Vögel / und Schatten von Vögeln

Der beste Moment der letzten Wochen war das: an einem freien Tag (wahrscheinlich am Frauentag, ich hätte garnicht in Berlin sein wollen, war aber krank) morgens, im Bett. Die Sonne beschien den winterkahlen Ahorn im Hinterhof so, dass derjenige Teil des Baumes, den ich vom Bett aus nicht sehen konnte, einen Schatten auf die gegenüberliegende Hauswand in meinem Blickfeld warf. Krähen, Stare und Tauben waren im und um den Baum unterwegs, und ich konnte die Vögel durch die eine Hälfte des Baumes fliegen sehen, und dann ihre Schatten über die Hauswand durch die andere Hälfte des Baumes. Oder umgekehrt. Das war sehr schön.

Ansonsten weniger super, ich quäle mich durch volle Wochen, viele Termine, in der Erwerbsarbeit Druck. Dazu ein hartnäckig entzündetes Nagelbett am mittleren linken Zeh; ein Gnubbel am Gaumen, der zum Glück nach ein paar Tagen wieder verschwunden ist – der Körper will Aufmerksamkeit und Pflege.
Der Zeh mit seinem morgens dick rot geschwollenen Nagelbett schwillt immer am Vormittag ab, so dass er beim Arzt in die Kategorie „abwarten, Kernseifebäder und Jodsalbe“ fällt; „außerdem habe ich sowieso in den Osterferien Urlaub und keine OP-Termine“. Ich bin ja einverstanden damit, dass da nicht herumgeschnibbelt wird; aber…
es wäre so schön, wenn es eine auch in den Wochen um Ostern geöffnete Arztpraxis gäbe, die im Notfall zur Verfügung steht. Die Aussicht, im Fall einer Verschlimmerung in eine Notaufnahme gehen zu müssen und dann dort mit Recht zwölf Stunden zu warten, weil alle wirklichen Notfälle dringender sind, behagt mir garnicht, also gehe ich auf die Suche. Viel Zeit vergeht mit Recherchen und Telefonaten bzw. Versuchen von Telefonaten, mit Praxen, in denen trotz der einladenden Homepage mit Bitte um telefonische Terminvereinbarung niemand abnimmt. Das zieht Energie und Konzerntration von der Erwerbsarbeit ab, auf der ich beides drigend nötig hätte. Meh.
Besonders negativ fällt die dermatolotische Ambulanz der Charité auf, in der ich als Privatpatientin sofort einen Termin bekommen hätte; als Kassenpatientin aber eiskalt abgewimmelt werde.
Der Großstadtnachteil ist außerdem, dass auch niemand eine Idee hat, wo ich vielleicht sonst hingehen könnte. Aus Weimar kenne ich das anders.
Immerhin finde ich auf der Suche nach dem Doctolib-Passwort mein altes Twitter-Passwort und kann endlich – endlich – den Account deaktivieren, den ich schon lange nicht mehr nutze.

Ab und zu nebenher eine halbe Stunde werkeln auf dem Balkon, Erde auffrischen, ein paar Hornveilchen pflanzen, die unterirdisch gewucherten Pfefferminzwurzeln teilen und an neue Standorte für diesen Sommer verpflanzen, die Pelargonien aus dem Keller holen und schon mal im Zimmer des Fünfzehnjährigen austreiben lassen. Heute vielleicht Basilikum säen und Petersilie, mal sehen.

WmdedgT – 5.3.2024

Die geschätzte Nachbarbloggerin Frau Brüllen fragt wie an jedem Monatsfünften, was wir alle eigentlich den ganzen Tag machen – alle Beiträge quer durch die bloggende Community finden sich hier.

Der Tag beginnt mit einem Traum, in dem ich Halsschmerzen habe – leider stellt sich beim Wachwerden heraus, dass sie ganz real sind. Gestern ging es mir noch vollkommen gut – ich verstehe das nicht. Der Blick zur Uhr zeigt, dass es kurz vor sechs ist, ich gehe kurz ins Bad, dann wieder ins Bett unter meine warme Decke. Eine halbe Stunde später stehe ich auf und mache Frühstück; für mich gibt es zuerst ein Glas lauwarmes Wasser mit Zitrone, das soll ja so gesund sein. Wir müssen heute alle drei um sieben frühstücken, deshalb klopfe ich kurz vorher beim Neunzehnjährigen an. Er hat sich schon am Vortrag halbkrank zur Arbeit geschleppt und ist jetzt völlig hinüber, also mache ich die Tür wieder zu und rufe ihm kurz zu, wann die Hausärztin heute ihre Praxis öffnet.

