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Herbstanfang auf dem Wasser, Potsdamansichten, Tigervierlinge mit Kniefehlstellung

Ich habe mein Fahrrad wieder! Der Hannoverliebste brachte es am letzten Mittwoch zurück und hatte für eine fast halbe gemeinsame Woche sein Homeoffice in einer meiner Fahrradtaschen dabei.
Leider erwischte er mich auf dem Tiefpunkt einer familiären Stressphase, in der mein Kopf von gepressten Baumblättern, unerwarteten Rechnungen und Wechselmodell-Abstimmbedarfen schwirrte und meine Stimmung ziemlich gelitten hatte. Mit dem Einsetzen des Wochenendes wurde das zum Glück besser, der Hannoverliebste kochte zum Freitagabend seine wunderbare Bolognesesauce, das beste Essen, um sich an einem Küchentisch zusammenzusetzen und über schwieriges zu reden.

Ja, mich drückt das Zuviel an Alltagsaufgaben leicht „unter Wasser“. Ja, ich bin dann unleidlich und kleinlich, empfinde den Wunsch meines Partners nach Aufmerksamheit und Interesse als zusätzliche Belastung; hätte gern, dass der andere mir einfach den Rücken frei hält, am liebsten errät, was ich brauche – ein ziemlich unerfüllbarer Wunsch.

Am Samstag rafften wir uns auf, schnappten unsere Fahrräder und schoben sie in eine Bahn nach Potsdam. Ich hatte Karten für einen Abendslot im Barberini-Museum ergattert; der Hannoverliebste wollte einmal am Schloss Sanssouci vorbeiradeln, das ließ sich gut kombinieren. Wir staunten beide über die schiere Größe des Parks, die Menge der dort zu besichtigenden Schlösschen und Häuser; auch darüber, wie klein Schloss Sanssouci ist und dass es von außen relativ heruntergekommen aussieht. Mich erfreuten besonders die bepflanzten Terassen vor dem Orangerieschloss mit bunten Salbeisorten, Artischocken und Wasserspielen, und ich habe fest vor, den Ausflug bei besserem Wetter und mit Zeit für die Besichtigung von ein, zwei Schlössern zu wiederholen.
Potsdam mit den Fahrrädern zu erkunden, war eine supergute Idee – erstmals bekam ich eine Vorstellung davon, wie sich in dieser Stadt, die ich als „planlos zusammengewürfelt“ empfinde, der Park, die Innenstadt, das Barberini-Museum und der Bahnhof geografisch zueinander verhalten. In der Innenstadt kehrten wir kurz auf eine lauwarme Erbsensuppe und ein eher nicht leckeres Stück Kuchen ein; liefen einmal die wenigen Straßen im Holländischen Viertel ab und standen dann noch ein paar Minuten vor dem Museum – die Einlasszeiten werden genau genommen, obwohl man dann so lange im Museum bleiben darf, wie man will – bevor wir uns die sehr schöne Ausstellung der russischen Impressionisten ansahen.

Am Sonntag hatten wir noch genug Zeit für ein Sonntagsfrühstück mit Brötchen und Croissants und ich bereitete ein ausgiebiges und darüber hinaus kindgerechtes Picknick vor, bevor der Hannoverliebste in den Zug nach Hause und ich in die Straßenbahn zum Tierpark stieg. Ich war mit dem Patenmädchen und der Mutter des Patenmädchens verabredet. Tiger sehen – das war der größte Wunsch von beiden; und trotz der recht weiten Wege schafften wir das nach längerer Zeit auch und hatten Glück: die beiden erwachsenen Tiere waren munter und schauten interessiert zu den Besuchern hinüber; im Nachbargehege lümmelten ihre halbwüchsigen Vierlinge, die auf Grund einer Kniefehlstellung recht schwerfällig laufen, was gut zu sehen war. Außerdem gab es Pinguine, Geier, Präriehunde, Flamingos, zwei Picknickpausen (eine davon mit Anstoßen auf den nur kurz zurückliegenden Geburtstag meiner Freundin), keine Pommes im Restaurant, superschicke Toiletten und eine große Ausstellung bunt gestalteter Berliner Buddybären.

Das Highligt der neuen Woche war ein Team-Ausflug auf dem Wasser – drei Stunden Kanadierpaddeln mit einer sehr guten Anleiterin, leckeres Essen und dann (eine Chefin mit Kindern zu haben, ist ein echter Vorteil!) ein familienfreundliches Ende am Nachmittag. Weniger schön war, dass ein Kollege stark erkältet teilnahm und ein anderer sich am nächsten Tag mit Fieber abmelden musste. Hoffentlich, hoffentlich kein Corona (Test bisher negativ, aber naja), denn morgen werden der Sechzehnjährige und ich meinen Vater besuchen fahren.

Ansonsten: Zwei Tage im leeren Büro mit Mittagessen im leeren Betriebsrestaurant (beginne, mich in dem beinahe verlassenen Gebäude wie ein Gespenst zu fühlen) und tapferem Treppensteigen, wegen Bewegungsmangel und so. Nach vielen Monaten Julian Barnes‘ „Kunst sehen“ wieder zur Hand genommen, noch unschlüssig, ob es seinen Platz im Regal verdient. Dem Zwölfjährigen statt Fernsehen vorgelesen und mit ihm die Ergebnisse der U18-Bundestagswahl durchgesehen. Thüringen und Sachsen erschreckend. In den großen Städten deutschlandweit häufig die Grünen weit vorne. Gerne hätte ich eine Deutschlandkarte gehabt, die pro Wahlbezirk die stärkste Partei zeigt; und eine, in der man pro Partei farbabgestuft hätte sehen können, wie gut sie in Prozent im jeweiligen Wahlbezirk abgeschnitten hat. Auch in Ethik und Biologie lernt der Zwölfjährige spannende Dinge, wir führen angeregte Frühstücksgespräche über Syllogismen und Einzeller. Meine Wintersachen vom Hängeboden geholt, jetzt möchte ich gern einen Nachmittag im Secondhandkaufhaus vertrödeln und ein paar Lücken in der Wintergarderobe füllen. Haushalt und nächtliches Herumgegrübele. In der App, in der ich begonnen habe, meine Kopfschmerzen zu notieren, ist unter „Stimmung“ der Punkt „müde“ derjenige, den ich am häufigsten anklicke. Spontan zwei Überstunden genommen und auf der Klimademo mitgelaufen, allein, weil die in Frage kommenden Freunde alle arbeiten mussten und der Sechzehnjährige keine Lust hatte. Zusammen wäre das schöner gewesen.

