Anschläge auf Betende und Busse, auf Madagaskar die Pest, Ebola hat schon kaum noch Nachrichtenwert. In Hellersdorf marschieren die Rechten gegen Flüchtlingsheime auf, eigentlich müsste man auf der Gegendemo stehen, über das Leben dort, wo die Leute herkommen, die da untergebracht werden sollen, mag ich garnicht nachdenken.
Und Weihnachten erscheint am Kalenderhorizont.
Schon Ende Oktober kommt ein Brief von meiner großen Schwester und ihrem Mann. Die beiden werden in diesem Jahr zu Weihnachten nur Kindern Geschenke machen, auf das Schenken an erwachsene Freunde und Familienmitglieder aber verzichten – um angesichts des Elends in der Welt das Geld, dass sie für Geschenke ausgegeben hätten, an eine Hilfsorganisation zu spenden.
Wie heikel und vielschichtig das Thema „Schenken“ eigentlich ist, wird mir klar, als ich merke, wie viele verschiedene Gefühle dieser Brief in mir auslöst. Oh schade, denke ich, ich krieg nichts. Ja, denke ich, dieser ganze Beschenkereistress, eigentlich ist es gut, auszuprobieren, ob man sich dem entziehen kann. Wieso, frage ich mich, muss man darauf verzichten, sich hier eine kleine Freude zu machen, haben wir nicht genug Geld, um einander zu beschenken und trotzdem zu spenden und zu helfen? Und hilft das Geld, das wir beim Schenken sparen oder sparen könnten (in unserer Familie stapeln sich eigentlich keine sinnlosen Konsumgüter unter den Tannenbäumen – und nennenswerte Geldbeträge kosten vor allem die Geschenke für die Kinder) wirklich ernsthaft jemandem weiter?
Meine Weihnachtsgeschenkeliste ist jedes Jahr ähnlich aufgebaut und immer lang und komplex. Da gibt es eine lange Reihe Geburtstage zwischen Anfang Dezember und Anfang Februar, die mitbedacht werden müssen. Da gibt es meine Kinder, die engere Familie, die Freunde, die Kinder der Freunde, die Patenkinder und die Geschwister meiner Patenkinder und die Paten meiner Kinder (zum Glück gibt es Überschneidungen); außerdem noch den Abschnitt mit entfernteren Verwandten und Freunden, die wenigstens mit einem Kärtchen bedacht werden sollen. Und – ach ja – nicht zu vergessen: Adventskalender müssen ja auch noch sein, da hab ich mir was schönes eingebrockt, als ich meinen Jungs vor einigen Jahren eifrig je 24 hübsche Beutelchen genäht habe.
Ich denke selber alle Jahre wieder darüber nach, ob die Liste sich reduzieren und wie sie sich stressarm abarbeiten lässt – ohne großen Erfolg. Denn sie lässt sich ja auch anders sortieren:
Menschen, die zu beschenken mir am Herzen liegt und Spaß macht und für die ich gerne Geschenke aussuche; Geschenke, von denen ich weiß, dass sie auch Freude bereiten. Schon um der eigenen Freude am Schenken willen: Hier möchte ich nicht kürzen; hier ist das Schenken Teil meiner Liebe und Verbundenheit.
Meine Kinder… ja, das ist eine eigene Kategorie. Denn Schenken unterliegt hier schon komplexeren Erwägungen: Ich möchte ihnen gerne eine wunderbare, echte, leuchtende-Augen-Freude machen. Sie sollen gegenüber anderen Kindern nicht demütigend ins Hintertreffen geraten, wenn es bei uns schon weniger gibt, sollen sie wenigstens ihre größten Wünsche erfüllt bekommen. Sie sind vor allem für äußerst materielle Gaben zu haben. Und außerdem (doch, das muss ich ehrlicherweise zugeben) dürfen meine Geschenke nicht deutlich kleiner sein als die, die sie von ihrem Vater bekommen: Wechselmodellkonkurrenz. Hier geht es also um Geld, pädagogisch-wertvoll-Erwägungen und Menge.
Menschen, denen ich etwas schenke, weil ich es aus verschiedenen Gründen wichtig finde, obwohl ich eigentlich nicht weiß, womit ich ihnen eine echte Freude machen kann. Meine Schwestern zu beschenken, ohne an meine genügsamen Schwäger zu denken, würde mir nicht richtig vorkommen; wer meine Kinder beschenkt, für dessen Kinder sollte ich besser auch eine Kleinigkeit haben. Und Eltern – ach: hätten sie doch Wünsche… Das ist der schwierige Teil der Schenkerei. Immer neue „schöne Kleinigkeiten“ für alle zu finden, verlangt kaum weniger Muße, als einen philosophischen Essay zu schreiben oder eine ganze Wohnung neu einzurichten. (Fragt in ein paar Jahren nochmal nach, ok? Bis dahin freut Euch bitte über phantasielose Genussmittel. Oder Glitzerdosen vom Adventsbasteln in der Schule.)
Und die letzte Kategorie: Menschen, zu denen ich den – meistens viel zu sporadischen – Kontakt erhalten möchte. Die eine eine Karte, einen Gruß, einen Stern bekommen sollen, ein paar liebe Worte oder ein kleines Update mit den neuesten Entwicklungen aus dem Familienleben. Hier geht es vor allem um Zeit; Zeit, einen echten Kontakt herzustellen, wirklich bei ihnen zu sein, statt nur „Frohe Weihnachten“ auf eine Postkarte zu kritzeln.
Wen sollte ich also von meiner Liste streichen?
Nein, ich werde nicht auf das Schenken verzichten. Nur meiner Schwester und ihrem Mann gegenüber, weil ich ihre Haltung respektiere; ihren Versuch, mit dieser schrecklichen Gleichzeitigkeit – unserem Wohlstandsweihnachten und dem Elend in der Welt – irgendwie anders umzugehen, als wir das sonst machen.
Und dafür, dass sie mich nachdenklich gemacht haben, dass wir über das Schenken ins Gespräch gekommen sind – dafür bin ich ihnen richtig dankbar.