Ausgerechnet am Nachmittag nach meinem Büro-Tag – trotz Ansteckungsrisiko in der S-Bahn sehr wichtig für mein psychisches Wohlbefinden, ich lerne in diesem Winter, das in meine Risikoabwägungen mit einzubeziehen – meldet sich zum ersten Mal in all der Zeit die Corona-Warnapp zu Wort.
Anscheinend saß auf der Zugfahrt von Hannover nach Berlin am letzten Wochenende jemand in meiner Nähe, der am Mittwoch ein positives Corona-Testergebnis hatte. Leider sagt die Warnapp nicht, wie nah bei mir die Person saß und wie lange. Auch nicht, ob sie geimpft war, bloß bei einem Routine-Test von ihrer Infektion erfahren hat oder nun richtig krank ist.
Die Warn-App schlägt vor, dass ich mich 14 Tage isoliere und einen pcr-Test mache, dabei muss ich als geboosterte Kontaktperson ohne Symptome ja eigentlich noch nicht mal mehr in Quarantäne – ? Ich durchschaue die Regeln nicht, ich mache einen Selbsttest, der ist negativ, ich rufe in der Apotheke an, aber die macht keine pcr-Tests, ich rufe den Hausarzt an, aber die Sprechstundenhilfe bleibt eisern dabei, dass sie nicht bereit ist, den Arzt zu fragen, ob er in dieser Situation einen pcr-Test bei mir machen würde, sondern dass ich in die Praxis kommen müsse, um diese Frage zu stellen, was ich aber extrem ineffizient finde, weil ich mich und andere vielleicht gefährde und dann noch nicht mal getestet werde. In ein Testzentrum des Berliner Senats möchte ich gleich garnicht, weil dort ja sicherlich alle wirklich coronapositiven Menschen zum Test hingehen.
Weil der Zwölfjährige am übernächsten Tag von seinem Vater zu mir kommen und der Sechzehnjährige am Wochenende geboostert werden soll, möchte ich trotzdem gerne wissen, ob ich mich angesteckt habe. Ich buche mir also einen Selbstzahler-pcr-Test. Der Schnelltest vorab ist auch wieder negativ, das ist beruhigend. Aber für die nächsten roten Kacheln ist das keine Lösung, das ist einfach zu teuer.
Als ich einen Termin beim Orthopäden verschiebe, weil mein pcr-Ergebnis noch nicht da ist, und die Situation am Telefon schildere, meint die dortige Sprechstundenhilfe, dass sie die Warnapp nicht benutzt, um genau in diese Situation garnicht erst zu kommen.
Das pcr-Ergebnis am nächsten Tag ist negativ, ich bin wohl noch einmal davongekommen. Unterdessen steigen die täglichen Neuinfektionen in Berlin auf neue Höchststände, werden Kinder in den Klassen meiner Söhne positiv getestet (hätten sie die Warnapp, würden sie also auch die eine oder andere rote Kachel sehen), guckt der Januar dunkelgrau und selbstzufrieden durch die Fenster zu mir herein und sieht aus, als ob er nie enden würde.
Die Tage füllen sich mit Kleinstereignissen. Eine Leuchte im Flur muss repariert, ein paar Weinachtssachen können weggepackt werden. Ich koche Nudelsauce für den Sechzehnjährigen, ich lege Wäsche zusammen und höre dabei Herrn Drosten zu, der die Omikron-Welle erklärt. Beim Frühstück wordeln der Sechzehnjährige und ich gemeinsam, wir sind nicht besonders gut, aber es macht uns Freude. Der Zwölfjährige kommt nach zweieinhalb Wochen wieder zu mir und ist ein ganzes Stück gewachsen, zwei neue Sweatjacken müssen bestellt werden. Die erste Stricksocke ist fertig, die Erwerbsarbeit wird saisontypisch hektischer; der Weihnachtsbaum verliert Nadeln, wenn man ihn zu fest anschaut.
Es geht uns gut.