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Gesehen, gelesen, gehört… im Februar und im März und im April und bis in den Mai…

Eigentlich ein Nachtrag zum Februar: Der Film „Wild Tales“. Sechs Episoden, in denen Menschen total ausrasten, Rache nehmen, sich von ihrem Zorn davonreißen lassen. Warum haben alle, die diesen einen Flug geschenkt bekommen haben, einen gemeinsamen Bekannten? Warum ist eine Reifenpanne im Nirgendwo schrecklich, wenn man vorher beim Überholen den Fahrer des langsamen Autos beleidigt hat? Warum sollte man einem Sprengstoffexperten besser nicht unrechtmäßig das Auto abschleppen? Und warum, warum nur hat der Bräutigam seine Kollegin – die, mit der er mal eine Affaire hatte – zu seiner Hochzeit eingeladen? Spannende Fragen. Beantwortet in ziemlich wilden, spannenden Geschichten.

Madelaine Bourdouxhes Roman „Auf der Suche nach Marie“ wurde 1943 zum ersten Mal veröffentlicht. Wie ungewöhnlich ihre Figur der Marie – einer Frau voller Lebendigkeit und Sehnsucht, die, auf der Suche nach sich selbst, neben ihrer Ehe eine Affaire beginnt und daran wächst, stärker und lebendiger wird – damals war, kann ich nur schwer beurteilen. Zwischen den Frauensfiguren, die die Buchläden heute bevölkern, fällt sie jedenfalls angenehm auf. Schön, dass das kleine Büchlein vor etlichen Jahren wieder aufgelegt wurde.

Was wäre ein Haushalt, in dem kleine Jungs leben, ohne Wissensbücher und Wissensfilme? „Wissen vor acht“ ist eigentlich gar keine Sendung speziell für Kinder – und an mir bisher völlig vorbeigegangen. Bis die DVDs zur Sendung auf den Geburtstagstischen meiner Söhne aufschlugen. Im Drei-Minuten-Takt werden auf der DVD kleine Fragen beantwortet, zum Beispiel die, warum in aller Welt schlafende Vögel nicht vom Ast fallen. Nein, das wussten wir alle noch nicht. Und es sind sogar noch mehr Fragen dabei, die die Sendung mit der Maus noch nicht beantwortet hatte.

Für die Seele lesen wir Ottfried Preusslers „Das kleine Gepenst“ vor, beim Inhalieren mit Mucosolvan und Adrenalin. Das nette kleine Spukwesen mögen wir alle drei lieber als die kleine Hexe und den kleinen Wassermann. Und den Uhu Schuhu so gerne, dass wir auf dem Schulweg einen ganzen langen U-Satz für ihn basteln: „Du, Uhu Schuhu, flugst Du rund um den Ulmenturm und ruhst Du nun Stunde um Stunde unter der lustigen Turmuhr?“

Dass Peter Bieri der wirkliche Name des Romanautors Pascal Mercier ist, habe ich erst herausgefunden, als ich mehr über den Autor des Buches „Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde“ erfahren wollte. Lange – und mit Unterbrechungen – habe ich immer wieder an der klugen, anspruchsvollen, aber gut verständlichen Abhandlung weitergelesen, in der der Autor das Phänomen der „Würde“ von möglichst vielen Seiten betrachtet und als Möglichkeit beschreibt, „unser stets gefährdetes Leben selbstbewusst zu bestehen“. Auch wenn ich glaube, dass eine Frau die eine oder andere Erfahrung von Würde – oder Würdeverlust – anders gewichtet oder zusätzlich berücksichtigt hätte (ja, doch), ist das Buch eine bereichernde und sehr anregende Lektüre.

Kreuz und quer durcheinander, was es in den letzten Monaten noch so gab:

Filme. „Still Alice“, ganz beeindruckend und an die eigenen Ängste rührend. Und „Hedi Schneider steckt fest“ – sehenswert schon allein wegen der Szene, in der die angsterkrankte Frau ihrem Mann vorschlägt, sie könnten doch einen Tag glücklich sein. Und dann sofort wieder unglücklich. Dann, sagt sie, nehmen wir uns nicht so viel vor.

Und Bücher: Marina Keegans „Das Gegenteil von Einsamkeit“ (ja, lesenswert!). Noëlle Châtelets „Die Klatschmohnfrau“ (schöne kleine Lektüre über einen Neuanfang im Alter). „Geht alles garnicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing (Stimmt, geht alles garnicht. Arbeit und Kinder und dann noch etwa ein Hobby wie Schreiben haben zu wollen und dann noch Freunde haben zu wollen. Oder davon zu träumen, sich dann doch noch mal irgendwo zu engagieren oder neue Freunde im Kiez zu finden, weil die alten alle verzogen sind. Geht alles garnicht. – Deshalb hänge ich ja gerade so durch. Drüber lesen macht aber auch nicht froher.). Judith Schalansky: „Blau steht dir nicht“ (Kleines, anspruchsvolles Büchlein. Spannend. Wiedererkennungseffekte bei den DDR-Kindheitserinnerungen.) Und Damon Galguts „In a Strange Room“ (Reisegeschichten, von ganz weit her, ganz anders).

Gesehen, gelesen, gehört… im Februar

Der Februar beginnt mit Kunst: Ich mag das, wenn Cafés ihre Wände Künstlern zur Verfügung stellen und wechselnde kleine Ausstellungen veranstalten. Zum Beispiel Café Behring in Treptow, in dem gerade Acrylbilder von Martin Künkler zu sehen sind. Leuchtende Bilder, mal ganz abstrakt, mal gegenständlich, die weder sich selbst noch den Betrachter auf eine Deutung festlegen, sondern die Gedanken – über Kaffee und Frühstücksbrötchen – zum Fliegen einladen.

