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Weihnachtskonzert

Nein, wir sind nicht in der Philharmonie. Das hier sind auch nicht die Wiener Sängerknaben. Auch keine Show der Supertalente. Der Chor probt nur einmal die Woche; die auftretenden Kinder lernen in der Musikschule das eine oder andere Instrument, die Musiklehrer haben mit ihren Klassen ein bisschen was eingeübt; ein paar Lehrer haben sich zusammengetan und ein paar fetzige Songs einstudiert; die eingestreuten Weihnachtsgedichte sind komplett von jeder christlichen Botschaft befreite Scheußlichkeiten, in denen als Höhepunkt des Weihnachtsabends der Baum abbrennt.

Trotzdem gibt es berührende Momente. Äh… manchmal.

Während des Pachelbel-Kanons wickelt ein Mann schräg links vor mir den dicken weißen Verband ab, den er um seine linke Hand hat. Bevor zum Vorschein kommt, was sich darunter verbirgt, wickelt er ihn zum Glück wieder fest. Die Leute rechts neben mir unterhalten sich halblaut darüber, dass der Enkel zu Weihnachten einen Gutschein für eine Escape-Room bekommt. Das Kleinkind vor mir kuschelt mit seinem Teddy und schlenkert dessen nassgeliebten Arm dann dem Mann in den Nacken, der vor ihm sitzt. Der Zehnjährige zappelt neben mir herum. Programmflyer knistern leise zu Boden.

Vorne wird ein selbstarrangiertes Weihnachtsmedley gezupft, bei den Leuten neben mir – die sich fertig über das Escape-Room-Geschenk unterhalten haben – die Wetterapp aufgerufen. Der Zehnjährige ist auf meinem Schoß fest eingeschlafen, so tief, dass ihn noch nicht mal der tosende Applaus weckt, den das Lehrertrio bekommt.
Und während der Chor sanft „Tausend Sterne sind ein Dom“ säuselt, klappert die Frau neben mir, offenbar zufrieden mit dem, was sie in der Wetterapp erfahren hat, schon mal laut mit ihrem Kleingeld.

Trotzdem. Ein bisschen weihnachtlich wird mir trotzdem zu Mute. Ich nehme Yirumas „River flows in you“ mit in die Winternacht hinaus. Und Einaudis „Una mattina“.

Was ich mir wünsche (Dezember 2019)

Zwei oder drei gute Bücher für die dunklen Abende.
Und Abende mit Freunden, lachend, erzählend.
Keine Katastrophen in den Nachrichten morgens
um sechs Uhr dreißig. Stattdessen ab und zu Wunder.
Zeit zum Schreiben, im Kopf genug Raum für ein paar neue Gedanken.
Jeden Tag jemanden anlächeln, der das Lächeln erwidert,
und in der S-Bahn einen Sitzplatz weit weg von dem, der schon wieder
so laut seine Nase hochzieht.
Einmal wenig genug erkältet,
um in die Sauna zu gehen, und dann am liebsten
einen Aufguss mit Grüntee und Zitrus.

Zwischen Büro und Schulweihnachtsfeier ein bisschen Stille.
Eine geschenkte Stunde an Tagen, an denen die Kinder
für Sprachklassenarbeiten lernen. Anrufe und Mails statt Whatsapps.
Dass weder Toilettenpapier noch Geduld im falschen Moment ausgehen
(und der Sauerstoff uns über den Winter reicht und gerne viel Regen).
Einen Euro in der Tasche für jemanden, der mich bittet.
Vielleicht einen Weihnachtsmarkt besuchen, ganz früh,
wenn die Buden erst öffnen,
und abends
in fremden Fenstern Herrnhuther Sterne und über den Dächern
den Orion sehn.

Einen Weihnachtsbaum (der darf auch schief stehn),
noch Geschenkideen für Menschen, die mir lieb sind. Bitte
kein Kaufhaus
betreten müssen (und wenn doch, dann nur die Abteilung
mit der Sockenstrickwolle) – und dem Paketboten,
der mich freundlich grüßt seit er mir mal ein Möbelstück in den Keller geschleppt hat,
einen Weihnachtsgruß geben.
Dass am Heiligen Abend die Kinder irgendwann hochglücklich einschlafen.
Ein bisschen Feuerwerk am Silvesterhimmel, funkelnde Räder; jemanden,
der mich umarmt und die richten Wünsche weiß, und
dass der Sekt gut schmeckt und dass später die Ohrstöpsel halten.

Vermischte Weihnachten

Wechselmodellweihnachten sind ja immer ein bisschen unterschiedlich. Dieses Jahr so:

Den Heiligmorgen verbringe ich mit dem liebsten Freund, der mir am Vorabend schon den Großeinkauf nach Hause und die Blautanne zum Weihnachtstisch getragen hat. Die Pflichten sind also alle schon erledigt, wir beginnen wir den Tag mit Kaffeetassen und Müslischalen im Bett.

Als der liebste Freund sich gerade auf den Weg machen will, kommt der Elfjährige, denn beim Vater meiner Kinder wurde entschieden, dass er den Weihnachtsbaum bei mir und der Siebenjährige den beim Papa schmückt. Ein gemütliches Stündchen verbringe ich also mit meinem großen Sohn unter lebhaften Diskussionen: Auf welchen Zweigen sind die neun Kerzen sicher? Wo müssen die drei verbliebenen roten Kugeln (von den silbernen ist noch keine kaputtgegangen, immer nur von den roten) hängen, damit das Gesamtbild harmonisch ist? Wo kommen die Lieblingsstücke hin, die erzgebirgischen Tannenbäumchen aus Holz, der kleine gläserne Fußball, die Glocke aus meiner Kindheit? – Anschließend isst mein Sohn mir die Hälfte der aufgebratenen Nudeln vom Vortag weg und packt die Krippe aus. Hinter Maria und Josef stellt er eins der Elektroteelichter, die man den Kindern aus unerfindlichen Gründen dann und wann in die Adventskalender packt, und plötzlich hat das Ding einen wunderbaren Zweck.

