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#WmdedgT: 5. Juni 2018

Frau Brüllen fragt wie an jedem 5. eines Monats, was wir alle so den ganzen Tag lang machen – und hier sammelt sie die Alltagsberichte von allen, die sich beteiligen.

Mein 5. Juni war ein Erledigungstag, was daran liegt, dass ich am Wochenende das Lotterleben einer Wechselmodellmutter geführt habe und in Heringsdorf war, wo ich den liebsten Freund beinahe die ganze Zeit fröstelnd habe am Ostseestrand sitzen lassen, um mit allerlei Gejauchze ins Meer zu hüpfen und für viele Berlin-Wochen auf Vorrat zu schwimmen. Noch dazu habe ich am Montagnachmittag auf dem Tisch der weltbesten Osteopathin gelegen und am Abend eine äußerst leckere Pizza verzehrt. Alles ohne meine Kinder.
Hinterher ist natürlich zu Hause der Mülleimer voll und der Kühlschrank leer, der Staub tanzt auf dem Tisch und die Spatzen auf dem Balkon, die Wäsche guckt vorwurfsvoll und die Erledigungsliste reicht bis Honolulu. Die war dann mal heute dran.

5.55 Ich wache auf und entscheide, besser gleich aufzustehen. Mein neuester Morgen-Programmpunkt ist– die weltbeste Osteopathin hat es angeordnet, und da mein schmerzender Knöchel unter ihren Händen wieder friedlich wird, tue ich alles, was sie vorschlägt – Gymnastik. Fünf bis zehn Minuten lang, je nachdem. Heute ist ein Zehn-Minuten-Tag. Danach koche ich mir einen Tee und gieße eine Schale Müsli mit halbundhalb heißem Wasser und Milch auf. Ich ziehe den Bademantel an und frühstücke auf dem Balkon. Die Bienen kommen wieder regelmäßig, seit die Bienenweide blüht, also sage ich der Frühschichtbiene Guten Morgen und drohe den Spatzen, die mir nach den roten Melden jetzt den rotstieligen Mangold verwüsten.

6.40 Duschen, Anziehen, Herumtrödeln.

7.10 Ich nehme den Bus zum Baumarkt. Ich brauche Orchideensubstrat, Orchideentöpfe und einen neuen Duschkopf. Alles erhältlich.

7.55 Zurück nach Hause. Im Treppenhaus begegnet mir die Nachbarin von Untendrunter und drückt mir schnell ein Päckchen in die Hand, das sie für mich angenommen hat. Ich streiche die ersten beiden Punkte von der Liste, schraube fix den neuen Duschkopf an und packe den Rucksack mit gefühlten zwei Zentnern aussortierter Bücher und einem kaputten Paar Schuhe voll. Dann zur S-Bahn.

8.45 Büro. Der Chef hat Urlaub, die geschätzte Kollegin ist krank im Homeoffice, sonst ist auf dem Gang auch noch keiner da. Durchatmen, Kaffee holen, Tagesprojekt anfangen. Zwischendurch versuche ich, den Vater meiner Kinder zu erreichen, der heute mit dem Neunjährigen zum Durchgangsarzt zum Fädenziehen geht und unbedingt fragen soll, wann der Neunjährige wieder schwimmen darf.

12.00 Mittagessen mit einer Kollegin in der Kantine: Couscouspfanne und Ratatouille – lecker! Danach schleppe ich die mitgebrachten Bücher in die Bücher-Zelle und vertraue meine allerbesten (aber kaputten) alten Urlaubssandalen dem Schuhmacher an. Hinterher gibt es im Büro noch einen Kaffee und ein bisschen Mailverkehr mit dem Chef des Chefs, der vom Chef des Chefs des Chefs auf ein paar Fragen des Chefs Antworten – leider unklare Antworten – bekommen hat, mit denen ich jetzt weiterarbeiten soll. Auch der Chef mischt sich aus dem Urlaub in die Diskussion ein. Fazit: das kann alles warten, bis er wieder da ist.

14.15 Der Vater meiner Kinder ruft mich zurück – Fäden gezogen, Schwimmen erlaubt. Der Neunjährige berichtet von den drei grässlichen blutigen Stellen an seinem Bein, die das Entfernen der Fäden hinterlassen hat.

15.00 Ich mache pünktlich Schluss. Der nächste Weg führt ins Kaufhaus, wo ich Witscher (bekannter unter dem Handelsnamen „Teigschaber“) für die Schwiegermutter meiner Schwester besorge. Denn die allerbesten Witscher ihres Vertrauens gibt es nur in Berlin! Außerdem brauche ich ein paar hellbraune Sandalen und probiere eine Weile alles an, was mir in die Hände fällt. Die Auswahl von Schuhen in dieser tendenziell schwierigen Ü-40-Farbe wird nicht leichter dadurch, dass die Schuhe wenigstens für halbe Einlagen tauglich sein sollen. Ach: Älterwerden! Ich schließe eine Vernunftehe mit einem Paar Riemchenballerinas und gehe seufzend (aber diszipliniert) an all den Ständern mit Sommerkleidern vorbei zur Kasse.

16.50 Zu Hause. Eigentlich habe ich noch mehr vor (und die Fan-Schminke, die ich den Jungs besorgen wollte, habe ich auch vergessen), aber ich bin zu müde, um nochmal loszugehen. Immerhin erreiche ich telefonisch den Spendenladen der Kinderhilfe und bekomme eine sehr erfreute Antwort auf meine Frage, ob sie den Schulanfängerranzen des Neunjährigen und seine Zuckertüte annehmen würden. Das kommt auf die Liste für den nächsten Erledigungstag. Ich stelle die Waschmaschine an, gieße mir ein großes Glas Wasser ein und setze mich kurz auf den Balkon. Trotz der sehr ausgefeilten Konstruktion aus Bambusstäben und Fäden, die ich um den Mangold gesponnen habe, haben die Spatzen von einer der Pflanzen heute weiter Blätter abgerissen. Ich schwöre Rache, habe aber keine Ahnung, was ich tun soll. Dafür freue ich mich an der ersten Cosmea, deren Blütenblätter heute Morgen noch zu einem ganz festen Päckchen zusammenlegt waren und die jetzt – wunderschön rosa – aufgeblüht ist.

