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Dazwischen

Mittwochabend vor dem langen Wochenende. Die Koffer sind gepackt; Lebensmittel für drei Tage eingekauft. Ein Schokoladenkuchen kühlt in der Küche aus; die Kinder schlafen; ich weiß, in welchem Zug der liebste Freund zu uns stoßen wird – ein Haus ist gebucht und erwartet uns. Morgen.

Der Abend schenkt mir noch ein paar stille Balkonminuten. Obwohl der Regen aufgehört hat,  klatscht gelegentlich ein schwerer Tropfen von der Ablaufrinne des Balkons über mir – vielleicht kaputt, vielleicht verstopft – in meine Balkon-Wasserablaufrinne. Die erste Fledermaus macht sich auf die Jagd; ein Stern blinzelt mir durch eine Wolkenlücke zu und an der Hauswand zeichnet sich allmählich der Schatten des Balkongeländers ab, weil die vollmondrunde Lampe im Nachbarhof mit zunehmender Dämmerung zur hellsten Lichtquelle wird. Im Haus gegenüber schneidet ein Mann im roten T-Shirt in seiner Küche Brot.

Die zurückliegenden Tage dürfen langsam in den Hintergrund treten. Es waren gute Tage:

Ich weiß nun, wann Cosmo auf Italienisch sendet und wo ich die Sendungen nachhören kann. Ich habe – als mein Online-Französischkurs eine technische Störung hatte – den herrlichen Podcast „One Thing in a French Day“ entdeckt und freue mich bei beiden wie die reinste Schneekönigin, wenn ich hier und da ein Wort verstehe.

Ich habe meinen (hübsch frisch gewaschenen) Fuß und meinen ganzen klapprigen Knochenapparat einer Osteopathin hingehalten, die es geschafft hat, dass ich mich während ihrer Behandlung wunderbar entspannen konnte, obwohl sie ihre Hände beim Aufspüren von Blockaden und Verspannungen eigentlich überall hatte. In Bewegung kommen müsse ich (ach… weiß ich ja schon – wenn die gute Absicht bloß zählen würde…) und solle einmal am Tag die Beine senkrecht an der Wand nach oben strecken. (Wahrscheinlich hört es sich dabei sehr gut Podcasts.)

Die Frau, der ich übers Nachbarschaftsnetzwerk im Winter Blumensamen im Austausch gegen ein paar ungenutzte Bretter (die mal ein neues Bad-Regal für mich werden könnten) gegeben habe, hat mir Fotos von all dem geschickt, was jetzt in ihren Balkonkästen wächst. Eine kleine freundliche Geste, die meinen Tag schön gemacht hat. Ich bin auch nur ein ganz klein wenig in Sorge, weil sie geschrieben hat, dass sie die Blätter der Bienenweide gegessen hat („…weil die Pflanze so groß wurde“).

Der kleine Abendblues, der sich auf dem Balkon neben mir auf der Bank niedergelassen hat, hört sich all diese Dinge an und rutscht zur Seite, damit sich eine ziemlich füllige Dankbarkeit zwischen uns niederlassen kann. Es geht uns gut, hey!

Euch allen ein schönes, entspanntes Himmelfahrtswochenende!
Es werden noch Wetten angenommen, wie viele geschmückte Handwagen mit Bierkästen morgen mit uns im Bähnchen hinaus ins grüne Land reisen werden.

Schneeregen, Altersfleckenentferner, Bündeschen und Geriefeseih

Januar.
Meine Kinder sind nach der Schule schon müde und erst abends vor dem Schlafengehen wieder wach. Ich sitze mit der Besuchsfreundin im Wohnzimmer, und durch die geschlossene Tür zum Zimmer des Elfjährigen hören wir ihn singen. Dass er singt, ist schön – obwohl es sich um eins der weniger poetischen Weihnachtslieder von Rolf Zuckowsky handelt.

