Archiv für den Monat Mai 2014

Gesehen, gelesen, gehört… im Mai

Habe ich Hindi Zahras CF „Handmade“ hier schon erwähnt? Vor ein paar Tagen habe ich sie aus meinem Regal gezogen und lasse mich seitdem von ihr begleiten – schön!

Fundstücke aus der „Villa Libris“ – einer zum Buchtauschort umfunktionierten Telefonzelle:

Klaus Kordon: „Krokodil im Nacken“ – ein Jugendbuch, meint meine Besuchsfreundin, aber so habe ich es garnicht empfunden. Ein DDR-Buch, die Geschichte eines Mannes, der wegen einem Fluchtversuch in Haft sitzt und sich erinnert. An seine Kindheit im kriegszerstörten Ost-Berlin. Seine Jungend in einem sozialistischen Jugendheim. Den Mauerbau und die vielen Freunde und Bekannten, die die DDR verlassen – und davon, wie auch er und seine Frau zu dem Entschluss kommen, in diesem Land nicht mehr leben zu wollen. Für mich – weil ich ganz andere Ausschnitte aus dem DDR-Alltag, aus dem DDR-Kinder-Alltag, erlebt habe – eine spannende Lektüre. Auch wenn der Stil – aber eigentlich ist das sehr passend – mich oft an Bücher des „sozialistischen Realismus“ erinnert hat.

Anne Delbeé: „Der Kuss. Kunst und Leben der Camille Claudel“. Faszinierend, erschütternd, finster – die Lebensgeschichte einer bedeutenden Bildhauerin, die mir garnicht bekannt war. Sie schafft großartige Werke, ist die Geliebte von Rodin, den sie inspiriert, der sich aber nie für ein Leben mit ihr entscheidet, leidet Entbehrungen und Einsamkeit, arbeitet hart und endet schließlich – für 30 Jahre ihres Lebens, bis zum Ende – in einer Anstalt, psychisch zerrüttet und krank. Eine grausige Geschichte, aber es lohnt sich, diese Künstlerin zu kennen. Ihre Plastiken – vor allem „Der Walzer“ hat es mir angetan – sind wunderbar.

Kunst gesehen! Die „Anonymen Zeichner“ – ein schönes Projekt an einem schönen Ort, dem kleinen Pavillon in den Milchhöfen. Dreimal für je einige Tage wurden dort Zeichnungen in A4-Größe gezeigt, ohne Namensnennung. Dreimal Staunen darüber, wie vielfältig und verschiedenartig Zeichnungen sein können, dreimal Lieblingswerke (Kunstsammler müsste man sein) und andere, mit denen ich nichts anfangen konnte, dreimal Vergnügen. Schön!

Urlaubsvorbereitungen (I): Weil im uralten Baedecker-Reiseführer meines Vaters ganz schön viel vom EU-Beitritt Portugals in den 80er Jahren die Rede ist, brauche ich eine bessere Einstimmung auf Lissabon (Hurra! Urlaub!). Eine literarische. Schließlich hat es – vielleicht – sogar etwas mit dem „Nachtzug nach Lissabon“ zu tun, dass ich da mal hinwill. Also lese ich Sylvia Roths Erfahrungsbericht „Ein Jahr in Lissabon“ – mit viel Vergnügen an ihren Beschreibungen der Sprache, mit der sie kämpft, der Freunde, die sie findet, der portugisischen Lebensweise, die sie kennenlernt, der kleinen Imbisse und Friseurläden und der kleinen Schwimmhalle, in der sie nur mit einem geschlossenen Badeanzug ins Wasser darf… Wagenbachs „Lissabon – Eine literarische Einladung“ macht mir weniger Spaß, weil ich zu dem einen oder anderen Text – obwohl die eigentlich ganz schön ausgewählt verschiedene Aspekte der Geschichte und des Lebens in Lissabon thematisieren – einfach keinen Zugang finde, zu viel Düsternis und freimaurerische Geheimniskrämerei. Macht nix. Denn jetzt werde ich die Stadt bald selbst sehen. Und mir mein eigenes Bild machen.