17.30 Ich schreibe die Einkaufsliste für die Kinderwoche und suche Rezepte fürs Wochenende raus. Hühnchen mit Erdnusssauce, Kichererbsensalat und gefüllte überbackene Zucchinis soll es geben. Bevor ich den Einkauf bestelle, esse ich ein paar Brote. Da die Woche ruhig ist, kann ich am Donnerstag von zu Hause aus arbeiten und den Einkauf vormittags liefern lassen. Sehr schön. Jetzt ist die trockene Wäsche an der Reihe, schnell zusammenfalten und wegräumen. Dann mache ich eine Aufstellung über Kosten für Kleidung, Schuhe, Frisör, Klassenfahrt etc., die ich im letzten halben Jahr für die Kinder bezahlt habe, und schicke sie an den Vater meiner Kinder, denn wir teilen uns die meisten dieser Ausgaben und gleichen ab und zu aus, wenn einer mehr als der andere bezahlt hat. Danach ist die neue Wäsche fertig – schnell aufhängen.

19.30 Zeit zum Schreiben!

21.00 Um diese Zeit sendet Radio Colonia auf Italienisch – nebenbei kann ich noch etwas bügeln… Hinterher brauche ich nur noch ein Bett und ein Buch. Arrivederci! Buonanotte!

Sommerwarmer Freitag

Im Handumdrehen sind wieder fast zwei Wochen verstrichen. Mein scheußliches Voltarensalben-Unverträglichkeitsexzem am Knöchel ist beinahe verheilt, und ich kann endlich die schicke Aktiv-Bandage tragen, die ich dann doch irgendwann in einem Sanitätshaus erstehen konnte.

Am Morgen ist alles prima; am sommerlich warmen Nachmittag, wenn die S-Bahn voller unmutiger Feierabendberliner ist, ist mein Fuß auf einmal zwei Nummern zu groß für die sportlich-blaue Knöchelstütze; sie drückt vorn und hinten, deshalb bleibe ich unglücklich auf meinem schwer erkämpften Platz sitzen, als sich ein Mann mit freiem Oberkörper neben mir niederlässt; ich würde ihn seeeehr gern mit Blicken anziehen – oder aus der S-Bahn werfen zum Aussteigen bewegen – weil ich bittedanke selbst entscheiden möchte, wer halbnackt und verschwitzt neben mir sitzen darf.

Unter solchen Umständen ist das Nachhausekommen besonders schön. Ich ziehe die fußgerechten Wanderschuhe aus, die Socken und die nicht mehr ganz taufrische Bandage; dann stelle ich vorsichtig die Paprikapflanze auf den Balkon, die mir noch gefehlt hat, und die Walderdbeere, das Wandelröschen und die Studentenblume, die ich aus Versehen im Oh-lauter-wunderschöne-Pflanzen-Glücksrausch auch noch gekauft habe. Hach, wie schön!

Als alle Neuankömmlinge ein Plätzchen mit ausreichend Erde gefunden und Wasser bekommen haben, sitze ich mit einem Buch auf der Balkonbank und blinzele in die Sonne, die zwischen dem Schornstein des Nachbarhauses und dem Stamm der grünbeschleierten Birke ein paar letzte Strahlen in den Hinterhof schickt. Im rechten Nachbarhof schwatzen zwei Mütter am Sandkastenrand, während ihre Kinder auf dem Rasen Fange spielen; im linken Nachbarhof isst eine Familie zu Abend; oben im Baum wippt die Taube auf einem Ast und lässt es darauf ankommen, von der brütenden Rabenmutter erspät und verjagt zu werden. Gegenüber auf dem Flachdach, wo die Sonne noch richtig hinscheint, laufen ein paar Männer mit hippylike buschigen Haaren und buschigen Bärten hin und her, Becher und Handys in den Händen – unser Kiez verjüngt sich, denke ich, sowas gab es hier noch nie – und schaue ihnen interessiert beim Sonnenuntergangfotografieren zu.

Später, drinnen, ist es ein bisschen einsam. Auf meinem Laptop liegen die Präsentationen, die der Dreizehnjährige zu den Schulvorträgen gemacht hat, die er gestern und heute halten musste und die ich mir in den letzen Tagen immer wieder geduldig angehört habe; im Zimmer des Neunjährigen guckt mich der Kuschelhase traurig an, auf dem Boden liegt der Schlafanzug und aufgeschlagen im Bett das Michel-Buch von Astrid Lindgren, aus dem wir vorgelesen haben; in der Küche erinnert mich das Ligretto-Spiel daran, dass der liebste Freund, der Dreizehnjährige und ich gestern um diese Zeit kartenspielend am Tisch saßen.
Jetzt sind alle fort, und ich habe keine Lust, irgendetwas von all dem anzufangen, was ich machen wollte, wenn ich allein bin.

Es ist okay, sage ich mir, erschöpft zu sein und garnichts zu wollen.
Und vielleicht, tröste ich mich, gibt es nachher ein paar Sterne.