WmdedgT – 5.9.2021 – Solitärtag

Es ist wieder einmal soweit – Frau Brüllen fragt uns, was wir eigentlich den ganzen Tag über so tun. Alle Beiträge dazu finden sich hier. Und das war mein Tag:

Aufgewacht gegen sieben Uhr. Wenn ich ausschlafen könnte, bin ich um diese Zeit oft ganz munter. Stehe also auf, mische mir ein Müsli, mache Kaffee dazu und ziehe ein paar warme Sachen über. Frühstück auf dem Balkon, das geht ja nicht mehr lange, das möchte ich noch ein paar Mal genießen.

Heute ist ein Trödeltag, an dem ich ganz alleine bin. Gleich nach dem Frühstücken bringe ich erstmal den Balkon in Ordnung, entferne welke Blätter, schneide einiges zurück und sammle Samen von Cosmea, Sonnenhut, Rucola und der roten Zinnie. Weil morgen testweise jemand kommt, um meine Wohnung zu reinigen, fange ich dann mit einer Aufräumtour an. Schlafzimmer, Küche, Bad, Flur. In der Küche stehen sechs Sektgläser, die ich gestern auf einem Hinterhofflohmarkt in Hannover erworben habe; im Flur liegt noch der unausgepackte Koffer mit Fahrradhelm, schmutzigen Sachen und einer feinen blauen Bluse, die auch vom Hinterhofflohmarkt stammt. Ich packe aus und räume weg und krame mich quer durch die Wohnung. Zwischendrin ruft die ganz große Schwester an und wir nehmen uns Zeit für ein ausführliches Gespräch, ich liege dabei gemütlich auf dem Sofa, Kaffee ist auch noch in der Nähe.

Gegen Mittag improvisiere ich aus einem Rest roter Linsen, drei Knoblauchzehen, ein paar Datteln, gemahlenen Haselnüssen und etwas Sahne eine Nudelsauce. Nebenbei schreibe ich Textnachrichten mit dem Hannoverliebsten. Beim Auspacken habe ich in meiner Hosentasche seinen Wohnungsschlüssel gefunden, ich hatte ganz vergessen, dass ich den nicht zurückgelegt hatte.

Ich esse auch meine Linsennudeln auf dem Balkon. Hinterher gönne ich mir den Sonntagsluxus, mich ein paar Minuten aufs Sofa zu legen. Dann räume ich noch das Wohnzimmer auf und fange an, am Computer Kram abzuarbeiten: Die Bahnfahrkarte, die ich wegen des Streiks nicht genutzt habe, muss reklamiert werden, die Schulen der Kinder haben drölfzig Emails geschrieben, das Entgelt für den Online-Sportkurs ist fällig und der Hausnotruf meines Vaters will noch eine Datenspeicherungseinwilligung von mir. Dann verblogge ich meinen Urlaub. Die Sprachlernapp erinnert mich daran, dass ich heute noch nicht gelernt habe, also kommen auch die dänischen Verben zu ihrem Recht; eine Einkaufsliste muss geschrieben werden und ich verschaffe mir einen Überblick über die Termine der Woche. Weil am Dienstagabend ein geselliges Elternzusammensein in der Schule des Zwölfjährigen stattfinden soll, muss die Einkaufsliste nochmal ergänzt werden: Fingerfood wird erbeten.

Dann ist es höchste Zeit, rauszugehen. Die Radfahrwoche hat meiner Kondition gutgetan, ich laufe zwei Stunden durch den Stadtwald und durch den Park, nasche ein paar Mirabellen vom Wegesrand, setze mich ein Weilchen auf eine Bank in den Blumengarten, streife ein paar Blumensamen in ein Papiertaschentuch und – ich kann es einfach nicht lassen – bestimme ein paar Bäume und nehme fürs Herbarium des Zwölfjährigen noch Schwarzesche und gemeinen Hasel mit. Die besetzen dann wirklich die allerletzte Ecke auf dem Wohnzimmertisch; der liegt jetzt komplett unter einer zwanzig Zentimeter hohen Decke aus dicken Büchern.

Zum Abendessen mache ich mir Brote mit der leckeren Dattel-Walnuss-Käsecreme, die der Hannoverliebste mir gestern gekauft und nach Berlin mitgegeben hat, weil er weiß, wie gerne ich sie esse. Dazu gibt es Minitomaten vom Balkon, Kräuter direkt aus dem Pflanzkasten und Radionachrichten. Ausführliche Zeit im Bad, Tagesschau, Entspannungsfernsehen. Kurz vor zehn ruft der Hannoverliebste an, wir tauschen uns ein Weilchen über unseren Tag aus. Jetzt noch fertigbloggen… und dann schlafen.

Tiefpunkte und Trost

Tag 12 und 13.

Gegen Ende der 2. Homeoffice/Schulschließungswoche hänge ich richtig durch. Zu viele Bilder gesehen, zu viele Artikel gelesen, wie schlimm es werden könnte, wie schwer Covid-19 verlaufen kann und wie Gesundheitssysteme zusammenbrechen oder beinahe zusammenbrechen. Trotz Telefon fehlt mir Gesellschaft, erwachsene.

