, von denen Sie bis gerade eben nicht wussten, dass Sie sie unbedingt brauchen) mit seinem Kindergeburtstags-Sonderkatalog. Und dass er ein Bauarbeiter-Partyset im Programm hat – mit Baggern bedruckte Teller und Becher und Platzsets mit der Aufschrift „Betreten der Baustelle verboten“ und Einladungen in Form von Radladern oder so und endlose Meter Baustellen-Absperrband, das ich bestimmt gut gebrauchen kann, um besonders wilde Gäste am Hochbett festzubinden und so die Kontrolle über die Veranstaltung zu behalten – überzeugt mich und wird vor allem den Dreijährigen glücklich machen.

Bleibt eigentlich nur noch eine klitzekleine Sonderherausforderung: der Dreijährige möchte den Sohn der neuen Partnerin seines Vaters gern zu seinem Geburtstag einladen, der aber bloß leider noch ein bisschen zu klein ist, um alleine zu kommen.

Nein. Nein! Nein, es kommt nicht in Frage, dass seine Mama hier an meinem Tisch mit dem Vater meiner Kinder flirtet, nebenher Strichliste über meine pädagogischen Fehler führt, den letzten von ihr selber ausgerichteten Kindergeburtstag insgeheim viiiiel besser findet und alle Ideen klaut, die sie noch nicht selber hatte. Das geht einfach nicht. Ob ihr Sohn schon so viel Vertrauen zum Vater meiner Kinder hat, um mit ihm alleine hierherzukommen? Oder ob er vielleicht mit seinem eigenen Papa kommen könnte? Dann könnten der Papa des Sohnes der neuen Partnerin des Vaters meiner Kinder und der Vater meiner Kinder sich überlegen, ob sie sich was zu sagen haben, während die Söhne gemeinsam bauarbeitern. Ich würde den beiden (also, den Papas) sogar Bier hinstellen.

Und jetzt muss ich das alles nur noch diplomatisch kommunizieren. Vielleicht besser erst morgen. Oder übermorgen. Nächste Woche…

Nochmal: Abenteuer Wirklichkeit…

Wollte noch ergänzen, dass ich den Titel meines ersten Schaukelbalkenartikels – „Abenteuer Wirklichkeit“ – geborgt hatte… eigentlich gehört der dem VAMV Berlin, dem Verband Alleinerziehender Mütter und Väter. Ich mag den Slogan ziemlich – er bringt es einem auf nette, leise Weise nahe, erst mal alles zu vergessen, was man darüber denkt, wie Familien beschaffen sein und Kinder aufwachsen sollten. Um sich auf das einzulassen, was wirklich stattfindet – und daraus das beste zu machen.

Nur die Angebote vom VAMV finden so weit weg statt, dass die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – noch dazu mit Kindern und womöglich nach einem langen Arbeits/Schul/Kita-Tag  – eines der Abenteuer wäre, auf die ich wirklich keine Lust habe.

Gerade sind meine Jungs übrigens auf der Geburtstagsparty des Sohnes der neuen Partnerin ihres Vaters. Ich habe die Einladung – die ging an mich, weil es mein Wochenende mit den Kindern ist und wir uns ja alle vom Hinterhof kennen – an ihn weiterdelegiert. Vier kinderlose Stunden: Winterschuhe für den Siebenjährigen besorgt; einen Schal, weil wieder mal einer in der Schule in ein Dimensionsloch gefallen ist; Strumpfhosen für den Dreijährigen, der gerade sehr wächst; Adventskalender, die mich ein bisschen traurig machen, weil die beiden ja nur an der Hälfte der Adventstage morgens bei mir aus den Betten springen und sich ihr Schokotäfelchen holen werden; Bastelkram für die Sterndose, die wir als Teil eines Sterndosenadventskalenders für die Lehrerin des Siebenjährigen gestalten sollen und die der Vater meines Siebenjährigen nach dem letzten Wochenende ganz genau so unbebastelt an mich zurückgegeben hat, wie ich sie ihm (hoffnungsvoll) in die Hand gedrückt hatte.

Und jetzt: tief durchatmen… für die frohen-Geschichten-von-der-Geburtstagsparty, die ich gleich hören werde.

Patchwork in Progress

Es gibt nichts, was das Herz so effizient schwer werden lässt, wie sich an einem finsteren Novemberabend irgendwo von Freunden zu verabschieden und im strömenden Regen mit einem Bus durch öde, unbekannte Gegenden von Berlin zu fahren.