(Meine neue App kennt sie alle – auch den „kleinen Hund“, der abends über meinem Balkon wacht, und den „großen Löwen“, den wir über dem Waldhäuschen, zwischen den hohen Bergen, strahlen sahen – zwei Sternbilder, die ich noch nie gesehen hatte, und die zu meinen großen Frühlingsfreuden gehören…)

Bitter an Dienstagen

Manchmal funktioniert das mit dem Wechselmodell gut, aber fragt mich bitte nicht an Dienstagen danach. Nicht an denen, an denen der Elfjährige – einen Tag nach dem Siebenjährigen – zu mir wechselt. Solche Wochen beginnen nämlich oft ungefähr wie diese:

Am Montag mache ich mit dem Siebenjährigen alles, was sein Papa nicht gemacht hat: Seine Schuhe erst trockenen und dann gründlich imprägnieren. Einen Tag vor der Keyboard-Stunde endlich mal üben, und zwar ordentlich. Den Ranzen aufräumen und alle losen Blätter sortieren. Schulessen für die nächsten Tage und Wochen im Internet bestellen. Den Siebenjährigen mit viel Überredungskunst Möhre, Chinakohl und Gurke zum Abendessen unterjubeln.

Am Dienstag mache ich mit dem Elfjährigen alles, was sein Papa nicht gemacht hat: Meinen Sohn dazu bringen, dass er seinen Ranzen auspackt, die losen Blätter der letzten Schulwochen (die vor Weihnachten war ja auch eine Papa-Woche) einheftet und sein „Lerntagebuch“ für die laufende Woche vorschreibt und auszufüllen beginnt. Angesammelte Tests unterschreiben. Die Elternpost durchsehen. Den Elfjährigen im Internet Schulessen für die nächsten Tage und Wochen bestellen lassen.

Das kling alles nicht so schlimm? Montags mit dem Siebenjährigen ist es auch noch ganz entspannt. Ist ja nur ein Kind, und dieses Kind kann sich gut konzentrieren. Aber noch bevor der Elfjährige am Dienstag mit seinen Schulsachen fertig ist, ist es Abend, habe ich ihn gefühlte dutzende Male ermahnt, sich nicht ablenken zu lassen und weiterzumachen – und er hat Kopfschmerzen. Schluss also für heute. Kurz bevor ich ins Bett gehen will, entdecke ich, dass seine Winterschuhe innen ganz nass sind, hole schnell Zeitungspapier und schalte die Heizung wieder ein. Die Schuhe des Siebenjährigen sind heute trocken geblieben, warum wohl?

An diesen Dienstagen habe ich es satt, einfach nur noch satt. Meine Kinder verbinden die Zeit bei mir mit Pflichterfüllung, Arbeiten für die Schule, Üben für den Musikunterricht, und spätestens dann, wenn zusätzlich zu den Pflichten einer ganz normalen Woche noch die Papawoche nachgearbeitet werden muss, mit Stress und Anspannung. Beim Papa dagegen gibt es ungefüllte Zeit, Pommes und Netflix. Und ich kann nirgendwo hingehen; es gibt keine Instanz, die mich in meinem Anliegen unterstützt, dass auch bei mir Zeit für Schönes bleiben und auch bei ihrem Vater das Notwendige getan werden soll. Hallo Jugendamt, meine Kinder kriegen bei ihrem Papa keine Vitamine und lernen nicht für die Schule? Vernachlässigung sieht ganz anders aus, das weiß ich wohl. Es geht ihnen ja gut dort. Und warme Handschuhe hat er dem Elfjährigen (auf meine Anregung hin) gestern dann mal eben besorgt.

Aber was genau lernen unsere Kinder bei alledem – zum Beispiel über die Rollen von Mann und Frau?

Schwierig, ganz schwierig.

Vermischte Weihnachten

Wechselmodellweihnachten sind ja immer ein bisschen unterschiedlich. Dieses Jahr so:

Den Heiligmorgen verbringe ich mit dem liebsten Freund, der mir am Vorabend schon den Großeinkauf nach Hause und die Blautanne zum Weihnachtstisch getragen hat. Die Pflichten sind also alle schon erledigt, wir beginnen wir den Tag mit Kaffeetassen und Müslischalen im Bett.

Als der liebste Freund sich gerade auf den Weg machen will, kommt der Elfjährige, denn beim Vater meiner Kinder wurde entschieden, dass er den Weihnachtsbaum bei mir und der Siebenjährige den beim Papa schmückt. Ein gemütliches Stündchen verbringe ich also mit meinem großen Sohn unter lebhaften Diskussionen: Auf welchen Zweigen sind die neun Kerzen sicher? Wo müssen die drei verbliebenen roten Kugeln (von den silbernen ist noch keine kaputtgegangen, immer nur von den roten) hängen, damit das Gesamtbild harmonisch ist? Wo kommen die Lieblingsstücke hin, die erzgebirgischen Tannenbäumchen aus Holz, der kleine gläserne Fußball, die Glocke aus meiner Kindheit? – Anschließend isst mein Sohn mir die Hälfte der aufgebratenen Nudeln vom Vortag weg und packt die Krippe aus. Hinter Maria und Josef stellt er eins der Elektroteelichter, die man den Kindern aus unerfindlichen Gründen dann und wann in die Adventskalender packt, und plötzlich hat das Ding einen wunderbaren Zweck.

Kaum ist der Elfjährige wieder gegangen, klingelt die Mitmutter mit ihrem Töchterchen und wir trinken gemeinsam Kaffee, machen die Kerzen am Baum schon mal an, bescheren ein bisschen – die Mitmutter ist eine großartige Schenkerin und überrascht mich mit einem Magnet-Kristall, den man in Ohr oder Nase tragen kann und der mich sehr begeistert. Dann gehen Mitmutter und Töchterchen zur Kirche, ich bleibe aber noch da, weil der Vater meiner Kinder entschieden hat, dass wir nicht die frühe Kinderkrippenspielvesper besuchen, sondern die zweite, bei der es laut Gemeindebrief Ortspfarrer, Besinnung und Krippenspiel gibt. Mir fällt ein, dass ich ja eigentlich krank bin – bis zum Aufbruch lege ich mich also mit meinen Kopfschmerzen aufs Sofa.