Ein besonderer Tiefpunkt ist der Einkauf, morgens vor der Arbeit am Freitag: Ich stelle mein Rollwägelchen neben dem Unterstand der Einkaufswagen ab und ziehe mir Einweghandschuhe an. Im gleichen Moment bringt ein Mann seinen Einkaufswagen zurück, zieht seine Handschuhe aus und wirft sie zusammen mit seinem Einkaufsbeleg achtlos in mein Rollwägelchen. Ich werde unglaublich wütend: wahrscheinlich einer von denen, die ihren Abfall auch in fremde Fahrradkörbe werfen, die Welt sein Mülleimer. Kleinlaut entschuldigt er sich. Die Senioren in der Kassenschlange halten garnichts von Sicherheitsabstand und rücken dicht auf. Die Apotheke verkauft dünnen Einmal-Mundschutz für fünf Euro das Stück, Wucherpreise wie im Internet. Ich decke mich mit Schmerztabletten ein – die verkrampfte Wade macht mir wieder große Probleme, Kopfschmerzen habe ich auch ständig.

Später arbeite ich unmotiviert vor mich hin und bin froh, als das Wochenende beginnt. Das bedeutet: Den Dienstrechner zuklappen und in seine Hülle stecken. Auf den Schrank stellen. Der Elfjährige räumt seinen Schulstapel in sein Zimmer. Der private Rechner kommt wieder auf den Schreibtisch. Das LAN-Kabel rollt sich zusammen mit der Verlängerungsschnur zusammen. Ich räume auf und fege durch, der Fünfzehnjährige bringt den Müll weg, der Elfjährige saugt das Wohnzimmer. Alle gehen auch an die Luft, Fahrradfahren, eine Runde Spazieren, mit dem Stiefbruder – der quasi im gleichen Haushalt lebt und sowieso keinen Virus hat, den wir nicht auch abbekommen – in den Hinterhof.

Der Samstag beginnt langsam, wieder mit Kopfschmerzen, jeder darf in seinem Tempo in den Tag starten, spät frühstücken, den Schlafanzug anlassen. Ich mache ein paar kleine Erledigungen. Auf dem Platz vor der Kirche – da, wo wir im letzten Jahr mit den Konfirmationsgästen in der Sonne Fotos gemacht haben – sitzt ein Mann mit Trompete und spielt „Killing me softly“ zum Playback aus der Lautsprecherbox. Rundherum stehen Bänke, die meisten leer, und ich setze mich in die Sonne und höre ihm zu. Ein Stück nach dem anderen spielt er, Musik, die man irgendwoher kennt, Tablet mit Noten auf dem Notenständer, Trompete zwischendurch auf den Knien, lächelt mich und die Frau auf der Bank mir gegenüber kurz an, spielt weiter. Die Frau auf der Bank gegenüber wischt sich verdächtig mit dem Taschentuch im Gesicht herum; auch mir stehen Tränen in den Augen. Kommen unsere von den sich überstürzenden Nachrichten und Veränderungen der letzten Wochen schockgefrorenen Gefühle in diesem Moment wieder in Bewegung? Ist das der Grund, warum wir gerade jetzt Kunst, Musik, Kreativität brauchen? Eine Mutter mit Kinderwagen und zwei weiteren Kindern an beiden Seiten schiebt ungerührt an dem Musiker vorbei, hat vermutlich ganz andere Sorgen. Ein älterer Mann, der mit Einkäufen beladen aus Richtung Supermarkt kommt, legt eine Banane neben den Trompeter. Der lächelt. Ein älteres Pärchen wählt in Ruhe eine besonders sonnig gelegene Bank aus und setzt sich. Eine Frau mit Fahrrad in gelber Warnweste bleibt stehen, ein junger Mann mit Wollmütze klatscht in der Pause zwischen zwei Stücken. Die Frau auf der Bank gegenüber lächelt mir zu. Am liebsten würde ich hier für immer sitzenbleiben.

Mittags kocht der Fünfzehnjährige, und es darf so lange dauern, wie es eben dauert. Ich stelle dem Elfjährigen Reis und Erbsen hin, der isst ein paar Gabeln und geht dann mit dem Stiefbruder in den Hinterhof. Jetzt sind auch die Brot-Käse-Klöße fertig, die der Fünfzehnjährige gemacht hat, und sie schmecken fantastisch. Nicht schlimm, dass ich hinterher die Küche aufräumen muss. Die andere Mitmutter ruft an, und wir verabreden uns – gewagt – auf einen gemeinsamen Kaffee. Wir haben Glück: Die Bänke vor der geschlossenen Schwimmhalle, zwanzig Stufen über dem Weg, auf dem Fußgänger und Radfahrer unterwegs sind, sind frei, und ich gieße ihr – berührungslos, von weitem, mit langem Arm – heißen Kaffee aus meiner Thermoskanne in den von ihr mitgebrachten Becher. Eine Stunde zusammensitzen, reden, lachen. Wie kostbar das ist.

Später schaue ich mit den Jungs „Und ewig grüßt das Murmeltier“ an: Filmnachmittag ohne Kino, Ausleihe im Internet, nur ein paar Klicks, wer hätte das gedacht.

Und in der Flamenco-Gruppe wird dieses fantastische Video vom Staatsballett Berlin geteilt. Kunst, Musik, Kreativität: für den langen Atem, den wir für die nächsten Wochen brauchen werden, wenn der Frühling da draußen stattfindet und wir – meistens – hier drin allein sind.