Nochmal Kino: „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“. Mit schrägen, sonderbaren Filmen habe ich viele Erfahrungen. Ein ganzes halbes Jahr lang saß ich vor langer Zeit mit der Patentante des Neun- äh… Zehnjährigen wöchentlich in der Spätvorstellung, die in der kleinen Stadt die einzige Möglichkeit war, kleine, sonderbare europäische Filme anzusehen. Dieser hier ist aber nur am Anfang spannend. Die blassen Bilder, vor denen die Kamera jeweils für eine ganze Szene still verharrt. Die Hintergründe, die zu betrachten sich immer lohnt, weil dort noch eine weitere, eine Hintergrundgeschichte, spielt. Dieser Satz, den immer wieder Leute am Telefon sagen: „Ich freue mich, zu hören, dass es Euch gutgeht“. Aber dann fährt der Film sich fest, da kommt nichts mehr, nur immer beklemmendere und verstörende Bilder, Krieg, Kolonialismus, Tierversuche, Tod – und jede Menge einsame Männer. Das alles mag „wahr“ sein, und wäre es die ganze Wahrheit über das Leben und die Menschen – wie der Film behauptet – bliebe einem nur noch, sich umzubringen. Aber so ist es nicht, ich weiß es.

Aus dem Bücherstapel, den ich beim Bücherkistenpacken für den Umzug meiner Besuchsfreundin beiseitegeschafft habe, ziehe ich Banana Yoshimotos „Amrita“.Wie schon vor vielen Jahren, als ich „Kitchen“ gelesen habe (das Buch steht seitdem in dem besonderen Regalfach bei den Büchern, die mich schwer beeindruckt haben), fasziniert mich wieder, wie die Autorin ihre Geschichte von den Gefühlen ihrer Hauptperson aus erzählt – das, was geschieht und diese Gefühle auslöst, wird eher nebenbei erwähnt oder ist zum Erzählzeitpunkt sowieso schon passiert – und mich damit ganz nah an ihre Geschichte heranholt. Ich mag die Frauen in Banana Yoshimotos Büchern, junge Großstädterinnen, die die großen Lebensfragen immer mit sich herumtragen. Und manchmal hätte ich beim Lesen gern eine Übersetzerin an der Seite, die mir ihre Emotionen deutet, wo ich sie ungewöhnlich oder widersprüchlich finde, wo sich die „Gefühlskonventionen“ in der japanischen Kultur vielleicht von unseren westlichen unterscheiden.

Ein schöner Kontrast dazu ist „Wenn ich eine Frau wäre“ von Sarah Bosetti. Viele kleine Geschichten – von denen etliche auch einzeln funktionieren und von ihr auf der einen oder anderen Lesebühne gelesen werden – reihen sich zu einer unglaublich komischen, klugen, traurigen, bösen Geschichte über ein Großstadtpaar mit chronischem Geldmangel aneinander. Das einzige, was noch schöner ist, als dieses Buch zu lesen, ist, Sarah Bosetti selbst lesen zu hören. Noch so ein Buch! Bitte!

Und meine neueste nette Musikentdeckung stammt (um den Kreis zu schließen) von dem von Sarah Bosetti moderierten „Peace, Love & Poetry“-Slam. Byebye ist ein Duo mit einem mir sehr sympathischen restsächsischen Akzent, schönen Texten und angenehmem Gitarrengeschrabbel. Schön!

Ich fülle literarische Wissenslücken, lese Wilhelm Genazinos „Die Kassiererinnen“ (auf der Innenklappe als „Genazinos beschwingtestes, heiterstes, humorvollstes Buch“ bezeichnet, was mich davor zurückschrecken lässt, gleich mehr von ihm lesen zu wollen) und Jakob Arjounis „Idioten. Fünf Märchen.“ An dem gefällt mir das Setting – dass zu den fünf Personen in seinen Geschichten jeweils eine gute Fee kommt, die dem- oder derjenigen einen Wunsch erfüllt (Geld im Wert von mehr als einer Spülmaschine, Liebe, Gesundheit und Unsterblichkeit ausgeschlossen). Wie zu erwarten, geht das mit dem Wünschen in den meisten Geschichten schief. Davon könnte wohl jeder seine eigenen Märchen dazuspinnen.

Gesehen, gelesen, gehört… im Januar

Zum Einstimmen ins neue Jahr eine Postkarte aus Amsterdam, mit der eine Coaching-Praxis ihre Dienste anpreist: „Lets make better mistakes tomorrow“. Na dann mal los.

Aus dem Jahreswechselurlaub bringe ich fröhliche Postkartengrüße für den Fall mit, dass die Waage nach den Feiertagen ungewöhnliche Ausschläge nach oben zeigt oder die guten Vorsätze (eigene oder fremde) nerven: „Waschbrettbauch? Hatte ich schon. Steht mir nicht.“ Und: „Ich habe meine Ernährung umgestellt! Der Keksteller steht jetzt links vom Computer.“

Von meiner musikalischen Wechselmodellfreundin kommt die erste neue Musik im neuen Jahr: Sarah Blasko läuft im Hintergrund, während ich Mails beantworte und meine Wochenlaufliste schreibe. „We Won’t Run“ und „All I Want“ und andere… schön und „entschleunigt“.

Ein Kinoabend: „Honig im Kopf“. Ich finde es spannend, dass der Film sich mit Alzheimer und Demenz auseinandersetzt und erwarte einen nahegehenden, tränenreichen Kinoabend. Aber meine Taschentücher bleiben trocken, ich verlasse das Kino mit äußerst gemischten Gefühlen. Ja, Dieter Hallervorden spielt den demenzkranken Großvater gut und überzeugend. Und der Film wirbt absolut berechtigt dafür, Menschen mit einer Alzheimer- oder Demenzerkrankung mit Respekt, Liebe und Geduld zu begegenen. Aber! Aber… Ich mag Filme nicht, in denen Kinder Erwachsenenverantwortung übernehmen, alles richtig machen, nebenher noch die Ehe ihrer uneinsichtigen Eltern retten – diese seltsame Mischung aus naiv und oberschlau. Ich mag Filme nicht, in denen die Ehefrau/Mutter am Ende ihren Beruf aufgibt und damit alle Probleme der Familie löst (dass so eine Entscheidung im Film nie zu finanziellen Schwierigkeiten führt, ärgert mich noch dazu schrecklich). Und ich mag Filme nicht, die den Umgang von Männern und Frauen mit ihrer Sexualiät mit zweierlei moralischem Maß messen. Warum wird die Affaire des Mannes nur einmal beiläufig erwähnt, der Racheakt der Frau aber den ganzen Film hindurch immer wieder problematisiert? Und dann kriegt die Frau auch noch die undankbare Rolle, als einzige ein Problem damit zu haben, dass der kranke ater ihres Mannes von einem Tag auf den anderen in den Familienalltag integriert werden muss. Aus Frauenperspektive fällt der Film komplett durch. Schade.