Urlaubsvorbereitungen (II): Und was werde ich im Urlaub lesen? Weil ich gelegentlich zur Maßlosigkeit neige, bringe ich gleich drei Bücher aus dem Laden mit. Und schlage das erste in der S-Bahn schon mal auf. Ach, ist das schön! Natürlich ist Jojo Moyes‘  „Weit weg und ganz nah“ ein Frauenschmöker durch und durch, ein Gutfühlroman mit den üblichen Zutaten (alleinerziehende Mutter – große Probleme – Mann in Lebenskrise – Annäherung der beiden bei der gemeinsamen Bewältigung von kleineren Katastrophen – hoffnungsvolle Liebesgeschichte – schreckliche Konflikte, die das Happyend bis zur letzten Minute hinausschieben). Meistens nervt mich das. Hier nicht. Irgendwie trifft diese Autorin – von der ich auch „Ein ganzes halbes Jahr“ schon sehr gemocht habe – den richtigen Ton. Erst Mitternacht lege ich das Buch – halb gelesen – aus der Hand. Das ist lange nicht mehr vorgekommen.

Faust aufs Auge

In der letzten Zeit hatte ich einen kleinen Blogbeitrag zum Thema „Mobbing gegen arbeitende Mütter“ im Kopf… wegen der Schulveranstaltung, die selbstverständlich um 15 Uhr schon beginnt, den vielen Schließtagen der Schule und der Kita, mit denen mein Kalender im Juni gespickt ist, wegen der Öffnungszeiten der Kinderarztpraxis, einmal wöchentlich nachmittags. Nicht später als halb fünf ankommen, sonst wird man nicht mehr drangenommen.

Aber die Wirklichkeit schlägt einen Purzelbaum und lässt mich wünschen, mich wieder mit derartigen Kleinigkeiten herumschlagen zu können.

Ungefähr zum Ende seines Kita-Schwimmkurses – das war vor ein paar Wochen – bekommt der Fünfjährige seltsame Pickel unterm Arm. Ach, das ist nix, meint sein Vater, der tagsüber Zeit hat und deshalb auch mal wegen ein paar Pickeln zum Arzt gehen könnte. Vormittags.

Am letzten Arbeitstag der Kollegin, deren Schwangerschaftsvertretung ich übernehmen muss – das war letzte Woche – schaffe ich es dann doch selber, mit dem Fünfjährigen zum Arzt zu gehen, und erfahre, dass es sich bei den munter blühenden Pickeln um einen Befall mit Dellwarzen handelt.

Das Warzenmittel, das die Kinderärztin uns empfohlen hat, ist laut Beipackzettel so stark ätzend, dass die Apothekerin mir dringendst davon abrät, ein Kind damit zu behandeln.

Also erstmal googeln.

Niemals vorher in meinem Leben habe ich mich so sehr darüber gefreut, dass es im Internet Foren zu jedem noch so abseitigen Thema gibt. Und Erfahrungsberichte von Menschen, die dasselbe durchmachen wie man selbst. „Mein Kind“, schreibt eine Mutter, „hat ungefähr 50 Dellwarzen. Was soll ich nur machen?“ Erst einmal macht sie mich glücklich, der Fünfjährige hat nämlich nur etwa 15. Und dann lerne ich, was andere Mütter alles gegen die fiesen Dinger tun. Klebeband (drei Tage dranlassen) oder Knoblauchumschläge. Propolis oder Vitamin A. Infektodell oder Schöllkrautsaft. Aufstechen – oder Besprechen, bei abnehmendem Mond natürlich.

Eigentlich könnten wir ja gleich 15 verschiedene Hausmittel ausprobieren und eine tolle Vergleichsstudie machen. Aber weil ich mich erinnere, dass mein Vater mir vor vielen Jahren Schöllkraut gezeigt und mir erzählt hat, dass der orange Saft gegen Warzen hilft, fange ich erstmal damit an, das Zeug wächst zum Glück gleich um die Ecke am Straßenrand. Ich nehme den Vater meiner Kinder zur Schöllkrautecke mit und zeigt ihm die Pflanzen. Hoffentlich merkt er sich die Form der Blätter und nicht, dass das Kraut gelb blüht – der Saft vom wilden Rucola direkt daneben hilft wahrscheinlich nur halb so gut.