Ich frühstücke mit dem Fünfzehnjährigen, es gibt Müsli wie meistens. Ich nehme vorher noch ein paar Erkältungstropfen, trinke Salbeitee und fühle mich eigentlich gar nicht so schlecht. Auf meine Bemerkung, dass ich den Frauentag – diesen äußerst feinen Berliner Feiertag im März an diesem kommenden Freitag – eigentlich nicht in der Pose des toten Hamsters verbringen wollte, kichert der Fünfzehnjährige, und wir denken uns noch ein paar interessante Namen für potentielle Yogapositionen aus.

Geschäftiges Morgenvorbereiten – Bad, Küche aufräumen, Rucksäcke packen – und dann müssen der Fünfzehnjährige und ich kurz nach halb acht los; er heute zu einer Schachveranstaltung; ich ins Büro. Eigentlich würde ich erkältet nicht ins Büro gehen, aber heute habe ich ein wichtiges Vor-Ort-Gespräch und die Arbeitsplatz-Bildschirm-Vorsorgeuntersuchung und beides ist wichtig, also lasse ich den Morgenspaziergang ausfallen, koche im Büro mehr Salbeitee und schalte den Rechner ein. Da die Bürokollegin Urlaub hat, kann ich sie schonmal nicht anstecken, das ist gut. Der Arbeitstag vergeht schnell, das Gespräch findet statt. Der Betriebsarzt peinigt mich mit einem Sehtest, bei dem es um Kreise mit kleinen Öffnungen geht, deren Richtung man feststellen soll – und bescheinigt mir hinterher, dass ich weder mit noch ohne Brille in der Ferne oder in der Nähe gut genug sehen kann und deshalb erstmal eine neue Alltagsbrille brauche (hallo Gleitsicht, ich komme…), bevor über eine Bildschirmbrille entschieden werden kann. Augenarzt hatte ich sowieso vor, seit ich gemerkt habe, dass meine Sehschärfe sich verändert; es waren nur keine Termine vor Mitte März zu kriegen. Das ist ja zum Glück bald.

In der Kantine gibt es heute für mich Kartoffeln mit Rote-Beete-Gemüse, das schmeckt okay, wird aber absehbar nicht lange vorhalten. Ich erledige noch eine etwas mühselige Aufgabe, die mit dem Prüfen vieler Zahlen zu tun hat und mache dann pünktlich Feierabend. Wenigstens jetzt brauche ich ein bisschen Bewegung und laufe parallel zur S-Bahn eine Station in Richtung meines Zuhauses, bevor ich einsteige. Auf den Anzeigetafeln wird der neue GDL-Streik angekündigt. Gestern erst hatte ich mit dem Hannoverliebsten das Wochenende umgeplant – ihn gefragt, ob er vor dem Streik nach Berlin kommen und sich mit mir am Freitagnachmittag nach Streikende nach Thüringen durchschlagen wolle, und hatte mich auf die zwei gemeinsamen Tage in Berlin gefreut – jetzt muss ich ihn anrufen und ihm sagen, dass es bei uns in Berlin vermutlich eine hohe Virendichte gibt. Vorher aber noch schnell zur Apotheke – ich rufe den Neunzehnjährigen an, ob er etwas braucht, nein, er braucht nichts – und zum Bäcker.

Der Neunzehnjährige liegt hustend im Bett und ist bis Donnerstag krankgeschrieben. Ich esse kurz etwas – das Brokkoli-Gemüse vom Sonntag riecht nicht mehr gut, aber es gibt noch Apfelspalten vom Frühstück und da ist auch noch ein letztes Supermarkt-Baklava, lecker – lege mich auch erstmal hin und rufe den Hannoverliebsten an. Zwischendrin kommt der Fünfzehnjährige – siegreich – vom Schachturnier wieder. Ich lese ein bisschen und stehe gegen sechs wieder auf, um die Küche aufzuräumen und Abendbrot zu machen. Der Neunzehnjährige will nichts essen, aber ich bereite ihm ein paar Brote vor. Der Fünfzehnjährige hat noch Lust auf Krimigucken, das ist die höchste Aktivitätsstufe, die ich mir heute noch vorstellen kann, also machen wir das und ich trinke nebenbei viel Erkältungstee.

