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Februarende, beinahe schon

Wieder ist hier fast ein ganzer Monat nachzutragen. Der Februar ist vorbeigerauscht, schneller als der Januar, mit Festivitäten geprenkelt: Dem Geburtstag des – jetzt – Achtzehnjährigen; dem Besuch und im Besuchszeitraum noch angefeierten Geburtstag der ganz großen Schwester; den zwei Bowling-Parties des – jetzt – Vierzehnjährigen, einmal mit Schulkameraden, einmal mit Freunden aus der Grundschulzeit und aus dem Schachverein; und mit dem Geburtstag des Hannoverliebsten, an dem ich zwar noch nicht reisen konnte, den wir aber an einem langen Wochenende mit anderthalb Überstundentagen nachfeierten.

Mein Lebengefühl ist ein bisschen eingetrübt in diesem Februar. Im Januar hatte ich mich um mehr Bewegung bemüht und war fast täglich eine größere Runde gelaufen – wunderbar für die Stimmung, auch das allgemeine Gefühl von körperlicher Fitness durchaus besser – dann fing die Ferse an wehzutun, das steigerte sich über zwei Wochen so weit, dass ich jeden nicht notwendigen Weg einsparte und jeden verfügbaren Aufzug benutzte. Fühlte mich verraten von meinem Körper. Inzwischen bessert sich der Fuß wieder, ich lerne, dass Dehnungübungen der Plantarfaszie guttun, ich habe Fersensporneinlagen aus dem Internet und bekomme noch richtige, für mich angefertigte; ich gebe vermutlich demnächt viel Geld für die „gute“ Stoßwellentherapie aus, die nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird. Ich möchte dringend wieder schmerzfrei laufen, zudem sind Wanderurlaube geplant, jawoll.

Im Zimmer des Vierzehnjährigen steht nun – wir bleiben beim Thema Fitness – seit zwei Wochen oder so ein Hometrainer, das war sowieso geplant, obwohl mir der Gedanke ein bisschen unangenehm ist, jetzt eine hometrainerbesitzende Person zu sein. Aber dem Vierzehnjährigen tut Bewegung not und mir auch, und ein Sportverein ist neben Schach, Konfi-Stunde und Schulanforderungen bzw. neben Erwerbsarbeit, Fernbeziehung, Haushalt und Chorsingen schlicht nicht machbar, da muss man realistisch sein und gute Ratschläge gelassen abperlen lassen. Es ist schon erprobt: Der Vierzehnjährige kann sein Handy aufs Display der „Ente“ (wie wir unser Stubenrad getauft haben) stellen und sich beim Strampeln mit Videos unterhalten; das Laptop mit einer Serie-zum-Abschalten für mich kann gut auf einem Stuhl davor stehen; und mit Musik macht sich das Radeln auch gut. 20 Minuten, 5 Meilen, das geht im Alltag fast jeden Tag.

Auf die Stimmung drückt auch, dass die Chefin sich zum Ende Februar verabschiedet und die Arbeitsabteilung, in der bin, erst einmal führerlos durch die nächsten Monate schaukeln wird. Wenn sie jetzt ein schlingerndes Boot bei hohem Wellengang vor Augen haben, in dem ein halbes Dutzend Leute unkoordiniert in verschiedene Richtungen zu paddeln (oder ein Nickerchen zu machen) versucht: ja genau, so fühlt es sich an.

Außerdem habe ich die Kälte satt. Und Covid geht ja auch wieder so richtig rum; fast alle Lehrer des Achtzehnjährigen haben sich auf einem kleinen Superspreader-Auflug infiziert, Unterricht fällt aus, kurz vor dem Abitur; vielleicht muss sogar die mit großer Freude erwartet Aufführung des Theaterkurses ausfallen, das wäre so schade.

Und seit einem Jahr Krieg in der Ukraine, auch das.

Was schön war: Bowlen macht ja schon Freude. Ein weiterer Saunabesuch. Die Mutter der Patentochter hat einen Job in Berlin angenommen und fährt jetzt auf ihrem Arbeitsweg regelmäßig in meiner Nähe vorbei, praktischerweise gibt es genau dort ungefähr eine Million interessante Restaurants. Es sind Treffen zum After-Work-Schlemmen in Planung.

Was besonder schön war: Zwei lange Wochenenden mit dem Hannoverliebsten, unsere Bemühungen, über unsere Verschiedenheit im Gespräch zu bleiben. Es fühlt sich gut an, uns gegenseitig Raum zu geben und trotzdem zusammen und füreinander da zu sein. Es fühlt sich gut an, mich unterstützt zu fühlen; ich kann damit garnicht so leicht umgehen, weil das Gefühl so tief sitzt, immer alles alleine schaffen zu müssen.

Was noch schön war: an einem einzigen trüben Samstagvormittag spontan eine Fahrradtour für den Hannoverliebsten und mich zu planen, langes Wochenende, vier Übernachtungen, Brandenburger Highlights, die ich schon kenne, und solche, die ich immer schon mal kennenlernen wollte. Das wird sehr gut.

18.2.2021

Von den schlechten Tagen steht hier weniger. Schon weil ich an denen nicht zum Schreiben komme, nicht zum Durchatmen, nicht zum Rausgehen, nicht dazu, meinen Kindern wirklich zuzuhören, eigentlich zu nichts.