Von der Schöllkrautbehandlung werden die Warzen leuchtendorange. Auffällig. Und so kommt es, wie es kommen muss:

Vier Tage vor meinem ersten Urlaub seit Weihnachten und meinem ersten Urlaub ohne Kinder seit neun Jahren und meiner ersten Auslandsreise seit Menschengedenken – heute – wird der Fünfjährige wegen seinem Warzenbefall aus der Kita verbannt. Ohne eine Bescheinigung darüber, dass er keine ansteckende Hautkrankheit hat, darf er nicht wiederkommen. Und ich kann die Erzieherin sogar verstehen…

Also wochenlang, sagt der Vater meiner Kinder, der tagsüber Zeit hat, kann ich das jetzt auch nicht übernehmen. Ich hab schließlich Termine!

Tiiiiief atmen. Eiiiiiiiinatmen. Auuuuusatmen. Irgendwie wird es schon weitergehen.

Das Telefon klingelt. Mein Chef: Kannst Du morgen vielleicht ein bisschen länger arbeiten?

Vom Alleinsein (II) … und vom Gemeinsamsein

Meine Besuchsfreundin besucht mich, für eine ganze Woche, weil sie auf der Suche nach einer Wohnung in Berlin ist. Ja, der Berliner Wohnungsmarkt ist genau so schrecklich, wie alle immer sagen. Meine Freundin erzählt Schauergeschichten von mönchischen Kleinstklausen und beinahe lichtlosen Löchern, durch die Dutzende Interessenten geschleust werden, die eifrig die vom mürrischen Hausverwalter verteilten Bewerbungsbögen ausfüllen und hektisch mit ihren Schufa-, Mietschuldenfreiheits-, und Einkommensbescheinigungen winken. Die kleine Traumwohnung meiner Besuchsfreundin in meinem Kiez ist vermietet, ehe die zuständige Mitarbeiterin bei der Wohnungsbaugenossenschaft auch nur einmal ans Telefon gegangen ist.

Meine Freundin ist entmutigt.

Ich klopfe ihr tröstend auf die Schulter, finde noch eine Webseite mit noch ein paar halbseidenen Wohnungsangeboten („…schicken Sie uns Geld und sie erhalten den Schlüssel für eine Wohnungsbesichtigung…“) – aber vor allem freue ich mich über die für mich so seltene Erfahrung, eine ganze, alltägliche, mit Arbeit und Terminen vollgestopfte, normale Woche über nicht allein zu sein.

Von der Arbeit kommen, auf dem Balkon gemeinsam einen Kaffee trinken und vom Tag erzählen.

Mit den Kindern am Tisch sitzen und – wenigstens für drei Minuten, wenigstens bis sie uns unterbrechen, weil sie daran nicht gewöhnt sind – ein Erwachsenengespräch über Erwachsenenthemen führen.

Heimkommen und eine neue Packung Toilettenpapier vorfinden, ohne dass es mir überhaupt aufgefallen wäre, dass das alte fast aufgebraucht war. Frische Erdbeeren. Brot.

Wie schön das ist.

Wieder einmal wird mir bewusst, wie gut es mir tut – und wie sehr es mir im Grunde fehlt – nicht allein zu sein, nicht ununterbrochen allein verantwortlich zu sein, selbstverständliche, alltägliche, nicht planungs-, absprachen-, organisations- und eventbedürftige Zeit mit einem anderen Erwachsenen zu verbringen. Das war der Grund – jetzt fällt es mir wieder ein – aus dem ich schon manches Mal von Wohnprojekten, Alleinerziehenden-WGs oder einem Leben in der Nachbarschaft meiner Familie geträumt habe. Oder ganz schlicht von einer neuen Beziehung.