Adventswochenende

Im Schlafanzug die Lieblingsplätzchen des Zehnjährigen backen
Nach dem Vierzehnjährigen Ausschau halten, der einkaufen wollte und erstaunlich lange wegbleibt
Die Besuchsfreundin, die allerliebste, begrüßen und umarmen
Kochen Essen Abwaschen (da capo ad libitum) und Kaffee, und Reden
Mit dem Vierzehnjährigen streiten, der so gar keine Lust hat, sich auf die Englischklassenarbeit vorzubereiten
Spielerunde mit quirligen Kindern
Doch einen Stern falten, und dann noch einen
Dem Vierzehnjährigen englische Youtube-Filme über Australien raussuchen
Mit der Besuchsfreundin im Internet nach der perfekten Pfanne suchen (mit Titanic-Beschichtung und Hotspot)
Ins Batt fallen

Früh um acht Uhr Brötchen und Croissants holen
Dabei in meinem Gummistiefel ein verspätetes Nikolausgeschenk vom Zehnjährigen finden
Mit der Besuchsfreundin spontan auf den kleinen Weihnachtsmarkt fahren
Ihr an der Bushaltestelle das ganze Elend einer Textnachrichten-Kommunikation mit einem potentiellen Date zeigen
Schmuck aus pflanzlichem Elfenbein bewundern, Creme de Leche kosten, an gefilzten Quallen freuen
Kochen Essen Abwaschen (da capo ad libitum) und Kaffee
Die Besuchsfreundin zum Abschied fest umarmen
Den Vierzehnjährigen motivieren, doch noch eine Seite Englisch schreiben zu üben
Dienstlaptop anschalten und etwas Arbeit, bis der Chef vom Chef offiziell durchgibt, dass alles auf Montagmorgen verschoben ist
Abendessen und dabei Menü und Programm für Heiligabend planen
Den Zehnjährigen an Mathe-im-Advent erinnern und die Phyisk-im-Advent-Aufgabe mit halben Ohr mitkriegen
Textnachrichten von lieben Menschen
Küche aufräumen und gut vorbereiten: Montag müssen beide Kinder zur 1. Stunde
Bügelbrett aufstellen, Kopfhörer auf, superkitschigen Weihnachtsfilm an

Bloggen, Wecker stellen.

Sommer im Mai

Die Sommertemperaturen lassen den Balkonfrühling im Zeitraffer ablaufen.

Die Sonnenblumen öffnen zerknitterte Blüten; Dahlie, Lilien und Cosmea setzen Knospen an; die Bienenweide entrollt ihre Knospenkugeln zu Blütenrispen und ich verliebe mich in ihre ersten, zartblauen Blüten mit den dekorativ herausragenden Staubblättern, an deren Ende winzige lilafarbene Pollenkügelchen sitzen.

Die Solitärbiene, die in diesem Jahr alleine für den Hinterhof mit Birke, Ahorn, Linde und sämtlichen Balkons zuständig zu sein scheint, ist schrecklich gestresst und mag nur kurz auf dem Schnittlauch und auf der mickrigen Sonnenblume Halt machen, bevor sie nervös weiterschwirrt. Dass sie überhaupt gekommen ist, ist so etwas wie ein Hoffnungsschimmer für mich (wenn allerdings die EU endlich Plastik-Ohrenstäbchen verbieten lässt, ist die Rettung der Welt schon beinahe gesichert… [Ironie aus]) – aber dann verirrt sich die unglückselige Biene durch die offene Balkontür in die Wohnung und muss vorsichtig aus dem Fenster im Zimmer des Dreizehnjährigen gejagt werden. Hah, ich habe eine gute Tat vollbracht, brüste ich mich vor den Kindern, aber die spielen und hören nicht zu.

Die Bienentränke auf dem Balkon – ein Untersetzer mit ein paar Steinen und frischem Wasser – haben unterdessen Hornissen und Spatzen für sich entdeckt. Ruhig und konzentriert kommen die Hornissen, selbst wenn ich auf der Holzbank sitze, landen auf dem Rand des Untersetzers und trinken durstig, bevor sie wieder aufbrechen, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Die Spatzen dagegen wagen sich nur herbei, wenn ich im Haus bin, und sie tun gut daran, denn sie haben meine Sympathie verspielt: wie eine Horde hyperaktiver Kinder müssen sie pausenlos Unsinn machen, zupfen die Blätter der Melde ab, knipsen gedankenlos die Knospen vom Wandelröschen und die jungen Früchte von der Erdbeere, kacken auf die Sitzbank und schwirren ärgerlich zwitschernd davon, wenn sie eine Bewegung an der offenen Balkontür wahrnehmen.

Das Krähenkind unterdessen hüpft im lichten Ahorn von Ast zu Ast, schwankt noch etwas auf seinen langen Beinen, mit denen es ein wenig an den halbflüggen Dreizehnjährigen erinnert, streckt probehalber die Flügel aus und erhebt ein großes hungriges Geschrei, wenn seine Mutter mit Würmern im Schnabel geflogen kommt.

Wie die Krähenmutter bin auch ich am Wochenende mit dem Heranschaffen von Nahrung für mein großes Küken beschäftigt. Von der Nudelsauce, vom Bohnensalat, vom Geschnetzelten, vom Gemüse und vom Reis koche ich ein wenig mehr und stelle gut gefüllte Vorratsdosen in den Kühlschrank, damit das große Kind auch ohne Schulessen satt wird.

Zwischendurch muss der Verband an der gebrochenen Zehe des Dreizehnjährigen erneuert werden, die nun vielleicht für immer ein bisschen krummer und – wegen der Bruchstelle an der Wachstumsfuge – ein wenig kleiner als die anderen bleiben wird, aber wenigstens nicht mehr wehtut. Der Neunjährige unterdessen ist in der Schule auf ein spitzes Stück Baumwurzel gefallen und hat eine Naht und mehrere Klammerpflaster am Schienbein, von dem der Verband immer mal wieder abrutscht, so dass ich die Tüte mit Wundauflagen, Mullbinden, selbstklebenden Fixierbinden und Pflastern immer in Griffweite stehenlasse.

Als Ausgleich dafür, dass wir nicht Schwimmen gehen können, stehen Termine beim Durchgangsarzt und Kinderchirurgen auf dem Wochenplan, gefällig eingestreut zwischen den Klassenarbeiten, für die der Dreizehnjährige auf die Schnelle versucht, alle nicht gelernten englischen und französischen Vokabeln doch noch in seinem Kopf unterzubringen. Mama, hörst du mich mal ab?