Die schlechten Tage sind die, an denen meine Arbeit nicht zu schaffen ist, an denen ich erst dann dazu komme, etwas abzuhaken, wenn ich eigentlich lange Feierabend hätte. Die schlechten Tage sind die, an denen es draußen ganz grau ist. Die, an denen eins der Kinder zu viel Stress mit den Schulaufgaben hat oder beide und wir uns wechselseitig von Laptop zu Laptop anzischen, sobald einer ein Geräusch macht. An denen ich nicht damit klarkomme, ständig unterbrochen zu werden, weil ich mich selbst so dringend konzentrieren müsste.

Die schlechten Tage sind die, an denen ich abends missmutig irgendein Essen zusammenkoche, das am nächsten Tag niemandem schmeckt. An denen wir noch nicht mal zur gleichen Zeit Mittagspause machen können. An denen wieder kein Heinzelmännchen eine Gurke, einen Salat, ein bisschen Obst nachgekauft hat. An denen die Kinder ausnutzen, dass ich Überstunden machen muss, ihre Handyzeit überziehen, die versprochenen Pflichten nicht erledigen. Die schlechten Tage sind die, an denen der Zwölfjährige möglichst schnell zu seinem Vater oder einem Freund verschwindet, weil ich ja immer nur arbeiten muss.

Die schlechten Tage sind die, an denen ich dem Hannoverliebsten sage, dass ich erst am Freitagabend zu ihm komme, damit der Sechzehnjährige auch am Freitag noch bei mir lernen kann und nicht in die Schule muss. Die schlechten Tage sind die, an denen der Sechzehnjährige dann morgens von seinem Vater kommt, ohne Frühstück im Bauch, im fleckigen Pullover von gestern, aber begeistert erzählt, was gemeinsam gespielt wurde. Dort haben ja alle Zeit.

Die schlechten Tage sind die, an denen ich merke, dass ich meine Freunde vernachlässige. Dass die andere Mitmutter nicht mehr zurückruft; dass ich ein Angebot zum Telefonieren einfach nicht annehmen kann, weil ich dazu erst Zeit hätte, wenn ich schlafen muss, und nicht schon in der einen Stunde, in der ich wenigstens mit dem Zwölfjährigen gemeinsam auf dem Sofa vor dem Fernseher sitze. Die schlechten Tage sind die, an denen mich das Gewissen plagt, weil ich mich nicht danach erkundige, wie es meinem Vater, seiner Frau, meinem Onkel, dem Magen der ganz großen Schwester geht, und an denen mich das Selbstmitleid packt, weil mich erst der Hannoverliebste am späten Abend fragt, wie es mir geht, und sonst niemand sich erkundigt, wie ich das alles schaffe.

Die schlechten Tage sind die, an denen die Wochen gleichförmig vor mir liegen und ich nicht weiß, wie lange ich das so noch durchhalte.

Es sind nicht alle Tage schlecht, bei weitem nicht. Aber es gibt sie.

13.02.2021

Diese Woche war… anders.

Kaum hatte der Hannoverliebste das Remote-Arbeiten von meinem Zuhause aus getestet, wurde diese Möglichkeit ganz wichtig, weil die Bahn wegen des Schneefalls und der Kälte ihren Betrieb erstmal einstellte. Von Tag zu Tag entschieden wir, dass die Züge noch nicht wieder zuverlässig genug waren – vielleicht wollten wir auch gern noch ein paar Tage gemeinsam verbringen. Mir waren die vielen roten Kreuzchen hinter den Bahnverbindungen in der App jedenfalls ganz recht.

Und draußen der Schnee: Wunderbare Bilder habe ich im Kopf von unseren Spaziergängen, vom schneehellen Dämmerwald, über dem rosa der Stadthimmel leuchtete; von der halb zugefroreren Spree mit Hunde- und Entenspuren auf dem Eis, mit Rissen zwischen den Schollen, die bereits wieder zufroren. Sogar der Sechzehnjährige hatte Spaß, stocherte mit langen Ästen im Eis, machte den Spaziergang zur Schneeballschlacht.

Daneben traurige Nachrichten: Viele gesundheitliche Probleme, mein Onkel und meine Stiefmutter im Krankenhaus, die ganz große Schwester nicht wohlauf. Die große Schwester sprang ein und fuhr zu unserem Vater, kümmerte sich da.

Die plötzlichen Notfälle werden nicht weniger werden; immerhin weiß ich jetzt endlich, wo sich die Steckstelle fürs LAN-Kabel im Wohnzimmer meiner Eltern befindet; ich muss keinen neuen Router kaufen und kann das Arbeiten von dort aus testen. Das entlastet mich ein bisschen, so werde ich auch mal einspringen können, wenn es notwendig wird. Echte Schule würde auch noch helfen, der Sechzehnjährige darf aus Gründen zur Zeit nur in einem Raum mit mir sein Homeschooling erledigen – oder in der Schule, so lange dort noch freie Räume zur Verfügung stehen (aber das ist nicht seine Lieblingsoption).