Auf der Suche nach Lektüre fällt mir Michael Holzachs Erfahrungsbericht „Deutschland umsonst“ in die Hand. Das Buch ist schon älter, aber wie der Autor von den Erfahrungen berichtet, die er auf seiner Wanderung von Hamburg nach München – ohne Geld, aber mit Hund – macht, geht mir nahe.

Guillaume Musso: „Vielleicht morgen“ lege ich unzufrieden aus der Hand. Wieso wird nicht erklärt, warum ein Mann und eine Frau mit Hilfe eines Laptops von einem Jahr ins andere kommunizieren können? Stattdessen wird die geheimnisvolle Schreiberei der beiden benutzt, um die Frage zu stellen, was passieren würde, wenn wir die Vergangenheit ändern könnten. Wären wir besser dran? Der Protagonist von „Vielleicht morgen“, der seine plötzlich die Möglichkeit hat, seine vor einem Jahr verstorbene Frau zu retten, mit der er eine seiner Meinung nach perfekte Ehe geführt hat, wäre das jedenfalls nicht. Wäre seine Frau nicht verunglückt, hätte sie ihn an genau demselben Tag ermorden lassen. Ziemlich hanebüchen, das Ganze.

Wie „Ein ganzes halbes Jahr“ von Jojo Moyes beschäftigt sich auch „Das unerhörte Leben des Alex Woods“ von Gavin Extence mit der Frage nach dem selbstbestimmten Sterben. In beiden Büchern geht es um Menschen, denen man ihre Entscheidung, nicht weiterleben zu wollen,  glaubhaft abnimmt und nicht verweigern möchte. Und „Das unerhörte Leben des Alex Woods“ ist ein gutes und spannendes Buch. Trotzdem habe ich inzwischen ein unangenehmes Gefühl bei der Art uns Weise, wie diese Debatte literarisch und medial geführt. wird. Ja: Einzelschicksale. Das scheint einfach. Aber was würde es mit uns machen, in einer Welt zu leben, in der aktive Sterbehilfe legal und ganz normal wäre? Würde zu dem Verlust an Selbständigkeit und Würde, den Altern mit sich bringen kann, nicht noch die Demütigung hinzukommen, anderen zur Last zu fallen, die ganz genau wissen – so genau wie man selbst – wie einfach das wäre, ein Anruf bei Dignitas und Co.? Welche Pflegekosten, welche Karriereknicks man seinen Angehörigen ersparen würde? Damit beschäftigen die Bücher sich nicht.

Außerdem lese ich im Netz. Mit viel Interesse bei umstandslos, dem Online-Magazin für feministische Mutterschaft. Über neuartige Familienmodelle. Über Erfahrungen mit dem Versuch einer hälftigen Aufteilung von Elternarbeit. Davon, dass ich kein Einzelfall bin, dass sogar bei einer relativ fairen Aufteilung der Familienarbeit die Frauen diejenigen sind, die die Termine aller Kinder im Kopf haben; die wissen, dass die Socken zu klein sind, wann für die Klausur gelernt und was für den Kindergeburtstag eingekauft werden muss. Noch lieber als bei „Umstandslos“ aber lese ich die Artikel, die bluemilk regelmäßig verlinkt – die Breite und Vielfalt der englischsprachigen feministischen Debatte, gerade über Mutterschaft, finde ich sehr anregend.

Aber die schönste Entdeckung im Netz ist eine poetische. Bluemilk hat vor einigen Tagen eglantine’s cake verlinkt. Seitdem klicke ich am Abend Penni Russons  Seite an und verbringe ein paar Minuten mit ihren wunderschönen Texten. Absolute Leseempfehlung!

Gesehen, gelesen, gehört… im Dezember

Einmal am Postkartenständer vorbei: „Es muss nicht immer Sinn machen. Es reicht doch, wenn es Spaß macht.“ Und „Herzrasen“ – schön illustriert mit einem Herzen, in dem wunderbar grünes Gras wächst.

2014 erweist sich als das große Lesejahr der britischen Familiengeschichten. Hier ist noch eine: „The Knot“ von Mark Watson – über einen jüngsten, vom großen Bruder nie recht ernst genommenen Sohn – der sein Leben lang heimlich seine Schwester liebt. Ein heikles Thema. Die Gefühle der Hauptperson einfühlsam beschrieben, nachfühlbar, schwer und traurig – und eingebettet in eine große Lebens- und Familienerzählung, die ich gern gelesen habe.

Skandinavische Krimi-Autorinnen kannte ich keine, bevor ich Camilla Läckbergs „Die Eisprinzessin schläft“ im Umsonstregal entdeckte. Ich bin eine kritische Krimileserin, verwöhnt von Fred Vargas und Elizabeth George – aber dieses Buch hat mir gefallen. Ich mag den typischen schwedischen Krimiton darin (ja, ich finde, Bücher, die aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt wurden, haben einen speziellen, vielleicht ein ganz klein wenig umständlich wirkenden Sprachstil – so wie auch das Englische seine freundliche Sprachmelodie in vielen Übersetzungen hinterlässt und das Spanische seine düstere Weitschweifigkeit) und ich mag die Hauptpersonen dieses Krimis, einen Kriminalassistenten, eine Schriftstellerin. Und ihre sich anbahnende Liebesgeschichte mag ich auch. Angenehme Winterlektüre!