Inzwischen haben wir uns alle in unsere Zimmer zurückgezogen, mit Büchern, Endgeräten, Nasensprays und Getränken. Gute Nacht allen Blogger:innen, bleiben Sie gesund!

Frühlingssinnbild, Seifenblasenpläne, Unrast

Mein schönstes Frühlingssinnbild ist der Meisenknödel, der in einem der benachbarten Vorgärten hängt und aus dem kleine grüne Halme sprießen. Ich freue mich jeden Morgen auf dem Weg zur S-Bahn daran – wenn ich zur S-Bahn gehe, teilweise ist ja Homeoffice, wieder einmal ist parallel der Fünfzehnjährige krank zu Hause. Auch mehrere Kolleg:innen sind krank, Grippezeit. Nur mich scheint der alte Vitaminsaft gesund zu erhalten, den ich aufbrauche, weil die Kinder ihn nun garnicht mehr mögen. Vielleicht ist er auf geheimnisvolle Weise hochwirksam geworden, wer weiß.

Weil der Fünfzehnjährige krank ist und die Mutter des Patenmädchens gerade erwerbsarbeitsbedingt nicht krank werden darf, fällt das gemeinsame Kerzengießen von mir, der Patentante des Neunzehnjährigen und unseren beiden Patenmädchen zum zweiten Mal aus. Da wir pro Vierteljahr immer nur ein Wochenende finden, das für alle Beteiligten passt, wird der Wäschekorb mit den vorbereiteten Papprollen-mit-Dochten nun noch viele Wochen lang bei mir herumstehen, schade. Da schon letztes Wochenende die Fahrt nach Hannover geplatzt ist, komme ich mir nun schon zum zweiten Mal vor wie im falschen Leben, weil der erwartete Wochenendablauf nicht stattfindet. Die Bahn arbeitet schon daran, mir auch das nächste Wochenende zu verderben, an dem ich planmäßig in Weimar sein werde; am Montag werden die neuen Streikpläne kommuniziert. Wenn 2023 das Jahr der andauernden Terminkonflikte war, dann verdient sich 2024 gerade den Titel „Jahr der geplatzten Pläne“.

Wenigstens ist der äußerst langanhaltende Februar endlich vorbei.
Ich habe einige Projekte von meiner „Worauf ich alles keine Lust habe“-Liste angefangen und einige Haushalts-Frühjahrsprojekte, die garnicht auf der Liste standen (die Balkonbank und auch gleich den Balkonboden mit Holzschutzlasur zu streichen, zum Beispiel) und fühle mich sehr unrastig, weil es mir so vorkommt, als ob ich mit keinem der Projekte so richtig voran, geschweige denn zu einem Ende komme und sie mich gleichzeitig davon abhalten, schöne und interessante Dinge zu unternehmen.

Immerhin: Konzertkarten gekauft, den Besuch einer Fotoausstellung geplant, mögliche Termine für Zen-Abende in den Kalender geschrieben.
Immerhin: Einen Banktermin, auf den ich in besonders hohem Maße keine Lust hatte, trotzdem absolviert.
Immerhin: Mit dem liebsten Freund ein wenig durch Berlin geschlendert und bei Kaffee, Wein und Gemüse (Fastenzeit, ich versuche, meinen Kuchenkonsum einzuschränken) lange geredet.

Und auf dem Weg zum Chor gab es wieder Musik an der Imbissbude.

Vorfrühlingsschön

Der Februar gibt sich unentschlossen, ein bischen später Winter, ein bisschen früher Vorfrühling. Am Weihnachtsbaumsammelplatz liegt immer noch eine Nordmanntanne, aber nicht unsere, unsere war viel kleiner.
Im Plänterwald riecht es schon nach Wunderlauch, das mag ich nicht besonders. Dafür ist das Licht gegen Abend weich und bläulich und die Vögel unterhalten sich angeregt. Der Specht pocht testweise am Baumstamm; die Amsel wippt auf dem Zaun und fliegt nicht auf, als ich vorübergehe.

Am Wochenende liege ich länger im Bett und höre draußen die Stare flöten und pfeifen, die zurückgekommen sind, fest entschlossen, auch in diesem Jahr wieder in den vertrauten Höhlen in der Dämmschicht des gegenüberliegenden Hauses zu brüten. In den Vorgärten gibt es Schneeglöckchen und Winterlinge.