Schule ja. Macht sie wieder auf oder nicht? Wann? Für welche Jahrgänge? Für den Zwölfjährigen und den Sechzehnjährigen ist nichts angekündigt. Die Virusmutationen drücken aufs Gemüt, weil es so unabsehbar wird, wann irgendwas wieder öffnen kann. Die Frisöre als Bonbon fürs Volk am 1. März? Die Friseurin des Hannoverliebsten jedenfalls hat im März nur Stammkundentermine und könnte mich erst im April drannehmen. Ich werde also doch noch eins meiner Kinder überreden, mir die Haare ein Stück abzuschneiden.
Die ganz große Schwester ist Klinikmitarbeiterin. Sie bekommt als allererste von uns allen die Coronaimpfung, die zweite schon, und liegt mit hohem Fieber im Bett. Mein Vater immerhin hat nach langen, mühseligen Versuchen nun auch einen Impftermin. Auch das wird es leichter machen, ihn wieder ohne Angst zu besuchen. In Notfällen und vielleicht auch so.

Erstmal arrangieren damit, dass das Lockdownleben einfach weitergeht. Wir sind ja schon dran gewöhnt.

Die Woche mit dem Hannoverliebsten rauscht vorbei, wir arbeiten, kaufen das Nötigste ein, kochen, spazieren durch den Schnee, schauen fern, genießen es, zusammen zu sein, liegen abends auf dem blauen Sofa und reden, bis einem von uns die Augen zufallen, sind am Morgen müde, testen ein bisschen das gemeinsame Alltagsleben.
Als er am Donnerstag dann doch in einen Zug steigt, kommt der Zwölfjährige von seinem Vater zu mir.
Da jetzt beide Kinder bei mir im Wohnzimmer arbeiten, holen wir am Freitagmorgen seinen Schreibtisch aus seinem Zimmer und stellen ihn ans Fenster. Ein Tag, drei Laptops, zwei Headsets (die reihumgetauscht werden), acht Videokonferenzen, ein Mauspad zu wenig; französische Verben, deutsche Substantivierungen, ein Selbstportrait, lineare Funktionen und Wahrscheinlichkeitsbäume, englische Texte und Videos zum Klimawandel finden hinter meinem Rücken statt; und wenn der Sechszehnjährige nicht gerade genervt schnaubt, weil jemand anderes redet, dann ist die Atmosphäre arbeitsam und konzentriert. Ein guter Tag. Es wird andere geben.

Noch sind uns keine gefrorenen Seifenblasen gelungen. Nur das Balkongeländer ist jetzt mit der zuckerigen Seifenlösung verkleistert. Ein paar Tage haben wir noch, um es auszuprobieren.

WmdedgT – 5. Februar 2021

Erst spät am Freitagabend sehe ich die WmdedgT-Beiträge im Reader: Ach ja… es ist der 5. …
Frau Brüllen lädt uns wie immer zum Tagebuchbloggen ein und hier finden sich alle anderen Beiträge.

Der 5. Februar beginnt mit dem Hannoverliebsten auf dem Gästesofa – er ist am Abend angereist und wir müssen uns – wie meist – erstmal wieder an die wechselseitige Schlafnähe gewöhnen und schlafen spät und unruhig.

Zwanzig Minuten nach sieben zirpt das Handy und ich schleiche mich aus dem Wohnzimmer ins Bad. Mache dann Frühstück, koche Kaffee, schleiche ins Wohnzimmer zurück und schalte das dienstliche Laptop ein. Endlich Rückmeldung vom Chefchef zu einer wichtigen Frage, ich habe zu tun. Nebenbei ein Schälchen Haferflocken und ein Tee.
Der Hannoverliebste regt sich gerade rechtzeitig, um mich daran zu erinnern, dass ich doch zum Augenarzt gehen wollte, weil die Tropfen vom Hausarzt, der weniger auf mein Auge geschaut hat, in dem etwas stört, als auf seinen Computer, der nicht wollte, wie er sollte, nicht wirken.

Also ziehe ich schnell meine Jacke über und gehe zum Bus. Die Morgenluft ist kühl und angenehm, der Bus kommt fast garnicht zu spät und ist nicht voll, die Ärztin ist gutorganisiert und nimmt mich noch vor dem ersten Terminpatienten dran. Möglicherweise, meint sie, kommt das Störgefühl in meinem Auge von Wimpern, die auf der Innenseite meines Augenliedes wachsen, und ehe ich noch protestieren kann, zupft sie die Störenfriede raus, was keine zum-ersten-Mal-im-Leben-Erfahrung ist, die ich weiterempfehlen kann. Hinterher hat mein Auge immerhin einen Grund, wehzutun. Auf der Rückfahrt in der S-Bahn gruselt es mich schrecklich bei der Vorstellung, dass in den nächsten Tagen auf der Innenseite meines Augenlids kleine Stoppeln nachwachsen werden. Das komische Störgefühl im Auge ist auch nicht weg.

Ich bin rechtzeitig wieder zu Hause, um mich zum Hannoverliebsten an den Frühstückstisch zu setzen, einen Kaffee zu trinken, noch ein Schälchen Müsli zu essen und mich dann ins tägliche Teammeeting einzuloggen. Der Arbeitstag beginnt jetzt richtig, der Hannoverliebste hat Meetings am Wohnzimmertisch und redet über Berichtsdaten, ich habe Meetings am Schreibtisch und rede über Kontenplanänderungen; mittags essen wir in der Küche die Reste vom indischen Essen, das wir am Vorabend bestellt haben. Sehr lecker.