Nach einem Menschen, der heute da ist und morgen auch. Der da ist, wenn es mir schlecht geht – und immernoch, wenn ich mich wieder aufgerappelt habe. Und wenn ich glücklich bin. Und sogar noch übermorgen. Und nächste Woche. Nach selbstverständlicher Gemeinsamkeit – und ja: Alltäglichkeit. Obwohl ich an der Alltäglichkeit mit dem Vater meiner Kinder damals gescheitert bin. Obwohl Alltäglichkeit ein bisschen glanzlos ist – und wahrscheinlich bedeutet, sich irgendwann wieder nach Ausbrechen und Leidenschaft und Abenteuer zu sehnen.

Erst einmal kann ich mich ja mit dem Berliner Wohnungsmarkt trösten: Meine Besuchsfreundin hat noch keine Wohnung gefunden. Unsere nächste gemeinsame Woche ist also verabredet. Mich darauf zu freuen, macht das Alleinsein bis dahin schon mal freundlicher.

Signale aus Paralleluniversen

Diese Theorie mit den vielen, vielen Paralleluniversen finde ich absolut einleuchtend.

Wie nahe beieinander sie in Berlin liegen:

Am anderen Kanalufer, dort, wo gar kein Weg ist, die zwei Männer – vielleicht aus dem Flüchtlingsheim, das im Niemandsland hinter dem Aldi versteckt ist – die sich auf ein paar Betonplatten einen Platz in der Sonne gesucht haben.

Ein paar Schritte weiter der Polizist, der – vielleicht – in eben diesem Heim arbeitet, mit müdem Gesicht auf dem Heimweg.

Morgens die kroatische Putzfrau, die nach dem Ende ihrer Schicht in die Sonne blinzelt, die noch nicht aufgegangen war, als sie angefangen hat, Büros zu saugen.

Gleich daneben der Bauarbeiter, der sich – mit freiem Oberkörper und Piratentuch – am Bauzaun zu schaffen macht.

Der amerikanische Architekt, der in seiner neuern Berliner Zweitwohnung zu Cocktails einlädt.

Der dicke Mann in der S-Bahn, auf dessen T-Shirt der Spruch „Je länger ich lebe, desto mehr Menschen gibt es, die mich am A… lecken können“ zu lesen ist (warum in aller Welt läuft er so herum?).

Die jungen Studentinnen, übermütig in ihren flatternden Blusen und Jumpsuits und ultrakurzen Shorts.

Das Paar, das sich im Schutz der S-Bahn-Brücke leidenschaftlich küsst, ein Junge mit Basecap, ein Mädchen mit Kopftuch.

Menschen, die keine Berührungspunkte haben. In Welten leben, die sich nicht überschneiden, sich höchstens für einen flüchtigen Moment aneinander vorbeidrehen.

Oder doch:

Ein Auto hat – anscheinend – eine S-Bahn-Brücke gerammt und beschädigt, der Zugverkehr ist in der besten Nachmittagszeit unterbrochen. Eine überfüllte Bahn fährt – keiner weiß, wohin, die Ansagen an den verschiedenen Stationen sind widersprüchlich. Aber jeder Meter in die richtige Richtung zählt.

Und plötzlich reden wir miteinander:

Die verschwitzten polnischen Männer, die rüstige Dame mit dem Wandergepäck, der stämmige junge Mann, der so kräftig berlinert, die hübsche Studentin, die elegante Seniorin mit dem russischen Akzent, die Frau im Business-Kostüm und die mit dem kahlen Kopf und den großen Tätowierungen.

Wir schauen einander ratlos an, gefangen in der gleichen typischen Berliner Misere. Wir lachen miteinander über die vage formulierten Durchsagen und die obligatorische Bitte um unser Verständnis. Wir stückeln unsere Kenntnisse der Berliner Verkehrsverbindungen zusammen. „Nach Frankfurter Tor wollen sie? Wenn Sie hier vom Südkreuz nach Alex fahren, können sie da eine U-Bahn zum Frankfurter Tor nehmen.“ „Von Südkreuz kann man doch nicht nach Alex – ?“ „Doch, da gibts ne Regionalbahn. Oder ne S-Bahn.“ – „Wenn Se nach Norden wollen, könnSe auch die U8 nehmen, aber nicht von Hermannstraße, sondern erst von Hermannplatz, da könnSe einfach hinlaufen, wennSe n bisschen Zeit haben!“ „Laufen ist mir aber zu weit, das geht nicht bei der Hitze“ „Nach Hermannplatz können Sie von Neukölln aus aber auch die U7 nehmen“ – „Wenn die Störung bei der Sonnenallee ist, müsste Ihr Zug nach Schönefeld trotzdem fahren“ –