Ein bisschen tut mir das Knie weh beim Laufen, dort, wo mir am Wochenende die Bowlingkugel verrutscht und gegen das Knie geschlagen ist. Aber das ist eine Erinnerung an ein durch und durch schönes Wochenende, an das Bowling mit den Freunden des Fünfzehnjährigen, die wir seit der Kleinkinderzeit kennen; an das gemeinsame Essen und Spielen am Abend („Kartograph“ hat den Halbwüchsigen gefallen, die sonst am liebsten auf ihre Handys schauen); auch an diese entspannte Stunde, in der ich auf dem Teppich lag und der Neunzehnjährige Musik auf seinem Handy für mich und den Fünfzehnjährigen spielte. Ausgerechnet „Gangsta’s Paradise“ war der gemeinsamste Nenner, den wir drei fanden, das war lustig.

Ausgerechnet dieses Lied spielte neulich abends jemand über seine Box ab, am S-Bahnhof Treptower Park, wo ich auf dem Weg zur Chorprobe vorbeigehe und fast immer jemand zum Feierabendbier an der schabbeligen Imbissbude Musik laufen lässt, laut. Diese Woche gab es keine, ich habe das vermisst.

Die Erwerbsarbeit kehrt in ihre gewohnten Bahnen zurück, die Übestunden ebben ab und verheißen ein paar gelegentlich zu nehmende freie Tage, das ist ein gutes Gefühl. In einer ruhigen Randstunde habe ich Zeit, im Quanta-Magazin zu stöbern und mich an der Schönheit der Mathematik zu freuen: der Mandelbrot-Menge, „Conway’s Game of Live“, dem „Hut“, mit dem die unendliche Ebene aperiodisch gefliest werden kann. Ich muss das alles zum Glück nicht ganz genau verstehen, um es ganz wunderbar zu finden.

Die allgemeine Lebenslust wächst. Ich habe einen Ort entdeckt, an dem Zen-Abende angeboten werden (und es stehen schon zwei oder drei mögliche Termine zum Ausprobieren im Kalender); ich bin als Wahlhelferin angemeldet, es gibt Verabredungen mit Freunden.
Heute sollte ich eigentlich nicht auf dem heimischen Sofa sitzen, sondern im Zug nach Hannover, es ist zu lange her das wir uns gesehen haben. Aber der Hannoverliebste – noch dazu wäre es sein Geburstagswochenende – ist krank. Die unerwartete Berlinzeit fühlt sich seltsam an, ich muss mich nützlich fühlen, um nicht zu traurig zu sein, also ziehe ich die jährliche Anti-Milben-Aktion im Zimmer des Fünfzehnjährigen vor, sprühe mit Neemöl um mich und stecke alle Allergikerbezüge in die Waschmaschine; und weil jetzt sowieso tagelang gelüftet werden muss, lasse ich den Neunzehnjährigen die Balkonbank ins Zimmer des Fünfzehnjährigen tragen und streiche sie mit Holzschutzlasur ein.

Draußen fällt am Abend ein unentschlossener Regen, die Post hat das Werbeplakat für das Karfreitagskonzert meines Chores nicht – dabei war es versprochen! – ins Fenster gehängt, schade.
Immernoch ist es tiefsamtdunkel um halb sieben, aber nicht mehr sehr lange.
Ich suche nach Musik für diese unentschlossene Zeit zwischen den Jahreszeiten und lande bei Fieh, „Cold Water, Burning Skin“, warum nicht.

Mäntelchen, Kostüme, Rosen

Die süddeutsche Kollegin findet den Berliner Winter deprimierend, eigentlich sagen alle, dass der Berliner Winter besonders grau ist. Zur Zeit ist das ganz sicher so. Das trübe Licht lässt den Müll an den Straßen und Bahnschienen und am Spreeufer besonders hässlich aussehen, und die Menschen wirken unfreundlich und abweisend. Jede große Kreuzung scheint durch eine Dauerbaustelle ohne viele Anzeichen von Baufortschritt verstopft zu sein; ein Wunder, dass in den Seitenstraßen trotzdem hier und da ein früher Vogel sein Frühlingslied probt.

Die angeleinten Hunde tragen Mäntelchen, die kleinen Mädchen, die morgens an der Hand ihrer Mutter zur Kita gehen, tragen am Faschingsdienstag Prinzessinenkostüme unter ihren dicken Jacken. Am nächsten Tag tragen etliche Frauen Rosen mit sich, es ist Valentinstag.