Gegen vier schalten wir beide unsere Rechner aus. Es gibt noch Kuchen vom Geburtstag des Sechzehnjährigen Anfang der Woche; Donauwellen-Schneewittchenkuchen, der schmeckt immernoch ganz ausgezeichnet. Dann setzen wir uns aufs Sofa und schreiben eine Einkaufsliste. Wir entscheiden uns gegen Kochexperimente und für Gulasch, das können wir nach ein paar spektakulären Fehlschlägen inzwischen supergut kochen; und ich sorge für ausreichend Gemüse und schreibe Schwarzwurzeln, Paprika, Zucchini und die Zutaten für eine Linsensalat auf die Liste.

Als wir losgehen, dämmert es schon, und es schneit.

In der Kaufhalle ist es wie immer eng und unübersichtlich und voll. Früher war hier ein Kaisers-Supermarkt, der mit seniorenfreundlichen extrabreiten Gängen und extralesbaren Beschriftungen warb, den hätte ich gerne zurück. Halbblind ohne meine Brille und schnaufend hinter der Maske ist Einkaufen noch unangenehmer als sonst, aber nach einiger Zeit haben wir alles und machen uns auf den Rückweg. Noch eine Tüte rote Linsen aus dem Reformhaus, noch eine Flasche von meinem neuen Lieblingsweißwein, und dann ist es ein herrliches Gefühl, die belebte Straße zu verlassen, die Maske abzunehmen und den wirbelnden Schnee auf dem Gesicht zu spüren.

Zu Hause sind wir ziemlich erschöpft, lachen über die Wirkung homöopathischer Küsse, liegen irgendwann nebeneinander und erzählen uns von unseren jeweils eigenen Erfahrungen mit Lissabon, von früheren Partnerschaften, von Orten, die wir gerne gemeinsam bereisen würden, wenn das wieder geht.

Gegen neun machen wir uns ein schnelles Abendessen. Ich schnippele Knoblauch, Zucchini und Paprika in einen Letschorest; der Hannoverliebste brät ein Steak, im Ofen bruzelt ein Käse für mich; dazu Reis.
Ich überrede den Hannoverliebsten, in der Küche alles stehenzulassen, klappe das Sofa schonmal halb auf, hole mein dickes Federbett, mein Himalayakissen und meinen Pyjama. Ich habe entdeckt, dass es die Lily-Brett-Verfilmung „Chuzpe“ gerade wieder in der Mediathek gibt und wir bauen das Laptop des Hannoverliebsten zum Fernsehen vors Sofa. Der Film ist auch beim zweiten Ansehen noch sehr schön.

Hinterher ist es für mich nicht mehr besonders weit ins Bett; nur noch schnell Augentropfen und Zähneputzen. Der Hannoverliebste beendet den Tag mit der Online-Zeitung, während ich schon tief und fest eingeschlafen bin.

Was ich mir wünsche (Dezember 2019)

Zwei oder drei gute Bücher für die dunklen Abende.
Und Abende mit Freunden, lachend, erzählend.
Keine Katastrophen in den Nachrichten morgens
um sechs Uhr dreißig. Stattdessen ab und zu Wunder.
Zeit zum Schreiben, im Kopf genug Raum für ein paar neue Gedanken.
Jeden Tag jemanden anlächeln, der das Lächeln erwidert,
und in der S-Bahn einen Sitzplatz weit weg von dem, der schon wieder
so laut seine Nase hochzieht.
Einmal wenig genug erkältet,
um in die Sauna zu gehen, und dann am liebsten
einen Aufguss mit Grüntee und Zitrus.

Zwischen Büro und Schulweihnachtsfeier ein bisschen Stille.
Eine geschenkte Stunde an Tagen, an denen die Kinder
für Sprachklassenarbeiten lernen. Anrufe und Mails statt Whatsapps.
Dass weder Toilettenpapier noch Geduld im falschen Moment ausgehen
(und der Sauerstoff uns über den Winter reicht und gerne viel Regen).
Einen Euro in der Tasche für jemanden, der mich bittet.
Vielleicht einen Weihnachtsmarkt besuchen, ganz früh,
wenn die Buden erst öffnen,
und abends
in fremden Fenstern Herrnhuther Sterne und über den Dächern
den Orion sehn.

Einen Weihnachtsbaum (der darf auch schief stehn),
noch Geschenkideen für Menschen, die mir lieb sind. Bitte
kein Kaufhaus
betreten müssen (und wenn doch, dann nur die Abteilung
mit der Sockenstrickwolle) – und dem Paketboten,
der mich freundlich grüßt seit er mir mal ein Möbelstück in den Keller geschleppt hat,
einen Weihnachtsgruß geben.
Dass am Heiligen Abend die Kinder irgendwann hochglücklich einschlafen.
Ein bisschen Feuerwerk am Silvesterhimmel, funkelnde Räder; jemanden,
der mich umarmt und die richten Wünsche weiß, und
dass der Sekt gut schmeckt und dass später die Ohrstöpsel halten.