Kaum ist der Elfjährige wieder gegangen, klingelt die Mitmutter mit ihrem Töchterchen und wir trinken gemeinsam Kaffee, machen die Kerzen am Baum schon mal an, bescheren ein bisschen – die Mitmutter ist eine großartige Schenkerin und überrascht mich mit einem Magnet-Kristall, den man in Ohr oder Nase tragen kann und der mich sehr begeistert. Dann gehen Mitmutter und Töchterchen zur Kirche, ich bleibe aber noch da, weil der Vater meiner Kinder entschieden hat, dass wir nicht die frühe Kinderkrippenspielvesper besuchen, sondern die zweite, bei der es laut Gemeindebrief Ortspfarrer, Besinnung und Krippenspiel gibt. Mir fällt ein, dass ich ja eigentlich krank bin – bis zum Aufbruch lege ich mich also mit meinen Kopfschmerzen aufs Sofa.

Dann geht es mit einer großen Tasche voller Geschenke in der Hand, einer Dose Plätzchen unter dem Arm und dem neuen Funkelding in der Nase nach nebenan, wo ich das Gepäck abstelle und meine Kinder und ihren Vater abhole. In der Kirche ist die Heizung kaputt, es ist also kalt, aber der Siebenjährige möchte gern auf meinem Schoß kuscheln und wärmt wie ein kleines Öfchen. Gespannt blicken wir nach vorne, wo das Podest fürs Krippenspiel aufgebaut ist, der Baum leuchtet und Musikerinnen mit Flöten Platz nehmen. Aber nicht der Ortspfarrer tritt vor die Gemeinde, sondern ein knorriger weißhaariger Pfarrer i.R., der mit strenger Miene in die Gemeinde blickt, ohne großen Willkommensgruß den Gottesdienst eröffnet und dann hingebungsvoll über die ababcab-Melodie und den ababcdc-Reim im Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ predigt. Vom Wohlgeruch der Rose in der dritten Strophe versucht er zum Gänsebratenduft überzuleiten und so einen klitzekleinen Bezug zur Lebenswirklichkeit der Zuhörer zu bekommen, besonders gut klappt das aber nicht. Krippenspiel gibts auch nicht. Ein paar Familien verlassen zwischendurch leise die Kirche, als ihnen das klar wird. Der Siebenjährige ist auf meinem Schoß längst eingeschlafen.
Auch als wir hinterher im Vergleich von Schaukasten und Gemeindebrief feststellen, dass im Gemeindebrief zwei Vespern vertauscht angekündigt worden sind, bleibe ich fassungslos, wie schon manchmal an Weihnachten: da kommen Massen von Menschen in die Kirche, die die Kirche sonst nicht so gut erreicht (wir zum Beispiel). Müsste man die nicht ansprechen, begeistern, ihnen etwas mitgeben, was sie vielleicht wiederkommen lässt?

Hinterher kocht der Vater meiner Kinder Kartoffeln, Sauerkraut und Sojawürstchen, dann werden (endlich, endlich! Der Siebenjährige hält es kaum noch aus – ) Geschenke ausgepackt, und zwar so: Es wird reihum gewürfelt (1 und 6 = Geschenk auspacken, 2 = Naschen, 3 = Singen, 4 = Auspacken verschenken, 5 = Naschen verschenken) – und wer mit einer Eins oder Sechs oder der Vier eines anderen Glück hat, muss immer sein jeweils kleinstes ungeöffnetes Geschenk auspacken. Das klingt furchtbar zwanghaft, funktioniert aber gut: alle Geschenke werden gewürdigt, der Siebenjährige kommt dazu, sein mit viel Mühe eingeübtes „Jingle Bells“ am Keyboard vorzuspielen, der Vater meiner Kinder singt mit uns sein Lieblingsweihnachtslied, ich lese das Maria-Gedicht vor, dass ich auf dem Blog von Kat und Susan entdeckt habe, alle verdrehen die Augen, wenn „Nachen“ gewürfelt wird, weil alle schon satt sind, und als die dicken Pakete mit Spielzeug zum ganz-lange-Aufbauen dran sind, dürfen die Jungs das machen und die Erwachsenen setzen sich mit einem Tee in die Küche.

Vielleicht feiern wir nächstes Jahr mal nicht mehr in dieser Konstellation, sagt der Vater meiner Kinder müde, und ich nicke, weil ich weiß, dass seine Freundin schon dieses Jahr gerne mit ihm gefeiert hätte und jetzt mit ihrem Sohn alleine gegenüber in ihrer Wohnung sitzt. Ich bin dem Vater meiner Kinder dankbar dafür, dass wir in diesem Jahr noch einmal unsere gemeinsame Tradition fortgesetzt haben. Weil unsere Söhne es sich so wünschen. Und weil ich dadurch mit meinen Kindern Heiligabend feiern konnte, auch wenn in diesem Jahr Papaweihnachten sind. – Aber nein, korrigiert mich der Vater meiner Kinder, nicht mit seiner Freundin wolle er feiern nächstes Jahr, sondern garnicht, Weihnachten bereite ihm als Fest einfach keine Freude mehr.
Vielleicht, sage ich, lade ich dich ja trotzdem nächstes Jahr ein. Und die Mitmutter. Und noch mehr Freunde, wenn es welche gibt, die auch alleine sind. (Und wenn ich ganz besonders kühn bin, sogar deine Freundin und ihren Sohn, aber das denke ich lieber nur und sage es nicht, weil ich nicht weiß, wie kühn ich in einem Jahr wirklich sein werde). Dann essen wir zusammen und singen und spielen vielleicht und jeder bekommt nur ein Geschenk – und beschert wird erst am nächsten Tag. So stelle ich mir den Heiligabend schon lange vor.