Ich muss nach der Arbeit Müsli besorgen, was wegen einer Dauerbaustelle auf dem Weg zum Supermarkt zur Zeit nicht einfach ist; und dann noch Bargeld, was vermutlich nie mehr einfach ist, weil der Geldautomat im Kiez gesprengt und ausgeraubt wurde und seitdem nicht wieder in Betrieb genommen wird. Auch der nächste Geldautomat – nur eine klitzekleine, wegen Dauerbaustelle mindestens doppelt so lange Busfahrt entfernt – wurde ausgeraubt und ist daher nur noch unter der Woche tagsüber zugänglich. Unterwegs habe ich jede Menge Muße, über den hässlichen Berliner Spätwinter nachzudenken, mir auch eine Rose zu wünschen, mir vorzustellen, wie angenehm es später im Warmen sein wird, wenn ich zu Hause die restliche To-Do-Liste für heute abgearbeitet habe, das Flusensieb der Waschmaschine steht da noch drauf und der Siphon unter dem Badezimmerwaschbecken, grrrr.

Was schwer auf der Seele liegt: das Tagebuch meiner Mutter, das wir beim Durchsehen der Sachen meines Vaters gefunden haben. Meine Mutter hat es in ihren letzten zehn Lebensjahren geschrieben. Glückliche Jahre waren das nicht, in denen sie – zunehmend geschwächt und krank – die nicht endenwollende Flut an Hausarbeit, Pfarrhausgästen und Rückenfreihalten für meinen Vater bewältigte, dessen Arbeit ohne ihre so nicht möglich gewesen wäre. Nachdenklich und traurig macht mich, was ich da lese. Dunkel schwingt es mit durch meine Tage.

Was schön war: Ein Treffen mit der Studienfreundin – das erste seit langer Zeit! – die sich als Wahlhelferin und Schöffin engagiert und dann auch noch im Bezirkselternrat. Wir lassen Kino sausen und unterhalten uns den ganzen Abend, ich habe das glückliche Gefühl, dass das Reden mit ihr meinen Horizont erweitert, das tut gut, das ist nicht mit allen Menschen so.

Was schön wird: Die große Nudeln-und-Sauce-Party des Fünfzehnjährigen am Wochenende. Ausschlafen am Sonntag, so richtig, und dann – die Überstunden der letzten Wochen liegen hinter mir – Pläneschmieden für die nächste Zeit.

Von nun an immer wieder – und andere vermischte Gedanken

Die zweite Söhnegeburtstagswoche ist nun auch vorüber, 15 und 19, neue ungewohnte Zahlen. In elf Jahren wird der Neunzehnjährige dreißig Jahre alt, das klingt nach wenig Zeit. Jedewede Backbedürfnisse auf meiner Seite sind erstmal vollumfänglich gestillt, die Erwerbsarbeit ist noch immer in der Jahresanfangsstressphase.

Beim Geburtstagskaffeetrinken für den Fünfzehnjährigen macht es mir unerwartet viel Freude, mich mit seinem vierjährigen Halbbruder zu beschäftigen, und als ich im Nachhinein darüber nachdenke, komme ich darauf, dass ich jetzt – so rein theoretisch – im perfekten Alter für Enkelkinder wäre. Ich hätte noch Freude daran, mich mit so einem Kleinen zu beschäftigen; ich hätte noch die notwendige körperliche und seelische Kraft dafür. Natürlich wünsche ich es keinem meiner Söhne, in den nächsten Jahren Kinder zu bekommen, es ist nur ein Gedanke, eine kleine Theorie.

Die Beschäftigung mit dem Nachlass meines Vaters und mein nahender 50. Geburtstag – 50 Jahre alt ist meine Mutter geworden – bringen mich dazu, mich mit letzten Dingen zu beschäftigen. Endlich liegt eine Patientenverfügung hier, ausgefüllt und unterschrieben, und die ganz große Schwester wird ein Formular für eine medizinische Vollmacht schicken, damit im Ernstfall auch jemand da wäre, der die Patientenverfügung durchsetzen darf. Einen kleinen Anfang gibt es auch schon für die Auflistung aller möglichen wichtigen Versicherungssachen, ich muss mir den Handytimer auf eine Stunde stellen, um mich durch das festgesetzte Ende zu motivieren, mit so etwas überhaupt anzufangen. Mir schwant, dass ich mich mit derlei Papieren und Verfügungen von nun an immer wieder werde beschäftigen müssen, das bleibt ja alles nicht jahrelang aktuell. Grrrrr.