Kalt

In den Nächten lehnt die Kälte sich gegen die Hauswand. Ich ziehe die riesengroße Decke über meine Schulter und umarme das dicke Federbett noch fester.

Der Neunjährige, der beim Umziehen zum Schulschwimmen sowieso immer die meiste Zeit braucht, jammert über die dicke Fleecejacke und den Schal und die Mütze, die er anziehen muss. Als wir dann am Nachmittag in der Bahn zur Asthma-Spezialistin sitzen, wärmt die Sonne durch die Scheiben, so dass wir uns in unseren dicken Jacken fühlen wie Kürbisse, die in ihrer dicken Schale verfaulen.

Am Abend gehe ich mit dem liebsten Freund ins Liquidrom. Wir saugen uns voll Wärme, bis wir ins Handtuch gewickelt im Innenhof dem guten alten Ostmond zuwinken können ohne zu frieren. Hinter der Theke hängen immernoch die schwarz-grauen Bilder, die aussehen, als wären es Mikroskopaufnahmen von Schimmelkulturen, das ist sehr urban. Die jungen Männer tragen modische Bärte, die Betonwände sind grau, Klimperjazz senkt sich aus den Lautsprechern über die Wellness-Suchenden.

Die Fahrt zurück nach Hause würden wir gern auslassen. Die S-Bahn fährt wegen eines Notarzteinsatzes nicht, wie sie soll; neben uns pöbelt eine angetrunkene Frau laut gegen die öffentlichen Verkehrsbetriebe Berlins, gegen Spießer und gegen Ausländer, die sich in ihrem wirren Kopf zu einer einzigen großen Verschwörung zusammengetan haben, um sie zu ärgern und ihren Heimweg zu erschweren. Benimm dich mal, Madam, sagt ihr Begleiter immer wieder begütigend, aber sie schreit laut „nö!“ und hat garnichts dagegen, dass jeder sie hört; sie ist noch lange nicht fertig mit ihrer Wut auf die Welt.

In einem der U-Bahn-Höfe haben sich Obdachlose eingerichtet, in der Mitte, wo sie niemandem im Weg liegen; haben sich im fragwürdigen Windschutz von Pfeilern in so viele Schlafsäcke verkrochen, wie sie besitzen; neben sich Tüten mit Habseligkeiten, einen Rollator –
wir wissen es nicht, wir hoffen es, dass dieser Bahnhof nach Betriebsschluss nicht zugesperrt wird. Dass sie hierbleiben dürfen, wenn in der Notunterkunft kein Platz mehr frei war.

Die Melancholie lehnt sich an mein Herz, ein bisschen weniger kaputt könnte die Welt doch sein?, ein bisschen gerechter? Ich ziehe den liebsten Freund unter meine riesengroße Decke und umarme ihn fest.

Am nächsten Morgen gleißt die Sonne wieder und die Kälte kneift uns tief in die Wangen. Am Bahnsteig steht ein Mann mit Schneeschuhen in der Hand, großen Zackendingern aus Metall; ich wüsste gern, zu welchen Abenteuern er aufbricht.

Vor mir liegt nur die Kinderwoche. Mit tropfender Nase und verrutschendem Schal ziehe ich mühsam den Rolli mit dem Wochen-Groß-Einkauf nach Hause und stelle einen Strauß mit knallrosa leuchtenden Gerbera aufs Fensterbrett. Darf ich bitten, Frühling?

Überwintern

Der Winter ist lang und dunkel; die Sonne hat wochen-, ja monatelang besseres zu tun als in Berlin nach dem Rechten zu schauen; die Weltlage legt sich wie ein eiserner Reif um mein Herz.

Ich überwintere mit Vitamin D, Salsa, und Kakao.

Das Vitamin D gibt mir die ganz große Schwester aus ihren Vorräten ab, hochdosiert, alle zwei Wochen ein Kügelchen. Auch der Achtjährige hat trotz seiner schrägen Ernährung seltsamerweise keinen Mangel an Eisen, nur an Vitamin D. Aus seiner Packung wird auch der Zwölfjährige mitversorgt, sicherheitshalber.

Zum Salsakurs kommen nur Frauen, die geschäftstüchtige Tanzschule nennt es „Solo Style“, aber es ist trotzdem besser, als den ganzen Winter über nur zu Hause zu sitzen. Die ehemalige Nachbarin, der ich Anfang November von meinen Tanzplänen erzähle, meldet sich kurzentschlossen auch an, das ist großartig, und weil sie die allerbeste ehemalige Nachbarin der Welt ist, fährt sie beim ersten und zweiten Mal tapfer mit mir S-Bahn und hält vom dritten Mal an mit ihrem Auto vor meiner Tür. Die Wochen werden ein bisschen heller dadurch, dass wir uns sehen und uns bewegen; sie verfliegen, jeden Montag verabschieden wir uns mit „bis morgen“ und lachen dabei.

Den Kakao trinke ich mit der Mitmutter, immermal morgens, bevor sie den Allesladen aufmacht, bummele ich eine Überstunde ab und setze mich mit ihr in das ganz kleine Cafe, das noch garnicht richtig offen hat und in dem tagsüber nur alte Leute sind. Wir klagen uns unsere Alltagssorgen und kriegen sie damit beinahe klein; wir träumen von Paris, wie wäre das wohl, ein paar Tage, mit den Kindern?