Literatur mal wieder anders: Beim Kreuzbergslam. Ja, ich höre mir ab und zu gern die Texte an, die mutige Menschen auf offenen Slam-Veranstaltungen vorlesen. Und bilde mir meine ganz personliche Theorie des Slams: A) Die Szene ist klein, wer häufiger liest, kennt sich B) Frauen wollen in ihren Texten oft tiefsinnige Dinge ausdrücken (sehr sympathisch!), können aber häufig schlecht vortragen C) Männer denken sich oft ziemlich inhaltsleeren Nonsense aus, lesen den aber in der Regel mit viel Selbstbewusstsein und Witz vor D) Dem Publikum gefallen – warum auch immer – oberflächlich-witzige Texte besser als tiefsinnige. Beim Kreuzbergslam im Dezember ist die Vielfalt an Texten und Themen groß. Es geht um die böse Leistungsgesellschaft, einen Oktoberfestbesuch mit Freunden, eine Zombie-Apokalypse, ein armes Huhn, dass es mit dem Tod bezahlt, seinen eigenen Kopf zu haben, einen Soldaten, der seine Kriegserlebnisse nicht verarbeiten kann, um Magersucht, um Erlebnisse in der Herrensauna und um Kaffee. Verdient gewinnt „der Schwabe“ Hanz mit einem Text über Paartheraphie, der im Gegensatz zu den anderen beiden Finaltexten sogar lustig ist. Und als zwischendrin andere Veranstaltungen angekündigt werden, fällt der Name der Slammerin, deren Art zu lesen sich auch für den Paddington Bären so gut eignet (und der ich wirklich, wirklich gerne zuhöre, weil sie einfach verflixt gut liest): Sarah Bosetti.

Weihnachtstage sind Filmtage:

„#Zeitgeist“ im Kino schaue ich mir an, weil ich die Frage spannend finde, was die Veränderung unserer Kommunikationsmöglichkeiten und – wege mit uns macht, all das Gesimse und Gewhatsappe und Geyoutube und dergleichen. Der Film versucht sich weniger als vermutet an einer umfassenden Antwort auf diese Frage. Aber ich sehe jede Minute der sensibel erzählten Geschichte über die alten Probleme des Erwachsenwerdens und die alten Probleme des Erwachsenseins – und die Versuche, sie eben auch mit Hilfe von Internet und Smartfon zu bewältigen – gern.

Und aus der Videothek: „Me too“ ist die Geschichte eines Mannes mit Down-Syndrom, der ein Studium abschließt, eine Arbeitsstelle antritt und sich in eine Kollegin – eine „normale“ – verliebt. Noch eine schön erzählte Geschichte, die nicht alle Fragen beantwortet, aber ein paar wichtige stellt.

Für die Kinder gibt es die Verfilmung von „Gregs Tagebuch 1“. Endlich kriege ich mal richtig mit, was der Neunjährige bändeweise verschlingt (irgendwie werden diese Bücher ja schneller geschrieben, als mein Sohn sie lesen kann, immer, wenn ich denke, er hat jetzt alle Folgen, sind schon wieder zwei neue erschienen). Ja, ich verstehe, dass mein Sohn Spaß an den Schulerlebnissen von Greg hat. Und dass er manches Detail des amerikanischen Middleschoolalltags besser versteht, weil ich beim Filmgucken erklären kann, schadet vielleicht auch nicht. Mehr weihnachtliches Kinderkino, erfreulich frei von Grusel und Action: Die guten alten „Kinder von Bullerbü“.

Ausgelesen: „The Philosophy of Punk“ von Craig O’Hara. Die eine oder andere Bildungslücke geschlossen.

Und ganz nebenher stimme ich mich auf den Jahreswechsel und das Fassen guter Vorsätze mit einer Postkarte von Beck ein, die mein Adventskalender mir beschert hat. Die Yogalehrerin zu ihrem mehr als kräftig gebauten Schüler, der mit hochrotem Kopf auf der Matte liegt: „O.k. Herr Günter, o.k. Wenn es keine Kerze wird, versuchen wir wenigstens ein Teelicht.“

Ein Bär wird verwurstet

Ich freue mich wirklich sehr auf die Zeit der Familienfilme – darauf, immer mehr und immer anspruchsvollere Geschichten mit meinen Jungs ansehen zu können. Shaun das Schaf – wild und phantasievoll und voller Humor – ist schon eine große Verbesserung gegenüber Bob dem Baumeister, bei dem immer alles nur ordentlich und sauber sein muss (der Kontrast wird beim Wiedergucken der alten Folgen so klar, dass er vielleicht sogar beim Fünfjährigen schon ankommt). Aber da gibt es ja auch noch die große, weite Welt der richtigen, langen Filme.

Am letzten Wochenende haben wir einen Ausflug ins Kino zum Paddington-Bären gemacht. Weil wir das Buch ja sowieso gerade lesen und weil eine Freundin den Film empfohlen hatte. Mit leuchtenden Augen hüpften meine Kinder vor Beginn des Filmes durch den Kinosaal, zählten die Sitze (der Neunjährige lief die Reihen ab, Sitz für Sitz, der Fünfjährige addierte die höchsten Sitznummern jeder Reihe) – und freuten sich auf das große Kinoerlebnis.

Aber auch wenn es im Nachhinein für beide ein schönes Erlebnis war (nachdem wir ungefähr zwei Stunden über alles geredet hatten, was den Kindern nach dem Film so im Kopf herumspukte) – ich jedenfalls bin immernoch enttäuscht und ärgerlich. Erstmal endlose Werbung – das zum Eisessen einladende Still so lange, dass wir schon vermuteten, der Film werde nicht eher gezeigt, als alle im Kino nochmal ebensoviel Geld für Eis ausgegeben hätten wie für ihre Kinokarte. Dasselbe nochmal für Kinogutscheine. Und dann endlose Filmwerbung – und zwar nicht ausschließlich für Filme, die ich meinen Kindern zu sehen erlauben würde.

Das alles muss man in einem großen Kettenkino wohl hinnehmen. Aber der eigentliche Film hat uns dann auch enttäuscht.

Aus einem eher bedaubigen Buch mit kleinen Geschichten, die den britischen Lebensalltag illustrieren und einen Protagonisten dafür benutzen, der qua seiner Bärennatur in soviele Missgeschicke geraten darf, wie dem Autor nur einfallen – Missgeschicke, die Kinder vielleicht auch erleben und für die sie ausgeschimpft werden, die für den Bären aber immer glänzend ausgehen – aus diesem Buch haben die Filmemacher eine glattgebürstete Familiengeschichte (Vater aus Liebe zu seinen Kindern langweilig geworden, große Tochter pubertär, kleiner Sohn darf nicht wild sein, alle zusammen in der Krise – die am Ende behoben ist) und gleichzeitig einen für Kinder – meine Kinder jedenfalls – zu actionreichen Film gemacht. Muss es unbedingt in einem Kinderfilm eine dazuerfundene böse Figur geben, die sich wie ein zum Bösen übergelaufener Spiderman durchs Dach abseilt? Explosionen und Feuer? Eine Verfolgungsjagd durch ein nächtliches Museum? Muss der Bär im Kinderfilm unbedingt schon betäubt neben dem Schlachtebeil auf dem Tisch liegen? Und muss er denn wirklich ausgerechnet durch einen Schornstein entkommen, während die Böse unten das Feuer anmacht, mit Hilfe von zwei Tischstaubsaugern, deren Batterien nacheinander versagen – um erst in allerletzter Sekunde – unterlegt von wirklich dramatischer Musik – von seinen Freunden gepackt und aus dem Schornstein gezogen zu werden? Warum?