Ich lese „Der Salzpfad“ von Raynor Winn und das resoniert sehr mit meinen eigenen Wünschen, irgendwann mal mit viel Zeit zu pilgern oder einen Fernradweg zu fahren, einfach immer weiter. Es berührt mich sehr, wie die beiden Protagonisten in dem Buch mit unglaublich wenig Geld auskommen müssen; mich würde so ein Abendteuer sicher teuer kommen, Ausrüstung, Übernachtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Essen und Trinken. Was ist eigentlich kostenlos zu haben, frage ich mich beim Weiterdenken, und komme auf wenig. Ein sicherer Ort, Wärme, Wasser, Nahrung, Kleidung… für alles zahlen wir Geld. Man müsste dieser Durchkommerzialisierung des Lebens etwas entgegensetzen; die Städte so gestalten, dass sie über großen öffentlichen Reichtum verfügen, Plätze, an denen man sich gern aufhält, Turnhallen und Schwimmhallen für Vereine und Öffentlichkeit, Räume für gesellschaftliches Engagement, zu nutzen für kleines Entgelt. Da ist wieder diese vorsichtige Lust darauf, mich für solche lebenswerte Kieze einzusetzen.

Erstmal gehen wir aber zur großen Kundgebung, der Neunzehnjähige und ich; es sind zwischen 150.000 und 300.000 Menschen da, es tut gut, dass so viele gekommen sind. Von der Ansprache der Omas-gegen-rechts fühle ich mich sehr vertreten, da sieht mans mal wieder, das Alter. Auch dieser Nachmittag vor dem Berliner Reichstag sagt: „Von nun an immer wieder“. Es sind keine Zeiten, in denen es ausreicht, den eigenen Seelenfrieden zu suchen. Schade.

Murmeltierstreik, Wimmelbild, kritische Fragen

Der nächste Bahnstreik, ein bisschen wie Murmeltiertag ist das – wir haben inzwischen Routine. Der Vierzehnjährige geht zu seinem Vater, von wo aus die U-Bahn zur Schule fährt; ich gehe ins Homeoffice, der Achtzehnjährige hat noch immer sein Fahrrad nicht repariert und muss den Bus nehmen. Ärgerlich, dass es dieses Mal das Geburtstagswochenende des Vierzehnjährigen trifft. Erstaunlicherweise trauen sich alle seine Schulfreunde zu, trotz Streik zur Party zu kommen. Das ist schön.

Am Tag vor dem Streik genieße ich die morgendliche Fahrt mit der S-Bahn. Alle Menschen sehen heute freundlich und interessant aus, wie Figuren aus einem Wimmelbilderbuch, zu denen man Geschichten erfinden möchte. Meinen Morgenspaziergang vor der Büroarbeit möchte ich nicht mehr missen, auch da lauter interessante Wimmelbildfiguren, Eltern mit ihren Kindern auf dem Weg zur Arbeit, Bauarbeiter rund um einen Dreifuß, der über einem offenen Gullydeckel aufgestellt ist, ein älterer Herr mit einem Einkaufstrolley, hinter einem Erdgeschossfenster ein Mädchen mit Kopfhörern an einem Küchentisch.

Nach dem ersten Homeofficestreiktag putze ich die Wohnung – das ist nötig – und höre dabei Podcastfolgen. In den „Sternstunden Religion“ wird Bertrand Piccard interviewt und betont, wie nur ein Leben für das Abenteuer ein erfülltes Leben sein kann. Nicht nur bei ihm geht es mir so, wann immer ich in letzter Zeit von Menschen höre oder über Menschen nachdenke, die Großes geleistet haben, stelle ich mir insgeheim kritische Fragen: Wer hat seine – es ist meistens „seine“ – Wäsche gewaschen? Seine Mahlzeiten zubereitet? Seine Wohnung saubergehalten? Die Elternabende seiner Kinder besucht? Wie viele große Leistungen sind nur möglich gewesen, weil da unsichtbar im Hintergrund Menschen waren, die sich gekümmert haben, und deren eventuelles Talent für das Großartige nicht zur Entfaltung gekommen ist, weil sie mit häuslichen Pflichten beschäftigt waren?

Generelles Gefühl der Unzufriedenheit mit diesen Januartagen und allen streikenden Lokführern. Morgen Kuchenbacken. Eine meiner drei Amarylliszwiebeln bekommt nun doch noch eine Knospe, endlich.

Wintering

Arbeiten – Schnee – dunkel – schlafen – Arbeiten – Schnee – dunkel – schlafen, usw. –
Die Tage derzeit haben eine etwas unwirkliche Anmutung, die Erschöpfung nach zwei Überstundenwochen ist groß, and there is more to come.