Noch lange nach dem im Internet veröffentlichten Abholtermin kauern sich die rausgeworfenen Weihnachtsbäume an der Straßenecke zusammen, als suchten sie Schutz vor dem kalten Wind. Auf dem Weg zur S-Bahn liegt jede Woche neuer Müll – ein Beutel mit Kleidung, eine Gastherme, ein paar Schuhe, kaputte Möbel aus Spanplatten, ein Staubsauger – und die bunt gekleidete Mutter, die mir morgens oft entgegenkommt, weil sie ihr Kind in die neugegründete Waldorfschule bringt, würdigt mich in all den Wochen, in denen ich beiseitetrete, um ihr und ihrer fröhlichen Tochter auf dem schmalen Fußweg Platz zu machen, nicht einmal eines Blickes.

Ich hänge Girlanden auf. Der Achtjährige feiert Geburtstag und wird zum Neunjährigen, der Zwölfjährige feiert Geburtstag und wird zum Dreizehnjährigen, beide Kinder bringen erfreulicher Halbjahreszeugnisse nach Hause, noch immer ist es trübe draußen und viel zu früh dunkel. Abwechselnd legen die Kinder Krankentage ein, der neue Kinderarzt, der die Praxis unserer guten alten Ärztin übernommen hat, die niemals eine Krankheit übersah, verschreibt gegen alles nur Schmerzmittel. Zum Glück wissen wir, dass der Neunjährige bei Bronchitis mit Salbutamol inhalieren muss, wir haben es oft genug mitgemacht, wir haben es auch noch im Medikamentenschrank.

Der Winter schert sich nicht darum, dass ich Ende Januar jedem erzähle, dass er nicht mehr kommen wird, aber mit der Kälte kommt auch die Sonne wieder und lässt die Lebensgeister erfreut blinzeln. Ich möchte sofort ein Ostseewochenende planen, meinen Flur renovieren, mir einen Tango-Tanzpartner suchen, mein Fahrrad von drei Jahren Staub befreien und zur Durchsicht bringen und den Default-Modus von „alleinsein-und-möglichst-schnell-ins-Bett-wollen“ auf „rausgehen-und-leben“ umstellen.

Erstmal melde ich mich – endlich – beim Nachbarschaftsnetzwerk an, jetzt brauche ich nur noch einen Vorwand, um die netten Leute kennenzulernen, die es bestimmt in der Nähe gibt, mit denen ich aber nie zufällig ins Gespräch kommen werde. Ich könnte mein das Glas Tahin, mit dem ich nichts anfangen kann, in der Foodsharing-Gruppe anbieten? bei Zeit und Gelegenheit nach Doppelkopfmitspielern fragen? – Es wird sich ergeben.

Und auch die Schreiblust ist noch da und regt sich.

Es gibt uns noch!

 

 

Tagebuchbloggen im Februar

Nach langer Zeit möchte ich mich heute wieder beteiligen, wenn Frau Brüllen wie an jedem 5. eines Monats fragt „was machst Du eigentlich den ganzen Tag?“ – Alle Antworten wie immer dort; meine hier.

2.30 Ich schlafe nicht. Mein Kopf tut weh, sämtliche Haupt-, Neben-, Stirn-, Nasen-, Kiefern- und sonstige Höhlen sind verstopft. Grippezeit, bäh! Sogar die Luft, die ich einatme, tut mir in der Nase weh, das gibts doch nicht! Ich gebe auf. Licht an. Das zart unterwasserblau gestrichene Zimmer der mittleren Nichte erscheint, wir befinden uns in Thüringen, seit zwei Tagen liege ich hier ziemlich viel herum, statt wie geplant mit meinen Schwestern und Schwägern den Geburtstag der ganz großen Schwester zu feiern und gemeinsam Zeit zu verbringen. Meine Kinder sind mit ihrem Vater bei den väterlichen Großeltern und kurieren dort (hoffentlich!) ihre Erkältungen aus. Ich greife zur Schachtel mit den Schmerzmitteln. Es ist großartig, wie das Pochen, Drücken, Brennen und Stechen in Hals, Kopf und Nase nach einer Weile nachlässt und der Schlaf vorsichtig immer näher kommt.

8.00 Ich wache auf. Mit Murren und Ächzen schleiche ich ins Bad. Hinterher Koffer packen, Bett abziehen, nächste Schmerztablette – denn da steckt eine Rückfahrkarte nach Berlin für später am Morgen in meiner Tasche. Ich ziehe mein Bett ab und stopfe es zusammen mit meinen Handtüchern in die Waschmaschine der großen Schwester. Was ich tun kann, damit sich hier nicht alle anstecken, das will ich gerne tun.

8.30 Lecker Sonntags-Frühstück mit den Schwestern und Schwägern. Brötchen, leckerer Genießerkaffee (wie er hier genannt wird), gekochte Eier, Unterhaltung. Der ganz große Schwager liest aus dem „Verkehrten Kalender“ vor, in dem Zitate Menschen oder Institutionen zugeschrieben werden, von denen sie garnicht stammen. „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen“ – Coppenrath & Wiese. Zum Beispiel. Oder: „Ein Freund ist einer, der alles von dir weiß und dich trotzdem mag“ – Mark Zuckerberg. Das ist sehr, sehr hübsch und lenkt ein bisschen davon ab, wie schwer es ist, das Naseschnauben immer wieder möglichst lange aufzuschieben.
Ich streiche mir zwei kleine Reisebrötchen, die große Schwester füllt eine Flasche mit Schorle und steckt mir noch eine Dose mit Gemüse vom gestrigen Mittagessen zu.