Dann geht es mit einer großen Tasche voller Geschenke in der Hand, einer Dose Plätzchen unter dem Arm und dem neuen Funkelding in der Nase nach nebenan, wo ich das Gepäck abstelle und meine Kinder und ihren Vater abhole. In der Kirche ist die Heizung kaputt, es ist also kalt, aber der Siebenjährige möchte gern auf meinem Schoß kuscheln und wärmt wie ein kleines Öfchen. Gespannt blicken wir nach vorne, wo das Podest fürs Krippenspiel aufgebaut ist, der Baum leuchtet und Musikerinnen mit Flöten Platz nehmen. Aber nicht der Ortspfarrer tritt vor die Gemeinde, sondern ein knorriger weißhaariger Pfarrer i.R., der mit strenger Miene in die Gemeinde blickt, ohne großen Willkommensgruß den Gottesdienst eröffnet und dann hingebungsvoll über die ababcab-Melodie und den ababcdc-Reim im Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ predigt. Vom Wohlgeruch der Rose in der dritten Strophe versucht er zum Gänsebratenduft überzuleiten und so einen klitzekleinen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Zuhörer zu bekommen, besonders gut klappt das aber nicht. Krippenspiel gibts auch nicht. Ein paar Familien verlassen zwischendurch leise die Kirche, als ihnen das klar wird. Der Siebenjährige ist auf meinem Schoß längst eingeschlafen.
Auch als wir hinterher im Vergleich von Schaukasten und Gemeindebrief feststellen, dass im Gemeindebrief zwei Vespern vertauscht angekündigt worden sind, bleibe ich fassungslos, wie schon manchmal an Weihnachten: da kommen Massen von Menschen in die Kirche, die die Kirche sonst nicht so gut erreicht (wir zum Beispiel). Müsste man die nicht ansprechen, begeistern, ihnen etwas mitgeben, was sie vielleicht wiederkommen lässt?

Hinterher kocht der Vater meiner Kinder Kartoffeln, Sauerkraut und Sojawürstchen, dann werden (endlich, endlich! Der Siebenjährige hält es kaum noch aus – ) Geschenke ausgepackt, und zwar so: Es wird reihum gewürfelt (1 und 6 = Geschenk auspacken, 2 = Naschen, 3 = Singen, 4 = Auspacken verschenken, 5 = Naschen verschenken) – und wer mit einer Eins oder Sechs oder der Vier eines anderen Glück hat, muss immer sein jeweils kleinstes ungeöffnetes Geschenk auspacken. Das klingt furchtbar zwanghaft, funktioniert aber gut: alle Geschenke werden gewürdigt, der Siebenjährige kommt dazu, sein mit viel Mühe eingeübtes „Jingle Bells“ am Keyboard vorzuspielen, der Vater meiner Kinder singt mit uns sein Lieblingsweihnachtslied, ich lese das Maria-Gedicht vor, dass ich auf dem Blog von Kat und Susan entdeckt habe, alle verdrehen die Augen, wenn „Nachen“ gewürfelt wird, weil alle schon satt sind, und als die dicken Pakete mit Spielzeug zum ganz-lange-Aufbauen dran sind, dürfen die Jungs das machen und die Erwachsenen setzen sich mit einem Tee in die Küche.

Vielleicht feiern wir nächstes Jahr mal nicht mehr in dieser Konstellation, sagt der Vater meiner Kinder müde, und ich nicke, weil ich weiß, dass seine Freundin schon dieses Jahr gerne mit ihm gefeiert hätte und jetzt mit ihrem Sohn alleine gegenüber in ihrer Wohnung sitzt. Ich bin dem Vater meiner Kinder dankbar dafür, dass wir in diesem Jahr noch einmal unsere gemeinsame Tradition fortgesetzt haben. Weil unsere Söhne es sich so wünschen. Und weil ich dadurch mit meinen Kindern Heiligabend feiern konnte, auch wenn in diesem Jahr Papaweihnachten sind. – Aber nein, korrigiert mich der Vater meiner Kinder, nicht mit seiner Freundin wolle er feiern nächstes Jahr, sondern garnicht, Weihnachten bereite ihm als Fest einfach keine Freude mehr.
Vielleicht, sage ich, lade ich dich ja trotzdem nächstes Jahr ein. Und die Mitmutter. Und noch mehr Freunde, wenn es welche gibt, die auch alleine sind. (Und wenn ich ganz besonders kühn bin, sogar deine Freundin und ihren Sohn, aber das denke ich lieber nur und sage es nicht, weil ich nicht weiß, wie kühn ich in einem Jahr wirklich sein werde). Dann essen wir zusammen und singen und spielen vielleicht und jeder bekommt nur ein Geschenk – und beschert wird erst am nächsten Tag. So stelle ich mir den Heiligabend schon lange vor.

Dann sage ich meinen Söhnen gute Nacht und gehe nach Hause, mit meinem Husten und meinen Kopfschmerzen und den Geschenken, die ich bekommen habe. Falle ins Bett und denke: Morgen bin ich alleine, das ist auch gut. Morgen bin ich krank und mache garnichts.

Tagesnotizen: 12.12.16

Den Morgen vor der Kinderwoche nutze ich für einen Echtzeitversuch, der die Auswahl einer weiterführenden Schule für den Elfjährigen unterstützen soll: Um sieben Uhr fahre ich mit dem Bus den Weg zu drei möglichen Schulen ab und stoppe die Zeit. Lerneffekt: Stadtauswärts sind reguläre 25 Minuten Bus morgens kein Problem. Zurück und bis zu meiner Arbeitsstelle dauert es dann 90.    

Ankunft des Siebenjahrigen am Nachmittag: müde, erkältet, mit dringendem Keyboard-Übe-Bedarf und allerhand neuen, beim Spielkumpel gesehenen Must-Haves für seinen Wunschzettel.