Dann sage ich meinen Söhnen gute Nacht und gehe nach Hause, mit meinem Husten und meinen Kopfschmerzen und den Geschenken, die ich bekommen habe. Falle ins Bett und denke: Morgen bin ich alleine, das ist auch gut. Morgen bin ich krank und mache garnichts.

Weihnacht

Die letzten Türen und Beutelchen an den Adventskalendern sind geöffnet. Advent war dieses Jahr immer nur zwischendurch, wenn eins krank war und ich zu Hause bleiben durfte. Lieber nicht über die guten Adventsbloggereivorsätze nachdenken, so viele große bezeichnende Momente gabs nicht, oder ich war mit anderem beschäftigt und hatte keine Zeit zum Aufschreiben.

Immerhin rechtzeitig das Weihnachtszimmer geputzt, Einkäufe gemacht und Geschenke eingepackt. Für einen Ausgehabend mit dem liebsten Freund (so wichtig nach all der Krankzuhausebleiberei – gleich eine Doppelportion Kultur also, mit einer wichtigen Ausstellung und einem Poetry Slam im Dunkeln) war dank dieser Vorbereitungsdisziplin auch noch Zeit. Beim Heimkommen am 23. ganz spät dann die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, dass jetzt der Zehnjährige krank ist… der sowas ja meistens brav in den Ferien abarbeitet.

Am 24. also Kamillenteekochen statt Kirche, in die Vesper mit Krippenspiel geht der Vater meiner Kinder unterdessen mit dem Sechsjährigen, der mault und sehr viel lieber sofort Geschenke auspacken möchte. Weil der Zehnjährige es  mit dem Magen hat und nur Zwieback essen darf, habe ich die Plätzchen in den letzten zwei Wochen ganz umsonst aufgespart und sitze mit einem sowieso mäkeligen Kind, einem, das traurig um ein einziges Gummibärchen bettelt und einem butterplätzchenabstinenten Veganer um den bunten Weihnachtsteller. Das mit der Hausmusik am Keyboard klappt auch noch nicht so richtig, eins von den zwei Liedblättern, die der Sechsjährige zum Üben hatte, ist verschollen; und als ich das Lieblingsweihnachtslied meiner Mutter vorzuspielen versuche, fragt der Sechsjährige mittenrein, ob das nun nicht mal bald zu Ende ist.

Die Geschenke machen dann wenigstens meinen kleinen Sohn glücklich. Der Zehnjährige ist ganz still, weil er nach Addition der neu geschenken „Beyblades“ zu den schon vorhandenen insgesamt weniger von den seltsamen Kreiseln hat als sein Bruder (hätte ich mal vorher nachzählen sollen…). Und weil er sich schlecht fühlt und weil er nicht essen darf. Später muss er so dringend ins Bett, dass er gleich nebenan in sein Zimmer geht statt rüber zu seinem Papa. Er ist richtig krank; ich gehe in der heiligen Nacht mit der Zeit insgesamt viermal schlafen.

Aber hey: Auch Weihnachten muss nicht perfekt sein, das ist schon ok.

Dem Zehnjährigen (der nach einem nächtlichen Kurzbesuch in der Kinderrettungsstelle bei seinem Vater weitergeschlafen hat) geht es heute morgen viel besser; durchs Telefon höre ich ihn und den Sechsjährigen fröhlich Beyblades spielen.
Und ich bleibe einfach im Bett.

Gute Weihnachtstage – ob allein oder mit anderen, nach Plan oder chaotisch, in Feststimmung oder irgendwie ganz anders – das wünsche ich Euch allen!

 

 

Polizeistaat im Kinderzimmer

Die großte Tüte mit dem Geschenkpapiermüll ist schon runtergebracht. Ja, auch wieder genug schönes Papier zum Weiterverwenden aufgehoben, kein Thema. Die Urzeitkrebseier sind zum Schlüpfen angesetzt. (Die werden uns aber nichts tun, frage der Fünfjährige, der noch die Bilder vom Krebsfangen in Bullerbü vor Augen hat, und ich wiege nicht ganz sorglos den Kopf, warum steht auch auf der Packung, dass die Entsorgung der Tierchen über die Kanalisation verboten ist, während man sie unbedenklich als Fischfutter an Freunde weitergeben darf?) Wir haben alle Möglichkeiten der „Alligator-Rettung“ – so der Name eines Kästchens mit Forscher, Boot und Krokodil – besprochen: Muss der Forscher vor dem Alligator gerettet werden oder umgekehrt? Rettet der Forscher das Tier vor der Umweltverschmutzung im Regenwald oder das Tier den Forscher vor irgendeiner Gefahr auf seiner Reise auf dem großen Fluss? Die Wissensbücher sind mit einem undankbaren „Och, nochn Buch“ beiseitegelegt worden – ohne dass ich einen Überblick hätte, bei wem ich mich wofür genau jetzt bedanken muss.