9.50 Der große Schwager fährt mich zum Bahnhof, die große Schwester kommt noch bis zum Zug mit. Ohne Umarmungen, aber mit viel Liebe verabschieden wir uns. Die Regionalbahn zockelt mit allerlei Unterwegshalten Richtung Erfurt. Ich stöbere in meinem WordPress-Reader und verkneife mir das allzu häufige Naseschnauben.

11.00 Umsteigen in Erfurt. Ich erwische einen nicht reservierten Zweierplatz und packe meine Tasche neben mich in der Hoffnung, allein zu bleiben. Das klappt nicht, der Mann, der auf dem Platz vor meinem die Reservierungsschildchen übersehen hat, rutscht zu mir nach hinten. Ich lese meinen Reader leer, esse eine Mandarine, verkneife mir … (richtig), bemerke, dass mein Nachbar auf seinem Smartfone Patience spielt, obwohl er das hinter seiner Hand zu verstecken versucht und habe nicht mal genug Platz, um meine Brötchen auszupacken.

12.00 – 12.50 Ich schaue aus dem Fenster. Draußen ist es deprimierend. Graubraun wie ein alter Scheuerlappen liegt das Land vor dem Zugfenster. Alle Häuser sehen farblos aus, alle Betriebe wie Industrieruinen. Milchig angetautes Eis liegt in Tümpeln zwischen abgestorbenen wirkenden Gehölzen und auf schlammigen Wegen durch verblichene Kiefernwälder. Ein paar Windräder drehen sich gleichgültig vor dem grauen Himmel. Bis auf einen Mann, der einen graubraunen – natürlich – Hund ausführt und zwei ältere Frauen auf Fahrrädern vor der – grauen – Mauer neben dem Eingang zur Kleingartenanlage „Eigene Scholle“ gibt es kein Zeichen menschlichen Lebens.
Ich stelle mir vor, dass ich die vorbeifliegende Böschung zwischen Halle und Berlin filme – geschwindigkeitsverschwommene graue und braune und schmutzigweiße Streifen, die immer mal ein wenig breiter oder schmaler werden – und mit der Veröffentlichung dieses Films unter dem Titel „Die Trostlosigkeit einer ICE-Fahrt im Winter“ weltberühmt werde. Unterlegen würde ich den Film mit dem Husten des Kindes drei Reihen hinter mir, gelegentlichem Zeitungsseitenrascheln, dem Klicken der Handy-Kamera von rechts (was in aller Welt gibt es auf dieser Strecke zu fotografieren???), und dem Tastenklappern des Laptops da vorne.

12.50 bis 13.10 Zähle buchstäblich jede Minute bis zur Ankunft.

13.10 Südkreuz. Endlich! Hier ist es noch kälter als in Thüringen. Zum Glück kommt meine S-Bahn ganz schnell.

13.30 Zu Hause. Erleichtert Aufseufz! Türhintermirzuschließ! Taschefallenlass!
Ich wecke die Heizung aus ihrem Dornröschenschlaf, mache heißen Tee, wärme mir das Gemüse auf, das die große Schwester mir mitgegeben hat und esse die Reisebrötchen dazu. Ich nehme die nächste gritzegrüne Sinupret-Pille und stecke den Kopf old-school-mäßig über einem Topf mit ganz heißem Salzwasser unter ein Handtuch. Das tut gut!

14.30 – 16.00 Sofa. Alte Folgen von „Mord mit Aussicht“.

16.15 Ich rufe die Mitmutter an und mir schwatzen eine Weile. Hauptsächlich schmieden wir Pläne, was wir alles machen können, wenn a) ich wieder gesund bin b) ich mal abends noch Lust habe, ohne meine Kinder zu ihr zu kommen und c) endlich Frühling ist.

17.30 – 18.30 Ich lege ein bisschen alte Wäsche weg, koche noch einen Tee und noch ein Inhalierwasser, mache mir Brote, erfahre aus einer sims des liebsten Freundes, dass der heutige Tatort in Weimar spielt. Das Heimat-Herz schlägt hoch. Da meine Kopfschmerzen bisher nicht wiedergekommen sind, nehme ich mir vor, den vom Krankenbett aus noch zu gucken, sehr schön!

Dann Rechner an – Zeit zum Bloggen.

Schneeregen, Altersfleckenentferner, Bündeschen und Geriefeseih

Januar.
Meine Kinder sind nach der Schule schon müde und erst abends vor dem Schlafengehen wieder wach. Ich sitze mit der Besuchsfreundin im Wohnzimmer, und durch die geschlossene Tür zum Zimmer des Elfjährigen hören wir ihn singen. Dass er singt, ist schön – obwohl es sich um eins der weniger poetischen Weihnachtslieder von Rolf Zuckowsky handelt.