Abends schließe ich im Übermut begonnene und aus Zeitmangel zäh gewordene Projekte ab: Stricke eine leidige Socke zu Ende, koche Marmelade aus den letzten drei der vielen, dicken, wegen ihres Duftes leichtsinnig erworbenen Quitten.

Ich freue mich an meinem mit Verschenk-Kleinigkeiten gefüllten Wäschekorb, beginne rückblicklich über das Jahr 2016 nachzudenken und gehe zeitig schlafen.

Ein guter Tag. 

Tagesnotizen: 14.10.16

Letzter Arbeitstag vor dem Urlaub. Die Besuchsfreundin kauft unterdessen ein, hängt Wäsche auf, bügelt, ölt die quietschende Schlafzimmertür. Ich fühle mich wie bei den Heinzelmännchen.

Am Abend kommen die Kinder von ihrem Vater zurück, das macht weniger froh: Den am Montag schon hustenden Siebenjährigen hat kein Arzt abgehört, Hustensaft hat er erst seit heute mirgen bekommen. Dass der Elfjährige sein Englischbuch aus der Schule mitbringen sollte, hatte ich auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, der Vater hat es dem Elfjährigen nicht ausgerichtet. 

Aber im Waldhäuschen ist kein Arzt erreichbar, wäre endlich Zeit, dem Elfjährigen beim Nachholen von Vokabeln zu helfen…  Hilflosigkeit und Zorn.

Gepackte Koffer, die Zugverbindung liegt bereit, der Wecker ist gestellt. 

Nach dem ersten Urlaub im Waldhäuschen – vier Jahre ist das her – habe ich zu bloggen angefangen. Ach ja, damals! Wir reisen inzwischen mit vielen Erinnerungen und erzählen uns Geschichten von dem, was wir dort in den letzten vier Jahren erlebt haben.

Vielleicht wird es ja noch einmal so zauberschön…

Mittagspause

Kurze Mittagspause. Ich krieche unter meine Decke und mache die Augen zu.

Ich habe dem erkälteten Elfjährigen erlaubt, nach der zweiten Stunde – Vorbereitung für den großen Englisch-Ausatz! – nach Hause zu kommen und sich auszuruhen; ich habe versucht, mit dem hustenden Siebenjährigen zum Kinderarzt zu gehen. Und bin gescheitert: ein Zettel an der Tür „Keine Sprechstunde am 10.10. und 14.10.“, zur Vertretung wurde auf „die umliegenden Arztpraxen“ verwiesen; die Inhaberin der einzigen anderen fußläufig erreichbaren Praxis hatte Urlaub, der eigentlich von unserer Kinderärztin vertreten werden sollte. Kein Arztbesuch also, die nette Sprechstundenhilfe in der zweiten Praxis half mir wenigstens mit einer Krankschreibung aus, unkompliziert, freundlich. Das machen auch nicht alle.

Ich habe mit dem Siebenjährigen inhaliert, für beide Kinder Essen gekocht, die Waschmaschine angestellt. Wenn ich aufstehe, warten der Abwasch, das Keyboardüben mit dem Siebenjährigen, das Englischüben mit dem Elfjährigen und die nasse Wäsche; es wartet, wie sich später herausstellt, auch ein Streit mit dem Vater meiner Kinder, der den Siebenjährigen abholt und so gar keinen Nerv dafür hat, dass auch die Kennenlerntermine an weiterführenden Schulen besprochen werden müssen, die für den Elfjährigen in Frage kommen. Tage der offenen Tür, Elternabende und Schnupperunterrichtsangeboten häufen sich in den nächsten Tagen und Wochen: welche Schulen sollen angesehen werden, welche nicht, wer geht mit dem Elfjährigen hin? – Alleingelassen fühle ich mich mit dieser Entscheidung, die die nächsten Jahre lang unser Familienleben mitprägen wird.

Während ich jetzt, am Mittag, kurz die Augen schließe, geht draußen auf der Straße das Dröhnen der Baumaschinen weiter, die seit dem Frühjahr in unserer Straße stehen und irgendetwas am Abwasserkanalsystem sanieren, ohne dass dabei irgendwelche Fortschritte sichtbar wären, nur Absperrungen und aufgebuddelte Straße und Bagger und anderes schweres Gerät, dass hin- und herrollt und lärmt und dröhnt.

Gleich werde ich aufstehen und etwas Gutes aus diesem Nachmittag machen: einen Kaffee für mich kochen, ein Spiel mit den Kindern spielen, eine Rolle Kekse hervorzaubern, eine zweite Folge von „Elefant, Tiger & Co“ erlauben, dem Vater der Kinder nach unserem Streit am Telefon auf seine Rückfrage ganz freundlich versichern, dass ich achtgeben werde, dass der Elfjährige den Schlüssel zur Papa-Wohnung sicher in seinem Ranzen verstaut, freundlich und ruhig mit dem Elfjährigen besprechen, ob wir die Mathe-Profilschule mit den hohen Leistungsanforderungen anschauen wollen oder lieber nicht.

Aber jetzt – während ich für einen Moment alleine bin – erlaube ich mir, diesen Tag einen Moment lang schrecklich eintönig und anstrengend zu finden.

Kistenpack-Blues

Die Ferien neigen sich dem Ende zu.

Wegen der Arbeit, die der Vaters meiner Kinder ganz plötzlich angenommen hat, musste umorganisiert werden; Urlaubstage – meine – wurden verschoben und gestückelt, um daraus Halbtags-Homeoffice-Tage mit Kinderbetreuung zu machen; Hortverträge wurden eiligst ausgefüllt, Unterlagen beigebracht und sogar die Freundin des Vaters meiner Kinder um Hilfe für einige Tage gebeten. Chaos.