Mit der Kaffeetasse in der Hand trete ich zwischendurch immer wieder für ein paar Minuten auf meinen Balkon. Die Solitärbiene hat sich zehn Minuten Zeit für meine Tomaten im Kalender notiert und ich danke ihr höflich. Ich zähle die Knospen des Wandelröschens nach, das inzwischen in einem Spatzenschutzkäfig aus Bambusstäben und Wollfäden steht; ich nicke den Schwebfliegen zu und erkläre der Winde mit einem dicken Wollfaden und einem Haarklämmerchen den Weg zum Eckpfosten.

Die Sonne macht urlaubssehnsüchtig. Wie viele Wochen noch? Sechs, acht?

Dazwischen

Mittwochabend vor dem langen Wochenende. Die Koffer sind gepackt; Lebensmittel für drei Tage eingekauft. Ein Schokoladenkuchen kühlt in der Küche aus; die Kinder schlafen; ich weiß, in welchem Zug der liebste Freund zu uns stoßen wird – ein Haus ist gebucht und erwartet uns. Morgen.

Der Abend schenkt mir noch ein paar stille Balkonminuten. Obwohl der Regen aufgehört hat,  klatscht gelegentlich ein schwerer Tropfen von der Ablaufrinne des Balkons über mir – vielleicht kaputt, vielleicht verstopft – in meine Balkon-Wasserablaufrinne. Die erste Fledermaus macht sich auf die Jagd; ein Stern blinzelt mir durch eine Wolkenlücke zu und an der Hauswand zeichnet sich allmählich der Schatten des Balkongeländers ab, weil die vollmondrunde Lampe im Nachbarhof mit zunehmender Dämmerung zur hellsten Lichtquelle wird. Im Haus gegenüber schneidet ein Mann im roten T-Shirt in seiner Küche Brot.

Die zurückliegenden Tage dürfen langsam in den Hintergrund treten. Es waren gute Tage:

Ich weiß nun, wann Cosmo auf Italienisch sendet und wo ich die Sendungen nachhören kann. Ich habe – als mein Online-Französischkurs eine technische Störung hatte – den herrlichen Podcast „One Thing in a French Day“ entdeckt und freue mich bei beiden wie die reinste Schneekönigin, wenn ich hier und da ein Wort verstehe.

Ich habe meinen (hübsch frisch gewaschenen) Fuß und meinen ganzen klapprigen Knochenapparat einer Osteopathin hingehalten, die es geschafft hat, dass ich mich während ihrer Behandlung wunderbar entspannen konnte, obwohl sie ihre Hände beim Aufspüren von Blockaden und Verspannungen eigentlich überall hatte. In Bewegung kommen müsse ich (ach… weiß ich ja schon – wenn die gute Absicht bloß zählen würde…) und solle einmal am Tag die Beine senkrecht an der Wand nach oben strecken. (Wahrscheinlich hört es sich dabei sehr gut Podcasts.)

Die Frau, der ich übers Nachbarschaftsnetzwerk im Winter Blumensamen im Austausch gegen ein paar ungenutzte Bretter (die mal ein neues Bad-Regal für mich werden könnten) gegeben habe, hat mir Fotos von all dem geschickt, was jetzt in ihren Balkonkästen wächst. Eine kleine freundliche Geste, die meinen Tag schön gemacht hat. Ich bin auch nur ein ganz klein wenig in Sorge, weil sie geschrieben hat, dass sie die Blätter der Bienenweide gegessen hat („…weil die Pflanze so groß wurde“).

Der kleine Abendblues, der sich auf dem Balkon neben mir auf der Bank niedergelassen hat, hört sich all diese Dinge an und rutscht zur Seite, damit sich eine ziemlich füllige Dankbarkeit zwischen uns niederlassen kann. Es geht uns gut, hey!

Euch allen ein schönes, entspanntes Himmelfahrtswochenende!
Es werden noch Wetten angenommen, wie viele geschmückte Handwagen mit Bierkästen morgen mit uns im Bähnchen hinaus ins grüne Land reisen werden.

#WmdedgT? 5. Mai 2018

Frau Brüllen fragt wie an jedem Monatsfünften, was wir eigentlich alle den ganzen Tag machen. Hier gibt es viele Antworten – meine ist diese hier:

Ich wache irgendwann ganz früh auf, weil die Amsel vor dem Fenster sich in ihre Morgen-Arie einsingt und der Nachbar von schräg-oben-links sein Radio oder seinen Fernseher einschaltet und die Lautstärke ordentlich aufdreht. Das macht er häufig, er lebt zu ungewöhnlichen Zeiten, weswegen ich ungern auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafe. Aber es hatte sich gestern nach einem langen Telefonat mit der Besuchsfreundin so ergeben – deshalb lege ich mir jetzt ein Sofakissen aufs Ohr und mache die Augen wieder zu.

Als ich wieder aufwache, ist es halb acht. Ich freue mich ein paar Minuten lang an dem Gefühl, nicht aufstehen zu müssen, dann stehe ich auf und mache einen kleinen Kontrollgang auf dem Balkon. Allen Pflanzen (außer den von den Spatzen geplünderten Melden) geht es gut, aber es ist zu frisch, um draußen zu frühstücken. Also setze ich mich mit meinem Tee und drei Toastbroten an den Küchentisch.

Nach einer ausführlichen Dusche packe ich die Sachen des Dreizehnjährigen zusammen, der am Vortag zu seinem Papa gewechselt ist – das bedeutet, dass ich elf transparente Plastik-Stehordner, die  – hoffentlich – jeweils Buch, Hefter und sonstiges Zubehör für genau das Schulfach enthalten, das vorne auf dem Stehordner vermerkt ist, in zwei große blaue IKEA-Taschen stelle; die dünne Jacke, die Sandalen, das Handy, die Schlagzeugnoten und die Sticks dazulege, mir die eine Tasche über die eine Schulter und die andere über die andere Schulter hänge, das Schlagzeugpad in die eine Hand nehme und mit der anderen geradeso noch die Wohnungstür hinter mir zuziehen kann. Diese Routine gibt es alle zwei Wochen (das Zubehör des Neunjährigen ist etwas handlicher und wird immer schon am Donnerstagnachmittag zum Papa – oder in der anderen Woche: zu mir – verbracht).