Am Morgen sind wir immernoch alle müde, bei meinen Söhnen merke ich es daran, dass sie keinen Appetit auf Frühstück haben; bei mir daran, dass ich viel langsamer bin als sonst. Draußen ist es ungemütlich, der Weg am Kanal entlang zur Schule ist eine Schlitterpartie über vereisten Matsch, auf dem große Pfützen stehen. Angegraute Schneereste und unsere Wollmützen geben Stück für Stück ihren Widerstand gegen den Winterregen auf.

Der Elfjährige bekommt seine Gymnasialempfehlung und ist ganz aus dem Häusschen – nicht mehr lange, dann werden wir seine Anmeldung zu einer der in Frage kommenden Schulen tragen und den Auswahlspuk der letzten Monate beenden. Am Freitagnachmittag gehen meine Söhne wieder gemeinsam von der Schule nach Hause, das ist schön, das entlastet meinen Tag. Groß werden sie!

Dass auch ich eine magische Altersgrenze überschritten habe, ist unterdessen nicht unbemerkt geblieben. Irgendwer hat meine Adresse einem dieser Katalogversender verkauft, deren Models mit versteinerten Botoxgesichtern junggebliebende ältere Menschen darstellen sollen; ich blättere mit erstauntem Kopfschütteln die Seiten durch, auf denen mintfarbige Shirts mit Großblumendrucken, Polyester-Kittelschürzen, die Pantoffeln meiner Großmutter, an den BH anknöpfbare Dekolleté-Spitzeneinsätze, Hosenbunderweiterer, allerhand straffende Unterwäsche, Stifte zum Übermalen von grauem Haar, Altersflecken und Emailleschäden sowie zur Verhinderung von Damenbarthaaren, ein sonderbar geformter „Beckenbodentrainer zur äußeren Anwendung“, Konstruktionen zur nächtlichen Korrektur von Hallux-Valgus-Verformungen, Staubwedel an ausziehbaren Teleskopstangen und andere sagenhafte Nippes angepriesen werden. Irgendein Kreativgenie hat die Seite mit den Westen werbend mit „Bei Westen viel Neues“ überschrieben (ich höre förmlich, wie Remarque knirschend in seinem sandigen Grab rotiert), die Produktbeschreibungen kommen dafür eher bescheiden daher: „kann bei regelmäßiger Anwendung das Nachwachsen von Gesichtsflaum verzögern“. „Kann zur Straffung der Muskeln im Po-Bereich beitragen“, die Preise sind niedrig.

Das ist – nachdem es eine Weile grässlich und albern war – am Ende ziemlich anrührend. Die Seiten des kleinen Katalogs riechen nach schmalen Altersrenten, kleineren und größeren Zipperlein, Mühen bei alltäglichen Hausarbeiten; nach viel zu seltenen Besuchen von Kindern und Enkelkindern, nach einem Körper, der sich verformt und dem die Schönheitsmaße von Kleidung, die es bis in Läden und Schaufenster schafft, nicht mehr gerecht werden. Ich denke an meine Großmutter, die bescheiden in ihrem Häuschen auf dem kleinen Dorf lebte, und der liebste Freund (dem es am meisten die Nachthemden mit den großbebrillten Katzen angetan haben) erzählt von seiner Mutter, die gerade ihren 84. Geburtstag gefeiert hat. Nicht lange, und wir spielen Begrifferaten mit den Herkunftsdialekten unserer Eltern und Großeltern. Als der liebste Freund verrät, was ein „Bündeschen“ ist, muss ich sofort in der Umfrage zum „Atlas der Altagssprache“ nachsehen, an der ich kurz zuvor teilgenommen hatte. Aber unter den Begriffen für „kleines scharfes Gemüsemesser“ fehlt ausgerechnet diese regionale Variante. Über dem Vorlesen einer Geschichte im Thüringer Dialekt, der selbst auf den kleinen Dörfern heute kaum noch gesprochen wird, werden wir beide müde. So ist das dann wohl beim Älterwerden.

Am nächsten Morgen… siehe Absatz 2.

Draußen – während ich dies hier schreibe – rieselt es leise, der Regen hat sich wieder in Schnee verwandelt, der zögerlich auf Dachziegeln und unbetretenen Rasenflächen haften bleibt.
Januar.

Tagesnotizen: 11.1.17

Es ist Mittwoch. Mein Dienstags-Zorn ist verraucht; dass es keinen fruchtlosen Streit gab (weil der Vater meiner Kinder am Dienstagabend nicht zurückgerufen hat), verbuche ich als Pluspunkt. 

Jetzt gelten meine Regeln: Wieviel freie Zeit die Kinder brauchen, welche Pflichten sie haben und wann sie nachholen, was in den nächsten Tagen liegenbleibt, handle ich mit ihnen aus. Das fühlt sich sehr viel besser an.

Besuch, verschiedener Besuch für mehr als zwei Wochen am Stück steht ins Haus, das stimmt mich ganz festlich; dazu draußen der wirbelnde Schnee, den ich auf den kurzen Wegen vom warmen Büro zur warmen Bahn zum warmen Zuhause ganz wunderbar finde. 

Der Elfjährige holt den Siebenjährigen ab, so dass mir zwischen Arbeit und Nachmittagsprogramm ein Stündchen Zeit bleibt.

Kein Grund zum Klagen heute.