Die mühsam organisierte Hortwoche verweigerte der Elfjährige dann – und ich habe ihn nicht gezwungen, zu den – ganz überwiegend – „Ersties“ und „Zweities“ in den Hort zu gehen. Eine ganze Woche lang war mein großer Sohn also – erstmals! – selbständig unterwegs, besuchte mich auf Arbeit zum gemeinsamen Mittagessen, verabredete sich mit einem Freund zum Tischtennisspielen und mit der Mitmutter und ihrer Tochter, beschäftigte sich mit seiner Briefmarkensammlung und vergaß regelmäßig, die ihm übertragenen Haushaltspflichten zu erledigen, bevor ich nach Hause kam. Mein großes Kind wird auf ganz neue Art „groß“ – ich staune noch immer, ich muss mich daran gewöhnen und mit-wachsen.

Meine kinderlose Ferienzeit „am Stück“ war am Ende ganze elf Tage lang. 24 Punkte standen auf der Wunsch-und-To-Do-Liste. Das konnte nicht funktionieren. Aber die Vertretung der Arbeitskollegin ist reibungslos gelaufen, die Schulsachen der Kinder sind vorbereitet, die Gardinen in meiner Wohnung sind – erstmals seit 2014 – wieder gewaschen, die Briefwahlunterlagen liegen zum Abschicken bereit, die Hausverwaltung hat nach gefühlten 14 Anrufen endlich versprochen, meine kaputte Knattertherme noch vor Beginn der Heizperiode auszutauschen. Und ich bin in einem See geschwommen. Und ich habe mit dem liebsten Freund einen Ausflug ins Kochhaus gemacht und mit ihm und der Sternenkarte in der ersten nächtlichen Herbstkühle auf dem Balkon gesessen: zwischen dem großen Baum im Hinterhof und der Kante des Balkons über uns die „nördliche Krone“, der „Rinderhirte“ (Vorher nie gehört, dass es so ein Sternbild gibt!) und der „Herkules“.

Und – die Kisten für unsere Mutter-Kind-Kur stehen beinahe fertig gepackt im Wohnzimmer; mit Sachen für den Sommer, der ja doch immer nochmal auf ein, zwei Tage zurückkommt, für den frühen Herbst und für die ersten kalten Seewinde. Sportkleidung und Bücher. Spiele und weiße Eddings (diese wunderschöne Sommeridee wollen wir nachmachen!). Bademäntel und Fahrradhelme und Tischtenniskellen.

Beim Absprechen, wer wann meinen Balkon gießen kann, stellt sich heraus, dass der Vater meiner Kinder mit seiner Freundin verreist, sobald ich mit den Jungs zur Kur fahre. Es sind nur insgesamt fünf Tage und davon nur drei Arbeitstage – und warum soll er nicht auch Urlaub haben? -, aber diese drei Arbeitstage sind genausoviel wie die drei Tage, die ich von meinem Urlaub – wegen seiner Appelle: Du hattest doch versprochen, dass du mich unterstützt, wenn ich Arbeit finde! Dass wir den Sommer dann anders organisieren!  – abgeschnitten, verschoben, halbiert und auf verschiedene Wochen verteilt habe, damit unsere Kinder auch in der Hortschließzeit betreut waren. Das verletzt mich. Wie kann der Vater meiner Kinder vehement auf seinen 50% Betreuungszeit bestehen, dann aber genauso selbstverständlich seine Arbeit und seinen Urlaub ohne Kinder an erste Stelle setzen?

Ich kann die Ratschläge schon hören, die ich jetzt bekommen werde, von wegen besser für mich selber sorgen und mich besser abgrenzen…
Aber das ist nicht so einfach: Denn wer kümmert sich um Schwimmkurse und Schulmaterial, neue größere Turnschuhe für den Siebenjährigen und eine weiterführende Schule für den Elfjährigen, wenn ich mit derselben Selbstverständlichkeit wie der Vater meiner Kinder die Zeit OHNE Kinder für mich selbst, meine Erholung und meine eigenen Projekte beanspruche?

Gerne hätte ich mehr Freiräume für mich in meiner mit meinen Kindern geteilten Zeit. Gerne hätte ich, dass der Vater meiner Kinder sich mehr im Mit-Denken und Mit-Sorgen übt. Gerne würde ich meiner Lebens- und Schreib- und Übermutfreude wieder mehr Raum und Zeit geben. Nur wie?

Ich stecke diese Fragen mit in meine Kurkisten. Am Ende sind sie so schwer, dass ich sie noch nicht mal alleine die Treppe runterkriege, geschweige denn zur Post. Aber hej, auch wenn er es nicht angeboten hat und auch nicht gerne tut, sich bitten lässt und ein wenig mauzt: der Vater meiner Kinder hat ein Auto da gleich nebenan stehen und zum Tragen auch genug Kraft.

Und in ein paar Tagen reisen wir den Kisten hinterher. Ich werde mich ans Meer setzen und drei Wochen lang nicht arbeiten und nicht einkaufen; nicht kochen und nicht putzen, nichts organisieren und nicht über den Tag hinaus planen.
Das wird nicht alle Fragen beantworten und auch nicht so viel verändern. Aber es ist absolut großartig, diese drei Wochen vor mir zu haben.

Vereinbarkeit

Juristin fragt uns Mütter nach unseren Erfahrungen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Von ihrer Frage und den dazu auf ihrer Seite veröffentlichten Texten habe auch ich mich anregen lassen.