Trauen wir es unseren Kindern nicht mehr zu, Spaß an einem Film zu haben, der langsam und ruhig erzählt wird? Halten wir sie für so abgestumpft, dass Situationskomik und Wortwitz ihnen nicht mehr reichen? Müssen wir unbedingt noch jeden Special Effect einbauen, den wir uns vorstellen können – und einige, die ich mir lieber nicht vorgestellt hätte – einfach, weil die Tricktechnik dazu in der Lage ist?

Zum Glück hatten wir alle drei Trailer vorher angeguckt und waren vorgewarnt. Zum Glück hatte ich meinen Kindern vorher erzählt, dass der Film nicht genau so wie das Buch sein würde, dass er übertreiben würde, dass alles ganz sehr spannend gemacht werden würde – und das es eine böse Frau geben würde, die den Bären ausstopfen wollen würde, hatten wir ja zum Glück auch schon gesehen. Trotzdem musste mein medial nicht überfütterter neunjähriger Sohn vor Angst weinen. Trotzdem musste sein tougherer kleiner Bruder manchmal die Augen zumachen. Trotzdem musste ich beiden immer wieder erklären, dass es gut ausgehen würde; trotzdem konnten beide nicht anders, als den Bären laut anzufeuern… – Insgesamt haben wir den anderen Besuchern des Films also ein ziemliches Spektakel geliefert.

Aber warum waren alle anderen Kinder in der Lage, die Geschichte gelassen – oder zumindest: ruhig – zu verfolgen?

Bei Filmen für Erwachsene kriege ich das gut hin, vorher auszuwählen, was mir gefallen wird und was nicht. Ich hoffe stark, dass ich dieses Gespür auch bei Kinderfilmen noch entwickle. Denn wenn ich mich entscheiden muss, meine Söhne – früher, als sie sie ohnehin ohne mich entdecken – an mediale Darstellungen zu gewöhnen, die vielleicht altersüblich sind, die die beiden aber verschrecken und ängstigen, oder aber Außenseiter großzuziehen… Dann werden sie wohl Außenseiter werden. Selbst wenn sie es mir irgendwann vorwerfen werden, dass sie ihre Kindheit in einer weltfremden Seifenblase vebracht haben.

Und trotzdem war der Film natürlich auch schön. Ich liebe ja Sally Hawkins, die auch in den Paddington-Film ein Stückchen von dem Glanz bringt, der sie in Happy-Go-Lucky umgibt. Und dass die Wachen vor dem Buckingham Palace Thermoskannen mit Kaffee und Tellerchen mit Pasteten unter ihren Hüten haben, ist so lustig und einleuchtend, dass es mich mit mindestens drei Szenen versöhnt, die ich nicht mag. Mehr von dieser Sorte Witz beim nächsten Film! Den verstehen auch Kinder schon. Meine jedenfalls. Und weniger Spannung, bitte. Dann gehen wir auch wieder ins Kino.

Gesehen, gelesen, gehört… im November

„Die wichtigste Technologie ist Zuhören“, steht auf einer meiner aktuellen Postkarten. „Die Zukunft hat es sich anders überlegt“ auf der anderen. Mal sehen, was ein Monat unter diesen beiden Überschriften so bringt. (Jetzt weiß ich es…)

November ist Kino-Monat: „Monsieur Claude und seine Töchter“ läuft auch noch, obwohl die DVD schon erhältlich ist. Verlässlich lustiges französisches Kino, die Geschichte ausreichend ausgesponnen, obwohl sie zu meiner Enttäuschung erst richtig einsetzt, als Monsieur Claude schon drei seiner vier interkulturellen Schwiegersöhne bekommen hat; der Humor gerade noch auf der richtigen Seite der Grenze zum Klamauk und das Ende zwar vorhersehbar, aber dann doch schön in seiner Versöhnlichkeit. Und wenn sie nicht gestorben sind…

Und gleich nochmal ins Kino: „Pride“, noch ein Märchen, aber eins, das wohl einen wahren Hintergrund hat. Wir haben die 80er Jahre, in den walisischen Bergwerken wird gestreikt, Maggie Thatcher lässt die Polizeit hart gegen die streikenden Bergarbeiter vorgehen – und in London gründet sich eine lesbisch-schwule Gruppe, die die Streikenden unterstützen will. Feines britisches Kino, das über das Aufeinandertreffen zweier recht – äh – verschiedenartiger Lebens- und Denkweisen eine großartige lustige traurige Geschichte erzählt. Sehr schön.

Im Briefkasten der neue Remember-Katalog. Der mit den vielen bunten Farben und den vielen geometrischen Formen… Aber da ich inzwischen schon alle wirklich gut passenden Frühstücksbrettchen verschenkt habe und der Katalog sich eh mit immer teureren Produkten füllt, wird dieses Jahr nichts gekauft. Aber eine Freude fürs Auge bleiben sie doch, die vielen bunten Sachen.

Mit der S-Bahn fahre ich ein paar Tage lang nach „Small-Town-America“. Der Journalist Bill Geist erzählt in „Aberwitziges Amerika“ Geschichten aus amerikanischen Kleinstädten, irgendwo in der Provinz, im Niemandsland. Und zum Teil sind diese Geschichten wunderbar und skurril: Von dem Mann, der Präriehunde mit einem Kanalsauger einfängt; von dem Ort, der so klein ist, dass er eine Stehparade abhält, um die die Zuschauer herumlaufen müssen; oder von der „Hauptstadt der Wassermelonen“ und dem jährlichen Melonenfest, bei dem die schwerste Frucht prämiert, die neue Melonenkönigin gekürt und ein Melonenkernweitspucken zum großen Ereignis wird. Schön, lesenderweise diese Orte zu besuchen. Und dann doch mit dem zugeklappten Buch in der Hand in Berlin aus der Bahn zu steigen.