Und natürlich haben die Kinder ihre heiß ersehnten Legokästen ausgepackt und einen langen, geduldigen Vormittag mit den verschiedenen Beutelchen voller Kleinstteile verbracht. Hinterher wird gespielt – und erst da fällt mir auf, dass ich beim Geschenkekaufen besser hätte aufpassen müssen. Gegen den Autotransporter des Fünfjährigen ist nichts einzuwenden. Aber der Neunjährige holt zu seinem neuen Polizeilaster (ausgestattet mit erstaunlich umfangreicher Abhör- und Überwachungstechnik – und mit einer Kaffemaschine) auch noch das Museum mit den Einbrechern, den Polizeihubschrauber und ein Polizeiauto hervor, von dem ich garnicht wusste, dass er das auch schon besitzt. Das Kinderzimmer ist plötzlich voller kleiner Legopolizisten mit festen, entschlossenen Mienen, die kleinen Legodieben – schlechtrasierten Typen mit einem fiesen Grinsen in den finsteren Gesichtern – hinterherjagen.

Eigentlich habe ich das ja garnicht so, bei der Erziehung meiner Söhne jedes Klischee vermeiden zu wollen. Aber was für ein ur-amerikanisches Weltbild wird hier eigentlich via Gabentisch in mein Kinderzimmer eingeschleust? Nicht allein, dass weder auf der Seite der Guten noch auf der Seite der Bösen eine einzige Frau mitmischt – die Begeisterung meines Sohnes für die Jagd der guten Polizisten auf die bösen Bösewichte beginnt mir insgesamt vage Bauchschmerzen zu machen. Hätte ich ihm doch lieber das Bergwerk oder die Küstenwache gekauft! Aber die gab es ausgerechnet in dem Laden nicht, in dem ich auf die größte Legoauswahl gehofft hatte. Und auch bei diesen Bausätzen wird ja zusammen mit den kleinen Steinchen ein Weltbild geliefert, eins, in dem gerettet und gelöscht und die Ordnung eines westlichen Mittelschichts-Lebens wiederhergestellt wird; eins, in dem nichts vorkommt, was diese Ordnung in Frage stellt; eins, in dem frohgemut und fortschrittsgläubig Diamanten in der Arktis oder Bodenschätze in den Bergen abgebaut werden, von Männlein mit immergleichen entschlossenen Heldenmienen.

Und weil Weihnachten ist und ich nicht so viel anderes im Kopf habe, denke ich mir beim Gemüseschnippeln meine eigene Lego-City-Serie aus: Das Gerichtsgebäude, in dem ein korrupter Banker auf der Anklagebank sitzt. Die Maquila, in der heimlich eine Gewerkschaft gegründet wird. Die Kirche mit der Suppenküche hinten dran. Der Supermarkt, hinter dem containert wird; zusammen mit dem Auto von der „Tafel“. Der Wohnwagenpark, in dem ein Rockkonzert stattfindet. Und das Riesen-Set: Ein Flüchtlingswohnheim, zusammen mit dem Containerschiff, in dem die Flüchtlinge übers Meer kommen.

Klar: Kinder – Jungs – meine jedenfalls – mögen Helden. Gut und Böse hübsch getrennt. Und Probleme, die durch ein paar ordentlich ausgerüstete Polizisten gelöst werden können. Wahrscheinlich würde niemand die Kästen kaufen, in denen ich meine Sicht auf die Gesellschaft untergemogelt hätte, weil wir Eltern unseren Kindern ja im Grunde ein Leben in einer Welt wünschen würden, in der die Dinge so einfach wären, wie Lego sie nachbaut. Und ganz klar: Auch ohne meine politischen Bausteinsets werden meine Kinder mitbekommen, wie ich die Welt sehe.

Aber eins steht trotzdem fest – auch wenn die Kindergeburtstage näherrücken und die Wünsche groß sind: Noch mehr Polizei kommt mir so schnell nicht ins Kinderzimmer.

Heiligmorgen

Als ich aufwache, trommelt der Regen eine holprige Etüde zu vier Händen aufs Fensterbrett. Herrliches Gefühl, heute ausschlafen zu können und zu wissen, dass meine Kinder morgen – morgen schon – auch da sein und mich vor Tau und Tag wecken werden.

Als erstes den Brathahn in den Topf, auch wenn er vorhatte, was besseres zu werden als eine Suppe. Als zweites Ingwer, Aprikosen und Knoblauch fürs Chutney in die Küchenmaschine. Schnell einen Kaffee mit der Besuchsfreundin trinken, dann wird Rosalie die Rotfichte vom Balkon geholt. Steht beim ersten Versuch gleich kerzengerade im Weihnachtsbaumständer auf dem Weihnachtsbaumtisch, wie schön. Und als ich drauf komme, mit den Kerzenhaltern mehrere der dünnen Rotfichtenzweige zusammenzuklammern, kriege ich sogar sechs Kerzen an das kleine Bäumchen.

Im zwölften – letzten – Beutelchen meines halben (aber mindestens doppelt so froh machenden) Adventskalenders ein Gutschein für einen Frühlingswandertag. Oh, das Leben ist schön!

Jetzt schnell Gemüse schnippeln. Zehn Uhr klingeln meine Söhne an der Tür. Natürlich wollen beide sofort die Krippe aufstellen, allein, selbstverständlich. Ich sende ein Stoßgebet zu Salomo, dem Schutzheiligen aller Menschen, die in unlösbaren Konflikten entscheiden müssen, und teile die Figuren auf. Einer die Könige, die Kamele, Maria, den Ochsen und den Esel. Der andere die Hirten, die Schafe, Josef und das Kind in der Krippe.