Als Wechselmodellmama habe ich mit der Vereinbarkeit von Familienleben und Erwerbsarbeit weniger Probleme als eine Mutter, die mit ihren Kindern immer zusammenlebt – das ist mir sehr bewusst.
Dass meine zwei Söhne hälftig bei mir und hälftig bei ihrem Vater leben, ist nicht meine Idealvorstellung von Familie und bleibt emotional schwierig für alle. Trotzdem kommt das Wechselmodell zumindeste einer fairen Aufgabenteilung zwischen beiden Eltern relativ nahe (wie schwer dies innerhalb von Beziehungen zu leben ist, ist sehr bewegend hier beschrieben) und die kinderfreien Tage – zur Zeit jede zweite Woche von Dienstagmorgen bis Montagmorgen – ermöglichen mir vieles: Überstunden. Mehr Überstunden. Den liegengebliebenen Haushalt nachzuarbeiten. Arzttermine mit nur einem Kind. Teilnahme an Elternabenden ohne Betreuungsproblem. Freundschaften, die nicht im Kiez und/oder ohne Kinder stattfinden. Die Beziehung zum liebsten Freund, die wir im Wesentlichen als Anti-Alltag leben. Alleinzeit, die ich als introvertierter Mensch brauche. Diesen Blog zu schreiben. Und – wenn Kraft über ist – Dinge zu unternehmen, die ich anregend finde: Ausstellungen gucken, Slams hören, Kinobesuche…
Immer wieder einmal muss ich es mir bewusstmachen, dass mein Gefühl von „Alles kommt zu kurz“ auch ein Stück weit der Tatsache geschuldet ist, dass ich versuche, nicht nur mein Leben als „getrennt Erziehende“ mit zwei Kindern und meine Erwerbsarbeit zu vereinbaren, sondern zusätzlich auch noch den Anspruch habe, zwischendurch ein weiteres Leben zu führen, in dem ich am liebsten genau so viel unternehmen würde wie meine kinderlosen Freunde. Ja, dabei stoße ich an die Grenzen meiner Kraft.

Meine Kinder besuchen eine Ganztagsschule mit Anwesenheitspflicht von 8 bis 16 Uhr; meine vertragliche Arbeitszeit ist darauf exakt abgestimmt: Anderthalb Stunden Weg – sechs Stunden Arbeit – eine halbe Stunde Pause. Dazwischenkommen sollte in meinen Wochen mit Kindern also besser nichts, und die S- Bahn darf bitte auch nicht ausfallen. Es entstehen immer wieder „Unterstunden“ – zum Glück kann ich die ausgleichen, wenn die Kinder nicht bei mir sind.
Meine Arbeitsbedingungen als Angestellte eines großen Unternehmens tragen viel dazu bei, dass ich das mit Beruf und Kindern hinbekomme: Ich konnte nach den Geburten meiner Kinder relativ unkompliziert meinen Vertrag zunächst auf 20 Wochenstunden zurückfahren und später ebenso unkompliziert wieder auf 25 und dann 30 Stunden erhöhen. Ich kann mit dem Teilzeitgehalt auskommen. Ich habe die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, wenn meine Kinder krank sind oder die Schule aus dem einen oder anderen Grund Schließtage hat. Auch einen Teil der vielen Ferienwochen überbrücke ich inzwischen (und frage mich immer wieder, wir ich das bloß hinbekommen habe, als die Kinder dafür noch zu klein waren) mit halben Urlaubstagen, an denen ich von zu Hause aus drei Stunden arbeite und dann noch Zeit für Unternehmungen mit den Kindern habe. Das sind Bedingungen, für die ich dankbar bin – und bereit, gelegentlich Abend- oder Wochenendarbeit zu leisten, auch wenn ich die als extrem kräftezehrend empfinde. Ein Nachteil meiner derzeitigen Arbeit mit ihrer schönen Flexibilität ist allerdings, dass mein Unternehmen Teilzeitmüttern kaum Qualifikations- und Entwicklungsmöglichkeiten anbietet. Gerne und jederzeit, sagt der Vorgesetzte… wenn ich deutlich mehr Zeit in meinen Beruf, in Dienstreisen, Überstunden und regelmäßige Wochenendverfügbarkeit zu investieren bereit wäre.

Was die Vereinbarkeit für mich erschwert, ist jede Art von Störung: Eigene Krankheiten oder Krankheiten der Kinder, dringende Abgabetermine im Job, Arzttermine, Orgakram, Schul- und Vereinsveranstaltungen, ein geklautes Fahrrad oder andere „Alltagskatastrophen“, die das übliche Maß überschreiten. Ich empfinde das Grundschulater meiner Kinder in dieser Hinsicht als extrem anstrengend und herausfordernd – meistens kommen in den Wochen, in denen ich mit dem Siebenjährigne und dem Elfjährigen allein bin, so viele „Extras“ zusammen, dass ich nicht weiß, wie ich die ganz normalen Anforderungen des Alltags bewältigen würde, wenn ich nicht vieles in die Wochen verschieben könnte, in denen die Kinder nicht bei mir sind.

Ein weiterer Minuspunkt für mich ist mein eher dünnes „Unterstützungsnetz“ hier vor Ort. Weder der Vater meiner Kinder noch ich haben Familie in Berlin, so dass wir beide füreinander das wichtigste Backup bei der Betreuung der Kinder geblieben sind. Die Freundschaften, die wir in der Babyzeit unserer Söhne hier im Umfeld geschlossen haben, sind ausgedünnt, seit viele Familien aus dem Umfeld von Kita und Schule ins Berliner Umland verzogen sind. Für die, die geblieben sind, fürs Knüpfen neuer Kontakte und dafür, befreundeten Müttern selber mehr Unterstützung anbieten zu können, hätte ich gerne häufiger Zeit. Das Wechselmodell ist dafür keine besonders günstige Lebensform: Ich empfinde die Zeit mit meinen Kindern als so knapp, dass ich gerne viel davon auch wirklich mit den beiden verbringen möchte und wir erst dann Lust auf Verabredungen haben, wenn wir Zeit miteinander hatten – oft genug ist die gemeinsame Woche dann auch schon wieder vorbei. Und ich bin nur in jeder zweiten Woche in der Schule präsent – beim Austausch der Erstklässlereltern über dies und das, beim Kontakteknüpfen und Verabreden vor der Klassenraumtür um dreiviertel Vier.