Am Morgen sind wir immernoch alle müde, bei meinen Söhnen merke ich es daran, dass sie keinen Appetit auf Frühstück haben; bei mir daran, dass ich viel langsamer bin als sonst. Draußen ist es ungemütlich, der Weg am Kanal entlang zur Schule ist eine Schlitterpartie über vereisten Matsch, auf dem große Pfützen stehen. Angegraute Schneereste und unsere Wollmützen geben Stück für Stück ihren Widerstand gegen den Winterregen auf.

Der Elfjährige bekommt seine Gymnasialempfehlung und ist ganz aus dem Häusschen – nicht mehr lange, dann werden wir seine Anmeldung zu einer der in Frage kommenden Schulen tragen und den Auswahlspuk der letzten Monate beenden. Am Freitagnachmittag gehen meine Söhne wieder gemeinsam von der Schule nach Hause, das ist schön, das entlastet meinen Tag. Groß werden sie!

Dass auch ich eine magische Altersgrenze überschritten habe, ist unterdessen nicht unbemerkt geblieben. Irgendwer hat meine Adresse einem dieser Katalogversender verkauft, deren Models mit versteinerten Botoxgesichtern junggebliebende ältere Menschen darstellen sollen; ich blättere mit erstauntem Kopfschütteln die Seiten durch, auf denen mintfarbige Shirts mit Großblumendrucken, Polyester-Kittelschürzen, die Pantoffeln meiner Großmutter, an den BH anknöpfbare Dekolleté-Spitzeneinsätze, Hosenbunderweiterer, allerhand straffende Unterwäsche, Stifte zum Übermalen von grauem Haar, Altersflecken und Emailleschäden sowie zur Verhinderung von Damenbarthaaren, ein sonderbar geformter „Beckenbodentrainer zur äußeren Anwendung“, Konstruktionen zur nächtlichen Korrektur von Hallux-Valgus-Verformungen, Staubwedel an ausziehbaren Teleskopstangen und andere sagenhafte Nippes angepriesen werden. Irgendein Kreativgenie hat die Seite mit den Westen werbend mit „Bei Westen viel Neues“ überschrieben (ich höre förmlich, wie Remarque knirschend in seinem sandigen Grab rotiert), die Produktbeschreibungen kommen dafür eher bescheiden daher: „kann bei regelmäßiger Anwendung das Nachwachsen von Gesichtsflaum verzögern“. „Kann zur Straffung der Muskeln im Po-Bereich beitragen“, die Preise sind niedrig.

Das ist – nachdem es eine Weile grässlich und albern war – am Ende ziemlich anrührend. Die Seiten des kleinen Katalogs riechen nach schmalen Altersrenten, kleineren und größeren Zipperlein, Mühen bei alltäglichen Hausarbeiten; nach viel zu seltenen Besuchen von Kindern und Enkelkindern, nach einem Körper, der sich verformt und dem die Schönheitsmaße von Kleidung, die es bis in Läden und Schaufenster schafft, nicht mehr gerecht werden. Ich denke an meine Großmutter, die bescheiden in ihrem Häuschen auf dem kleinen Dorf lebte, und der liebste Freund (dem es am meisten die Nachthemden mit den großbebrillten Katzen angetan haben) erzählt von seiner Mutter, die gerade ihren 84. Geburtstag gefeiert hat. Nicht lange, und wir spielen Begrifferaten mit den Herkunftsdialekten unserer Eltern und Großeltern. Als der liebste Freund verrät, was ein „Bündeschen“ ist, muss ich sofort in der Umfrage zum „Atlas der Altagssprache“ nachsehen, an der ich kurz zuvor teilgenommen hatte. Aber unter den Begriffen für „kleines scharfes Gemüsemesser“ fehlt ausgerechnet diese regionale Variante. Über dem Vorlesen einer Geschichte im Thüringer Dialekt, der selbst auf den kleinen Dörfern heute kaum noch gesprochen wird, werden wir beide müde. So ist das dann wohl beim Älterwerden.

Am nächsten Morgen… siehe Absatz 2.

Draußen – während ich dies hier schreibe – rieselt es leise, der Regen hat sich wieder in Schnee verwandelt, der zögerlich auf Dachziegeln und unbetretenen Rasenflächen haften bleibt.
Januar.