Beim Baumschmücken sind meine Söhne nur halbherzig dabei. Der Neunjährige baut erstmal sein Tinkerbell auf, die kleine Messingpyramide, bei der sich drei Trompetenengel klimpernd an zwei Klingglöckchen vorbeidrehen. Das nervt mich aber immer, sagt der Fünfjährige, als der Neunjährige es endlich geschafft und die vier Pyramidenkerzen angezündet hat. Ich stehe auf dem Stuhl und binde den großen Strohstern an der Spitze unseres Bäumchens fest. Hier, Mama, sagt der Fünfjährige und bringt meinen BH an – ich bin ja noch im Schlafanzug. Während ich kleine Kugeln und Strohsterne am Baum befestige, übt er sich darin, den auf- und zuzuhaken. Bei Papa hat das Baumschmücken mehr Spaß gemacht, beschwert sich der Neunjährige. Ich versuche, ein pädagogisch wertvolles Geräusch zu machen und mich nicht zu ärgern. Unterdessen pustet der Fünfjährige die Kerzen am Tinkerbell wieder aus und fängt sich einen Tritt vom Neunjährigen dafür ein. Nach einer Stunde schiebe ich die Jungs wieder aus der Tür. Bei Papa muss schließlich noch das Kinderzimmer aufgeräumt und geputzt werden, bevor wir heute abend dort feiern können.

Das windige Wetter hat meiner Besuchsfreundin bereits gestern eine Migräne beschert, die sich nicht nur gewaschen, sondern auch schon angezogen und gekämmt hatte. Obwohl ihr Kopf immer noch wehtut, sitzt sie in der Küche und entbeint mit letzten Kräften das Hähnchen. Wir essen Suppe, erzählen einander Weihnachtserinnerungen und lösen ein mathematisches Rätsel: Kann das wirklich schon das fünfte Wechselmodellweihnachten sein, obwohl der Vater meiner Kinder erst vor viereinhalb Jahren ausgezogen ist?

Die Besuchsfreundin bettet ihren schmerzenden Kopf wieder auf ein Kissen. In der Wohnung duftet es nach Hühnersuppe und Fichtenzweigen. Heiligabendstille breitet sich aus: Erinnerung und Erwartung, Vorfreude und ein wenig Anspannung. Gedanken an die Menschen, die ich liebe, und die heute auch – jeder an seinem Ort, jeder auf seine Weise – beisammen sein und feiern werden.

Ihnen und uns und Euch allen wünsche ich frohe, entspannte und – ja doch, trotz aller Vorsicht mit vielverwendeten, blassgewordenen theologischen Begriffen – gesegnete Weihnachtstage!

Winterabend

Vorweihnachtliche Überstunden. Im Finsteren eile ich zur Kita. Ob der Fünfjährige das letzte Kind ist und die Erzieherin schon ungeduldig auf die Uhr schaut? Erst mal muss ich auf der Suche nach der Spätbetreuungsgruppe durchs dunkle, stille Haus irren. Ein halbes Dutzend Kinder ist noch da, ich atme auf.

Jetzt ist aber endlich Wochenende. Der Fünfjährige darf sich seine Schuhe und seine Jacke beinahe so langsam anziehen, wie er will. Und wir nehmen uns Zeit, auf dem Heimweg all die leuchtenden Weihnachtsdekorationen anzusehen. Die blauen Lichterketten da hingen auch letztes Jahr schon in der großen Konifere. Dort drüben das Haus hat Schwippbögen in allen Fenstern. Lila und rosa und türkisfarbige und blaue und rote und weiße und blinkende Lichterketten funkeln von den Balkons, und unser Kiezcafé da vorne hat einen Lichterbaum im Garten stehen, einen lebensgroßen künstlichen Baum voller winziger weißer Lämpchen in Blütenform. Der Fünfjährige und ich können uns kaum daran sattsehen. Der ist sogar schöner als unser Weihnachtsbaum, sagt mein Sohn. Nein, wir haben noch keinen Weihnachtsbaum, aber ich habe meinen Kindern jedes Jahr erzählt, dass unser Weihnachtsbaum der schönste von allen sei. Heute schaue ich in die strahlende Blütenwolke und bin widerlegt.

Bei den Nachbarn wartet ein Päckchen mit einem halben Adventskalender – für die zweite Hälfte der Adventszeit – auf mich, über das ich mich ganz närrisch freue, und im Briefkasten eine Postkarte aus Dresden vom Opa für die Kinder.

Der Vater meiner Kinder bringt den Neunjährigen von einem Termin zurück und berät mich netterweise im Umgang mit meiner Mieterhöhung. Siehe da, vielleicht komme ich ja mit der Hälfte davon –

Und dann muss ich ganz schnell noch einkaufen: das Brot ist endgültig alle, diese Woche hatte ich den Kopf so voll, dass die notwendigsten Dinge mir aus dem Kurzzeitgedächtnis gepurzelt sind. Also jetzt, schnell, gleich die Einkaufsliste fürs Wochenende mitnehmen… Der übermütige Wind – bei genau solchem Wetter wurde der Loop-Schal erfunden, ich bin sicher – schlenkert mir meinen Schal zurück nach vorne, egal, wie oft ich das Ende über meine Schulter zu werfen versuche.