Ich klinge beim Vater meiner Kinder, begrüße die Jungs, schiebe mich mit den riesigen blauen Taschen in den engen Flur und setze mich kurz zum Vater meiner Kinder an den Küchentisch, um ein paar Absprachen zu treffen. Der maulende Dreizehnjährige muss danach nochmal mit zu mir kommen, weil da noch irgendwo die Informationen herumliegen müssen, die er sich für einen Kurzvortrag zusammengesucht hat.

Kurz vor halb 10 ist das Wechsel-Prozedere für dieses Mal erledigt und ich bin wieder allein.

Ich fange an, die kinderwochenverwüstete Wohnung aufzuräumen, wasche Geschirr ab, sammle Schmutzwäsche ein, stelle die Waschmaschine an, putze den Herd und den Badspiegel, die Badewanne und das Klo und merke gerade zur richtigen Zeit, dass ich eigentlich lieber in die Bibliothek fahren möchte, um einen kleinen Büchervorrat für die anstehenden Feiertage und Reisen zu besorgen. Jodi Picoult und Jörg Maurer für Himmelfahrt, Sue Monk Kidd und Regine Sylvester für Pfingsten, Graeme Simsion für jetzt sofort gleich und dann noch hier ein Buch und da eines – ein erfreulicher Stapel, den ich auf dem Weg zur digitalen Ausleihenverbuchung kaum auf dem Arm balancieren kann. Und dann ist da ja am Ausgang noch das frisch mit aussortierten Beständen bestückte Zu-Verschenken-Regal! Meine Tasche beult sich am Ende, als würde ich einen kleinen Elefanten darin transportieren. Sie ist auch genauso schwer.

Leider ist es zu spät, um nochmal kurz zu Hause vorbeizufahren und die Bücher abzustellen, also bleibe ich in der Bahn sitzen und fahre zum S-Café Friedenau, in dem ich mit der Patentante des Dreizehnjährigen verabredet bin. Die Sonne kommt neugierig um die Hausecke, sobald wir uns an unserem Tisch auf dem freundlichen kleinen Bahnhofsvorplatz niedergelassen haben; es gibt Kichererbsensalat mit Minze, Milchkaffee, kleine Updates aus ihrem und meinem Leben und beinahe einen Sonnenbrand im Nacken. Das ist sehr, sehr schön. Wir verabreden, uns unbedingt zum gemeinsamen Fußballgucken im Juni und vielleicht auf einen gemeinsamen Besuch in einer Trampolinhalle mit meinen Kindern zu treffen. Bald. Bestimmt bald…

Auf dem Rückweg beantworte ich ein paar sms und verpasse meinen Umsteigebahnhof, weil ich in „Das Rosie-Projekt“ vertieft bin. Also dauert die Fahrt etwas länger und ich bin erst um halb drei wieder zu Hause.

Mein Wochenendziel ist es, die Steuererklärung zu machen – damit kann ich aber auf keinen Fall anfangen, solange es in der Wohnung noch so schrecklich aussieht. Also räume ich weiter auf, wische Flur und Schlafzimmer, hänge Wäsche auf, stelle die Waschmaschine wieder an, trage die ersten Kleidungsstücke für die Klassenfahrt des Neunjährigen und für unser Himmelfahrtswochenende in Brandenburg zusammen, sauge das Wohnzimmer, hole die Koffer vom Hängeboden. Dann ist es auch schon Zeit, die letze Sonnenstunde auf dem Balkon zu verbringen, dabei ein paar Brote zu essen, einen auf-keinen-Fall-vergessen-Plan für die nächste Woche zu schreiben und einen Eimer Wasser unter den durstigen Pflänzchen zu verteilen.

Von sieben bis acht sitze ich dann vor dem Rechner, öffne aber mitnichten das Elster-Programm, sondern meinen Online-Sprachkurs Französisch. „tout le monde“ und „rien“, die Kontinente, il est né – il s’est marié – il est mort – solange ich vier Stunden im Monat lerne, stellt mein Arbeitgeber mir eine Sprachlernlizenz zur Verfügung, und ich bin anhaltend glücklich, zu lernen, in eine neue Sprache einzutauchen (bei weitem nicht nur, um den Dreizehnjährigen qualifiziert Vokabeln abfragen zu können!) – ganz ohne immer-wieder-schwierig-einzurichtenden wöchentlichen Kursbesuch, in meinem eigenen Tempo und zu meinen eigenen Zeiten.

Beim Bügeln hinterher versuche ich, einen französischen Podcast zu hören, was sich erwartungsgemäß als schrecklich größenwahnsinnig herausstellt. Ich verstehe kein Wort.

Ich räume die Pullis in den Schrank und das Bügelbrett beiseite. WmdedgT-Zeit.

Und dann mit dem angefangenen Buch unter eine Decke. Gute Nacht!

 

Müdes Durcheinander

Der Dreizehnjährige muss Schulvorträge mit Powerpoint-Präsentationen halten, einen nach dem anderen – das Familienleben gerät in eine Dauerschleife, in der die Zeit von Internetrecherchen, Foliengestaltung und Vortragsübungen getaktet wird. Zwischendurch müssen die Stichpunkte noch hastig auf Karteikarten abgeschrieben werden, weil der Lehrer sonst eine Note schlechter gibt, und natürlich gibt es Tests und Klassenarbeiten ohne Ende.

Der Neunjährige muss derweil das Inlinern üben, weil auf der Klassenfahrt ein Skate-Kurs vorgesehen ist.
Abwechselnd werden beiden Jungs Schuhe (Pullis, Badehosen, [durch beliebiges Kleidungsstück ergänzen]) zu klein, obwohl ich dachte, uns alle für den Frühling ausgestattet zu haben. Dabei habe ich eigentlich keine Zeit, Kindersachen zu kaufen. Ich muss mir den aktuellen Kurzvortrag des Dreizehnjährigen anhören, und ich müsste außerdem auf dem Balkon Wache schieben, wo ein Rudel durchgedreher Spatzen unsere rote Melde kahlfrisst und rotzfrech rosa gefärbte Schuldeingeständnisse auf der Sitzbank hinterlässt.