Wenn mir also irgendwann der Vereinbarkeits-Wunschfee über den Weg läuft, werde ich mir folgendes erbitten: einen arbeitsfreien „Haushaltstag“ jeden Monat; eine oder zwei gut befreundete Familien und ein paar Verwandte direkt in unserer Straße oder gar im Haus – und von meinem Arbeitgeber Entwicklungsmöglichkeiten, für die ich meine Vertragsarbeitszeit so beibehalten kann, wie sie jetzt ist – wenigstens noch ein paar Jahre lang.

5. Februar

Was machst Du eigentlich den ganzen Tag? – das fragt Frau Brüllen auch an diesem 5. Februar. Nicht gerade irgendetwas spektakuläres, muss ich erwidern, füge aber zu meiner Verteidigung hinzu, dass die Woche mit einem 11. und einem 50. Geburtstag, einer Erhöhung des Krankenstandes in meiner vierköpfigen Abteilung von 25% auf 75% und nicht ganz ohne Zusammenhang dazu einsetzenden Magenkrämpen meinerseits keine wirklich entspannte war.

6.30. Mein Wecker klingelt. Mein Magen tut weh, das macht er schon seit drei Tagen; mein Kopf tut auch weh, das ist neu. Beim Aufstehen ist mir schwindelig, drei Tage Zwieback und Tee, das war reichlich nährstoffarm. Ich schlappe ins Bad.

6.45 Der Siebenjährige kommt aus seinem Zimmer und umarmt mich innig. Ich schleppe ihn zu meinem Bett und wir kuscheln noch fünf Minuten.
6.50 Der Elfjährige wird wach, kommt aus seinem Zimmer, legt kurz seine knochigen Arme um mich. Dann verschwinden meine Söhne in sein Zimmer und spielen mit dem Geburtstagslego.

7.15 Wir sitzen in der Küche und frühstücken. Hinter meinem Rücken schwanken die Stapel schmutzigen Geschirrs, die noch vom Geburtstag des Elfjährigen herumstehen. Auf meinem Brettchen liegt Zwieback. Ich streiche über meinen schmerzenden Bauch. Wir gucken die prächtig blühende Amaryllis auf dem Fensterbrett an und spekulieren, ob man von den Blüten Samen bekommen und daraus neue Amaryllisse züchten kann. Und wie macht man das eigentlich bei Hyazinthen? Und Tulpen?

8.00 Meine Söhne machen sich auf den Weg zu ihrem Vater. Ich lege mich noch zehn Minuten hin und gehe dann zur S-Bahn.

8.45 Arztpraxis. Lasse mir die letzte Vitamin-B-Spritze der dieswinterlichen Kur geben. Schwatze noch einen Moment mit der Sprechstundenhilfe, wir kennen uns inzwischen ganz gut.

9.05 Komme im Büro an. Keine Wunderheilungen, der Krankenstand liegt auch heute bei drei von vier Teammitgliedern. Nummer vier bin ich, es wäre einfach unoriginell, jetzt auch krank zu werden. Und immerhin kann ich ja sitzen. Meine Büronachbarin spendiert mir Fenchelteebeutel.

12.50 Kurze Mittagspause. Lasse mir im Betriebsrestaurant Kartoffeln und Möhren geben. Nicht so lecker.

14.00 Immernoch Kopfschmerzen. Immernoch Magenschmerzen. Gebe auf. Schreibe dem Chef dass ich heimfahre und meinen Magen auskuriere. Fahre nach Hause und falle ins Bett.

15.45 Wache auf. Etwas besser. Fange an, in der Küche Müll einzusammeln.

16.00 Die Patchworkmama, die mal neben mir gewohnt hat und inzwischen in der Kölner Gegend weiterpatchworkt, ruft mich an. Sie ist auf Berlinbesuch, und eigentlich sollte sie den Siebenjährigen, der ihr Patenkind ist, bei seinem Papa treffen, aber der geht nicht an sein Telefon. Also kommen sie zu mir – die Patchworkmama mit dem neuesten Patchworkbaby im Bauch, der Patchworkmann und mein Patenmädchen. Ich setze Kaffee für die Gäste auf. Zum Glück gibt es noch einen Rest Schokoladenkuchen vom Geburtstag des Elfjährigen.

16.15 Der Vater meiner Kinder ruft an und ist sauer, weil die Patchworkmama jetzt zu mir gekommen ist und nicht zu ihm. Ich muss ein bisschen diskutieren, bis der Siebenjährige rüberkommen darf.

16.20 Wir sitzen zusammen, trinken Kaffee/Kamillentee/Wasser, die Großen schwatzen, die Kinder machen Bilder mit den Pustestiften.

17.30 Der Vater meiner Kinder ruft an und fragt, wann der Siebenjährige endlich zurückkommt. Ich scheuche mein armes Kind auf – hinterher denke ich, dass fünf Minuten mehr ja wohl auch kein Problem gewesen wären. Mein Sohn lässt sein angefangenes Geburtstagsspiel stehen und verabschiedet sich.

17.35 Mein Patenmädchen möchte noch ein Brot essen, plötzlich stehen doch alle in meiner gruselig schmutzigen Küche zwischen den Geschirrbergen, die inzwischen auf sämtliche Flächen übergewachsen sind. Brot, Streichkäse und Gurke gibt es zum Glück noch, auch ein sauberes Brettchen. Dann verabschieden sich die Gäste.

17.45 Ich mache mich über Teil eins des Riesenabwaschs her. Im Radio läuft eine türkische Radiosendung, die ich nicht verstehe, das ist manchmal ganz entspannend.

18.45 Ich stelle eine Teetasse an mein Bett und lege mich hin. Krimi an, Kopf aus. Der tut leider immernoch so weh, dass ich später – wegen meinem Magen geht ja keine Tablette – eins der Schmerz- und Fieberzäpfchen der Kinder nehmen muss.

21.00 Licht aus. Ende der unrühmlichen Vorstellung.