Märchenfilme

In der ARD-Mediathek entdecken wir zum Ferienende jede Menge Märchenfilme – eine schöne Auswahl, überwiegend Grimmsche, neuverfilmt in den letzten Jahren.

Also schnell Brote geschmiert und aufs Sofa gekuschelt: an den zwei letzten Ferienwochenenden schauen wir uns jeden Tag ein Märchen an.

Wir freuen uns, wie die kluge Bauerntochter das Rätsel löst, wie sie sich vom Esel zum Schloss ziehen lässt, ins Fischernetz gewickelt, in der Morgendämmerung: nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht nackend und nicht bekleidet, nicht gefahren und nicht gegangen. Und wie es nur gerecht ist, wenn einer der beiden Bösewichte, die die Bauerntochter umbringen wollen, das zermahlene Glas aus Versehen über sein eigenes Müsli streut und isst! – Und wie mein erwachsenes Herz lacht, dass der König, dem es so unendlich schwer fällt, anzuerkennen, dass seine Frau klüger ist als er, dann doch noch dazulernt!

Wir gruseln uns mit dem tapferen Schneiderlein vor den Riesen; bang wünschen wir dem netten, aber so leichtsinnigen Betrüger, der dem Kaiser die neuen Kleider näht und den die Hofschneiderin schon längst durchschaut hat, dass sein Plan aufgehen soll. Wir sind erschüttert über die Bosheit von Aschenputtels Stiefmutter (ob ich auch so böse aussehe, wenn ich so richtig schimpfe?) Der Neunjährige lacht von Herzen, als Aschenputtel gemeinsam mit dem Prinzen, beide von oben bis unten mit Schlamm verschmiert, die entlaufenen Ferkel einfängt.

Die Bremer Stadtmusikanten sind für meinen Geschmack mit zu vielen leicht faden Untertönen für Erwachsene verfilmt worden (alle Nase lang redet der alte Gockel davon, seine Hennen glücklich machen zu wollen) – die anderen Filme sind gut und kindgerecht gemacht.

Zauberisch und sehnsüchtig kommt am Ende noch das Märchen von den zertanzten Schuhen daher, schön wird erzählt, wie der König ganz langsam seine lebensfeindliche Trauer leid wird, die seine Töchter in die Arme der Zauberprinzen getrieben hat; und anrührend, wie nicht nur seine Töchter, sondern auch ihre Prinzen am Ende erlöst werden.

Meine Jungs, die sich jederzeit lieber ein Sachbuch über Autos oder wilde Tiere vorlesen lassen als aus dem dicken, alten Märchenbuch, bekommen endlich ein bisschen Märchenroutine.

Wird es gut ausgehen? fragt der Fünfjährige am Anfang jedesmal ängstlich – und der Neunjährige versichert es ihm: alle Märchen gehen gut aus! (Nur schade, dass wir ausgerechnet das Making-Off der kleinen Meerjungfrau als Quengelzugabe sehen, da entsteht Erklärungsbedarf) – aber bei den Märchen, die wir uns ganz ansehen, stellen wir gleich in den ersten Minuten fest, wer die Guten und wer die Bösen sind, wen die Prinzessin am Ende heiraten wird und dass es ganz, ganz sicher gut ausgehen wird – wie beruhigend, dass zu wissen! – und können uns entspannt auf das „Wie“ konzentrieren. Und beobachten, wann sich das zukünftige glückliche Paar zum ersten Mal gaaaanz tief in die Augen schaut. Jetzt verlieben sie sich gleich!

Und weil es auch von Aschenputtel ein Making-Off gibt, ein sehr gutes sogar, lernen meine Söhne auch ein bisschen was über das Filmemachen: dass die Schauspieler mit den guten und den bösen Rollen in der Mittagspause fröhlich zusammen lachen, dass in Wirklichkeit die finstere Aschenputtelküche voller Kameras und Kabel war – und dass die Schauspieler verkleidet und geschminkt werden.

Wie schade, dass ein Teil der Filme schon wieder aus der Mediathek verschwunden ist, kaum das wir die Filmliste entdeckt haben! Die kluge Bauerntochter hätte der Neunjährige so gern noch einmal gesehen. Und ich wollte Dornröschen gucken… wenn ich schon nicht selber hundert Jahre schlafen kann!

Aber auch so wirken die Märchen mit den vielen glücklichen Königspaaren offenbar nach, vor allem beim Fünfjährigen. Mama, erzählt er mir am Abend, ich habe mich in L. aus meiner Kita-Gruppe verliebt! Und sie sich auch in mich! Und ich bin kurz davor, mich auch noch in C. zu verlieben! Ach was, gleich in zwei Mädchen? Na das ist ja fein, sage ich. Spielt ihr schön zusammen?

Gesehen, gelesen, gehört… im Januar

Brandneue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Jahresbeginn! – und gleich mehrere Frauen im Kopf, denen ich mit dieser Postkarte eine kleine Freude machen könnte: „Männer schnarchen, um Frauen nachts vor wilden Tieren zu beschützen.“

Ein selbstausgesuchtes Weihnachtsgeschenk: Mario Giordanos „1000 Gefühle, für die es keinen Namen gibt“. Höchstes Lesevergnügen: Weil in dieser wild zusammengestellten Gefühlsliste nicht nur ganz viele Wiedererkennungseffekte (von „Die Scham über das eigene Desinteresse an Politik“ bis zu „Entzückung über einen vollkommenen Pilz“) stecken, sondern auch allerlei Lacher („Die Sorge, an Anatidaephobie (der ständigen Angst, von Enten beobachtet zu werden) zu leiden“). Man kann garnicht anders: Ich habe sofort angefangen, selber eine kleine Liste zu führen. Erster Punkt auf dieser Liste, noch vor meinem Lieblingsgefühl „Übermut beim Verfassen von sehr, sehr langen eMail-Betreffzeilen“, ist „die Traurigkeit, dass niemand da ist, dem ich jeden Abend im Bett aus diesem Buch vorlesen kann.“

Noch mehr Gefühle, auch hier mindestens 1000: Alice Munroe beschwört sie mit Leichtigkeit herauf, genauso, wie sie mit Leichtigkeit Bilder entstehen lässt: Von den heißen, staubigen Orten, an denen ihre Geschichten spielen, und von den Menschen, die da leben, von denen sie erzählt. Ich habe mit „Tanz der seligen Geister“ angefangen – und finde, dass sie den Nobelpreis sehr, sehr verdient erhalten hat.