Jeden Tag, sagt der Hannoverliebste, wird es eine Minute eher hell; und weil es dann auch eine Minute später dunkel wird, überlege ich mir, gewinnen wir jeden Tag zwei Minuten, das ist schon eine Viertelstunde pro Woche. Der Schnee hellt die Tage zusätzlich auf, das tut gut. Nur den Weihnachtsbaum, von dem ich mich in diesem Jahr am liebsten noch garnicht getrennt hätte, müssen wir im dunklen an die Straßenecke stellen, denn der Abholtermin durch die bsr ist schon vorbei und es muss ja nicht die ganze Straße sehen, dass wir es sind, die ihn verpasst haben.

Beim Sonntagsfrühstück liest der Hannoverliebste mir und dem Vierzehnjährigen die 33 Fragen des Einbürgerungsquiz vor, die der Spiegel veröffentlicht hat. Wir können fast alle Fragen beantworten, obwohl wir nicht jede sinnvoll und nützlich oder gut gestellt finden.
Ansonsten lese ich Olga Tokarczuk, verstricke Wollreste, verräume Weihnachtssterne, verpacke Geschenke für anstehende Geburtstage, halte den Haushalt am Laufen, überlege, wie ich möglichst viele Erwerbsarbeitsstunden (und noch ein paar mehr) in die nächste Woche gestopft bekomme, denke als Übersprungshandlung darüber nach, was ich in meiner Wohnung ausmisten könnte.

Winterverkriechzeit.

Verlust, Verschleiß, Verzagen, Vorfreude

Das Land steht still – Bahnstreik, Bauernproteste – und so arbeite ich ein paar Tage im Homeoffice und finde dabei einen Rhythmus, der mir gut tut – morgens noch ein paar Minuten zurück ins Bett, wenn die Söhne aus dem Haus sind; trotzdem Morgensport für die knirschenden Gelenke und nachmittags eine Stunde raus, so lange es hell ist. Nur die soziale Seite kommt zu kurz, die Freundinnen in Laufweite haben Rückzugsbedürfnisse oder schon was vor.

Dass es legitim ist, für Arbeitszeitverkürzungen oder die Rücknahme von Sanktionskürzungen das Land lahmzulegen, nicht aber, um auf die dringende Notwendigkeit des Handelns gegen den Klimawandel hinzuweisen, immer mal wieder eine einzige Autobahn oder Straße, stimmt mich traurig. Irgendwo lese ich, dass den Anliegen der Bauern und Lokführer mehr Sympathie entgegengebracht wird, weil beide Gruppen hart arbeiten, aber kann ein Anliegen nicht auch aus sich heraus unterstützenswert sein, unabhängig davon, wer es äußert?

Überhaupt großes Verzagen angesichts der Politik und Weltlage. Ich möchte nicht in den Chor der Empörung eintreten, deren Kakophonie unsere Gesellschaft vergiftet. Ich wünsche mir so sehr eine Politik, die das Wohl und die Zukunft der Gesellschaft als ganzer im Sinn hat; der es gelingt, die Bereitschaft der Menschen zu wecken, an einem höchst notwendigen Wandel mitzuwirken, der uns alle viel kosten wird (kann irgendwer ernstlich daran zweifeln?), der aber so gestaltet werden muss, dass er nicht die Schwächsten am meisten belastet. Aber welche Schritte kann ich selbst dafür tun? Ich fühle mich für das Geschäft der Politik (ständig tiefgreifend über Dinge informieren, die mich nicht von selbst interessieren, Netzwerken, das Aushandeln von Interessen und Macht und Kompromissen mit möglicherweise nicht sympathischen oder komplett andersdenkenden Menschen) vollkommen ungeeignet. Große Ratlosigkeit.

Währenddessen verschwindet meine warme Fleecejacke spurlos; die Wanderschuhe, die einzigen, die den Hallux und die Einlagen bequem fassen, gehen nach weniger als einem Jahr irreparabel kaputt, beides ausgerechnet jetzt, wo es friert.

Am Wochenende nehmen die große Schwester und ich das Aussortieren der Sachen meines Vaters wieder auf, dafür reise ich am Morgen nach dem Bahnstreik mit einem fast leeren Koffer nach Thüringen und am nächsten Tag mit einem schweren Koffer voller Bücher und Kram wieder nach Berlin.