Die erste Hälfte des langen Wochenendes vor dem 1. Mai verbringen wir trotz allem in Weimar bei meinem Vater, spielen Doppelkopf, sehen alte Kinderbilder durch, die ich vor einer Milliarde Jahre gemalt habe, setzen uns alle paar Stunden an den gedeckten Tisch. In der zweiten Hälfte des langen Wochenendes legt der Dreizehnjährige in unserer neuen Lieblings-Schwimmhalle (die Kreuzberger Halle hat wegen voraussichtlicher Randale geschlossen und ist sowieso meistens ganz schön voll) die Prüfung fürs Bronze-Schwimmabzeichen ab, ganz locker. Hinterher kehren wir mit der Mitmutter und dem Mitmuttertöchterchen beim Griechen ein, die drei Kinder sind vom Schwimmen so erschöpft, dass sie ausnahmsweise still und brav auf ihren Stühlen hängen sitzen und sich ohne Streit das Eis teilen, das eigentlich das Mitmuttertöchterchen für sich allein bestellt hat. Wir Mütter nutzen die seltene Gelegenheit und schlemmen, was das Zeug hält.
Hinterher muss der Dreizehnjährige noch an einem Informatikwettbewerb teilnehmen, weil der Informatiklehrer dann im Zweifel die bessere Note aufs Zeugnis schreibt. Ohne vorheriges Üben wird das zu einem halben Desaster, allerdings entdecke ich die Übungsaufgaben zumindest hinterher und kann den Blick nicht vom Computer wenden, bis ich sie fast alle gelöst und damit allererste Baby-Grundkenntnisse im Programmieren erworben habe. Wollte ich schon lange mal, weil in diesen Sprachen mit ihrer sonderbaren Logik ja immer mehr von unserem Leben vorcodiert ist.

Dann ist das Wochenende auch schon vorbei, die Müdigkeit ist gleich dageblieben, die Überlastungsschmerzen im Mausarm sind auch schon wieder da, dazu kommt die Traurigkeit darüber,  dass liebgewonnene Bloggerinnen wegen der neuen Datenschutzrichtlinie zu schreiben aufhören. Das möchte ich nicht tun, auch wenn ich von Datenschutz eigentlich nicht mehr verstehe als vom Programmieren.

Aber das kann ja noch werden.

 

Sommerwarmer Freitag

Im Handumdrehen sind wieder fast zwei Wochen verstrichen. Mein scheußliches Voltarensalben-Unverträglichkeitsexzem am Knöchel ist beinahe verheilt, und ich kann endlich die schicke Aktiv-Bandage tragen, die ich dann doch irgendwann in einem Sanitätshaus erstehen konnte.

Am Morgen ist alles prima; am sommerlich warmen Nachmittag, wenn die S-Bahn voller unmutiger Feierabendberliner ist, ist mein Fuß auf einmal zwei Nummern zu groß für die sportlich-blaue Knöchelstütze; sie drückt vorn und hinten, deshalb bleibe ich unglücklich auf meinem schwer erkämpften Platz sitzen, als sich ein Mann mit freiem Oberkörper neben mir niederlässt; ich würde ihn seeeehr gern mit Blicken anziehen – oder aus der S-Bahn werfen zum Aussteigen bewegen – weil ich bittedanke selbst entscheiden möchte, wer halbnackt und verschwitzt neben mir sitzen darf.

Unter solchen Umständen ist das Nachhausekommen besonders schön. Ich ziehe die fußgerechten Wanderschuhe aus, die Socken und die nicht mehr ganz taufrische Bandage; dann stelle ich vorsichtig die Paprikapflanze auf den Balkon, die mir noch gefehlt hat, und die Walderdbeere, das Wandelröschen und die Studentenblume, die ich aus Versehen im Oh-lauter-wunderschöne-Pflanzen-Glücksrausch auch noch gekauft habe. Hach, wie schön!

Als alle Neuankömmlinge ein Plätzchen mit ausreichend Erde gefunden und Wasser bekommen haben, sitze ich mit einem Buch auf der Balkonbank und blinzele in die Sonne, die zwischen dem Schornstein des Nachbarhauses und dem Stamm der grünbeschleierten Birke ein paar letzte Strahlen in den Hinterhof schickt. Im rechten Nachbarhof schwatzen zwei Mütter am Sandkastenrand, während ihre Kinder auf dem Rasen Fange spielen; im linken Nachbarhof isst eine Familie zu Abend; oben im Baum wippt die Taube auf einem Ast und lässt es darauf ankommen, von der brütenden Rabenmutter erspät und verjagt zu werden. Gegenüber auf dem Flachdach, wo die Sonne noch richtig hinscheint, laufen ein paar Männer mit hippylike buschigen Haaren und buschigen Bärten hin und her, Becher und Handys in den Händen – unser Kiez verjüngt sich, denke ich, sowas gab es hier noch nie – und schaue ihnen interessiert beim Sonnenuntergangfotografieren zu.

Später, drinnen, ist es ein bisschen einsam. Auf meinem Laptop liegen die Präsentationen, die der Dreizehnjährige zu den Schulvorträgen gemacht hat, die er gestern und heute halten musste und die ich mir in den letzen Tagen immer wieder geduldig angehört habe; im Zimmer des Neunjährigen guckt mich der Kuschelhase traurig an, auf dem Boden liegt der Schlafanzug und aufgeschlagen im Bett das Michel-Buch von Astrid Lindgren, aus dem wir vorgelesen haben; in der Küche erinnert mich das Ligretto-Spiel daran, dass der liebste Freund, der Dreizehnjährige und ich gestern um diese Zeit kartenspielend am Tisch saßen.
Jetzt sind alle fort, und ich habe keine Lust, irgendetwas von all dem anzufangen, was ich machen wollte, wenn ich allein bin.