Wie schön es ist, dann nach Hause zu kommen! Musik an, Rechner an…

Ich verleihe mir selber drei Fleißbienchen – der Größe des Projektes angemessener wären allerdings Hornissen oder Vogelspinnen – dafür, dass ich am Wochenende endlich die Fotoalben der Kinder fertig nachgeklebt habe. Ich schaffe es nicht, Tagebücher für die beiden zu führen. Deshalb sind die Alben wichtig. Natürlich ist da wenig vom Alltag zu sehen. Aber die großen Ereignisse, die wichtigen Veränderungen – das ist alles da.

Mein damals Sechsjähriger voller Stolz und Bangen mit seiner Schultüte im Arm. Urlaube mit Freunden, vier kleine Jungs in Gummistiefeln und Regenhosen, putzmunter aufgereiht wie Zwerge. Familientreffen, meist in der Weihnachtszeit, alle bei schlechter Beleuchtung auf einem Sofa und davor zusammengerückt. Irgendjemand sieht immer doof aus. Ausflüge, der Siebenjährige und ich auf den Fahrrädern, der Dreijährige im Korb, auf der wegen unseres Tempos verschwommenen Landebahn des Tempelhofer Flugfelds. Wir drei und die Nachbarskinder beim Plätzchenausstechen, bekleckert und mit Hingabe bei der Sache. Ich mit meinen beiden Jungen im Arm vor dem Weihnachtsbaum, im letzten Jahr.

Zu seinem letzten Geburtstag hat mein Siebenjähriger einen eigenen Fotoapparat bekommen. Er hat unsere Wohnung aus den seltsamsten Winkeln fotografiert. Schöne Alltagsbilder.

Als ich die Fotos von seiner SD-Karte gezogen habe, kamen auch andere mit – ein Ausflug, den nicht ich mit den Jungs gemacht habe, sondern ihr Papa. Meine Kinder sitzen mit seiner neuen Partnerin und ihrem Sohn auf einer Bank, kauen Waffeln, zufrieden. Auch das habe ich nachbestellt und eingeklebt. Es ist ein Teil ihres Lebens.

Die stille Post im Hinterhof wars, die mir zeitnah die Nachricht überbrachte, dass sich die andere-Wechselmodell-Mami-von-schräg-gegenüber für den Vater meiner Kinder interessiert. Sie und er leben im gleichen Häuserblock. Mein Hinterhof grenzt an ihren. Das ist schön, weil die Kinder im gleichen Umfeld leben, bei ihrem Vater, bei mir. Es braucht nicht mehr als einen Vierkantschlüssel, um die Tür im Zaun zu öffnen, wenn sie mit ihren Freunden von nebenan auch dann spielen wollen, wenn sie bei mir sind. Das ist gleichzeitig nicht schön, weil ich Dinge mitbekomme, von denen ich lieber mehr Abstand hätte. Aber von der neuen Beziehung meines früheren Partners hätte ich spätestens dann gewusst, als mein handwerklich extrem interessierter Dreijähriger voller Begeisterung von seinem Vater zurückkam: „Papa“ – ein Mann, der schon immer wegen seiner Größe nicht gut mit Leisten an Fußenden von Betten zurechtkam – „hat das Bett von … abgesägt!“

Lachen oder Weinen?

Ich denke darüber nach und weiß, dass ich nicht tauschen möchte, mit keinem von beiden. Vielleicht werden sie ja ein glücklicheres Paar als er und ich es waren.

Was schwer bleibt, ist, zu akzeptieren, dass eine andere Frau für meine Kinder wichtig wird.

„Du musst es positiv sehen: Ein Mensch mehr, der deinen Kindern guttut!“ sagte die wirklich-vorbildliche-alleinerziehende-Mutter-von-gleich-Nebenan. Aber obwohl der Kopf weiß, dass „die Neue“ mich nicht ersetzen kann und wird, ist und bleibt das Herz neidisch auf alles, was sie mit meinen Söhnen teilt: Zeit und Muße – während ich viel zu oft nach der Arbeit erschöpft und gerade noch zum Abendbrotmachen in der Lage bin; ein Ausflug, auf dem sie die beiden – wie sie mit leuchtenden Augen erzählen – mit einem Seifenblasendöschen in Form eines Teddybären restlos begeistert hat. Waffeln, die sie miteinander essen, auf einer Bank, auf einem Foto.