Endlich wieder ein Buch, bei dem wir uns jeden Abend aufs Vorlesen freuen – vielleicht auch deshalb, weil ich es so liebe: „Mein Urgroßvater und ich“. James Krüss veraltet irgendwie nicht, die vielen Geschichten und Gedichte rund um das Thema „Sprache“ machen einfach Spaß.

An „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini habe ich mich lange nicht rangetraut. Afghanistan ist so weit weg, und können da andere als zutiefst traurige Geschichten spielen? Und das Buch geht wirklich nahe. Aber die Geschichte ist wunderschön erzählt, ruhig und voller Bilder. Als ich einmal mit dem Lesen begonnen hatte, wollte ich weiterlesen, bis zum Ende, an dem man atemlos ein wenig Hoffnung schöpft. Jetzt habe ich Bilder von Städten im Kopf, die vorher nicht mehr als Orte waren, an denen Radionachrichten spielten. Auch das ist schön.

Zu manchen Büchern sollte man sich den Film nicht anschauen – weil die eigenen Bilder im Kopf viel schöner sind. Jetzt weiß ich, dass es den umgekehrten Fall auch gibt. „Die Brücken am Fluss“ ist ein Film, den ich seit langer, langer Zeit liebe – mein Inbegriff einer ganz großen Liebesgeschichte. Wusste bisher gar nicht, dass das eine Buchverfilmung ist, und die – manchmal ganz schön bemühte – Beschreibungen der Hauptpersonen, ihrer Gefühle und ihrer Geschichte in dem Roman von Robert James Waller bleiben weit, weit hinter den Vorstellungen zurück, die ich mir zu den Bildern des Films gemacht hatte. Ok, wieder was gelernt…

Hörspiele mögen meine Kinder meistens nicht. Die erste Ausnahme ist „Mama Wulle – noch ne Erpelgeschichte“ von Marieluise Ritter, das wir aus irgendeinem Cousinenfundus geerbt haben. Die Geschichte von dem sehr, sehr faulen Enterich, der dann doch ein guter Papa wird, ist nett erzählt – mit einem ironischen Unterton, der sich an erwachsene Zuhörer wendet, meine Kinder aber nicht gestört hat. Gute Kindergeschichten machen eben auch den Großen Spaß.

„Nils Karlsson Däumling“ von Astrid Lindgren lieben meine Kinder auch gerade – das muss ich immer wieder vorlesen. Und dann erzählen wir vor dem Gutenachtsagen noch ein bisschen: Was wäre, wenn der Däumling bei uns wohnen würde? Ob er sich eine Wohnung in der Spielküche einrichten würde? Würde er sich in der richtigen Küche ein Hustensaft-Dosierbecherchen mopsen und unter dem Tisch Krümel für sein Frühstück aufsammeln? Würde er im Playmobil-Müllauto des Fünfjährigen herumfahren?

Abgerundet wird mein in diesem Monat ziemlich vermischtes Leseprogramm von Max Goldt – „Texte aus den in die Vergessenheit entlassenen Büchern ‚Quitten‘ & ‚Kugeln‘“. Auf den etwas absonderlichen Humor dieser Texte musste ich mich erst mal einlassen – aber ob sie nun zum Ende des Buches immer besser werden oder ich mich einfach nur eingelesen hatte: Je länger ich las, desto mehr habe ich gelacht. Auch darüber, dass ich manchmal nicht sicher war – dann, wenn ich eigentlich nicht lachen, sondern zu dem, was ich da las, heftig nicken wollte – ob ich zu den Leuten gehöre, über die sich Max Goldt da so ausgiebig lustig macht.

Gesehen, gelesen, gehört… im Juni

Fotokunst! Berlin ist voller richtig guter Ausstellungen, man muss sie nur finden. Und Zeit haben. Thorsten Wormuth zeigt gerade Fotos unter dem Motto „Die Rückeroberung der Freiheit“. Wunderbare Werke, für die das Fotonegativ nur die Ausgangsbasis ist, die der Künstler mehrfachbelichtet und tont und weiterbearbeitet… und zu vielschichtigen, poetischen Kunstwerken macht. Schnell hingehen!

Ein paar Bücher, die nicht mit in die Kurkiste gekommen sind, habe ich jetzt schon mal gelesen. Kindheitsgeschichten aus Amerika! Jeanette Walls erzählt in „Schloss aus Glas“ von ihrer Kindheit, die von Armut, Hunger und dem Umherziehen mit ihren Eltern – der malenden Mutter und dem trinkenden Vater mit den großen Träumen – geprägt ist. Das ist hart und anrührend. Und lesenswert.

Beim Lesen von Jodi Picoults  „Die Wahrheit der letzten Stunde“ kann man den Film schon fast sehen, der aus diesem Buch gemacht werden könnte (oder vielleicht schon gemacht worden ist). Eine Siebenjährige hat nach der Trennung ihrer Eltern plötzlich eine unsichtbare Freundin, die sich als „Gott“ vorstellt, dem Kind heilende Kräfte verleiht und es mit Stigmata zeichnet. Der Rummel, den das auslöst, ist packend beschrieben. Man kann das Buch als eine Geschichte über Zweifeln und Glauben lesen – aber auch – wie ich – als ein Buch über die Mutter des Mädchens und darüber, wie sie die Trennung von ihrem Mann verwindet und in ihrer Mutterrolle wächst. Spannend ist das Buch in jedem Fall.

