Frau Brüllen lädt heute wie an jedem Monatsfünften zum Tagebuchbloggen ein – hier finden Sie alle Beiträge. Heute auch wieder von mir.
Erstes Aufwachen gegen fünf, die Amsel draußen hat zu singen begonnen, laut und schön. Ich wache in Hannover auf, im unteren Bett des Doppelstockbettes, in dem früher die Kinder des Hannoverliebsten übernachtet haben. Gemütlich umdrehen, weiterschlafen.
Zweites Aufwachen gegen sieben. Kurz ins Bad, dann etwas Morgengymnastik. Ich muss mich bewegen aus Gründen: zwei Monate fast ununterbrochen krank, das hat gezehrt, an Kraft, Fitness, Wohlbefinden, Lebensvertrauen, allem. Also bewegen. Hinterher wieder ins Bett.
Nächstes Aufwachen kurz vor acht. Der Hannoverliebste schläft noch, also nehme ich den Verband vom operierten Zeh ab und gehe erstmal duschen. Unterdessen ist der Hannoverliebste auch aufgewacht und geht Brötchen holen. Nach dem Duschen begutachte ich meinen Zeh – sieht ok aus – und verpacke ihn neu in Jodsalbe, Kompresse und Verband, heute schon wieder ein bisschen kleiner, damit er beim Laufen nicht mehr stört. Ach ja: vorher gelingt es mir tatsächlich, die Ecke vom Zehnagel abzuschneiden, die die Chirurgin merkwürdigerweise hat stehenlassen und die mich beim Laufen ständig piekt. Vom vorsichtigen Laufen sind die Wadenmuskeln so verhärtet, dass ich ziemliche Schmerzen habe, das muss ja nun auch mal besser werden.
Dann decke ich den Frühstückstisch, Brötchen, Kaffee, Käse, Salami, Honig, vom großen Schwager selbstgemachte dänische Brombeermarmelade. Sehr lecker. Nach dem Frühstück sitzen der Hannoverliebste und ich noch eine Weile auf dem Sofa, das so wunderbar von der Morgensonne beschienen wird.
Dann ein kleiner Spaziergang (bewegen und so) bis zu dem brütenden Schwanenpaar an der Leine. Das gestrige Parkfestival mit vielen Menschen und lauter Musik hat das Schwanenpaar nicht vertrieben, sie sitzt noch auf dem Nest, er schwimmt in der Nähe und beäugt uns misstrauisch.
Zum ersten Mal seit anderthalb Wochen kann ich wieder ohne Schmerzen im Zeh und – neu – auch ohne das lästike Pieken der Zehnagelecke laufen. Das ist sehr schön.
Während der Hannoverliebste Zeitung liest, stricke ich an meiner ich-bin-krank-und-langweile-mich-Socke weiter. Es ist die zweite und das Paar – aus lauter bunten Wollresten – wird bald fertig sein. Wir reden eine Weile über die bevorstehenden Wahlen in Thüringen und darüber, wie Politik gemacht werden sollte, um den Menschen ein Gefühl von Zusammenhalt und Gesehenwerden zu vermitteln.
Dann muss ich leider schon packen. Es war ein schönes Wochenende, das erste nach längerer Zeit wieder außerhalb von Berlin, das tat gut – auch wenn die Kraft noch nicht wieder da ist.
Wir machen uns Brote zum Mittagessen; vom Balkon aus schaue ich nach dem Starenpaar, das in der Dämmschicht des Hauses gegenüber brütet und emsig seine hungrig schreiende Brut füttert. Zum Essen ist es auf dem Balkon heute zu kalt, also setzen wir uns ins Wohnzimmer.
Hinterher habe ich noch Zeit, mich etwas hinzulegen.
Dann gehen wir zur Straßenbahn und fahren zum Bahnhof. Der Zug nach Berlin ist voll, ich habe mir extra einen Sitzplatz reserviert, weil ich heute nicht stehen möchte.
Ich lese etwas, Christine Brückners „Das glückliche Buch der a.p.“, das ich mag und ab und zu gerne wiederlese. Als die Fahrkarten kontrolliert werden, komme ich mit meinem Sitznachbarn ins Gespräch, einem betagten Herren, der extra nach Berlin fährt, um Handwerker zu treffen, die in seinem Mietshaus etwas in Ordnung bringen sollen. Er erzählt ein paar Geschichten davon, wie schwer es ist, Handwerker zu finden. Und er erzählt mir von Steinstücken, einer Exklave Westberlins zu DDR-Zeiten. Das ist interessant, davon hatte ich noch nie gehört.
Berlin ist beim Durchfahren hässlich und laut und voll und unangenehm. Erst als wir meinem Kiez näherkommen, fühle ich mich ein wenig heimatlich. Ich hatte einige Zeit zum Grübeln in den letzten Wochen und denke darüber nach, wo ich später leben möchte. Ob der Hannoverliebste doch nach Berlin kommen würde? Wäre Leipzig eine Stadt, in der wir beide neu anfangen könnten, in größerer Nähe zu meiner Familie? Oder doch Hannover? Und wie soll das alles mit meiner Arbeit gehen?
Zu Hause ist der Neunzehnjährige, er hat eingekauft und den Balkon versorgt. Wir plaudern ein bisschen und verabreden uns zum gemeinsamen Kochen für später. Ich packe erstmal meinen Koffer und meinen Rucksack aus, krame in der Wohnung herum, gebe den Vögeln auf dem Balkon Wasser, schaue nach dem Krähenepaar im Hinterhof (sie füttern) und schreibe eine Liste mit allem, was in der kommenden Woche zu bedenken ist. Obwohl es sich eigentlich nur um drei Tage handelt, bevor wieder Feiertag und langes Wochenende ist, wird die Liste lang. Eigentlich zu lang – ich habe noch Mühe, auch nur meine Erwerbsarbeitsstunden zu schaffen, aber „Ausruhen“ steht auch mit drauf, das ist wichtig.
Dann kochen wir und waschen nebenher das Geschirr vom Wochenende ab. Es gibt Reis und Linsen, mit Tomaten, die aufgebraucht werden müssen und Creme Fraiche, die sich im Kühlschrank seltsamerweise in Kräuter-Creme-Fraiche verwandelt hat. Es schmeckt trotzdem gut. Zitrone wäre noch schön gewesen, aber die ist schimmelig geworden und muss weg. Ein täglicher Einkaufslieferservice, das wäre was für mich. Stattdessen wird Bringmeister nicht mehr für Edeka liefern und ich muss zusehen, wie ich meine Großeinkäufe zukünftig bekomme.
Nach dem Essen gehe ich noch eine Runde raus, bewegen und so. Der Abend ist aber auch wunderschön und die Luft endlich ein wenig kühl. Ich telefoniere unterdessen mit dem Hannoverliebsten. Hinterher schauen der Achtzehnjährige und ich einen neueren Münster-Tatort aus der Mediathek, der uns Freude macht, „Unter Gärtnern“.
Jetzt noch ein wenig herumkramen, dann Buch (Mieko Kawakami: „Breasts and Eggs“) und Bett. Wecker auf sieben.