Mama, fragt der Fünfjährige beim Abendessen, warum heißt die Kirche auf der Postkarte denn Frauenkirche? Gibt’s da auch eine Männerkirche in Dresden? Nee, sage ich, vielleicht war die Kirche ja mal katholisch und hieß „unserer lieben Frau“ oder so – damit ist Maria gemeint, die Mutter Gottes. Die ist wichtig für die Katholiken. Wie, sagt der Neunjährige, Maria war doch die Mutter von Jesus und Jesus war Gottes Sohn. War Maria dann nicht die Frau Gottes? Hmm, sage ich und versuche mich an einer kurzen Theorie der Dreieinigkeit. Vom heiligen Geist hat der Fünfjährige auch schon gehört. Der kam doch zu den Menschen runter, als Jesus ins All geflogen ist! Seit Theo Gerst dort war, kennt mein kleiner Sohn sich mit allem aus, was „da oben“ so los ist.

Und dann müssen wir noch schnell klären, wie viele Länder Europa eigentlich hat. 197! Das behauptet zumindest der Neunjährige, der in der Schule gerade heute einen Europa-Projekttag hatte. Wikipedia kennt nicht so viele, ich auch nicht. Und als ich endlich das unverschämte Plug-In aktualisiert habe, das ausgerechnet am Freitagabend nicht mehr zuverlässig sein soll, und wir die aktuelle Sendung mit der Maus nachgesehen haben, ist es neun.

Der Neunjährige ist enttäuscht: Was, keine Zeit mehr zum Kuscheln und Schwatzen? Ich hatte sooo wenig von dir in der ganzen Woche, Mama! Stimmt. Heute Termin mit Papa. Gestern Sportverein – und dann – tatatata: Premiere! – habe ich die Kinder zum allerersten Mal am Abend alleine gelassen, um auf der Firmenweihnachtsfeier wenigstens noch einen kleinen Cocktail zu trinken. Aber hatten wir vorher denn keine Zeit füreinander? Was war da bloß, Montag? Dienstag?

Wir können uns – nach einer anstrengenden, langen Woche – beide nicht so recht erinnern. Wir hatten viel zu wenig Zeit. Für alles. Das steht fest.

So viel Heimlichkeit

Anschläge auf Betende und Busse, auf Madagaskar die Pest, Ebola hat schon kaum noch Nachrichtenwert. In Hellersdorf marschieren die Rechten gegen Flüchtlingsheime auf, eigentlich müsste man auf der Gegendemo stehen, über das Leben dort, wo die Leute herkommen, die da untergebracht werden sollen, mag ich garnicht nachdenken.

Und Weihnachten erscheint am Kalenderhorizont.

Schon Ende Oktober kommt ein Brief von meiner großen Schwester und ihrem Mann. Die beiden werden in diesem Jahr zu Weihnachten nur Kindern Geschenke machen, auf das Schenken an erwachsene Freunde und Familienmitglieder aber verzichten – um angesichts des Elends in der Welt das Geld, dass sie für Geschenke ausgegeben hätten, an eine Hilfsorganisation zu spenden.

Wie heikel und vielschichtig das Thema „Schenken“ eigentlich ist, wird mir klar, als ich merke, wie viele verschiedene Gefühle dieser Brief in mir auslöst. Oh schade, denke ich, ich krieg nichts. Ja, denke ich, dieser ganze Beschenkereistress, eigentlich ist es gut, auszuprobieren, ob man sich dem entziehen kann. Wieso, frage ich mich, muss man darauf verzichten, sich hier eine kleine Freude zu machen, haben wir nicht genug Geld, um einander zu beschenken und trotzdem zu spenden und zu helfen? Und hilft das Geld, das wir beim Schenken sparen oder sparen könnten (in unserer Familie stapeln sich eigentlich keine sinnlosen Konsumgüter unter den Tannenbäumen – und nennenswerte Geldbeträge kosten vor allem die Geschenke für die Kinder) wirklich ernsthaft jemandem weiter?

Meine Weihnachtsgeschenkeliste ist jedes Jahr ähnlich aufgebaut und immer lang und komplex. Da gibt es eine lange Reihe Geburtstage zwischen Anfang Dezember und Anfang Februar, die mitbedacht werden müssen. Da gibt es meine Kinder, die engere Familie, die Freunde, die Kinder der Freunde, die Patenkinder und die Geschwister meiner Patenkinder und die Paten meiner Kinder (zum Glück gibt es Überschneidungen); außerdem noch den Abschnitt mit entfernteren Verwandten und Freunden, die wenigstens mit einem Kärtchen bedacht werden sollen. Und – ach ja – nicht zu vergessen: Adventskalender müssen ja auch noch sein, da hab ich mir was schönes eingebrockt, als ich meinen Jungs vor einigen Jahren eifrig je 24 hübsche Beutelchen genäht habe.

Ich denke selber alle Jahre wieder darüber nach, ob die Liste sich reduzieren und wie sie sich stressarm abarbeiten lässt – ohne großen Erfolg. Denn sie lässt sich ja auch anders sortieren:

Menschen, die zu beschenken mir am Herzen liegt und Spaß macht und für die ich gerne Geschenke aussuche; Geschenke, von denen ich weiß, dass sie auch Freude bereiten. Schon um der eigenen Freude am Schenken willen: Hier möchte ich nicht kürzen; hier ist das Schenken Teil meiner Liebe und Verbundenheit.