Es ist okay, sage ich mir, erschöpft zu sein und garnichts zu wollen.
Und vielleicht, tröste ich mich, gibt es nachher ein paar Sterne.

(Meine neue App kennt sie alle – auch den „kleinen Hund“, der abends über meinem Balkon wacht, und den „großen Löwen“, den wir über dem Waldhäuschen, zwischen den hohen Bergen, strahlen sahen – zwei Sternbilder, die ich noch nie gesehen hatte, und die zu meinen großen Frühlingsfreuden gehören…)

Vor Ostern

Karfreitag, Nachmittag. Ich tränke einen Waschlappen in einem ordentlichen Schluck Schwedenkräuterlösung und wickle ihn auf meinem Fuß fest, der – wie im letzten Sommer ohne Sturz, Schlag, Umknicken, Danebentreten oder sonstige Vorwarnung – seit einigen Tagen wieder wehtut. Sechs Wochen hat das im letzten Sommer gedauert, und ich wäre auch jetzt schleunigst zur Orthopädin gegangen, hätte sie nicht Urlaub gehabt.

Die Kühle am Fuß ist wunderbar; die Wohnung ist sonnendurchflutet, still und einigermaßen ordentlich – ich schaue mich zufrieden um.

Den Krimi, den der liebste Freund mir für den Osterurlaub ausgeliehen hat, habe ich heute schon mal ausgelesen (der liebste Freund könnte mich eigentlich gut genug kennen, um sicherheitshalber zwei Bücher mitzubringen). Auf dem Wohnzimmertisch türmen sich robuste, äußerst warme Kleidungsstücke, Osterkörbchen für die Verwandtschaft, die Asthmabettwäsche des Neunjährigen, eine große Medikamententasche zum Thema „Erkältungskrankheiten“, eine große Verbandszeugtasche zum Thema „Zecken-Splitter-Stürze“, eine kleine Kosmetiktasche mit nicht viel mehr als unseren Zahnbürsten und viele Bücher („Winter im Mumintal“, „Die rote Zora“, „Die 13 ½ Leben des Käpten Blaubär“, „Der Gott der kleinen Dinge“, „Über die Tugenden“, „C’est vraiment facile“, „Grammatik kurz und bündig – Französisch“), die noch auf ein tragbares Gewicht aussortiert werden müssen. Unter dem Tisch warten Gummistiefel, Schuhe für sehr tiefe und für nicht ganz so tiefe Temperaturen und der beinahe unverwüstliche Ball aus Dänemark. Unschwer zu erkennen: wir haben als Osterurlaub einen Aufenthalt in einer schlecht heizbaren Waldhütte geplant; etwas unbedacht ist diese Idee entstanden, an einem warmen Sommerabend wahrscheinlich.
Mit Spielen, Lebensmitteln und Bettwäsche versorgt uns die ganz große Schwester, also stehen nur zwei Koffer mit hungrig aufgeklappten Deckeln bereit.

Auf dem erfreulich leeren Schreibtisch liegt ein Zettel mit dem Vermerk, den Dauerauftrag an den Vermieter unbedingt sofort nach unserer Rückkehr zu ändern; eine (ein klein wenig) rebellische Teilzustimmung zur Mieterhöhung ist abgeschickt, ich möchte nun nicht um einen einzigen Cent in Zahlungsrückstand geraten. Der Mieterbund24, der im Internet eine Online-Antwort auf eine Mietfrage für nur 25 Euro anbietet – eine prima Alternative zu einer Mitgliedschaft im Mieterverein, wenn man tatsächlich nur eine einzige Frage hat – konnte mir leider nicht helfen und erstattet mir die Vorauszahlung zurück. Viel Aufwand und wenig davon gehabt.

Einige Fenster sind geputzt, auch das stark eingestaubte Gewürzregal in der Küche, das muss als Frühjahrsputz reichen. Auf dem Balkon habe ich heute Mittag, als es warm und sonnig war, vieleviele Kilo Erde bewegt – aus Töpfen, Kübeln und Kisten in große IKEA-Tüten geleert, mit dem guten Wurmhumus der Firma „Superwurm“ (das Paket kommt jedes Jahr bei einem anderen Nachbarn an, damit jeder mal über mich den Kopf schütteln kann) vermischt und wieder in die Töpfe, Kisten und Kübel gefüllt. Auch zwei Schalen für den Friedhof habe ich bepflanzt; im Auto auf dem Weg dorthin starte ich dann eine Charme-Offensive, damit der Vater meiner Kinder während unserer Abwesenheit nächste Woche die Tomatenpflänzchen bei sich aufnimmt und gießt, die ich noch nicht dem rauen Berliner Spätwinter Vorfrühling Wetter aussetzen möchte. Alles andere, was ich am hellen Fenster vorgezogen habe – Sonnenblumen, Dill, Basilikum, Petersilie, Sonnenhut – muss draußen klarkommen.

Am Samstagmorgen dann – endlich – werden meine Söhne nach einer langen, langen Ferienwoche mit ihrem Vater wieder bei mir eintrudeln. Wir werden Ostersträuße schmücken, Ostereier kochen und färben; am Abend werde ich durch die Wohnung schleichen und Dutzende kleine Schokoladeneier verstecken, die dann am Sonntagmorgen gesucht werden dürfen, bevor wir zur Kirche gehen (und dort auf keinen Fall die Unterschrift auf der Gottesdienstkarte vergessen dürfen, die der Dreizehnjährige als Voraussetzung für seine Konfirmation zu füllen hat).

Der Berliner Schienenersatzverkehr macht die Reise zum Bahnhof zu einem langwierigen Abenteuer, aber auch das werden wir bestehen; wir werden am Ostersonntag in einen Zug steigen und verschwinden bis auf Weiteres im Dickicht eines mitteldeutschen Waldes.

Bis bald – und frohe Ostertage Euch allen!