Als plötzlich durchgesagt wird, dass die S- Bahn-Brücke wieder freigegeben ist und die Bahn planmäßig weiterverkehren wird, seufzen wir erleichtert auf. Lächeln den Menschen auf der Sitzbank gegenüber noch einmal zu. Und dann sind wir einander plötzlich wieder fremd. Steigen aus, steigen um, kehren in unser eigenes kleines Universum zurück.

Krötenragout

Schon lange arbeite ich an diesem Text.

Es ist schwierig, über das zu schreiben, was mich in den letzten Wochen beschäftigt, zornig und verzweifelt macht, das eigentlich funktionsfähige wechselseitige Betreuen unserer Kinder in Frage stellen lässt.

Vielleicht so:

Ein Einschreibebrief an einem Samstagvormittag. Vollkommen unerwartet.

Das Jobcenter, von dem der Vater meiner Kinder Leistungen zur Sicherung des Unterhaltes für sich und – weil er sie ja hälftig betreut – unsere beiden Söhne bezieht, verlangt in harschem Ton Auskünfte über mein Einkommen. Was dem Vater meiner Kinder für die beiden bewilligt wurde, möchte das Amt sich nun gern von mir zurückholen.

Ich bin am Boden zerstört.

Ich wollte niemals die Feinheiten des Unterhaltsrechtes kennenlernen, am wenigsten in Kombination mit „Wechselmodell“ und „Harz IV“. Wer seine Kinder hälftig betreut, hat – Gesundheit und Fähigkeit vorausgesetzt – auch für die Hälfte ihres Unterhaltes zu sorgen, sollte es nicht so einfach sein?

Ist es nicht.

Meine Kinder sollen nicht in Armut aufwachsen – und ich war stolz darauf, dass ich gut für sie sorgen konnte, bisher, dass ich in den letzten zwei Jahren nicht mehr jedes Extra erst abwägen musste.

Wie soll es weitergehen, frage ich mich jetzt, bang –

Nie, nie, nie wollte ich über Geldfragen bitter werden: Wie seltsam fand ich Männer, die bei ersten Dates augenrollend über horrende Unterhaltszahlungen an ihre Ex-Gattinen und die gemeinsamen Kindern klagten…

Nun beginne ich, ihre Gefühle zu verstehen.

Und mehr als alles andere wollte ich mein Leben losgelöst von den Entscheidungen meines Expartners – und den finanziellen Konsequenzen dieser Entscheidungen – führen.

Keine Chance.

Denn jetzt… Jetzt führt das, was die Familienberaterin – so wertneutral, wie nur wirklich professionelle Familienberaterinnen wertneutral sein können – als „Ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben“ bezeichnet, wenn sie mir und dem Vater meiner Kinder gegenübersitzt, dazu, dass ich in eine rechtliche Lage gerate, in der diese meine Wünsche keine Rolle spielen.

Kann es wirklich sein, dass „Wechselmodell“ unterm Strich bedeutet, dass ein Elternteil sein Recht darauf einfordert, die gemeinsamen Kinder die Hälfte der Zeit bei sich zu haben – und das andere auf der Pflicht sitzenbleibt, den ganzen finanziellen Unterhalt zu leisten?

Ich weiß nicht, wie ich diese Kröte garkriegen und in mundgerechte Stücke zerlegen soll.

Wir bearbeiten Ihren Widerspruch, schreibt mir das Amt erst einmal, Sie werden wieder von uns hören.

Worauf ich mich wohl verlassen kann.