Meine Kinder… ja, das ist eine eigene Kategorie. Denn Schenken unterliegt hier schon komplexeren Erwägungen: Ich möchte ihnen gerne eine wunderbare, echte, leuchtende-Augen-Freude machen. Sie sollen gegenüber anderen Kindern nicht demütigend ins Hintertreffen geraten, wenn es bei uns schon weniger gibt, sollen sie wenigstens ihre größten Wünsche erfüllt bekommen. Sie sind vor allem für äußerst materielle Gaben zu haben. Und außerdem (doch, das muss ich ehrlicherweise zugeben) dürfen meine Geschenke nicht deutlich kleiner sein als die, die sie von ihrem Vater bekommen: Wechselmodellkonkurrenz. Hier geht es also um Geld, pädagogisch-wertvoll-Erwägungen und Menge.

Menschen, denen ich etwas schenke, weil ich es aus verschiedenen Gründen wichtig finde, obwohl ich eigentlich nicht weiß, womit ich ihnen eine echte Freude machen kann. Meine Schwestern zu beschenken, ohne an meine genügsamen Schwäger zu denken, würde mir nicht richtig vorkommen; wer meine Kinder beschenkt, für dessen Kinder sollte ich besser auch eine Kleinigkeit haben. Und Eltern – ach: hätten sie doch Wünsche… Das ist der schwierige Teil der Schenkerei. Immer neue „schöne Kleinigkeiten“ für alle zu finden, verlangt kaum weniger Muße, als einen philosophischen Essay zu schreiben oder eine ganze Wohnung neu einzurichten. (Fragt in ein paar Jahren nochmal nach, ok? Bis dahin freut Euch bitte über phantasielose Genussmittel. Oder Glitzerdosen vom Adventsbasteln in der Schule.)

Und die letzte Kategorie: Menschen, zu denen ich den – meistens viel zu sporadischen – Kontakt erhalten möchte. Die eine eine Karte, einen Gruß, einen Stern bekommen sollen, ein paar liebe Worte oder ein kleines Update mit den neuesten Entwicklungen aus dem Familienleben. Hier geht es vor allem um Zeit; Zeit, einen echten Kontakt herzustellen, wirklich bei ihnen zu sein, statt nur „Frohe Weihnachten“ auf eine Postkarte zu kritzeln.

Wen sollte ich also von meiner Liste streichen?

Nein, ich werde nicht auf das Schenken verzichten. Nur meiner Schwester und ihrem Mann gegenüber, weil ich ihre Haltung respektiere; ihren Versuch, mit dieser schrecklichen Gleichzeitigkeit – unserem Wohlstandsweihnachten und dem Elend in der Welt – irgendwie anders umzugehen, als wir das sonst machen.

Und dafür, dass sie mich nachdenklich gemacht haben, dass wir über das Schenken ins Gespräch gekommen sind – dafür bin ich ihnen richtig dankbar.

Bettenwechsel

Hinter uns liegen die Weihnachtstage. Schöne Erinnerungen:

Meine Söhne beim Weihnachtsbaumschmücken, eifrig und strahlend. Von Jahr zu Jahr erinnert der Baum weniger an das, was ich mir vorgestellt habe, als ich irgendwann mal silberne und rote Kugeln gekauft habe. Jedes Jahr geht eine davon kaputt – manchmal auch zwei – und wird durch das ersetzt, was wir geschenkt bekommen oder was in der Kita als Weihnachtsgeschenk für die Eltern gebastelt wird, ein beglitterter Gardinenring aus Holz, glitzernde Sterne aus in Streifen geschnittenen Klopapierrollen. Den Salzteigengel habe ich selbst aufgehängt: Wer den Raum betritt, dem lächelt er zu.

Christvesper in der örtlichen Kirche. Der Organist kann die Einmal-im-Jahr-Kirchenbesucher nicht leiden und stimmt alle Lieder so hoch an, dass auch diejenigen, die die Melodie vielleicht vom letzten Jahr wiedererkennen, keine Chance haben, einzustimmen. Auch der Pfarrer hat wichtigeres zu tun, aber die neue Jugendbeauftragte gestaltet den Gottesdienst schön, einfache Aussage, roter Faden, das Licht weitergeben, alles klar, alles weihnachtlich. Auch wenn ich meinen Kindern vielleicht nicht empfehlen werde, selber auszuprobieren, was sie da im Krippenspiel gesehen haben, wo die armen Leute alle miteinander furchtbar nett waren und sich willig und dankbar haben helfen lassen.

Meine Kinder sind so verzaubert, dass sie sich in der Kirche geradezu mustergültig benehmen. Huiiii, das kenne ich anders! Aber diese Mal ist es das Kind in der Reihe hinter uns, das laut „Och nee, nicht noch ein Lied!“ ruft; und das Kind in der Reihe vor uns, das so sehr in das Spiel mit seinem Auto vertieft ist, dass es mitten im Gebet plötzlich von der Bank fällt. Ich lächele sanft und streiche meinen Kindern über den Kopf.

Dieses Jahr klappt überhaupt alles. Das Sauerkraut brennt nicht an, niemand übergibt sich, und meine Söhne jauchzen geradezu über ihre Geschenke. Wir machen nette Fotos von mir und den beiden und vom Vater der Kinder und den beiden und sogar eins von mir und dem Vater der Kinder und den beiden, auf dem wir wie eine Familie aussehen, auch wenn da dieser Abstand zwischen uns ist, den unsere Kinder überbrücken, zwischen uns stehen sie, der Vierjährige vor dem Achtjährigen, keiner will näher bei mir oder seinem Vater sein, sie wollen uns beide. Und so soll es sein. Playmobil- und Legokleinteile dominieren den Rest des Abends.