„Die Geschichte der Liebe“ habe ich nur deshalb aus ihrem unwürdigen Dasein auf dem Büchergrabbeltisch errettet, weil im Klappentext vermerkt war, dass es sich bei der Autorin um die Frau von Jonathan Safran Foer handelt. Aber Nicole Krauss hat es nicht nötig, sich im Schatten ihres Mannes zu verstecken, ganz und garnicht. Berührend und voller Wärme verwebt sie in ihrem Roman große Themen miteinander: das Heranwachsen und das Altern, die große Liebe und die Trauer um die große Liebe – und eine Lebensgeschichte, die vom zweiten Weltkrieg und der Flucht aus Polen in die USA geprägt ist. Von dieser Autorin möchte ich noch viele Bücher lesen.

Noch mehr Geschichte! Nämlich „A short history of Tractors in Ukrainian“ von Marina Lewycka. Eigentlich ganz passend, denn auch hier geht es um eine vom zweiten Weltkrieg geprägte Familien- und Lebensgeschichte – um eine Familie, die aus der Ukraine nach Großbritannien geraten ist. Unter der heiteren Oberflächte – der verwitwete Vater heiratet eine junge Ukrainerin mit großen Träumen vom westlichen Lebensstandard, aus deren kostspieligen Fängen seine Töchter ihn zu befreien bemüht sind – liegt die durchaus ernste Auseinandersetzung mit dieser Familiengeschichte, in der die Töchter – eine während des Krieges geboren, eine danach – eine ganz unterschiedliche Welt vorfanden, zu ganz unterschiedlichen Menschen heranwachsen konnten. Ja, das Buch war bei seinem Erscheinen zu Recht berühmt und hat den „Bollinger Everyman Price for Comic Fiction“ (mit dem die englische Ausgabe beworben wird) – allemal verdient. Auch wenn ich von diesem Preis vorher noch nie etwas gehört hatte.

Und ein Buch zum Entspannen in anstrengenden vorletzten Schuljahreswochen: ein Istanbulkrimi –  „Bakschisch“ von Esmahan Aykol. Eine in Istanbul lebende Deutsche wird in einen Mordfall verwickelt (nicht zum ersten Mal, es gab da schon ein Vorgängerbuch). Aber weniger die Krimihandlung als die Art und Weise, wie die Ich-Erzählerin Istanbul sieht und von ihrem Leben als Deutsche in dieser Stadt erzählt, ist faszinierend. Ach, dort wollte ich eigentlich schon lange mal hinfahren… Und ja: Auch wenn das ignorant klingt, mich nach der Vorstellung zu sehnen, die ich von Istanbul habe – angesichts dessen, was dort in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist. Trotzdem möchte ich da hin, eines Tages.

Ein nachdenklicher Film, den meine ganz große Schwester mitbrachte: „Der Novembermann“. Ein Pfarrer verabschiedet seine Frau in ihren alljährlichen Toscanaurlaub. In derselben Nacht verunglückt sie tödlich – aber nicht auf dem Weg in die Toscana, sondern in einem Reisebus nach Bremen. Ihr Ehemann muss sich damit auseinandersetzten, dass sie seit zehn Jahren jeden November mit einem anderen Mann verbracht hat. Ein Film über Beziehungen und über Trauer, ein Film, in dem ich nicht vorhersehen konnte, was als nächstes geschehen würde. Und der sich nicht auf die Seite einer seiner drei Hauptfiguren stellt, sondern den Zuschauern erlaubt, sie alle zu verurteilen oder zu verstehen. Oder beides. Sehenswert.

Und begonnen hat der Monat mit einem Lachen: „Ein ganzer Schrank voll nix zum Anziehen“ ist meine neueste Postkartenentdeckung. Schön.

Gesehen, gelesen, gehört… im April

Spiegel-Bestsellerliste hin oder her – wenn mir Bea vom MeinWald-Blog nicht „Die hellen Tage“ von Zsuzsa Bánk empfohlen hätte, hätte ich dieses wunderschöne Seelenbuch verpasst. Und das wäre sehr, sehr schade gewesen. Irgendwie hoffe ich immer noch, dass es weitergeht, dass ich erfahren kann, was aus den Menschen wird, deren Geschichten, deren helle und dunkle Tage da erzählt werden…

Durchgehalten und ausgelesen! Den „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier hatte ich vor längerer Zeit schon mal angefangen und zur Seite gelegt: zu konstruiert, fand ich damals. Jetzt mochte ich das Buch. „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?“ – Das Buch kreist auf eine schöne Weise um diese Frage, finde ich jetzt. Aber verfilmt kann ich es mir schwer vorstellen. Es war vielleicht gut, nicht ins Kino zu gehen, sondern zu lesen.

Passend dazu die Postkarte des Monats: „Ich habe mich entschieden: Orange möchte ich sein. Aber was mach ich mit den anderen Farben?“ Leider gibt es diese Postkarte nur noch in den Erzählungen meiner ganz großen Schwester, die sie nach ihrer Entscheidung für eine bestimmte Stelle – für einen bestimmten Karriereweg – mal geschenkt bekam. Ich möchte  von den anderen Farben auch ein bisschen haben. Wenigstens ein bisschen.

Doris Dörrie mag ich sowieso. „Hanami“ gehört zu meinen allerliebsten Lieblingsfilmen. Jetzt habe ich mit einer Freundin in ihre nette kleine Serie „Klimawechsel“ hineingeschaut, die ich schon von einem unerwartet langen Abend mit meinen Schwestern kannte. Die Geschichten von vier Lehrerinnen in den Wechseljahren, den sie umgebenden Ehe- und sonstigen Männern und der nicht ganz harmlosen Frauenärztin, deren Praxis sie alle aus dem einen oder anderen Grund besuchen, sind so lustig (und bitterböse), dass man sofort alle sechs Folgen nacheinander sehen möchte. Auch beim zweiten Mal. Unbedingt! Stellt schon mal Wein hin.

Ein Essaybändchen: „Kränken und Anerkennen“. Gedanken um diese beiden Begriffe macht sich Corina Caduff. Schlicht und lesbar schreibt sie, führt nicht jeden Gedanken über Blicke und Krankheiten und Kunst, die Erfahrung des Fliegens oder das Jenseits, nicht jeden Aspekt des Gekränktwerdens oder Anerkanntwerdens bis ins letzte aus, aber inspiriert gerade dadurch. „Wir führen ein Patchworkleben und wünschen eine Gesamtanerkennung“. Da finde ich mich wieder. Interessante Lektüre!