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Nachtrag: Ich habe die Kommentarfunktion bewusst ausgeschaltet – da das Thema die Privatsphäre gleich mehrerer Menschen berührt, möchte ich nicht mit weiteren Details auf Eure Rückmeldungen und Fragen eingehen. Aber wenn eine oder einer von Euch Erfahrungen mit Wechselmodell und Unterhalt hat, freue ich mich über einen Austausch per Mail.

 

Das Balkongartentagebuch: Vogelschutzmaßnahmen

Der Mai ist da, die Bäume sind so grün, als ob es Juni wäre, überall wird Spargel verkauft, das rote Erdbeerhäuschen an der Ecke steht schon bereit – und auch auf meinem Balkon wächst und gedeiht alles. Die Kartoffeln treiben kräftig, die Kohlrabistängel – schön lila – beginnen, sich zu verdicken, die Bohnen strecken kecke Ranken in die Luft, die Winden winden sich – alles ganz wunderbar.

Wenn, ja wenn da nicht…

Schon im letzten Jahr hatten wir einen sonderbaren Vogel im Hinterhof: einen Gourmetstar. Der den festen Vorsatz hatte, sein Nest mit nichts anderem als Salbeiblättern und anderen duftenden Kräutern – von meinem Balkon, ausgerechnet! – auszupolstern.

Und er ist wieder da.

Täglich haben wir Schäden an den Kräutertöpfen zu beklagen: Abgerissene Blätter! Abgeknickte Triebe! Abgerupfte – und einfach liegengelassene – Pflänzchen! Und die rausgezupften Radieschen und die Erbsen, die so schön gekeimt waren, aber einfach nicht weitergewachsen sind… das schiebe ich unserem geflügelten Feind auch gleich noch mit in die Schuhe.

Wenn ich allein oder mit den Kindern abends nach Hause komme, führt der erste Weg auf den Balkon: Ist noch alles ok? Hat der Vogel wieder gewütet?

Er hat.

Als er uns am Wochenende dann sogar noch frech einen Schiss auf dem Fensterbrett hinterlässt, ist das Maß voll. Jetzt reicht‘s aber!

Als erste-Hilfe-Maßnahme wird erst einmal eine aufgeschnittene Tüte außen ans Fenster geklebt, das auf den Balkon rausgeht und auf dessen Fensterbrett draußen die Kräutertöpfe und der Blumenkasten mit den selbstgezogenen Basilikumpflänzchen stehen. Die transparente Folie bedeckt schützend den Kasten, knistert hoffentlich ordentlich im Wind und verleidet dem garstigen Tier dadurch – so jedenfalls der Plan -, sich weiterhin auf den Rand des Blumenkastens zu setzen und von da aus am Salbei zu zupfen.

Weitere Abschreckungsmaßnahmen sind in Planung: In Gedanken sammle ich scheppernde Konservendosendeckel, bunte Gebetswimpel und raschelnde Folien und füge alles an einem langen Strick zu einer Vogelschutzgirlande zusammen, die rund um unseren Balkon gespannt werden könnte. Balkondeko mal anders! Oder soll ich lieber ein paar alte Kindersachen raussuchen und eine kleine, böse Vogelscheuche bauen? Mit einem Kopf aus einem Stück ausgestopften Strumpfhosenbein? Einem aufgemalten Gesicht und Wollhaaren? Mit einem drohend hochgehaltenen Besen in der Hand?

Unser Feinschmeckervogel hat sich jedenfalls – so viel steht schon fest – über die Tüte geärgert. Die Kräuter lässt er erst einmal in Ruhe – aber mit einem dicken, weißen Klecks auf einem der schönen großen Blätter unserer Sonnenblume wirft er uns einen neuen Fehdehandschuh hin. Na warte…

Gesehen, gelesen, gehört… im März und April

Hmmm, wie fang ich den neuen Monat an? Mit „Glück“ aus der Postkartenreihe von Tom Bäcker vielleicht? Heute habe ich aus seiner Serie eine entdeckt, die ich noch nicht kannte: „Ich will keine Winter mehr.“ Wo kann ich unterschreiben? (…und weil ich jetzt zwei Monate lang für diesen Beitrag gesammelt habe, ist diese Unterschriftenaktion nicht mehr gaaaanz aktuell, macht aber nix)

An Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“ habe ich mich noch nicht herangetraut. Aber „Sand“ und „Tschick“ sind mir in diesem Monat beide in die Hände gefallen. Ich lerne einen Autor kennen, von dem ich gern mehr gelesen hätte.