Die Feiertage: Faule Vormittage, die Kinder spielen herrlich. Spaziergänge im Sonnenschein. Gemeinsame Spiele, Kuschelabendessen mit Märchenfilmen. Und abends, wenn die beiden endlich in ihren Betten liegen, sitzen meine Freundin und ich vor dem Sofa – weil auf dem Sofa noch all unsere Geschenke liegen, die wir nicht wegräumen wollen, weil es dann nicht mehr Weihnachten wäre – und führen Vor-dem-Sofa-Gespräche und denken darüber nach, ob die anders sind als die Auf-dem-Sofa-Gespräche, die wir vielleicht sonst führen würden.

Jetzt ist die Weihnachtswoche vorüber. Wir winken der Bahn hinterher, in der meine Freundin sitzt, am Nachmittag beginnt die Familienbesuchszeit. Schnell Betten abziehen, einmal durchfegen. Kinder in die Badewanne, ab heute Abend wird die Badezimmerzeit rationiert. Geschenke wegpacken, das Sofa wird jetzt zum Schlafen gebraucht. Auf dem Herd köchelt ein Hähnchen, unterm Weihnachtsbaum stehen wieder Geschenke.

Jetzt darf das Jahr zu Ende gehen. Wunderkerzen liegen bereit.

Weihnachtswechselei

Wechselmodell zu Weihnachten – das wird in diesem Jahr wieder bedeuten, dass wir den Heiligen Abend gemeinsam verbringen: Der Vater meiner Kinder und ich und unsere Söhne, die sich das beide genau so gewünscht haben. In diesem Jahr richte ich die Bescherung aus, eine gute Freundin ist zu Gast – für uns alle angenehm und erleichternd. Immerhin verbringen der Vater meiner Kinder und ich sonst keine Zeit miteinander, außer wenn wir uns gelegentlich zusammensetzen und die Kalender durchgehen und notwendige Absprachen treffen.

Über die Weihnachtsferien ist unser Wechselmodell ein bisschen aus dem Takt – die Kinder werden von Heiligabend bis zum Silvestermittag eine ganze Woche bei mir verbringen und die nächste – über das Ferienende  – dann bei ihrem Vater. Da ich mir schon länger vorstellen kann, dass die beiden nicht mehr halbe, sondern ganze Wochen am Stück bei mir und ihrem Vater leben, ist das so was wie ein erster kleiner Test dafür, wie unser Modell sich vielleicht weiterentwickeln wird.

Wie der Heiligabend verlaufen soll, haben wir in groben Zügen abgesprochen. Vor allem wird der Geschenkeberg geteilt – es soll nur so viel ausgepackt werden, wie die Kinder auch würdigen können; es soll genug Zeit bleiben, das Lego-Museum auch aufzubauen, die Räuber es ausrauben und die Polizisten die Räuber einfangen zu lassen; und genug Zeit, um gemeinsam das neue Labyrinth-Spiel auszuprobieren.

Aber bevor es soweit ist, sind der Vierjährige und der Achtjährige erstmal zwei Tage bei ihrem Vater. Wie immer ist es schwer, die beiden ziehen zu lassen, sie, diesmal am Sonntagmorgen – als sie gerade am allerschönsten spielen – zum Anziehen und Losgehen beinahe zwingen zu müssen. Verabschieden, Küssen, Winken – ist ja nur für zwei Tage. Jetzt könnte ich so richtig loslegen: Putzen, backen, Gänsekeulen in den Ofen schieben, Geschenke verpacken, Weihnachtsgrüße auf den Weg bringen… Aber nach einer Weile merke ich, dass die beiden nicht nur ein Dutzend ihrer Spielautos und die warmen Schals und die Handschuhe und den Kuschelhasi, sondern auch die ganze Weihnachtsstimmung mitgenommen haben. Keiner mehr da, der Rolf Zuckowskis „Musikalischen Adventskalender“ so lange immer wieder anstellt, bis ich mir die Ohren zuhalte. Die halben Beutelchen-Adventskalender der beiden sind schon leer und sehen so traurig aus, als wäre Weihnachten schon vorüber. Und die letzten Plätzchen, die wir gemeinsam gebacken haben, ohne meine Kinder zu glasieren, macht auch nur halb so viel Spaß.

Dafür kann ich am Abend mit ein paar Nachbarinnen – die ihre Männer zum Kinderhüten verpflichtet und sich mühsam aus dem häuslichen Chaos freigekämpft haben – zu einem kleinen Chorkonzert fahren, das ist schön. Wir trinken vorher schnell ein paar Schlucke vom mitgebrachten Glühwein, wir sehen uns an und lachen über die wilden Improvisationen des Organisten über „Tochter Zion“, wir gehen spontan noch eine Kleinigkeit essen und tauschen Festvorbereitungsgeschichten aus, auf der Stresspunkteskala liege ich mit meinen kinderfreien Tagen erwartungsgemäß weit zurück.

Am nächsten Tag ist dann auch die Migräne meiner Besuchsfreundin besser. Heute endlich könnten wir über meinen Lieblingsweihnachtsmarkt schlendern… wenn der nicht schon geschlossen hätte. Stattdessen kaufen wir ein paar allerletzte Geschenke ein – vor allem noch ein festliches Hemd für den Achtjährigen, das er zur Bescherung gleich anziehen kann – und sitzen dann in einem ruhigen, beinahe leeren Café mit Ausblick auf die von der S-Bahn zum Einkaufscenter und zurück hastenden Berliner; schauen auf das vergangene Jahr zurück, schauen auf das vor uns liegende neue.

Seltsame, stille, vorweihnachtliche Tage.