Vor mir liegen die intensivsten Arbeitswochen des Jahres und die Geburtstage der Söhne, ich organisiere ein bisschen, damit beide einen schönen Tag haben.

Mir selbst kaufe ich ein Sprachlernpaket: Estnisch – um die Vorfreude auf den Roadmovieurlaub noch mehr zu fühlen; und weil ich mich beim Planen rettungslos in die estnischen Ortsnamen verliebt habe: Haapsalu, Virtsu, Tartu, wie zauberschön das klingt! Weit werde ich bei einer so fremdartigen Sprache nicht kommen, nicht mit einer Selbstlernapp, aber das macht nichts.

Ein wenig Licht kommt zurück in diesen Januartagen, und es ist da doch immer beides: das Schwere, das Schöne.

WmdedgT – 5.1.2024

Neues Jahr, gute Vorsätze – ich habe mir das monatliche Tagebuchbloggen auf Anregen von Frau Brüllen inzwischen sogar als Termin im Handykalender eingetragen und jetzt schon gelernt, dass ich noch eine abendliche Erinnerung brauche, um es dann nicht doch noch zu vergessen. Was es mit dem Tagebuchbloggen auf sich hat und alle anderen Beiträge für den Januar finden Sie hier.

Der 5.1. war sehr, sehr unspektakulär.

Abgesehen natürlich von dem Wadenkrampf, der mich gegen drei im Schlaf überfiel.

Aufgestanden um sechs Uhr, weil der Vierzehnjährige zum Schachturnier musste. Frühstück war schon vorbereitet, also nur noch Kessel an, Milch aus dem Kühlschrank, Obst schneiden, Tagesproviant für den Vierzehnjährigen vorbereiten. Hinterher zurück ins Bett, während erst der Vierzehnjährige zum Schach und kurz danach der Achtzehnjährige zur Arbeit aufbrach.

Nochmal aufgestanden kurz vor halb neun, Arbeitsbeginn, heute – wie meistens freitags – im Homeoffice. Neben dem Schreibtisch steht noch der Weihnachtsbaum, das ist sehr gemütlich, und der Arbeitstag war auch noch einigermaßen gemütlich, weil viele Kollegen erst am Montag aus der year end break zurückkommen. Die Chefin allerdings war wieder aktiv und arbeitete sich durch ihren Posteingang, was das Mailaufkommen auch in meiner Inbox schon mal erhöhte. Einigermaßen konzentriert diverse Themen bearbeitet, ein wichtiges ungeplant schon einmal angefangen und dann etwas länger gebraucht als bis zum geplanten Feierabend, aber eben wichtig. Zwischendurch Mittagspause, zwei Returen zur Post (die Quarks Science Cops haben mich darin bestärkt, dass mein spontaner Kauf von Faszienrollen von L&B keine gute Idee war), Brot gekauft, schnell ein paar Brote gegessen.

Feierabend gegen halb vier. Ich raffe mich auf, wenigstens noch eine kleine Runde rauszugehen. Es ist unangenehm nasskalt, also bin ich froh, schnell wieder drin zu sein. Auf dem Wohnzimmertisch liegt das große Puzzle, das der Achtzehnjährige mir zu Weihnachten geschenkt hat, und wer ein wenig Entspannung braucht, kommt vorbei und puzzelt ein bisschen. Das mache ich jetzt, aber dann verbringe ich den Rest des Nachmittags auf dem Sofa mit dem Krimi, den mir der Hannoverliebste zu Weihnachten geschenkt hat, „Was im Verborgenen ruht“ von Elizabeth George. Gegen halb sieben koche ich, ein improvisiertes Essen, weil der Achtzehnjährige den Einkauf lieber erst am Samstag machen möchte, es gibt also Reis mit Linsen-Grünkohl-Curry, gewürzt – wie sollte es anders sein, nachdem ich reichlich davon zu Weihnachten bekommen habe – mit Raz-el-Hanout. Ich esse schon mal mit dem Achtzehnjährigen. Kurz vor acht kommt der Vierzehnjährige vom Schach, deutlich angeschlagen, er ist ganz blass. Er bekommt zum restlichen Reis noch Erbsen.

Viel passiert hinterher nicht mehr – der Vierzehnjährige geht früh ins Bett und ich lese ihm noch etwas aus „Die Farben der Magie“ vor; gegen zehn ziehe ich mich auch zurück, der Krimi hat noch viele Seiten. Kurzes Telefonat mit dem Hannoverliebsten, längerer Lesegenuss, dann Licht aus.