Im Radio schnappe ich den Namen „Frank’s Daughter“ auf. Und bin auch beim Wiederhören in der Mediathek begeistert. „Fall fully backwards“ ist die perfekte Musik für die müden Momente vor dem Schlafengehen. Nur drei Lieder scheint es derzeit von Franks Daughter zu geben. Hoffentlich werden es mehr.

Große Literatur, große Erzählkunst: Amos Oz war mir bisher nur dem Namen nach bekannt – jetzt habe ich „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ gelesen und bin beeindruckt davon, wie der Autor die Geschichte seiner Familie und seines Aufwachsens im Jerusalem der 40er Jahre erzählt – und davon, wie er zu dem geworden ist, der er ist, menschlich und schriftstellerisch.

Passt eigentlich garnicht dazu, ist aber zuverlässig lustig und entspannend: Max Golds in dem Band „Ä“ gesammelte Kolumnen.

Und eine wiedergefundene Kindheitserinnerung: Ach, sag ich zu meinem Vater, früher gab es in Deinem Bücherregal so ein Buch über Gärtnern, mit so lustigen kleinen Zeichnungen drin, Gemüse mit Gesichtern und so… Jaja, sagt mein Vater, das liegt bei mir im Garten rum. Und dann bringt er mir gleich beide Bände mit. Franz Böhmig: „600 Ratschläge für den Gemüsegarten“ und „300 Ratschläge für den Gewürzkräutergarten“. Die beiden gehören zu den ersten Büchern, die ich heimlich aus dem Bücherregal meiner Eltern im Wohnzimmer holte und in aller Ruhe betrachtete. Noch vor dem Giftpflanzenbuch und Meyers dreibändigem Lexikon. Jetzt blättere ich aufgeregt die vergilbten Seiten auf und freue mich wie eine Schneekönigin, als ich die lachenden Radieschen wiederfinde, die Auberginen, die sich im Windschatten sonnen und die Möhrenfamilie, in der der dicke Papa das kleinste Kind liebevoll auf dem Arm trägt. Oh wie schön! Bestimmt lerne ich jetzt – ganz nebenbei – was ich auf dem Balkon beachten muss, damit meine Radieschen auch lachen.

Und jetzt muss ich eine Ausnahme davon machen, hier nur über Dinge zu schreiben, die ich selber gesehen oder gelesen oder gehört habe… Denn eine Chance, die wunderbaren Arbeiten von Annette Schröter zu sehen, habe ich gerade nicht. Ihre Ausstellung in Erfurt – von der meine große Schwester mir begeistert Fotos gezeigt hat – ist vorbei. Dabei würde ich zu gern einmal vor ihren riesigen, immer spannenden, technisch absolut bewundernswerten Scherenschnitten stehen, von denen mich schon die Fotos und die im Internet auffindbaren Bilder begeistert haben.

… ein Buch geht auf den Weg

Erster Mai. Nein, ich war nicht bei der antikapitalistischen Walpurginsnacht und gehe nicht zur Großdemo und auch nicht aufs Maifest. Ich schlafe aus, und beim Frühstück schaue ich mir die Antworten auf meinen Beitrag zum Welttag des Buches an – und freue mich an der großen Resonanz: 17 Leute, die gern Ulrich Kochs Gedichte gewinnen möchten!

Wie schade, dass ich jetzt nicht einen ganzen Stapel Bücher hier liegen habe. Aber es ist nur eins. Also schreibe ich Zettelchen und falte und mische und mache sicherheitshalber die Augen zu und ziehe… Liebe Jochelbeere, herzlichen Glückwunsch!

Und jetzt lasse ich mich weiter durch einen faulen Tag treiben – nur ich und meine verstopfte Nase und ein paar Halstabletten. Und ein Buch, natürlich.